Bahnverbindungen in Sachsen
Kaum vorstellbar, dass am Bahnhof von Brandis in Sachsen bald wieder Züge halten sollen. Der letzte Zug hielt hier 2006. © Deutschlandradio / Ronny Arnold
Ein Dorf hofft auf den Zug
08:16 Minuten
Viele Bahnstrecken in ländlichen Regionen wurden in den letzten Jahrzehnten stillgelegt. Auch östlich von Leipzig gibt es verwaiste Bahnhöfe und zugewachsene Gleise. Doch ein Gutachten sieht nun für die alten Strecken eine neue Chance.
Das Geräusch von Zügen, die direkt durch ihren kleinen Ort, 20 Kilometer östlich von Leipzig, rollen, kennen die älteren Brandiser noch. Früher hielten die Züge hier sogar. Also Züge, die Menschen von A nach B befördern. Es war eine praktische Sache, damals.
"Ich kenne das noch, bin damit zur Lehre nach Leipzig gefahren. Stündlich ist da ein Zug gefahren. Man musste mitunter in Beucha umsteigen, mitunter ist er bis Leipzig durchgefahren. Wie lange das her ist? 1980."
Der Bahnhof von Brandis verfällt
Vor gerade einmal 41 Jahren also. Beim Gedanken daran muss Andreas Knörnschild schmunzeln. Beim Blick aufs Bahnhofsgebäude vergeht dem Brandiser das Lächeln allerdings schnell. Das ist nämlich komplett verfallen. Die meisten Fenster des alten Backsteinbaus sind eingeschmissen - oder gleich ganz zugemauert.
Auf dem Weg zum ehemaligen Bahnsteig wachsen meterhohe Bäume. Ein Großteil der Gleise ist von Büschen überwuchert. Doch das könnte sich nun ändern - die Gerüchteküche brodelt.
"Wir haben etwas gehört und wir würden uns über eine Bahnverbindung wirklich sehr freuen. Erst einmal von der Historie her würde uns das Freude machen. Jetzt müssen wir das Auto schon nutzen, wenn wir Termine im Rathaus haben - dann müssen wir von Brandis nach Beucha fahren. Wir vermuten, dass das alles eine Weile dauert. Aber wenn erstmal der Gedanke da ist, und das angestoßen wird - ein paar aktive Leute sind ja immer notwendig - klar würden wir das nutzen."
Für die Brandiserin Helga Stiebritz ist die Sache klar: eine Bahnverbindung direkt vor der Haustür, das wäre eine tolle Sache. Arno Jesse, ihr Bürgermeister, sieht das genauso.
"Vor drei, vier Jahren haben wir das mal angeschoben. Da war es eine Vision, die überhaupt nicht greifbar war. Jetzt gibt es ein sogenanntes Basisgutachten. Und wenn man in dieses Basisgutachten reinschaut, dann ist insbesondere diese Strecke Beucha - Brandis, Brandis - Trebsen die Strecke, die sich auch betriebswirtschaftlich rechnen würde. Und das macht mich natürlich extrem optimistisch, zumal wir doch alle wissen, dass der Umstieg auf ÖPNV enorm wichtig ist. Und dass das ein Standortvorteil ist, gerade für den ländlichen Raum."
Vorteile für den ländlichen Raum
Im "Basisgutachten zur Bahn-Reaktivierung", in Auftrag gegeben vom sächsischen Wirtschaftsministerium, geht es um insgesamt sechs stillgelegte Bahnstrecken im gesamten Freistaat. Und hier nun konkret um eine mögliche Strecke zwischen Beucha, Brandis und Trebsen, die 16,4 Kilometer lang ist.
Prognostiziert werden um die tausend Fahrgäste, täglich. Der letzte Personenzug hielt in Brandis 2006, in Trebsen 1997. Die Schienen sind noch da, ab und an rollt sogar ein Güterzug auf der Strecke. Es müsste also nicht alles neu gebaut werden. Deswegen kann es funktionieren, sagt auch der Bürgermeister von Trebsen. Stefan Müller befürchtet aber, dass es noch Jahre dauern wird, bis hier wieder Züge rollen. Trotzdem: Es wäre ein Gewinn - für die gesamte Region.
"Im Moment findet die Prüfung erstmal in Dresden statt. Das ist ein erster Schritt. Da sind wir auch sehr froh darüber, dass das schon mal so weit gediehen ist. Und ich bin der festen Überzeugung, dass inzwischen wieder mehr Menschen den Bahnverkehr schätzen würden. Jede Kommune kann froh darüber sein, wenn sie einen Bahnanschluss hat. Ich denke aber, dass es nicht nur für den ländlichen Raum Vorteile bringen würde, also nicht nur für die Stadt Trebsen mit ihren Stadtteilen Seelingstädt und Altenhain, sondern auch für die Menschen, die in der Großstadt wohnen. Denn bei uns gibt es auch einige Dinge, die touristisch sehenswert sind, wenn ich an unser Schloss denke, an unser Rittergut, der Mulde-Elbe-Radweg beginnt in Trebsen. Und da wäre ein Personenverkehr mit der Bahn auf jeden Fall hilfreich."
Die große Hoffnung: mit der Bahn kommen mehr Touristen. Für Katrin Kamm vom Ortschaftsrat Altenhain, einer kleinen zu Trebsen gehörenden Gemeinde, könnte die Zugverbindung sogar das Ausbluten der Region stoppen - also sinnbildlich. Die Bahn wäre ein Anreiz für die junge Generation, nicht direkt nach der Schule von hier zu verschwinden.
Eine Chance für die junge Generation
"An jungen Familien und Kindern mangelt es uns nicht. Mit der Bahnverbindung besteht die Chance, dass man eine Alternative zum eigenen Auto hat - gerade für die junge Generation, die zur Ausbildungsstätte fährt oder zur Uni. Nicht jeder kann sich für seine Kinder ein Auto leisten. Und das ist im Moment eher der Punkt, warum die Jugend wegzieht, weil sie nicht wegkommt."
Was die Diskussion um die Bahnstrecke nun noch zusätzlich befeuere, meint Kamm, seien die neuen Klimaschutzziele, die natürlich auch in den ländlichen Regionen Thema seien - besonders die steigenden Spritpreise.
"Die aktuelle Spritpreispolitik wird schon den einen oder anderen zum Umdenken bewegen. Ich weiß aus Gesprächen, dass viele auch Anfang der 90er-Jahre nach Altenhain gezogen sind, weil es diese Verbindung gab. Und dann ist das eben 1997 eingestellt worden. Damals war vielleicht unabhängige Mobilität wichtiger als der ökologische Gedanke. Und der ist ja bei der jungen Generation viel, viel ausgeprägter. Ich kann mir schon vorstellen, dass das auf große Akzeptanz stößt."
13 Millionen Euro für sechs Strecken
Was nun aber erst einmal folgt sind weitere, konkretere Machbarkeitsstudien und vertiefende Analysen. 13 Millionen Euro stellt das Land Sachsen insgesamt für alle sechs stillgelegten Strecken zur Verfügung. Auf konkrete Nachfragen antwortet das zuständige sächsische Verkehrsministerium schriftlich und eher vage:
"Über den zeitlichen Ablauf der konkreten Aktivierung können derzeit noch keine belastbaren Angaben gemacht werden, da die Planungsabläufe und die Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen zeitlich nur schwer vorhersehbar sind. Die Fachabteilung arbeitet bereits intensiv an der Erstellung der benötigten Unterlagen. Gleichzeitig muss die Finanzierung dieser Baumaßnahmen inklusive einer etwaigen Förderung des Bundes sichergestellt werden. Für die Realisierung werden die verschiedenen regionalen Akteure im weiteren Verfahren in geeigneter Weise und umfassend einbezogen."
Rollen also tatsächlich wieder Personenzüge durch Brandis - und wenn ja, wann? Auf einen genauen Zeitpunkt möchte sich da auch der Bürgermeister vor Ort nicht festlegen. Arno Jesse ist aber davon überzeugt, dass neben den Nachbarkommunen am Ende auch das Land Sachsen und der Bund mitziehen werden.
Strategisch planen
"Natürlich nicht kurzfristig, bin ja auch kein Träumer. Aber mittelfristig, denke ich, sollten wir dranbleiben, haben in den letzten Jahren viel erreicht. Und wir denken im Bereich der Metropolregion auch durchaus weiter über unsere Gemarkungsgrenzen hinaus. Und wenn Sie in die Regionalplanung reinschauen: Auch eine Stadt Brandis plant nicht nur für sich, sondern plant genau entlang der Bahn und S-Bahn-Strecken. Deswegen ist es strategisch sehr wichtig."
Bleibt die Frage nach der Finanzierung: "Das ist natürlich die Grundsatzfrage, wo ich tatsächlich denke, dass der Trend für uns spricht. Auch die neue Regierung wird in den Schienenverkehr stark investieren. Ganz grundsätzlich muss es eingebunden werden in die gesamte Infrastruktur. Es macht nur Sinn, wenn wir keine singuläre Lösung haben für die Verbindung Brandes - Trebsen, sondern wenn das integriert wird in den gesamten Nahverkehrsplan und so dann auch entsprechend finanziert wird."
Damit die Brandiser und auch die Trebsener schon bald wieder das Geräusch der Züge direkt vor ihrer Haustür hören können.