"Ausgesprochen homophob"
In Baden-Württemberg wird darüber gestritten, in welchem Umfang Homosexualität Unterrichtsthema sein sollte. Der Widerstand gegen Pläne der Landesregierung, homosexuelle Lebensformen künftig fächerübergreifend zu thematisieren, ist groß. Kritiker fürchten, dass mit der Thematisierung "Werbung" für Homosexualität gemacht wird.
Frank Meyer: Es ist seltsam – das Coming-out des Fußballers Thomas Hitzlsperger hat so viel Zustimmung gefunden in der vergangenen Woche. Aber die Petition gegen die Behandlung von Homosexualität als Thema an den Baden-Württemberger Schulen, die findet auch eine sehr breite Unterstützung. Haben wir da eine gespaltene Gesellschaft? Toleranz bei Politik und Medien, Intoleranz bei vielen in der Bevölkerung? Darüber sprechen wir mit Manfred Bruns. Er war Bundesanwalt am Bundesverfassungsgericht, er ist Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, und er ist in Karlsruhe zu Hause, also in Baden-Württemberg. Seien Sie willkommen, Herr Bruns!
Manfred Bruns: Ja, guten Tag, Herr Meyer!
Meyer: Etwa 120.000 Menschen haben diese Onlinepetition unterschrieben in ganz kurzer Zeit, eine Petition, in der die Aufklärung über schwul-lesbische Lebensweisen im Schulunterricht kritisiert wird. Wie erklären Sie sich das, dass diese Petition so schnell so viele Unterstützer gefunden hat?
Bruns: Zunächst muss man mal darauf hinweisen, diese Petition ist seit dem 10. Dezember im Netz und hat jetzt 126.000 Unterzeichner. Es gibt eine Gegenposition, die ist erst seit zwei Wochen im Netz oder seit einer Woche, 7. Januar, die hat inzwischen 65.000 Unterzeichner. Und diese Plattform "Campact", die hat auch gestern eine Petition veröffentlicht, also eine Gegenpetition veröffentlicht, und die hat schon an einem Tag 126.000 Unterzeichner – ach nein, Entschuldigung, ich hab die falsche Zahl, so ist es nicht – 107.000.
Meyer: Also wollen Sie uns sagen, das Problem ist eigentlich gar nicht so groß oder es ist gar kein Problem.
Bruns: Nein. Nein, es ist so – diese ursprüngliche Petition vertritt ja die fundamentalistischen, evangelikalen Positionen. Und wir machen immer die Beobachtung, dass diese Kreise einen hohen Mobilitätsgrad haben. Wenn da aufgerufen wird, was zu unterzeichnen oder Briefe zu schreiben, beispielsweise Briefe an einen Minister, dann gehen da waschkörbeweise Briefe ein. Das ist kein Spiegel der allgemeinen Meinung. Die allgemeine Meinung wird üblicherweise mit diesen Umfragen erforscht. Da hat RTL jetzt eine Umfrage von forsa veröffentlicht – Wie tolerant ist Deutschland? Da sagen 82 Prozent der Eltern geben an, dass sie ihre Kinder unterstützen würden, wenn diese homosexuell sind. Und 63 Prozent sind dafür, dass die Rechte von Homosexuellen Thema des Schulunterrichts sind. Es sind also praktisch so zwei Drittel dafür und ein Drittel dagegen.
Meyer: Aber wenn man jetzt auf Baden-Württemberg schaut, Herr Bruns, da hat sich gestern der zuständige Minister genötigt gesehen, vor die Presse zu treten und erst mal die Leitlinien seiner Schulbehörden zu verteidigen, aber auch leise zu kritisieren. Es schreiben bundesweit die Zeitungen darüber, der Philologenverband meldet sich zu Wort. Also das Aufsehen ist schon ziemlich groß angesichts dieser Petition.
Bruns: Es ist sehr ungewöhnlich, dass es dieses Aufsehen gibt. Da muss man dazu sagen, die anderen Bundesländer haben das zum Teil ja schon. Saarland beispielsweise hat im vorigen Jahr also sehr, sehr gute Leitlinien da über diese Sexualaufklärung im Unterricht veröffentlicht. In anderen Ländern gibt es das auch, ohne dass es irgendein Aufsehen gab. Baden-Württemberg, muss man dazu sagen, war ja bis zum Regierungswechsel jetzt vor zwei Jahren, da war es ja immer von Schwarz-Gelb regiert. Und sowohl die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg als auch die FDP-Fraktion sind ausgesprochen homophob. Das zeigt sich jetzt auch, wie sie auf diese Umfrage reagieren, und haben jedwede Gleichstellung verhindert und jedwedes Einlenken. Und deswegen gibt es halt in Baden-Württemberg dann noch Nachholbedarf. Und das hat jetzt die rot-grüne Koalition in Angriff genommen, und dann kommt aus dieser Ecke, insbesondere aus der fundamentalistisch-evangelikalen Ecke, kommt dann dieser Widerstand.
"Die sehen ja nun Homosexualität als schwere Sünde an"
Meyer: Wie sehen Sie denn das Verhalten der Kirchen jetzt in dieser Frage? Also nicht der fundamentalen, sektiererischen Abteilung, sondern der offiziellen Stelle der katholischen Kirche, aber auch der evangelischen Kirche. Wie schätzen Sie deren Verhalten jetzt in dieser Auseinandersetzung ein?
Bruns: Ja, die katholische Kirche, das wundert ja nicht. Die sehen ja nun Homosexualität als schwere Sünde an. Der Erzbischof Schick von Bamberg hat gesagt, anstatt Outing sollten die Leute beichten. Ja – also, das ist natürlich ein Standpunkt. Bei den evangelischen – wir sind gespalten. Vor allem hier in Württemberg sind ja die Pietisten sehr stark. Und da hat die Kirchenleitung sich zunächst aus dem Fenster herausgehangen und hat das begrüßt. Dann kam innerhalb der evangelischen Kirche kam Widerstand. Dann haben sie es ein bisschen differenziert, dass sie es dann nicht ganz so gemeint hätten.
Meyer: Also die Petition begrüßt?
Bruns: Ja, ja. Oder beziehungsweise haben sie gesagt, also, da müsste, was weiß ich, da im Unterricht Zurückhaltung sein und so weiter. Die Zielrichtung finden sie richtig, so ungefähr.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über die Auseinandersetzungen in Baden-Württemberg über die Frage, wie weit im Schulunterricht in dem Land über schwul-lesbische Lebensweisen aufgeklärt werden soll. Was man ja jetzt viel hört von den Kritikern, ist so eine Grundangst, dass da eben nicht aufgeklärt werden soll, sondern dass gewissermaßen Werbung für Homosexualität gemacht werden soll.
Bruns: Das ist der uralte konservative Standpunkt ...
Meyer: Ja, aber wie könnte man das denn vermeiden, dass solche Ängste auftauchen. Das hat ja vielleicht auch zu tun mit der Art, wie da die Bildungsleitlinien formuliert waren.
Bruns: Das wird ja von denen instrumentalisiert. Ich glaube nicht, dass sie selber daran glauben. Also, ich kann es mir kaum vorstellen. Das sind ja auch intelligente Menschen. Es geht ja eigentlich nur noch darum, dass im Unterricht aufgeklärt wird darüber, dass es verschiedene Sexualitäten gibt. Und das müssen ja Jugendliche in der Pubertät auch wissen. Ich bin jetzt fast 80 Jahre alt. Als ich in die Schule ging, gab es überhaupt keinen Sexualunterricht. Im Biologiebuch auch keine Aufklärung, weder von der Schule noch von den Eltern. Und in Biologiebüchern wurden zwar nackte Männer und Frauen abgebildet, aber ohne Geschlechtsorgane. Das kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen. Und so was wollen die wieder haben. Da steht dahinter die Furcht, wenn man bei Jugendlichen über Sexualität redet, dann fangen sie an, das auszuprobieren und werden möglicherweise sogar noch verführt. Das ist ein absoluter Schwachsinn.
Meyer: Herr Bruns, es ist noch ein Vorwurf oder ein Argument aufgetaucht in dieser Debatte, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet heute, dass der Druck der Lobbygruppen, also der Schwulen- und Lesbenverbände bei der Formulierung dieses Bildungsplanes in Baden-Württemberg ausgesprochen stark gewesen sei. Darüber hätten sich die Kirchen beklagt. Wissen Sie etwas über Einflussnahme des Schwulen- und Lesbenverbandes auf diesen Bildungsplan.
Bruns: Das ist völliger Unfug. Die rot-grüne Landesregierung hat gesagt, wir wollen einen Aktionsplan machen, was andere Länder schon längst haben, um diese Diskriminierung und Benachteiligungen offensiv anzugehen und zurückzudrängen. Und dann ist ein Netzwerk gegründet worden von den betroffenen Gruppen, und die haben mit der Landesregierung darüber verhandelt. Ich nehme an, dass auch die Kirchen da mit beteiligt waren – ich war nicht an diesen Verhandlungen beteiligt –, dass das mit allen Stellen abgeklärt worden ist. Na ja, und die Kirchen machen halt die Erfahrung, dass sie sich mit ihren Vorstellungen nicht immer durchsetzen können.
Meyer: Herr Bruns, die Diskussion, wie sie jetzt geführt wird, was meinen Sie, hat die Auswirkungen auf die Situation der Homosexuellen in Deutschland?
Bruns: Das kann ich mir nicht vorstellen, wissen Sie? Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese fundamentalistischen und kirchlichen Kreisen gelingt, uns in die 50er-Jahre zurückzukatapultieren, wo also jedwede Sexualität außerhalb der Ehe nicht nur verpönt, sozial geächtet war, sondern auch noch bestraft wurde. Das wär denen wahrscheinlich am liebsten, aber das ist doch nicht mehr durchzuführen.
Meyer: Homosexualität als Thema in der Schule, darüber wird in Baden-Württemberg gestritten, und wir haben darüber gesprochen mit Manfred Bruns, früherer Bundesanwalt, heute Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes. Herr Bruns, vielen Dank nach Karlsruhe.
Bruns: Ja, bitte schön.
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