Renditeobjekte statt Denkmalpflege
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Deutschland hat im Jahr 2020 etwas verloren: ein seltenes Stück Bäderarchitektur im Bauhaus-Stil. Die Stadt Bad Neuenahr hat den bundesweit umstrittenen Beschluss realisiert, Kurgebäude der Klassischen Moderne flachzulegen.
Wer das Zentrum von Bad Neuenahr durchstreift und sich dabei dem Fluss Ahr und dem Kurpark nähert, dem fallen reich verzierte Gründerzeitvillen und Jugendstil-Geschäftshäuser auf. Markus Hartmann von der Bürgerinitiative "Lebenswerte Stadt" ist Anhänger der historischen Prachtbebauung. Vor etwa 150 Jahren wuchsen südlich von Bonn drei Dörfer an der Ahr zusammen, indem Freiflächen mit dieser Architektur bebaut wurden, erklärt Hartmann:
"Im Prinzip ist die entstanden auf der grünen Au, denn zwischen den ursprünglichen Dörfern gab es Brachland. Und die Heilquellen sind eigentlich auf dem Gelände dieses Brachlandes zwischen den Dörfern entdeckt worden. So hat man viel Platz gehabt, um neue Straßen anzulegen und prächtige Hotels zu bauen. In den ersten knapp 20 Jahren hat man 31 große Hotels gebaut. Wir befinden uns von der Zeit her Ende des 19. Jahrhunderts, das ist die Gründerzeit, die Zeit des Kaiserreiches, wo die Hotels entsprechende Etablissements waren, die hatten gesellschaftlich was zu bieten."
Abriss zum 100-jährigen Jubiläum
Kaum haben wir die Brücke über die Ahr passiert, stehen wir vor solch einem herrschaftlichen Etablissement, vor dem Kurhotel mit schieferbehelmtem Turm in der Mitte.
Neben dem Hotel liegt stadtauswärts das Thermal-Badehaus, das einem griechischen Tempel ähnelt. Gegenüber erstreckt sich der Kurgarten bis zum Ahr-Ufer hinunter. Geplant vom preußischen Gartenbau-Direktor Peter Joseph Lenné, ist er selbst ein Kunstwerk. Bis vor kurzem umgab dieser Park ein weiteres Kurensemble im Bauhaus-Stil.
Das jedoch wurde ab Herbst 2019, dem Jahr des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums, entkernt und im Frühjahr 2020 dem Erdboden gleichgemacht. Was damit verloren ging, beschreibt Matthias Müller, Professor für Kunstgeschichte an der Uni Mainz und stellvertretender Vorsitzender des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz:
Ende eines identitätsstiftenden Gebäudes
"Zunächst wurde im Grunde genommen das bauhistorische Herz von Bad Neuenahr – um etwas dramatisch zu formulieren – herausgerissen. Denn dieses Gebäude ist 1927 entworfen worden, als Bad Neuenahr die staatliche Anerkennung als Heilbad bekam und sich auch 'Bad' Neuenahr nennen konnte. Das heißt, es ist wirklich ein Kernstück der Architekturgeschichte, auch der identitätsstiftenden, verschwunden."
Obwohl die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und der Verband Deutscher Kunsthistoriker seit 2018 gegen den Abriss gekämpft hatten. Ebenso wie die Weltkulturerbe-Wächter von ICOMOS Deutschland, des Internationalen Rates für Denkmalpflege.
Vor Ort hatten sich die Bürgerinitiative "lebenswerte Stadt" und einzelne Kommunalpolitiker für die Kur-Bauten des Architekten Hermann Weiser eingesetzt. Wie es überhaupt dazu kam, dass Neuenahr nach dem ersten Weltkrieg neben die hochherrschaftlichen Bauten der Gründerzeit schlichte moderne setzte, erklärt Markus Hartmann von der Bürgerinitiative so:
Die vorletzte Bauhaus-Bäder-Architektur
"Das kam dadurch, dass wir in den 20er-Jahren einen gesellschaftlichen Aufbruch hatten. Wenn wir uns die Gebäude, die in den Zwanzigern entworfen worden sind, anschauen, merken wir da schon eine ganz andere Grundhaltung: Die waren licht, transparent, man griff die Gedanken auf, dass der Mensch durch die Natur geheilt wird. Man blickte durch große Fenster in den Park. Der Architekt Hermann Weiser sagte, die einzige Farbe, die in dem Gebäude sein soll, ist die Farbe des Himmels, die Farbe der Pflanzen, das Grün der Bäume."
Warum Denkmalschutz-Organisationen und -Koryphäen bundesweit dieses Ensemble für europaweit bedeutend hielten, begründet der Kunsthistoriker Matthias Müller so: "Es gibt kaum Bäder-Architektur aus der Bauhaus-Zeit, die noch erhalten ist. In Deutschland sogar nur noch Bad Mergentheim."
Mit dem Kurhaus von 1926, aufwendig saniert und umgebaut im Jahr 2009, und der Wandelhalle von 1935 bewahrt Bad Mergentheim in Baden-Württemberg jetzt als einziger Kurort in Deutschland das Bädererbe der Klassischen Moderne.
Erhalt war politisch nicht gewünscht
"Bad Neuenahr hätte wirklich eine hohe Bedeutung im Blick auf diese architekturhistorische Qualität des neuen Bauens erhalten können", meint Müller.
Die Stadt hätte es vielleicht gekonnt, wollte aber offensichtlich nicht. Nach einem Auftragsgutachten erklärte sie die lange vernachlässigten und zuletzt notdürftig abgestützten Gebäude für unsanierbar.
Lange glaubte man, dass sich Investoren darum reißen würden, das Kurpark-Filetstück neu zu bebauen. Das allerdings entpuppte sich als Irrglaube. Anfang vergangenen Jahres machte die Aktiengesellschaft Bad Neuenahr als einziger Interessent einen Rückzieher. Beim Abriss blieb es jedoch. Ein Erhaltungsgutachten hatte die Stadt gar nicht erst erstellen lassen, bemängelt Professor Müller:
Ein wichtiges Gutachten fehlt
"Es ist tatsächlich nur ein Schadensgutachten angefertigt worden. Aber wenn man sanieren will, dann muss man auch ein Erhaltungsgutachten in Auftrag geben, mit ganz anderen Prämissen. Da muss man sich auch fragen, ob all die Dinge, die bei einem Neubau in der Statik notwendig sind, bei einem historischen Gebäude durch die Ertüchtigung erreicht werden müssen.
Man kann da auch Kompromisse machen – das gilt ja auch für Kirchen und Schlösser. Aber hier ist es noch nicht einmal probiert worden. Und leider hat man auch Angebote mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz und noch weiterer Stiftungen, das Geld dafür der Stadt zu Verfügung zu stellen, einfach nicht angenommen."
Die Landesgartenschau kommt
Staatliche Zuschüsse bekommt Bad Neuenahr jedoch. Die Stadt hat Aussicht auf Fördergeld für touristische Infrastruktur aus dem Etat des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsressorts. Das neu zu bauenden Kurpark-Areal mit Touristen-Information und Konzerthalle soll nämlich Teil der Landesgartenschau 2022 werden. Wenn Tourismusmittel teilweise für den Abbruch touristisch interessanter Gebäude verwendet werden dürften, könnten andere Kommunen dem Beispiel von Bad Neuenahr folgen, sorgt sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz.
Mittlerweile wird die Abrissbrache zur Straße hin von einem mannshohen grünen Gitterzaun abgetrennt, früher standen dort die Kurkolonnaden, eine eingeschossige Ladenzeile. Bagger, Lastwagen und Raupen für Erdarbeiten rollen. Schmutzwasserkanäle werden verlegt.
Stadt will sich nicht äußern
Jürgen Hambrink, Mitstreiter von Markus Hartmann in der Bürgerinitiative "lebenswerte Stadt", seufzt gequält. Seit Frühjahr mute die Stadtverwaltung ihren Bürgern zu, "dass sie dieses Brachland betrachten können, und das wird sich im nächsten Jahr auch noch eine Zeit fortsetzen, denn dann wird ja damit begonnen werden, dass man hier ein temporäres Gebäude errichtet, wahrscheinlich einen Zeltbau als Ausstellungshalle für die Landesgartenschau."
Genaueres verrät sie derzeit nicht. Aktuell gebe es keine neuen Informationen, also auch kein Interview, richtet ein Sprecher aus. Sobald es jedoch die Planung fortschreite, stehe man gern zur Verfügung. Eigentlich wollte der Bürgermeister von der CDU zum Beginn der Landesgartenschau im April 2022 einen modernen Ersatz für das abgerissene Bauhaus-Ensemble präsentieren.
Neue Bauten erinnern an die alten
Doch daraus wird nichts. Dafür macht die Stadtspitze den verzögert genehmigten Abbruch verantwortlich. Und für die Verzögerung wiederum diejenigen, die sich für einen Erhalt der historischen Bebauung einsetzten.
Was die Stadt ab Spätherbst 2022 dann mit rund 14 Millionen Euro an eigenen Investitionsmitteln und sieben Millionen an staatlichen Fördergeldern in der Denkmalzone bauen will, zeigt sie der Öffentlichkeit im Internet und auf den Kunststoff-Tüchern, die den Bauzaun im Kurpark verhängen.
Vage erinnern die Entwürfe des renommierten Bonner Architekten Wilfried Pilhatsch an die verschwundenen Gebäude. Dichtstehende Säulen rufen die Optik der alten Wandelgänge ins Gedächtnis. Fenster im ursprünglichen Bauhaus-Stil sollen in den neuen Konzertsaal eingesetzt werden. Die denkmalgeschützte drehbare Orchestermuschel von Hermann Weiser hatte Konzerte drinnen und draußen ermöglicht. Sie muss erhalten werden.
Überdimensionierter Konzertsaal geplant
Später soll die sieben Meter hohe Bühne in den neuen Konzertsaal integriert werden. Der CDU-dominierte Stadtrat ist fraktionsübergreifend zufrieden – bis auf die Linksfraktion und eine Bürgerliste. Auch der Mainzer Kunsthistoriker Matthias Müller hält die Pilhatsch-Entwürfe für hochwertig. Ein Neubau könne das Abgerissene allerdings nicht ersetzen.
Der Hallen-Charakter geht verloren, bemängelt Jürgen Hambrink von der Bürgerinitiative und schaut auf das Bild vom bestuhlten Konzertsaal, das die Bauzaun-Plane zeigt. Zu viele Wände, zu wenig Glas, findet Hambrink:
"Es ist auch überproportioniert. Es ist ein Saal mit 500 Sitzplätzen, akustisch ausgelegt auf Kammermusik. Ein Kammermusiksaal mit 500 Plätzen für einen Ort wie Bad Neuenahr ist irgendwie völlig unverhältnismäßig. Der schöne Beethoven-Konzertsaal im Bonner Beethoven-Haus hat 200 Plätze. Kammermusik ist etwas Intimes, das passt alles vorn und hinten nicht."
Platz für die Stadtbibliothek
Neben dem Haus des Gastes mit Tourist-Information und Konzertsaal soll der neue Pilhatsch-Komplex künftig auch Bad Neuenahrs Stadtbibliothek beherbergen. Die ist derzeit im imposanten, aber sanierungsbedürftigen Rentmeisterei-Hof aus dem frühen 18. Jahrhundert untergebracht.
Oberhalb des Kurparks formt er gemeinsam mit dem sogenannten Beethovenhaus, einem Hotel-Gästehaus, ein bauliches Ensemble. In den 1970er-Jahren hatte die Stadt das 300 Jahre alte Gebäude vor dem Verfall gerettet. Und jetzt? Denkmal-Experte Matthias Müller erkennt ein Risiko für das weiß verputzte Bruchsteingebäude, wenn die Stadtbücherei auszieht:
Ein Kalender voller abgerissener Bauwerke
"Wenn die öffentliche Hand gerade bei solchen Großbauten zurückzieht, die sich vielleicht nicht in der 1-A-Lage befinden oder bauliche Probleme mit sich bringen, entsteht die Gefahr einer Hängepartie, die zum Abriss und zum Verlust führt. Und von daher sehe ich hier, dass Bad Neuenahr das nächste Problem kriegen könnte, was die Erhaltung historischer Bausubstanz betrifft."
Die Bürgerinitiative "lebenswerte Stadt" klagt ohnehin, dass Bad-Neuenahr-Ahrweiler alte Substanz zu schnell preisgibt, um Investoren den Bau von standardisierten Renditeobjekten zu ermöglichen. 2019 legte die Bürgerinitiative einen "Abreiß"-Kalender auf, mit Fotos abrissbedrohter Bauwerke. Die meisten davon sind inzwischen tatsächlich planiert: vom ovalen Pavillon der 1960er-Jahre am Bahnhof von Bad Neuenahr über Jugendstil-Geschäftshäuser und Bahnerhäuschen im Heimatstil.
"Wie das Stadtbild aussieht, liegt in der Verantwortung der Stadtväter und -Mütter. Und dieser Verantwortung müssen die gerecht werden. Und das ist unsere Kritik, dass das nicht in adäquater Weise passiert.", bemängelt Markus Hartmann von der Bürgerinitiative.
Zerstörung eines historischen Stadtbildes
Der Protest der ehrenamtlichen Denkmalschützer findet bei der Stadtverwaltung in der Regel kein Gehör. Doch von überregionalen Organisationen bekommt die Bürgerinitiative Rückhalt. Professor Matthias Müller, stellvertretender Vorsitzender des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, lobt sie:
"Jede Stadt wie Bad Neuenahr müsste stolz darauf sein, solche konstruktiven Kritiker zu haben, die auch immer mal hinterfragen, ob die Baupolitik, die sich mit dem historischen Erbe beschäftigt, zielführend ist, und auch mal Sand ins Getriebe streut, um auf diese Weise aufmerksam zu machen auf Vorgänge, die am Ende vielleicht zur Zerstörung eines historischen Stadtbildes führen."