Armut und Konflikte im ehemaligen Diplomatenviertel
Seit Bonn nicht mehr Regierungssitz ist, hat das frühere Diplomatenviertel Bad Godesberg viel von seinem alten Glanz verloren. Inzwischen prallen dort Arm und Reich aufeinander, mit allen dazugehörigen Konflikten.
Bad Godesberg ist der bekannteste der vier Stadtbezirke der Bundesstadt Bonn. Seitdem Bonn nicht mehr der Sitz von Regierung und Parlament ist, hat auch Godesberg viel von seiner einstigen Bedeutung verloren: Dort, wo einst Diplomaten arbeiteten und Politiker wohnten, hat sich an vielen Stellen im Stadtbild Tristesse breitgemacht – und soziale Konflikte sind aufgebrochen.
"Das ist der Stadtpark, der geht da rüber, das ist der Tennisclub, gegenüber ist das Rathaus. Früher hatten wir schräg gegenüber die chinesische Botschaft. Auf der anderen Seite war die spanische Botschaft. Also, wir hatten viele Botschaften hier und deswegen war das auch immer eine absolut sichere Lage."
Walter Ullrich steht auf der Terrasse seines "Kleinen Theaters" in Bad Godesberg und zeigt auf die Umgebung. Idyllisch wirkt es hier: ruhig, grün, friedlich. Die verwinkelte Stadtvilla, die seit fast 50 Jahren sein Theater beherbergt, passt perfekt in diese Umgebung aus alten stuckverzierten Häusern, kleinen begrünten Plätzen und größeren Parks.
Mit dem Regierungsumzug zog die gut betuchte Elite weg
Bad Godesberg ist das ehemalige Diplomatenviertel Bonns – hier residierten Botschafter, Politiker und generell die gut betuchte Elite der ehemaligen Bundeshauptstadt. Mit dem Umzug nach Berlin, der vor etwa 20 Jahren begann, sei dann alles anders geworden.
"Dadurch, dass so viele Leute, 50.000, schätze ich mal, mit den umliegenden Ortschaften umgezogen sind nach Berlin, dadurch mussten natürlich andere herkommen. Dadurch hat es sich ja natürlich sehr verändert. Leider nicht zum Guten. Für mich wenigstens nicht."
Das gesamte Stadtbild des ehemals vornehmen Viertels habe sich gewandelt:
"Es begann damit, dass die schönen Geschäfte, die wir alle hatten - vom Feinkostladen bis zum exklusiven Porzellangeschäft – verschwanden, und das ist im Laufe der letzten Jahre immer schlimmer geworden. Wenn Sie heute über die Hauptstraße gehen, sehen Sie nur noch Döner und Ein-Euro-Läden. Also das ist ein richtiger Abstieg."
Außerdem sei es unsicher geworden, sagt Ullrich. Er schaue sich jetzt dreimal um, bevor er nachts alleine zu seinem Auto gehe. Schon mehrfach sei in das Schauspielhaus eingebrochen worden. Und auch seine Theatergäste sorgten sich vor Überfällen.
"Wir haben schon einen eigenen Sicherheitsdienst eingeschaltet, vor der Vorstellung und nach der Vorstellung. Ein von uns bezahlter Sicherheitsdienst. Wenn also 100 bis 160 Leute aus dem Haus strömen, sehen sie den Wagen vor der Tür stehen und haben dadurch eine gewisse Beruhigung."
Es gibt viele Menschen in Bad Godesberg, die ähnliches berichten: Die von der heilen Welt des piekfeinen Diplomatenviertels schwärmen und jetzt das Gefühl haben, in einem sozialen Brennpunkt zu leben.
Jeder dritte Bad Godesberger ist ein Zuwanderer
Bad Godesberg hat gut 73.000 Einwohner, knapp ein Drittel davon sind Zuwanderer. Der Bonner Bezirk war bis in die späten 1960er-Jahre eine eigenständige Stadt und seine Lage kann ohne Übertreibung als idyllisch beschrieben werden: Zwischen dem Rhein auf der einen Seite und der mittelalterlichen Godesburg auf der anderen erstreckt sich der Stadtteil – mit all seinen Facetten. Da gibt es das hochherrschaftliche Villenviertel mit alten Gründerzeit-Bauten, großen Gärten und prächtigen Alleen. Und es gibt weniger hübsche Stadtteile, die von eintönigen Nachkriegsbauten geprägt sind – und von Jugendlichen, die an Straßenecken "abhängen".
Früher, so erzählt Bezirksbürgermeistern Simone Stein-Lücke, wirkte Godesberg tatsächlich wie ein Hort der Glückseligen.
"Also, Bad Godesberg hat zu den guten, alten Bonner Republik-Tagen, als die Bundesregierung hier noch in der Hauptstadt saß, natürlich wie in einer Schneekugel gelebt. Die ganze Welt tanzte um uns herum. Sehr geschützter Bereich, jedes zweite, jedes dritte Haus hatte Polizeischutz vor der Tür."
Mittlerweile komme der Stadtteil – und mit ihm die alteingesessene Bevölkerung – in der Realität an:
"Wir haben ein auf normal zurückgeführtes Polizeiaufgebot. Aber gefühlt gerade für die älteren Herrschaften ist das natürlich eine ganz andere Welt geworden."
Die Schlagzeilen des "Bonner Generalanzeigers" zum Stadtteil Bad Godesberg verstärken bei den Bürgern allerdings in regelmäßigen Abständen das Gefühl, dass sie tatsächlich in einer anderen, einer rauen Welt leben:
"39-Jähriger mit Waffe beraubt"
"12-Jähriger von Jugendlichen bedroht"
"15-jähriger Erpresser sitzt in U-Haft"
Tragischer Tod des 17-jährigen Niklas P.
Das schlimme Schicksal des 17-Jährigen Niklas P. scheint für viele da nur noch die logische Folge einer lange sich anbahnenden Eskalation.
"Hallo zusammen. Am 6.5. ist in Bonn etwas passiert, wo wir nicht drüber hinwegschauen können. Und gestern haben wir die traurige Nachricht bekommen, die wir uns alle nicht erhofft haben. Mein Beileid geht an Familie, Verwandte und Bekannte. Wir trauern gemeinsam."
Es ist eine der ersten lauen Sommernächte in diesem Jahr, die Nacht vom 6. auf den 7. Mai. Am Bonner Rheinufer feiern die Menschen das Fest "Rhein in Flammen". Auch der 17-Jährige Schüler Niklas ist mit einem Freund und zwei Freundinnen dort. Der Nachhauseweg führt die Gruppe um Mitternacht über den Bad Godesberger Bahnhof, hier wollen sie vom Nachtbus in einen Zug umsteigen. Doch soweit soll es nicht kommen…
"Ein Leben mit Träumen, Leben mit Aussicht, Leben mit Freude … endet so traurig…"
Niklas und seine Freunde treffen auf eine Gruppe junger Männer, die offenbar auf Streit aus sind, wie später Oberstaatsanwalt Robin Faßbender erzählt.
"Es kam zu einem ganz kurzen Wortgefecht mit Niklas und dann kam es zu einem offensichtlich sehr wuchtigen Schlag gegen den Kopf von Niklas in den Schläfenbereich, der dazu führte, dass Niklas sofort zu Boden ging und reglos am Boden liegen blieb."
Die Freunde eilen dem 17-Jährigen zu Hilfe, doch der Täter kommt zurück…
"…und trat den leblos am Boden liegenden Niklas kräftig wieder mit voller Wucht, muss man sagen, gegen den Kopf".
Eine Woche später stirbt Niklas an den Folgen des Angriffs. Er ist aus dem Koma nicht mehr aufgewacht.
"Die Nachricht füllt Tränen in den Augen. Ein Leben mit Träumen, wo ist es heute, genommen von Leuten, was bringt jetzt noch Reue…"
Zur Trauerfeier für den 17-Jährigen kommen hunderte Menschen, der Bonner Rapper Djaspora singt in der Kirche seinen eigens für Niklas komponierten Song – sie alle sind fassungslos…
"...weil es einfach so schrecklich ist".
"Ja, ja, weil es einem einfach zu nahe geht."
Gefühlte Unsicherheit entspricht nicht der Kriminalstatistik
Und sie fragen sich: Wie konnte es soweit kommen, dass so etwas in Bad Godesberg passiert?
"Solch eine Tat mit so einem Ausmaß ist nie wieder gut zu machen. Nie mehr, nein, nie mehr!"
Seit der Tat ist die Stimmung unter den Bad Godesbergern noch schlechter geworden. Es herrschen Angst und Unsicherheit – und Wut, wie bei Theatermacher Walter Ullrich:
"Ich verstehe nicht, warum wir nicht besser geschützt werden. Zum Beispiel gehört an diesen neuralgischen Punkt eine Alarmanlage, eine Videoüberwachung hin. Wenn es eine Videoüberwachung gegeben hätte, hätte sich der Angreifer wahrscheinlich überlegt, ob er dem armen Mann so gegen den Kopf tritt, dass er stirbt."
Stadt und Behörden versuchen, zu beschwichtigen. Bad Godesbergs Kriminalstatistik sei nicht besonders auffällig, sagt der Bonner Polizeisprecher Frank Piontek. Im Gegenteil: Die Einbruchszahlen gehen zurück, ebenso die Zahl der Überfälle oder Diebstähle.
"Aber wir müssen auch feststellen, es ist sehr schwer, hier mit Zahlen der Kriminalstatistik das Sicherheitsgefühl wiederherzustellen."
Vor allem, wenn Teile der Bevölkerung noch die Bonner Regierungszeiten miterlebt haben. Damals, als es in Bad Godesberg nur so vor Polizei und Sicherheitsdiensten wimmelte, konnten sie selbst spätabends unbehelligt durch dunkle Parks laufen. Das ist vorbei. Das dürfte aber auch in jeder anderen Stadt schwierig sein.
Dennoch: Polizeisprecher Frank Piontek gibt zu, dass es Bad Godesberg in den letzten Jahren auch ein paar besondere Probleme gab:
"Es ist so, dass wir seit fast einem Jahrzehnt es immer wieder mit Gruppen tun haben, insbesondere Jugendlicher, die dort in kurzer Zeit sehr viele Taten begehen. Meist klassische Straßenkriminalität: Körperverletzungen, Straßenraubdelikte, Handy-Abziehereien beispielsweise."
Einige dieser Banden sind zugereist, aus Duisburg, Köln oder anderen Orten. Denn es ist eben auch überregional bekannt, dass in Godesberg immer noch viele wohlhabende Jugendliche verkehren. Mehrere Privatschulen gibt es im Stadtteil, mit entsprechend vielen Schülern, die die neuesten Handys, schicke Jacken und teure Schuhe haben. Die vielen begrünten Plätze und kleinen Parks sorgten zusätzlich noch für günstige Tatgelegenheiten, erklärt Polizist Piontek.
Wo Arm und Reich aufeinanderprallen
Ein Fall, der den Bad Godesbergern noch heute gut im Gedächtnis ist, ereignete sich im Sommer 2007. Rund 30 Godesberger Schüler wollten im Kurpark ihr Abitur feiern, als plötzlich Autos vorfuhren und jugendliche Migranten absetzten. Die waren bewaffnet, prügelten auf die Schüler ein, raubten sie aus – und verschwanden wieder.
Der Überfall wurde in einem Theaterstück der Journalistin und Autorin Ingrid Müller-Münch verarbeitet. "Zwei Welten" heißt es.
"Ziemlich bald hat sich der Titel dieses Stücks herauskristallisiert, weil ich ständig hin- und hergerissen war. Ich hatte morgens einen Termin im Villenviertel, nachmittags war ich in einem Jugendclub mit Migranten-Jugendlichen, wo es wirklich hart zur Sache ging, anschließend mit einem Jugendrichter, der mir erzählte, wer alles bei ihm da immer steht und was die Leute so auf dem Kerbholz haben. Ich war wirklich auch bei meiner Recherche hin- und hergerissen."
Das Stück sorgte für viele Diskussionen in Bad Godesberg. Gibt es die zwei Welten wirklich? Und wer trägt die Schuld an dieser Entwicklung? Autorin Ingrid Müller-Münch:
"Ich glaube, dass auch der Intendant, auch das Theater und alle, sich mehr ein Stück erhofft haben, bei dem unter dem Strich rauskommt: Diese Migranten-Jugendlichen sind wirklich böse und die anderen Jugendlichen sind einfach die Opfer. Das Ergebnis war ein anderes. Das Ergebnis war eigentlich: Klar, die Migranten-Jugendlichen sind auf der Suche, nach irgendwas: Arbeitsplatz, Sinn, nach irgendwas in ihrem Leben.
Und die anderen Jugendlichen, die alles haben, die gut ausgebildet werden und so, die provozieren. Die tragen den Gucci-Gürtel für 500 Euro oder gehen durch den VIP-Eingang in der Diskothek, kaufen sich dort eine Flasche Grey Goose Wodka für 1200 Euro – und in diesem Zusammenhang kam doch bei mir der Eindruck auf, ja wenn ich da jetzt so leben würde und ich hätte so gar nichts …"
"Von Chancengleichheit kann keine Rede sein"
Einer, der seit vielen Jahren ganz ähnliche Beobachtungen macht, ist der Bad Godesberger Dechant Wolfgang Picken. Er steht dem katholischen Dekanat Bonn-Bad Godesberg vor und ist damit Chef von drei großen Kirchengemeinden.
"Das Problem fängt ja sehr früh an, in der Generation der Kinder und Jugendlichen, die sind ja jetzt hier auch die Beteiligten bei Tätern und Opfern. Dass wir, das ist aber etwas, das wir überall in der Gesellschaft haben, hier gar nicht mehr von Chancengleichheit sprechen können. Wir haben hier in Bad Godesberg vier, bzw. fünf Privatschulen und dann einige städtische Schulen und Einrichtungen. Man kann sagen – ohne dass man Vorurteile bedient -, dass sich die Klientel entsprechend auf die Schulen verteilt. Und da wird schon ein ganz wichtiger Ansatz der Schul- und Bildungspolitik sein, wie können wir Bildungschancen auch für diejenigen erhöhen, die aus schwierigem sozialem Umfeld kommen?"
Das aber sei ein deutschlandweites, ja ein gesamtgesellschaftliches Problem, nicht nur eines aus Bad Godesberg. Nur hier seien die sozialen Unterschiede besonders extrem, erklärt Picken.
"Ich glaube, es ist wichtig, dass man Bad Godesberg sehr differenziert wahrnimmt. Es gibt ganz viele Gegenden von Bad Godesberg, die ganz harmlos sind. Also, wo wahrscheinlich noch nicht mal die Schnecke auf der Straße überfahren wird."
Aber es gebe eben auch die Viertel, in denen sozial schwächere Menschen leben, die auf keine schönen Vorgärten und hohe Gehaltsschecks blicken, sondern auf Beton und ein leeres Konto.
"Das Problem von Bad Godesberg ist deshalb so zentral, weil die Schnittstelle zwischen zwei sehr extrem auseinander liegenden sozialen Schichten mitten in der Innenstadt erfolgt. Wir haben die Bahnlinie, die Bad Godesberg in zwei Teile trennt und eben auch direkt in der Innenstadt liegt. Und wenn sie auf der einen Seite der Bahnschwelle sich befinden, haben sie das hohe Bürgertum, das Villenviertel und auf der anderen Seite die Innenstadt, die mittlerweile sehr stark durch Migration aber auch durch andere soziale Schichten, die den Anschluss verloren haben, geprägt ist."
Der Bahnhof ist ein neuralgischer Punkt
Während in vielen anderen Städten die sozialen Brennpunkte am Rande der Siedlungen liegen, prallen in Bad Godesberg beide Welten direkt in der Innenstadt aufeinander – kaum einer kann dem ausweichen, sagt Picken.
"Gerade die Stelle, an der Niklas verstorben ist, dieses Rondell am Bahnhof ist genau in der Mitte des Stadtzentrums, genau in der Mitte zwischen diesen beiden Teilen der Stadt. Das hat hohe symbolische Bedeutung. Und jeder in Bad Godesberg muss gefühlt mehrmals in der Woche an diesem Punkt vorbei, das ist ein neuralgischer Punkt."
Deshalb sei der brutale Übergriff auf Niklas, der so ähnlich wahrscheinlich täglich irgendwo in der Bundesrepublik vorkommt, so besonders schlimm gewesen. Deshalb habe er das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung noch einmal drastisch verschlechtert.
Hinzu kommt seit einigen Jahren das Gefühl vieler Bad Godesberger, dass die Stadt überfremdet wird. Viele Menschen erzählen, dass sie kaum mehr durch die Innenstadt laufen könnten, ohne vollverschleierten Frauen und großen arabischen Familien zu begegnen.
Tatsächlich wird Bad Godesberg insbesondere in den Monaten April bis Oktober von Medizintouristen aus dem arabischen Raum besucht – denn der Stadtteil hat sich weltweit einen Namen gemacht für seine vielen und guten Kliniken. Die reichen Patienten reisen meistens mit der gesamten Familie an den Rhein – und während sich der Kranke behandeln lässt, flaniert der Rest der Familie durch die Fußgängerzone.
Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke sieht im Medizintourismus eine große Chance für die Stadt, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht.
"Das macht uns zum Beispiel bei Medizintouristen international so begehrt, dass wir neben München die höchste Ärzte- und Klinikdichte Deutschlands haben. Ebenfalls auf allerhöchstem Niveau. Die Ärzte sind hier von allererster Güteklasse, die Kliniken auch und sie haben sich auf die Wehwechen der internationalen Klientel eingestellt. Davon profitiert auch jeder Bürger, der hier wohnt."
Es gebe zu viele Araber, meint die Partei "Die Godesberger"
Der alteingesessene Bad Godesberger Bürger Juppi Schäfer sieht den Medizintourismus kritischer. Seit dem Umzug der Regierung habe er mit dazu beigetragen, dass sich Bad Godesberg so verändert habe:
"Nach dem Wegzug hat es sich so entwickelt, dass wir nur noch so ein Stadtteil von Bonn sind, der arabische Stadtteil von Bonn."
Er habe nichts gegen ein paar Medizintouristen, aber je mehr kämen…
"… desto mehr Familien, arabische Familien, ziehen nach Godesberg und machen kleine Geschäfte auf, profitieren vom Medizintourismus, von den arabischen Gästen, die wir hier haben."
Mittlerweile sei es einfach zu viel. Juppi Schäfer hat deshalb eine Partei gegründet – "Die Godesberger" heißt sie und sitzt seit zwei Jahren in der Bezirksvertretung. Sie sei nicht rechts, nicht links, sondern mittendrin in der Stadt, sagt Schäfer. Und sie kämpfe gegen den Wildwuchs des Medizintourismus. Denn die arabischen Patienten brächten zwar viel Geld mit nach Godesberg, Geld, das sie zum Teil von ihren Regierungen erhielten, um sich gut medizinisch versorgen zu lassen. Aber genau das sorge zum Beispiel auf dem Godesberger Wohnungsmarkt für Probleme, erklärt Parteikollege Werner Schmidt:
"Auf diesen Schwarzmarkt von Geld haben sich gewisse Leute fokussiert und verdienen sehr viel Geld damit…"
"…6000 Euro pro Monat…"
"Ja, also, man spricht zwischen 150 und bis zu 400 Euro pro Tag für eine Wohneinheit. Der Endeffekt davon ist: Es gibt keine Kontrolle, kein Ein- und Auszug wird kontrolliert, es sind hotelartige Zustände innerhalb von Wohneinheiten. Das ist völlig indiskutabel. Der Lärmpegel ist unerträglich. Der beginnt nach arabischer Sitte erst um 10 Uhr, dann geht das die ganze Nacht."
Die Medizintouristen seien ja immer nur für kurze Zeit in der Stadt, sie hätten gar kein Interesse daran, sich einzuleben oder gar anzupassen.
Orientierungshilfe für arabische "Medizintouristen"
Andre Chahoud kennt diese Sorgen der Bürger.
"Darf ich das kurz zeigen, wir hatten gestern Abend eine Veranstaltung…"
Gemeinsam mit der Bezirksbürgermeisterin engagiert sich der Politikberater Chahoud im Verein "Welcome to Bad Godesberg", der für Medizintouristen eine Art Kompass darstellen soll, eine Orientierungshilfe.
"Es geht im Kern darum, Angebote zu machen, um für Bad Godesberg auch die Situation zu verbessern."
Denn das sei das Problem: Weder gebe es einen offiziellen Wohnungsmarkt für die Patienten, noch Freizeitmöglichkeiten für die Angehörigen. Und keiner erkläre den arabischen Gästen, was im täglichen Leben in Deutschland zu beachten ist.
"Die Abfallentsorgung funktioniert ganz anders in den arabischen Ländern. Die stellen Müll vor die Tür, da kommt dann ein Angestellter, eine Hilfe und räumt das fünf, sechs, sieben Mal am Tag weg. Das funktioniert hier nicht."
Wer ist also schuld, wenn der Müll plötzlich auch mitten in einem Wohnviertel vor der Tür steht? Die ahnungslosen Medizintouristen oder die Stadt, die keine Angebote macht? Ohne die Frage zu beantworten, erklärt Chahoud, dass die Stadt und der Verein "Welcome to Bad Godesberg" das Problem jetzt angehen wollen. Ein Hochglanzmagazin ist schon entstanden, das neben Tipps zur Müllentsorgung, zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und deutschem Brauchtum wie dem Rheinischen Karneval auch Vorschläge zur Freizeitgestaltung enthält.
Es ist ein erster Schritt, der auch gegen das Gefühl der Überfremdung helfen soll. Denn wenn die Familie eines Medizintouristen ausreichend Freizeitangebote hat, verbringt sie ihre Zeit nicht mehr in der Innenstadt – so die Idee.
"Eine ganz normale kleine Stadt im Rheinland"
Allerdings: So schlimm, wie viele Godesberger es schildern, ist es an diesem Nachmittag im Juni gar nicht. Andre Chahoud nimmt sich etwas Zeit, um die Innenstadt zu zeigen:
"Wir sind jetzt hier mitten in der City, mit all den ganz normalen Geschäften."
Tatsächlich wirkt die Fußgängerzone nicht anders als in anderen Städten, sie könnte auch in Heilbronn, Göttingen oder Magdeburg liegen. Eine Parfümerie, ein Buchhändler, ein Pralinengeschäft, ein Drogeriemarkt, ein Optiker – und in einer Seitenstraße auch ein 1-Euro-Shop.
"Es gibt wie in vielen anderen Städten seit zehn Jahren halt keinen Kaufhof mehr. Das sind die ganz normalen Transformationsprozesse. Wenn Sie in Langenfeld, in Mettmann oder sonst noch wo die Leute, die älteren Leute fragen, sagen die: Früher war alles besser. Es gibt keinen Unterschied."
Und vom Medizintourismus ist hier in der Fußgängerzone gerade wenig zu spüren. Zwar gibt es Autovermietungen, die hauptsächlich in arabischer Schrift um Kunden werben, und viele Geschäfte haben kurze Informationsblätter auf Arabisch an ihren Türen hängen. Aber sonst ….
"Schade, jetzt sind wir auf der Suche nach der vollverschleierten Frau, die ja angeblich die ganze Stadt verstopft, und wir finden keine. Und das mitten in der Saison… (lacht)"
Was Chahoud mit seinem Innenstadtrundgang vor allem klar machen will: Es ist nicht so schlimm in der Bad Godesberger Innenstadt, wie es häufig geschildert wird. Im Gegenteil:
"Bad Godesberg hat sich zu einer ganz normalen kleinen feinen Stadt im Rheinland entwickelt. Mit all den Facetten."
Natürlich weiß er, dass früher vieles anders war. Er hat die Bonner Regierungszeit selbst miterlebt. Seine Eltern arbeiteten in einer Botschaft in Bad Godesberg.
"Früher war Bad Godesberg das Zentrum der Bundesrepublik. Das Geschehen hat hier gespielt. Empfänge, die Diplomatenempfänge. Hier war jeder. In Godesberg hat jeder amerikanische Präsident gegessen. Helmut Kohl oder Helmut Schmidt, Willy Brandt sind hier in Bad Godesberg in der Gastronomie ein- und ausgegangen."
Viele schmerzt der Bedeutungsverlust immer noch
Der Umzug der Regierung nach Berlin, der 1991 beschlossen und bis Ende der 1990er Jahre größtenteils vollzogen war, er hat den Diplomaten-Vorort Bad Godesberg und seine Bürger hart getroffen.
"Dieses Gefühl auch einer Wichtigkeit, politischen Bedeutsamkeit, gemischt mit einem hohen gefühlten Sicherheitsfaktor, natürlich mit dem entsprechenden Publikum, aus Botschaftsangehörigen, das hat sich verändert. Bonn Bad Godesberg in 2016 ist eben nicht mehr Bad Godesberg von 1999."
Das komme auch nicht mehr wieder. Doch statt den alten Zeiten hinterher zu trauern, sei es an der Zeit, die Veränderungen zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.
"Der Wandel hat für Bad Godesberg enorm große Chancen, und das Potenzial muss vernünftig kanalisiert werden und professionell angegangen werden. Dann kann das hier in Godesberg ein echtes Erfolgsmodell werden."
Und dafür sind auch die Godesberger selbst mit verantwortlich. Sie entscheiden, ob sie der Innenstadt den Rücken kehren oder sie mit Leben füllen. Ob sie ihre Kinder ausschließlich auf Elite-Schulen schicken und von den sozial benachteiligten Jugendlichen abschotten oder ob sie dafür eintreten, zum Beispiel gemeinsame Sportfeste zu veranstalten.
Betroffenheit und Wut in Engagement verwandeln
Dechant Picken sieht alle gesellschaftlichen Gruppen in der Pflicht, wenn es darum geht, den Stadtteil wieder zu stabilisieren:
"Wir bleiben ja solange zwei getrennte Welten, wie jede Welt für sich steht und wir keine Brücken zwischen den Welten schlagen."
Jetzt sei die Zeit der Brücken gekommen. Der Tod von Niklas P. habe vieles an die Oberfläche geholt, das seit Jahren unter der Erde gärte. Das müsse als Chance wahrgenommen werden. Die Betroffenheit und Wut müssten sich in Engagement verwandeln.
"Wir haben vielfach das Problem, dass die Gesellschaft nicht tätig wird, weil sie eigentlich erwartet, dass der Staat es tut und dass der Staat es nicht tut, weil er behauptet, es nicht zu können. Und weil er der Auffassung ist, er hat die Ressourcen nicht, kapituliert er vor dem Problem."
Statt den Kopf in den Sand zu stecken, fordert Picken einen zivilgesellschaftlichen Schulterschluss.
"Es müssen alle an einen Tisch, die mit diesem Thema zu tun haben. Damit ist gemeint: Überkonfessionell, überreligiös, aber auch immer Gesellschaft und Staat."
Dann könne Godesberg zu einer Modellstadt werden, die zeigt, wie zwei Welten es letztlich doch schaffen, friedlich miteinander zu leben.
Theatermacher Werner Ullrich konnte und wollte auf diesen neuerlichen Wandel nicht mehr warten. Er ist weggezogen aus Godesberg – in den Nachbarort:
"Ich habe diesen Ort sehr geliebt. Das betrübt mich sehr."