Bärbel Höhn: Atomenergiebehörde arbeitet nicht neutral

Bärbel Höhn im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.04.2011
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, hat sich kritisch zur Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA geäußert. Die IAEA wolle die Atomkraft "nach vorne bringen", sagte die Grünen-Politikerin.
Gabi Wuttke: Wendet man die furchtbare Münze von Fukushima, dann bietet sich eine Chance zur Wende, so groß, wie sie nie zuvor war. Deutschland bereitet sich auf den Ausstieg aus der Kernkraft vor, in anderen Ländern denkt man ähnlich. Ist es also auch an der Zeit, die Internationale Atomenergiebehörde, IAEA, zu reformieren, die – von 152 Staaten unterhalten – auch den Auftrag hat, die zivile Nutzung der Atomenergie zu – wie es offiziell heißt – beschleunigen und zu vergrößern? Am Telefon ist Bärbel Höhn, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und in dieser Funktion auch Fachfrau für Umwelt und Energie, guten Morgen, Frau Höhn!

Bärbel Höhn: Guten Morgen!

Wuttke: Sollte die IAEA sich zukünftig nur noch um den Frieden, aber nicht mehr um Gesundheit und Wohlstand kümmern?

Höhn: In der Tat ist das so dadurch, dass die IAEA beides hat: die Überwachung der militärischen Nutzung, und gleichzeitig muss sie sich für den Ausbau sorgen. Das alles geht eigentlich nicht unter einen Hut.

Wuttke: Einerseits erstattet die IAEA den Vereinten Nationen regelmäßig Bericht, andererseits darf die Weltgesundheitsorganisation der UN nur Studien und Forschungen zu den Folgen der Atomkraft in Absprache mit der IAEA durchführen. Hatte von diesen Umständen womöglich auch das Friedensnobelpreiskomitee keine Kenntnis?

Höhn: Also in der Tat sprechen Sie einen Riesenkritikpunkt an der IAEA an, nämlich, dass die WHO, von der man ja eigentlich annimmt, dass sie für die gesamte Gesundheit zuständig ist, was die nukleare Strahlung angeht, da einen Maulkorb bekommt. Das macht deutlich, wie mächtig eigentlich die Atom-Lobby ist, denn die WHO – das müsste man eigentlich meinen – also UN-Organisation müsste eigentlich über der Internationalen Atomenergiebehörde stehen. Das tut sie aber nicht und das ist ein Punkt, der, finde ich, der geht nicht. Denn die Gesundheit der Bevölkerung hat Vorrang vor den Interessen der Atomwirtschaft.

Wuttke: Aber warum Atom-Lobby? Die IAEA ist doch sozusagen unterstellt den Mitgliedsstaaten, das sind 152 und Deutschland gehört auch dazu, also ein politischer Beschluss und keiner der Atomwirtschaft?

Höhn: Ja da haben Sie Recht, aber Ziel ist es, einen Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand zu bringen. Und wenn Sie sich das angucken, dann ist es schon so, dass die Internationale Energieagentur die Atomkraft pusht, dass sie sie also nach vorne bringen will. Und da sagen eben auch viele Umweltorganisationen gerade jetzt auch in Japan, dass das auch ein Grund ist, warum sich die Internationale Energieagentur sehr spät gemeldet hat. Und ob es nicht in Japan auch mehr Information hätte geben müssen, werden wir vielleicht auch erst in Zukunft erfahren.

Wuttke: Warum ist es aber dann ausgerechnet und eigentlich nur die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW, die lautstark gegen die IAEA und die Politik mit der WHO trommelt?

Höhn: Ja Greenpeace hat das auch sehr kritisiert, also viele Umweltorganisationen kritisieren die internationale Energieagentur. Ich glaube, der Vorteil – und Sie haben das ja eben auch angesprochen, die haben ja auch den Friedensnobelpreis bekommen damals, el-Baradei –, der Vorteil ist natürlich, dass sie auch im Iran zum Beispiel kontrolliert haben, wieweit die Atomkraft gegen diese Regeln militärisch genutzt werden soll, und da ja auch einiges erreicht haben. Aber auch da, muss man sagen, haben sie eigentlich gar nicht die Kompetenz. Das heißt, aus meiner Sicht müsste man schon gucken, dass man diese Ziele nicht in einer Organisation hat, weil sie sich teilweise widersprechen, und auf der anderen Seite müsste man überlegen, ob sie nicht mehr Kompetenzen oder auch Sanktionsmöglichkeiten bekommt, die sie ja momentan gar nicht hat. Also sie darf nur eingreifen, sie darf da nur untersuchen, wenn die einzelnen Staaten das auch wollen.

Wuttke Am 20. Juni wird es bei der IAEA in Wien eine Ministerkonferenz zur Nuklearsicherheit geben. Erwarten Sie, dass nach Fukushima natürlich aus einzelnen Mitgliedsländern Forderungen für neue Maßstäbe erhoben werden?

Höhn: Also man diskutiert ja, ob zum Beispiel die Kompetenzen erweitert werden sollten und ob das eben stärker, auch internationale Regeln noch mehr vorgegeben werden sollen. Man muss aber auf der anderen Seite sehen, dass sie da eigentlich gar nicht das Personal haben. Sie haben also ja ein kleines Budget, das sind etwa 2200 Mitarbeiter, davon 350 Inspektoren, und auch das Budget, was jetzt von allen zur Verfügung gestellt wird, das reguläre, ist noch nicht mal 300 Millionen Dollar, mit zusätzlichen freiwilligen Beiträgen sind es ungefähr 400 Millionen Dollar. Also da sieht man einfach gerade, da ist momentan ja gar nicht die Kraft da, solche Punkte dann auch durchzusetzen, und wenn man der Internationalen Energieagentur mehr Kompetenzen geben müsste, müsste man sie auch entsprechend ausweiten. Ob das die einzelnen Länder wollen, die ja teilweise eben auch deshalb Atomkraftwerke bauen, weil sie vielleicht dann doch am Ende an die Bombe ran wollen, das mag man auch bezweifeln, dass einzelne Länder wirklich ein großes Interesse daran haben, der Internationalen Energieagentur mehr Kompetenzen zu geben.

Wuttke: Na ja, man könnte sich auch einfach mal vorstellen, ein Land, das aus der Atomkraft aussteigt, steigt auch aus der IAEA aus …

Höhn: In der Tat, deshalb ist eben auch die Frage, ob eine Organisation, die so rein gepolt ist auf Atomkraft, ob die überhaupt in diese Welt noch gehört.

Wuttke: Ja nur ist es aber ja interessant, dass das, was für die IAEA gilt, ja auch für die Europäische Atomgemeinschaft gilt. Also was ist denn dann, nach dem, was Sie auch gerade noch mal geschildert haben, von den Stresstests zu erwarten? Ist doch alles irgendwie dann in gewisser Weise schon vorab infrage gestellt?

Höhn: Ja da haben Sie Recht, und das sehe ich auch so. Also diese europäischen Stresstests, da erwarte ich mir nicht sehr viel. Denn da hat sich der Kommissar Oettinger mit den Atomkraftbetreibern zusammengesetzt, die haben im Prinzip die Regeln dafür aufgestellt, wie der Stresstest sein soll, das Ganze ist dann noch freiwillig. – Dass da was Vernünftiges bei rauskommen soll, das sehe ich momentan nicht.

Wuttke: Und können wir in Asse zumindest den anstehenden Bohrungen in der Verantwortung des Bundesamtes für Strahlenschutz trauen?

Höhn: Also ich sage mal, der entscheidende Punkt ist schon immer, dass man auch eine Organisation hat, die unabhängig ist und diese Werte dann auch unabhängig weitergibt. Wir sehen ja den Konflikt auf internationaler Ebene mit der Weltgesundheitsorganisation, die hier nicht tätig werden darf, und insofern ist das keine gute Sache, wenn die Gesundheit nicht in einer unabhängigen Organisation ist, sondern einer, wo die Interessenkonflikte eigentlich schon in den Zielen vorprogrammiert sind.

Wuttke: Das heißt, was meinen Sie damit in Bezug auf das Bundesamt für Strahlenschutz?

Höhn: Ja bei dem Bundesamt für Strahlenschutz ist es natürlich, dass im Prinzip ja auch eine nationale Behörde dafür verantwortlich sein muss, wir haben ja auch die Gesundheitsbehörden, die ja auch in staatlicher Kontrolle sind. Davon müsste man ja eigentlich ausgehen, dass sie unabhängig sind. Also viel schlimmer wäre es da natürlich, wenn das Bundesamt für Strahlenschutz von den Atomkraftbetreibern bezahlt würde, so ist es immer noch besser, es ist in der Staatshand. Wir sehen aber natürlich, dass in einer Stresssituation, in einer katastrophalen Situation wie in Japan, auch der Staat selber wahrscheinlich auch aus der Situation heraus offensichtlich verharmlost. Und insofern hat das seine Kritikpunkte, wenn der Staat selber den alleinigen Ton angeben kann, da finde ich das schon sinnvoller, wenn auch Umweltorganisationen unabhängig davon messen können, sodass man überhaupt auch mal an andere Ergebnisse herankommt.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Bärbel Höhn, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Fachfrau für Umwelt und Energie. Frau Höhn, besten Dank!

Höhn: Bitte schön!
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