"Bärchen und die Milchbubis"

Punkige Grüße aus den 80ern

06:39 Minuten
Annette Simons mit ihren Bandkollegen
Annette Simons mit ihren Band-Kollegen heute: Damals habe sie geglaubt, beim Pogotanzen oder durch Polizeigewalt zu sterben, erzählt die Sängerin. © Bärchen und die Milchbubis / Tapete Records
Von Christine Franz |
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Zum Underground der 80er gehörte auch die Band "Bärchen und die Milchbubis" - ihre Platten sind von Kennern gesuchte Sammlerobjekte. Jetzt werden Aufnahmen aus der Zeit wiederveröffentlicht. Die damalige Frontfrau Annette Simons blickt zurück.
"Bärchen und die Milchbubis" ist eine lange verschollene Kult-Band des deutschen Pop-Undergrounds aus Hannover. Sie operierte in den frühen 80ern, an der Schnittstelle zwischen Punk, „genialem Dilettantentum“ und Neuer Deutscher Welle. Frontfrau Annette Simons erinnert sich:
„Wir haben das immer Power-Pop genannt. So richtig Punk waren wir ja auch nicht. Es gab noch nicht die Schublade Neue Deutsche Welle als wir angefangen haben. Und da wollten wir später auch nicht reingehören. Wir waren irgendwas dazwischen.“

Eine Szene im Schatten erfolgreicher Rock-Bands

Hannover Anfang der 80er: Die Scorpions feiern weltweit Erfolge und verkaufen Stadien aus – und in der Nordstadt entwickelt sich eine umtriebige Punk-Szene. In den unabhängigen Jugendzentren Kornstraße und Glocksee werden Konzerte organisiert. Das Label „No Fun Records“ wird gegründet. Bands wie „Hans-A-Plast“, „39 Clocks“ und „Bärchen und die Milchbubis“ nehmen Platten auf. „Nicht labern, machen!“ ist das Motto der Zeit.

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„Für mich war es ganz stark die Erfahrung aus den 70er-Jahren: Deutscher Herbst, Anti-Atom-Bewegung, Frauenbewegung, Schwulenbewegung. Diese Haltung: 'Man muss gar nichts können, Hauptsache es passt irgendwie zusammen und jeder kann was spielen.' Das ist für mich eigentlich Punk. Dieser Aufbruch. Die Energie. Das Ganze: Völlig egal, es muss nicht perfekt sein!“

Texte von Sex, Alkohol und Eskapismus

Annette Simons ist damals 20, ihre Bandkollegen sind 17 und gehen noch zur Schule. In ihren lakonisch-schnodderigen Texten geht es um unglückliches Dauerverliebtsein, Sex, Alkohol und Eskapismus. Gegen Machotum, um das Bloss-nicht-älter-werden und Nirgendwo-reinpassen. Für Annette Simons eine Haltung, die ziemlich genau den Zeitgeist der frühen 80er traf.

Ich hatte die feste Vorstellung, ich würde beim Pogotanzen an einem Herzinfarkt sterben oder durch Polizeigewalt.

„Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, alt zu werden. Und das war ein Gefühl, das sehr viele hatten. Also dieses: ‚Die young, stay pretty.' Ich glaube, das war ein Gefühl, das auch international war.“  

Die weibliche Perspektive im Punk

Heute fällt besonders die weibliche Perspektive auf, die „Bärchen und die Milchbubis“ in den Punk bringen. Neben ihren Freundinnen von „Hans-A-Plast“ und Bands wie „Östro 430“ aus Düsseldorf war das in der Anfangsphase des Punk gar nicht so selten, wie man heute denken könnte, erinnert sich Annette Simons:

„Es haben viele Frauen Musik gemacht. Die waren auch alle sehr unterstützend. Meine kleine heile Welt, wir sind mit ‚Hans-A-Plast‘ aufgetreten. Für mich gehörte auch noch Nena dazu oder Nina Hagen. Das hat aber nicht lange gehalten, ist so mein Eindruck im Nachhinein. Dass das doch sehr schnell überschrieben wurde von Männern, die dann in den Vordergrund drängten, die Bühne wieder für sich haben wollten. Die dann sich schnell breit gemacht und den Laden übernommen haben.“

Auftritte als Chart-Anwärter und Spaß-Kapelle

„Bärchen und die Milchbubis“ werden Anfang der 80er als Chart-Anwärter gehandelt und landen in der Bravo. Die Band wird sogar zu einem TV-Auftritt in die ARD-Musiksendung „Bananas“ eingeladen. Dort müssen sie als Spaß-Kapelle in einem Boxring zwischen solariumgebräunten Bodybuildern auftreten. Doch verbiegen lassen will sich die Band nicht.
Ganze drei Jahre und ein Album lang existieren „Bärchen und die Milchbubis“. Danach ist alles gesagt, die Band löst sich auf.
Heute, 41 Jahre später, haben die Songs kaum etwas von ihrem eingängigen Punk-Hymnen-Potenzial und ihrer frischen Unbekümmertheit verloren. Punk zwischen No-Future und Jetzt-erst-recht, zwischen Lethargie und Aufbruchsstimmung.
Eine tolle Wiederentdeckung. Und ein grandioser Trip in den deutschen Underground der 80er.

„Endlich komplett betrunken“
Werkschau mit Songs von "Bärchen und die Milchbubis"
bei Tapete Records

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