Wenn der Zug plötzlich ganz woanders lang fährt
Die Bahn und ihre Tücken in Baden-Württemberg: Abseits des Großprojekts "Stuttgart 21" rumpeln die Züge zwischen Schwaben und Baden eher unzulänglich daher. Das soll sich aber bald ändern.
"Also das Ding war so: Ich sitze im Zug und fahre nach Stuttgart. Also ich will nach Stuttgart fahren. Aber plötzlich fährt der Zug woanders hin, also ich kannte das alles gar nicht, die Landschaft. Alle hingen am Fenster und haben sich voll gefragt: Was geht da? Einer sagte, wir sind jetzt entführt. Dann sagte einer, also wahrscheinlich der Lokführer: 'Wegen einer Weichenstörung fahren wir einen Umweg.'"
"Wenn ich jetzt hier angucke, die Regionalbahn von Stuttgart nach Süßen 13:03 Uhr, steht da, dass der Zug entfällt, und als Begründung wird reingeschrieben: Fahrzeugengpass. Spricht für sich, würde ich sagen."
"Also wir treffen uns ja mit der Bahn inzwischen seit eineinhalb Jahren jede Woche, gibt es einen Rapport, da berichtet die Bahn, wo sind welche Züge nicht gefahren, wo sind sie mit welcher Verspätung gekommen. Welche Ursachen sind dahinter? Und es wird jedes Mal darüber gesprochen: Kann man die Ursachen beseitigen? Was muss man tun? Warum ist es passiert? Allerdings sind wir nicht zufrieden. Und selbst die Bahn sagt: 'Wir sind auch noch nicht zufrieden mit unserer Leistung, und wir haben immer wieder Rückschläge.'"
Entschädigung für Pendler
Bahnkunden, vor allem Bahn-Pendler sind genervt. Die Politik, namentlich Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann, lässt derweil nichts unversucht, um die Situation im Südwesten zu entspannen. Er setzt einen Chaosmanager ein. Der externe Bahnexperte analysiert einige Wochen die Situation auf den Problemstrecken und lässt zusätzliche Züge einsetzen. Kurzzeitig entspannt sich die Lage.
Der Verkehrsminister zwingt die Verantwortlichen von DB Regio zum wöchentlichen Rapport. "Und ohne dieses Hinterhersein von dem Verkehrsministerium würde es noch sehr viel schlimmer aussehen auf den Strecken der Bahn."
2017 vereinbaren Land und Bahn einen Aktionsplan. Schäden an Türen und Toiletten, kaputte Lampen werden zu einem vereinbarten Prozentsatz beseitigt. Pendler bekommen eine Entschädigung. Ende 2017 muss die Bahn wegen schlechter Leistungen im Nahverkehr dem Land Baden-Württemberg elf Millionen Euro überweisen. Der Minister betont, er freue sich gar nicht über dieses Geld und kündigt an, die gesamte Summe dafür zu verwenden, dass sich die Zustände im Südwesten verbessern.
Personalmangel und Baustellen
Ist die Lage in Baden-Württemberg besonders schlimm? Wer regelmäßig auf Bus und Bahn im Ländle unterwegs ist, kann diesen Eindruck leicht gewinnen: "Wie es im bundesweiten Vergleich aussieht, kann ich nicht sagen. Uns fällt aber auch schon auf, dass innerhalb von Baden-Württemberg die Qualität extrem unterschiedlich ist. So im Bereich Württemberg ist es eine Katastrophe, Südbaden: Schwarzwaldbahn, Oberrhein, steht im Vergleich dazu wesentlich besser da."
Stefan Buhl, Landesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, sitzt im Bahnhofscafé von Radolfzell am Bodensee. Der Druck von Seiten der Politik auf die Bahn habe bislang nicht viel gebracht, sagt der Bahnexperte. Ein ganzes Bündel von Problemen sei für die Misere verantwortlich:
"Es liegt auch nicht daran, dass die DB nicht will. Und man hat den Eindruck, sobald die DB ein Problem einigermaßen im Griff hat, dann taucht dann schon wieder woanders ein anderes Problem auf, das nachhaltige Lösungen verhindert." Personalmangel, Materialverschleiß und vor allem Baustellen, das sind die Hauptprobleme der Bahn.
Fahren auf der klassischen "Schwäb'schen Eisanbahn" – derzeit ein schwieriges Unterfangen: "Ich glaube nicht, dass heute jemand mit diesem Zug fährt, weil man in Laupheim umsteigen muss auf den Schienenersatzverkehr und somit viele überhaupt nicht den Zug nutzen. Ich weiß nur, dass Bauarbeiten auf den Gleisen sind und deshalb Züge komplett ausfallen."
Kampf für Stromkabel
"Das geht mit dem Bus bis nach Neu Ulm. Und dann gehen wir aufs Gleis eins und fahren wieder mit dem Zug nach Ulm. Dann muss man schon rennen." Raus aus dem Zug, rein in den Bus – raus aus dem Bus, rein in den Zug: Auf der sogenannten "Südbahn" zwischen Ulm und Friedrichshafen ist seit kurzem nichts mehr so, wie es früher einmal war: Die durchgehende Zugverbindung auf der rund 100 Kilometer langen Strecke, die den Bodensee mit den Regionen Ulm und Stuttgart verbindet, ist zwischen den Städten Laupheim und Ulm unterbrochen. Statt Züge verkehren dort Busse im so genannten "Schienenersatzverkehr".
Der Grund: Bis zum Dezember 2021, also über zwei Jahre lang, wird die Südbahn mit etwas ausgestattet, was auf anderen Streckenabschnitten längst zum Standard gehört: Nämlich mit Stromkabel und Oberleitungen für E-Loks und elektrische Triebwagen. Bisher sind auf der Südbahn nur Dieselfahrzeuge unterwegs.
"Wir sind hier immer hinten runter gefallen, als ländlicher Raum relativ weit weg von Berlin." Wilfried Franke ist einer, der nicht aufgibt: Seit über einem Vierteljahrhundert kämpft der ehemalige Mobilitätsexperte beim Bodenseekreis, der heute Geschäftsführer des kommunalen Regionalverbandes Bodensee-Oberschwaben ist, für Stromkabel auf der Trasse der legendären "Schwäb’schen Eisenbahn", also auf der Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen: "Wir waren die größte Dieselstrecke in Deutschland, in einer der wirtschaftsstärksten Räume und haben bis heute keinen Meter elektrifizierte Gleise. Also das ist ein Unding per se."
Bundesland finanziert Bahnstrecke mit
"Deswegen haben alle Parteien parteiübergreifend darum gekämpft, dass diese Strecke elektrifiziert wird. Nur der Bund und die Bahn fanden das nicht so arg bedeutend", ergänzt Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann. Der Kampf um die Elektrifizierung der Südbahn dauerte über zwei Jahrzehnte lang. Erst mal bewegte sich beim Bund als Eigentümer der Bahn gar nichts: Null Bock, die notwendige Summe von 222 Millionen Euro locker zu machen, die für die Elektrifizierung notwendig sind.
"Das war der Grund, weshalb das Land Baden-Württemberg gesagt hat: für uns ist das so wichtig, dass wir als Land Baden-Württemberg etwas dazu geben. Und jetzt haben wir am Ende die Hälfte dieser Strecke bezahlt. Aber nochmals: Das ist eine freiwillige Leistung. Und eigentlich müsste der Bund die Schienen-Infrastruktur selber finanzieren."
Dass ein Bundesland in die Bresche springt und eine Bahnstrecke mitfinanziert, ist bundesweit einmalig. Aber, so der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann: "Wir haben viel zu lange Nichtstun erlebt. Und das können wir uns eigentlich nicht mehr leisten."