Keine Macht der Mehrheit
Seit der Niederschlagung der Proteste gegen die Regierungspolitik, herrscht Ruhe im Königreich Bahrain. Was nicht bedeutet, dass die schiitische Mehrheit mit der politischen Situation zufrieden ist. Ganz im Gegenteil: Das Land ist auf dem Papier zwar eine konstitutionelle Monarchie, faktisch hat der König aber die absolute Macht.
Schnellfeuergewehre und Pistolen; die dazugehörige Munition und Schalldämpfer; Steinschleudern und Handgranaten; selbstgebastelte Sprengsätze und Zünder; Stahlkugeln und Nägel, die bei einer Explosion herumfliegen, um möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen. Und: Feuerlöscher, die umgebaut wurden - zu Hochdruck-Harpunen. Aufgereiht liegen diese Mord-Werkzeuge auf zwei Tischen im stark gesicherten Innenministerium von Bahrain. Hochrangige Polizisten führen Gäste durch die Ausstellung und bieten Erklärungen zu den Exponaten.
Ein Informationsvideo des Innenministeriums - das wie es im Vorspann heißt - "Im Geiste der Anti-Terror-Kooperation erstellt wurde". Der Clip beschreibt, wie die Sicherheitskräfte von Bahrain an diese und andere Waffen gekommen sind: Angeblich wurden sie bei Schmugglern entdeckt. Und bei schiitischen Terroristen, deren Ziel es ist - so die offizielle Lesart in Bahrain - das sunnitische Herrscherhaus zu stürzen und aus dem kleinen Inselstaat im persisch-arabischen Golf eine islamische Republik zu machen - nach iranischem Vorbild und mit Unterstützung aus Teheran.
"Als der Mann zu der Lieferung verhört wurde, sagte er, dass sie, er und seine Komplizen, in Iran ausgebildet wurden - von den Revolutionsgarden."
Tage lang campierten Demonstranten auf dem Perlen-Platz im Zentrum von Bahrains Hauptstadt Manama. Die erste Initiative zu einem Nationalen Dialog, angestoßen vom Kronprinz, scheiterte, und am 14. März kamen auf Bitten des Königs von Bahrain etwa zweitausend Sicherheitskräfte aus Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, um dem Bruder-Herrscher zu helfen.
Die Ausländer schützten wichtige Gebäude, während die einheimische Polizei den Massenprotesten gewaltsam ein Ende setzte. Der Perlen-Platz wurde geräumt; das Denkmal darauf - so etwas wie ein riesiger Perlen-Ständer - ließen die Behörden abreißen. Jede Symbolik sollte verschwinden.
In den folgenden Monaten mehrten sich die Berichte darüber, wie brutal die Sicherheitskräfte während und nach den Protesten gegen Demonstranten und andere unliebsame Kritiker vorgingen.
In den folgenden Monaten mehrten sich die Berichte darüber, wie brutal die Sicherheitskräfte während und nach den Protesten gegen Demonstranten und andere unliebsame Kritiker vorgingen.
Elektroschocks und Schlafentzug
So schildert die Journalistin Nazeeha Saeed auf einer DVD, die die Menschenrechtsgesellschaft von Bahrain ausgibt, diese Ereignisse:
"Die Folter begann mit einer Polizistin: Sie hat mich geschlagen, ins Gesicht, und mich getreten. Ich wurde auf den Boden gedrückt. Und dann haben auch andere Polizistinnen auf mich eingetreten. Dann wurde ich mit einem Schlauch geprügelt. Ich wurde mit Stromschlägen traktiert. Und mein Gesicht wurde in eine Toilette gedrückt. Sie beschuldigten mich, falsch berichtet zu haben; weil ich gesagt hatte, dass Menschen umgekommen sind bei den Protesten. Und dass die Armee scharf geschossen hat."
König Hamad selbst rief eine Untersuchungskommission ins Leben, um derlei Vorwürfe prüfen zu lassen. Kommissionschef Mahmud Cherif Bassiouni, ein ägyptisch-amerikanischer Professor für Internationales Strafrecht, legte Ende 2011 in Gegenwart des Königs einen 500-Seiten-starken Bericht vor. Er fiel für das Herrscherhaus vernichtend aus: Gefangene seien mit Elektroschocks, Schlafentzug, Metall- und Holzstäben gefoltert worden. Und Bassiouni machte Reformvorschläge, die vor allem auf eine Stärkung der Gewaltenteilung und die Einhaltung der Menschenrechte zielen.
Der König versprach, diese Vorschläge aufzugreifen. Zudem kündigte er an, die Prozesse vor dem Militärtribunal zu beenden, das gegen Oppositionspolitiker und Aktivisten lebenslange Haftstrafen und sogar Todesurteile verhängt hatte. Aber: Die Proteste rissen nicht ab; wenngleich sie etwas nachgelassen haben. Seit kurzem mehren sich aber Attentate. Seit Frühjahr 2011 hat es in Bahrain mehr als hundert Tote gegeben und ungezählte Verletzte.
Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten
Unlängst in einem der großen Hotels von Bahrain: Der gesperrte Perlen-Platz in Sichtweite; ebenso eine Bucht von Manama, in der einige traditionelle Dhaus neben modernen Schiffen liegen. Ein paar Oppositionelle haben sich bereit erklärt, über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes zu sprechen; über ihren Konflikt mit den Herrschern; einen Konflikt, von dem es häufig heißt, er sei religiös motiviert: Zwischen den Angehörigen der zwei islamischen Hauptströmungen - Sunniten und Schiiten. Und das liegt auch daran, dass das Herrscherhaus der Khalifa sunnitisch ist und damit zur Minderheit im Lande zählt. Mehrheitlich sind die Bahrainis Schiiten, die sich aber unterrepräsentiert fühlen - beruflich und politisch.
Wie groß die Zahl der Schiiten tatsächlich in Bahrain ist, ist unklar; wohl weil das Herrscherhaus kein Interesse an konkreten Zahlen hat. Das CIA-Factbook spricht lediglich von einer "großen Mehrheit"; die britische Regierung meint, etwa zwei Drittel der muslimischen Bevölkerung Bahrains sei schiitisch; andere Quellen sprechen von 52 bis 62 Prozent. International gilt als unstrittig, dass die Schiiten die Mehrheit der Staatsbürger von Bahrain stellen. Aber von den 40 Sitzen im Unterhaus werden nur 18 von schiitischen Gruppierungen besetzt - die Schiiten fühlen sich unterrepräsentiert; diskriminiert.
Mansoor al-Jamri, Chefredakteur der Zeitung Al-Wasat. Seine Zeitung gilt als die einzig unabhängige im Land; Jamri als neutraler - kritischer - Beobachter unter den erklärten Oppositionellen:
"Diskriminierung ist mittlerweile Teil jedes noch so kleinen Bereichs der Gesellschaft - sie wird nicht ausgesprochen, ist aber eindeutig: Jeder weiß, wer der andere ist, Bahrainis erkennen einander am Akzent oder wenn der Familien-Name fällt oder der des Geburtsortes... Man weiß sofort, wer Schiit ist oder Sunnit."
Die schiitisch-muslimische Bevölkerungsmehrheit - so der Vorwurf der Bassiouni-Kommission wie auch der Opposition in Richtung der Herrschenden - habe es schwer, eine Anstellung und angemessenen, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Von staatlichen Jobs bei Ministerien, Polizei oder Armee seien die Schiiten weitgehend ausgeschlossen; immer weniger von ihnen bekleideten höhere staatlichen Positionen: in den vergangenen zehn Jahren sei ihr Anteil von 30 Prozent auf zehn Prozent gesunken. In die Sicherheitskräfte schafften es sogar nur zwei Prozent Schiiten.
Angst, abgehört zu werden
Diskriminierung - auch etwas, das Menschenrechtsaktivisten beschäftigt. In Bahrain haben sie ein Zentrum - die Geschäftsstelle der Bahrain Human Rights Society. Auf ihren Treffen legen die Mitglieder zunächst alle Handys in einen Korb, der aus dem Raum geschafft wird, in dem sie miteinander reden. Die Angst abgehört zu werden, ist groß. Das Sitzungszimmer der Aktivisten sieht aus, wie ein Menschenrechtszentrum aussehen muss: Überall hängen Aktions-Poster, die die Meinungsfreiheit einfordern und für die Freilassung von politischen Gefangenen werben.
Bei allen Problemen, die bis heute weiter bestehen, betont die Opposition, eines: Sie wolle keinen Sturz der Monarchie. Khalil Ebrahim Marzooq, Sprecher für internationale Fragen in der wichtigsten Oppositionsgruppe al-Wefaaq:
"Wir wollen Leute, die vom Volk gewählt wurden, um die Macht mit der Herrscherfamilie zu teilen. Wir wollen die Herrscherfamilie nicht stürzen. Wir wollen die Macht teilen - in allen Gesellschaftsbereichen."
Kein Sturz des Königshauses? - Eine, die derlei Äußerungen mit Argwohn hört, ist Sameera Ebrahim bin Rajab. Die modern wirkende Frau in Jeans und ohne Kopftuch - den Tablet-Computer stets griffbereit - ist die Regierungssprecherin und Informationsministerin von Bahrain. Sie nimmt sich Zeit für ein langes Interview. Dabei vertritt Sameera Rajab eine harte Position. Pikanterweise ist sie die Cousine eines Mannes, der als Aktivist gegen das herrschende System berühmt geworden ist - und immer noch im Gefängnis sitzt:
Kein Sturz des Königshauses? - Eine, die derlei Äußerungen mit Argwohn hört, ist Sameera Ebrahim bin Rajab. Die modern wirkende Frau in Jeans und ohne Kopftuch - den Tablet-Computer stets griffbereit - ist die Regierungssprecherin und Informationsministerin von Bahrain. Sie nimmt sich Zeit für ein langes Interview. Dabei vertritt Sameera Rajab eine harte Position. Pikanterweise ist sie die Cousine eines Mannes, der als Aktivist gegen das herrschende System berühmt geworden ist - und immer noch im Gefängnis sitzt:
"Er ist Nabeel Rajab. Sie kennen Nabeel Rajab; er versucht ein neuer Held zu sein. Er hat gesagt - und er sagt! -, dass er ein Menschenrechtsaktivist ist. Und ich habe ihn und seine Leute gefragt, warum er nicht diese Kinder schützt."
Sameera Rajab holt aus der Handtasche ein Privat-Foto, das wirkt, als wäre es stets griffbereit. Das Bild zeigt eine lachende Kleinfamilie:
"Das ist Nabeel Rajab. Das ist seine Tochter. Jünger als neun Jahre alt. Mit einem Kopftuch. Und eine liberale Frau, ebenfalls mit Kopftuch. Ich kann Menschenrechtsaktivisten nicht glauben, die einer solchen ‚Kultur' anhängen. Oder diesen Gedanken. Diesem Denken."
"Gewaltbereite" hätten das Land unterwandert
Mitgefühl für das kleine Mädchen - aber Härte gegen die Schiiten in ihrem Land, zu denen sie, Sameera, ebenfalls gehört. Die Regierungssprecherin und Informationsministerin von Bahrain behauptet, dass ihre Glaubensbrüder und -schwestern keinesfalls die Mehrheit der Bahrainis stellen:
"Überhaupt nicht. Ü-Ber-Haupt-Nicht Das ist das, was die Opposition behauptet. Und Ihnen sagt. Mir wurde mal im Fernsehen entgegengehalten 'die Schiiten machten 70 Prozent der Bevölkerung aus.' Und ich antwortete: 'Woher haben Sie diese Zahl?' Und der Moderator sagte: 'Na, die Zahl ist bekannt.' Und ich antwortete: 'Es gibt kein offizielles Dokument in Bahrain; wir haben keine Statistiken, die auf Religionsgruppen basieren.' Der letzte Zensus ist nicht auf diese Frage eingegangen. Wir wissen nur, wie groß unsere Bevölkerung ist. So eine Art Volkszählung halten wir nicht ab. Also: Die Zahlen kommen von al-Wifaaq und deren Umfeld. Und dann werden sie immer wiederholt. Das ist Recycling. Obwohl es komplett unrichtig ist."
Von einer Diskriminierung der Schiiten durch das Herrscherhaus oder andere Sunniten könne dabei keine Rede sein: Als Regierungssprecherin und Informationsministerin ist es selbstverständlich Sameera Rajabs Aufgabe, die Politik der Herrscherfamilie zu rechtfertigen. Und deren Fortschritte darzustellen. Entsprechend weist sie darauf hin, dass der König eine Verfassungsänderung angeordnet hat und andere Reformen; dass es aber eben Zeit brauche, bis die alle greifen.
Die Probleme des Landes könnten aber letztlich nur durch eines gelöst werden: Dialog.
"Die, die wir Opposition nennen, sollten den Dialog durchlaufen, um ihre Ziele zu erreichen. Die Gewalttätigen - die Terroristen - werden wir mit dem Gesetz verfolgen. Die anderen müssen durch den Dialog. Und ins Parlament einziehen. Und ihre Forderungen durch das Parlament erfüllen. Das versuchen wir."
Diese "Gewaltbereiten", die "Terroristen" seien in Bahrain unterwandert - so Sameera Rajab - von Iran:
"Ist es nur in Bahrain so? Wer steckt in Wirklichkeit hinter der Hisbollah in Libanon? (Iran!) Was macht Iran in Syrien? Was macht Iran im Irak? Teheran verfolgt seine Interessen in diesen Konflikten. Iran hat eine Agenda; die Iraner wollen Probleme schaffen; sie haben ihre Agenda."
Sameera Rajab wiederholt das, was seit 2011 gebetsmühlenartig verbreitet wird, obwohl der Bericht des unabhängigen Rechtsexperten Bassiouni ausdrücklich feststellt, dass für diese Behauptung die Beweise fehlen. Die iranische Agenda jedenfalls, das ist die weitverbreitete Erklärung unter den Golf-Arabern, sehe vor, dass Iran schiitische Hegemonialmacht wird und die sunnitischen Muslime dominiert. Aus Bahrain gar, so Regierungsvertreter in Manama, wollten die Iraner einen zweiten Gottesstaat machen. Bei einer derart rigorosen Haltung wirkt es wenig erstaunlich, dass Oppositionelle in Bahrain sagen, Kritiker würden recht schnell in die Ecke von "Unterstützern der Gewaltbereiten" gerückt, also als schiitische Terroristen abgetan.
Eine Strategie, die auch andere nahöstliche Diktaturen anwenden. Die Folge sind verhärtete Fronten: Beide Seiten sagen, sie seien an einem "zielorientierten" Dialog interessiert und werfen dem jeweiligen Gegner vor, darauf nicht eingehen zu wollen. Womit sie nichts erreichen - nur Stillstand. Justin Gengler, ein US-amerikanischer Politologe, hat kurz vor Beginn des Aufstandes in Bahrain Feldstudien betrieben. Unter anderem zu den Bevölkerungszahlen - von Schiiten und Sunniten.
Import sunnitischer Sicherheitskräften
Heute lehrt er an der Universität von Qatar. Gengler kommt zu dem Schluss, dass beide Seiten übertreiben: In Wirklichkeit seien es weniger Schiiten als die selber behaupten, aber immer noch so viele, dass die Sunniten tatsächlich in der Minderheit sind... aber knapp. Deshalb - so Gengler - arbeite das Herrscherhaus der Khalifa daran, dass die Sunniten mehr werden: Sie holen sich sunnitische Muslime ins Land und lassen die - statt der Schiiten - in den Sicherheitskräften und anderen Bereichen der Gesellschaft arbeiten.
"Wenn - sagen wir in fünf Jahren - der Staat es wirklich schafft, genügend Sunniten nach Bahrain zu holen und sie auch mit einer bahrainischen Staatsbürgerschaft auszustatten, dann kann der Staat hingehen und wirklich Reformen einleiten. Mit freien Wahlen und einem richtigen Parlament, weil das Herrscherhaus dann weiß, dass die Schiiten gar nicht mehr die Mehrheit erlangen können... Was die Oppositionspartei entmachtet. Heute ist es so, dass die internationale Gemeinschaft Sympathien für die Mehrheit hat, die politisch aber ohnmächtig ist. Dann aber wird die internationale Gemeinschaft sagen: 'Guckt, Ihr habt verloren. Die Wahlen waren frei und fair.' Die Schiiten haben davor wirklich Angst. Und in fünf bis zehn Jahren ist das eine echte Möglichkeit!"
Immerhin: In einem weiteren Film des Innenministeriums demonstriert die Polizei, dass sie ihre Kräfte - die importierten wie die eigenen sunnitischen - nach internationalen Standards schult. Es geht darum, dass die Polizisten nicht foltern dürfen sondern bürgernah sein sollen.
Das Feindbild Iran, das insbesondere im Westen immer noch für vieles gut ist, wird in Bahrain genutzt, um die nach wie vor wohl berechtigten Forderungen der Demokratie-Bewegung zu diffamieren: Der Aufstand in Bahrain sei das Streben nach einer islamischen Republik. Während dessen arbeitet das Königshaus möglicherweise an einer biologischen Lösung; daran, dass das Land mehrheitlich sunnitisch wird. Und zwar unter anderem durch den Import von neuen Sicherheitskräften, die aber angeblich alle nach westlichen Standards geschult werden - das könnte man tatsächlich das Umschreiben der Geschichte nennen.