Bad-Taste-Ikone

„Humor ist eine Rüstung“

Moderation: Susanne Führer |
Er sei nie wirklich bösartig gewesen, sagt der Trash-Künstler John Waters. Statt zu schockieren habe er mit seinen Filmen überraschen und verwirren wollen – denn mit Humor könne man die Menschen verändern. Ab morgen sind einige seiner Kunstwerke in einer Berliner Galerie zu sehen.
Susanne Führer: Über diese Weltsicht habe ich mit John Waters kurz vor der Sendung gesprochen. Ein freundlicher älterer Herr übrigens in schwarzem Anzug und weißem Hemd mit goldenem Ring und goldgefasster Uhr. Die Berlinale beginnt, aber John Waters ist in Berlin ohne Film. In Deutschland ist er ja vor allem für seine Filme bekannt. Ich habe ihn deswegen zuerst gefragt, warum er eigentlich keine Filme mehr mache.
John Waters: Es ist nicht so, dass ich jetzt gar keine Filme mehr mache. Ich werde jetzt bald in Baltimore einen neuen Film machen über Fleischdiebe, die haben wir wirklich bei uns in Baltimore, und das ist eine wunderbar-schreckliche Geschichte für Kinder. Und ich schreibe jetzt Bücher. Mein letztes Buch war sogar ein Bestseller in den Staaten, das hieß „Role Model“, und ich habe auch ein Buch geschrieben, das nannte sich „Carsick“ und da ging es über meine Erfahrungen beim Trampen von meiner Wohnung in Baltimore bis zu meiner Wohnung in San Francisco. Außerdem sucht Hollywood heute nach Leuten, die so waren wie ich als junger John Waters. Damals haben sie natürlich nicht nach mir gesucht, heute suchen sie nach jungen Kids, die vielleicht einen Film mit dem Handy drehen. Sie wollen heutzutage wirklich billige Filme in Hollywood machen.
Führer: Das deutsche Publikum kann Sie jetzt als Künstler entdecken. Begegnen wir da denselben Themen wie in Ihren früheren Filmen, also dem Hässlichen, dem Schmutzigen, dem schlechten Geschmack?
Waters: Ich würde mich niemals als Künstler bezeichnen – vielen Dank, dass Sie mich so nennen –, aber ich sage immer: Das muss ich selber entscheiden, da muss ich mein eigener Richter sein. Aber ich arbeite mit Humor. Also wenn man das schlechten Geschmack nennt – weiß ich nicht, auf jeden Fall geht es mir darum, Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Und ich möchte, dass Sie lachen und vielleicht durch dieses Lachen ändern Sie Ihre Meinung über etwas. Und genau das versuche ich jetzt auch mit meinen Fotos und mit meinen Skulpturen zu erreichen. Meine frühesten Filme – das sind drei Stück, die kennt wirklich keiner, einer zum Beispiel heißt „Eat Your Makeup“ –, die werden jetzt hier in einer Peepshow gezeigt. Die haben wirklich eine ganz tolle Peepshow nachgebaut, die haben das richtig gut gemacht. Das erinnert mich so an wirklich schmutzige, dirty Buchläden von damals. (Interviewpartner sagt noch: „Ich war so glücklich, als ich die gestern gesehen habe.")
Führer: Früher haben Sie ja gegen den Mainstream rebelliert, Sie haben mit Trash schockiert, ich denke zum Beispiel an den Transvestiten Divine in dem Film „Pink Flamingos“. Wollen Sie heute noch schockieren, und wie könnte man heute noch schockieren?
„Ich möchte überraschen, nicht unbedingt schockieren“
Waters: Ja, ich möchte überraschen, nicht unbedingt schockieren, aber ich wollte Leute immer zum Lachen bringen mit meiner Arbeit, und das erwartet man auch von mir, dass ich die Leute ein bisschen verwirre und … Nur, heute ist keiner sauer mehr, wenn ich sie so ein bisschen kitzle, ein bisschen verwirre. Und ich war nie wirklich bösartig, so wie das Reality TV das macht, das auf die Leute herabschaut. Das tue ich nicht, ganz im Gegenteil: Ich schaue hoch zu den Leuten und nehme mir da eine Freiheit, die ich so für mich mir kaum genommen habe.
Führer: Es ist ja schon ein erstaunlicher Kontrast: Vor mir sitzt ein elegant gekleideter Herr mit feinen Manieren, und gleichzeitig haben Sie diese Liebe zu den Außenseitern, den Outsidern, den schmutzigen Vierteln der Städte, den Kriminellen. Woher kommt das?
Waters: Damit man überhaupt weiß, was schlechter Geschmack ist, muss man ja eine Ahnung haben, was guter Geschmack ist, und meine Mutter, die hat mir das wirklich eingetrichtert. Und dann habe ich wirklich einen Krieg, eine Art Tyrannei gegen den guten Geschmack gestartet. Und heute bin ich, ehrlich gesagt, stolz darauf, kein Außenseiter mehr zu sein. Weil heute möchte jeder Außenseiter sein, und heute bin ich ein Insider, und eigentlich ist das noch viel perverser.
Führer: Genau, denn Sie jetzt, der Meister des schlechten Geschmacks, stellen hier in Deutschland in einer sehr angesehenen Galerie aus. Sie treten mit Ihrer Show „The Filthy World“, also die dreckige, die schmutzige Welt, Sie treten mit dieser Show in großen, in renommierten Stadttheatern auf. Und offenbar genießen Sie das – oder ist es Ihnen vielleicht doch auch ein bisschen peinlich?
Waters: Nein, überhaupt nicht. Es war schon immer so, dass ich in den reichen Vierteln, dass ich dort die meisten Zuschauer und die meiste Anerkennung gefunden habe. Gerade wenn ich Exploitation-Filme gemacht habe, weil wenn ich in die Viertel gegangen bin, in denen das streckenweise gespielt hat, da hat man die Ironie nicht verstanden. Also Horror- und Sexfilme sollten nicht lustig sein, sondern sie sollten sexy sein und sie sollten Angst machen, und ich mochte diese Filme aus den sogenannten falschen Gründen. Aber ich war immer in den schönsten Kunsthäusern, in den besten Kinotheatern, in den schönsten Galerien. Und jetzt beispielsweise bin ich hier in einer ganz tollen Galerie, da bin ich auch wirklich stolz drauf, und das war aber etwas, was es immer gegeben hat. Weil nur die Leute in den reicheren Vierteln, die wissen, was guter Geschmack ist, die konnten das irgendwo genießen, was ich Bad Taste, schlechten Geschmack nannte.
Führer: Wer sich heute für Trash interessiert, wird ja im Internet garantiert fündig, da gibt es die bizarrsten Hobbys, Praktiken, Vorlieben, alles kann sich dort virtuell wirklich ausleben. Sind Sie, John Waters, eigentlich auch im Netz unterwegs, interessiert Sie das?
„Was ich immer gemocht habe, war gefakte Gewalt“
Waters: Natürlich benutze ich das Internet, aber wie gesagt, echte Gewalt habe ich immer abgelehnt. Ich schalte ab, wenn ich im Fernseher so schreckliche Dinge sehe wie, wenn sich jemand umbringt oder wenn ich Bilder des Krieges sehe. Was ich immer gemocht habe, war, gefakte Gewalt, also welche, die man künstlich hergestellt hat. Und selbst der dümmste aller dummen Zuschauer, der sich einen Horrorfilm wie „Saw“ anschaut, der wird jetzt nicht sagen, oh, sind die Leute in dem Film wirklich verletzt worden? Ich habe in einem Video mitgemacht, das heißt „Creep“, das hat acht Millionen Hits gehabt auf YouTube. Natürlich ist das eine Anzahl, die man sonst mit Filmen nie erreicht. Justin Bieber ist durch YouTube beispielsweise berühmt geworden. Aber wenn du bei YouTube Erfolg hast, dann wirst du von den Werbeleuten engagiert, dann machst du Werbung, dann machst du keine Filme. Filmemacher werden nicht bei YouTube entdeckt.
Führer: John Waters, in allen Ihren Werken – ob jetzt Film, Kunst, Büchern, Show – begegnen wir ja dem Humor. Sie haben vorhin gesagt, Sie arbeiten mit Humor, Sie wollen die Leute zum Lachen bringen. Und ich habe mich gefragt: Blicken Sie so auf die Welt so, mit so einem freundlichen Augenzwinkern? Das scheint mir für einen Künstler, für den ich Sie halte, ja doch eigentlich viel zu harmlos.
Waters: Humor ist auch Politik, Humor ist, wie du wirklich die Meinung von Leuten ändern kannst. Und Humor hat zum Beispiel dazu geführt, dass ich, wie ich jünger war, nicht zusammengeschlagen wurde in der Schule. Weil die Typen, die mich zusammenschlagen, wussten, dass ich die Autoritäten noch viel mehr hasse als sie selber. Und Humor ist eine Rüstung, das ist ein Schutz. Das ist auch eine Waffe, und der hat mich immer durchs Leben gebracht, und wenn ich etwas nicht akzeptiere, dann sind das Leute, die eben keinen Humor haben. Ich finde das tödlich.
Führer: Sehen Sie sich als einen politischen Künstler?
Waters: Ich würde mich selber niemals als politisch beschreiben, aber wenn Sie sagen, ich sei politisch, dann würde ich das auch niemals ablehnen. Ich würde niemals sagen, das stimmt so nicht. Was auf jeden Fall richtig ist, ist, dass man mit dem Lachen wirklich Leute ändern kann. Und wenn du es schaffst, jemandem zum Lachen zu bringen, mit dem du politisch überhaupt nicht einer Meinung bist, dann hast du etwas erreicht, weil er dir zum ersten Mal zuhört.
Führer: Wie wollen Sie denn die politische Meinung der Menschen ändern, also in welche Richtung?
„Mich interessiert beispielsweise die Sozialpolitik“
Waters: Also ich finde, dass alles irgendwo auch politisch ist. Also mich interessiert beispielsweise die Sozialpolitik. Ich bin auch der Meinung, dass das nicht in die Hände von Regierungen gehört. Aber ich komme ganz gut klar mit Leuten, die nicht meine politische Meinung haben. Meine Assistentin ist Republikaner, die mag Sarah Palin – wir reden einfach nicht über Politik. Und ich finde es irgendwie witzig, dass sie mein sogenanntes Schmutzimperium leitet und Sarah Palin toll findet. Aber auch Liberale können Faschisten sein, wenn sie keine anderen Meinungen mehr neben ihrer eigenen zulassen. Mir sind Leute begegnet – das regt mich dann genauso auf. Ich mag auch nicht, wenn man versucht, sich abzugrenzen, also ich mag es überhaupt nicht, wenn Schwule und Heterosexuelle getrennt werden, die sollen zusammen Dinge machen. Und ich halte es letzten Endes für gesund, wenn man sich mit Menschen umgibt, die nicht unbedingt nur die gleiche Meinung haben wie man selber. Es ist immer dann spannend, wenn es keine einfachen Antworten gibt.
Führer: John Waters, thank you very much for talking to us, it was a great pleasure!
Waters: Thank you for having me here!
Führer: Und Jörg Taszman hat gedolmetscht, und John Waters‘ Kunstwerke sind in Berlin bei Sprueth Magers zu sehen, und mit seiner Show ist er morgen im Schauspiel Köln, am Sonntag in der Volksbühne Berlin und am Montag auf Kampnagel in Hamburg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema