Bakterien schlagen Napoleon in die Flucht
Nicht die Macht der Waffen, sondern das Fleckfieber entschied über den Ausgang des napoleonischen Russlandfeldzugs. Die Infektionskrankheit hatte zahllose Soldaten dahingerafft, Napoleon musste sich geschlagen geben. Mit seinem Buch "Grippe, Pest und Cholera" hat Manfred Vasold einen Überblick über die Seuchen in Europa und deren Rolle in der Geschichte vorgelegt.
Im Juni 1812 marschierten mehrere Hunderttausend Soldaten unter Napoleon nach Russland. Ein Jahr später lebte weniger als ein Fünftel der Truppe: Das Fleckfieber hatte die Männer dahin gerafft. Die schwere Infektionskrankheit tötete mehr Soldaten als der Gegner. Eine Seuche und nicht militärische Taktiken und Waffen entschied über den Ausgang dieses Krieges, in dessen Folge Napoleon zurücktrat. Keine Seltenheit, denn bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts haben Seuchen mehr Tote gefordert als alle Kriege zusammen. In den Geschichtsbüchern werden sie aber kaum erwähnt, kritisiert Manfred Vasold, der in seinem neuen Buch "Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen" zeigt, dass Medizingeschichte nicht nur spannend, sondern eben auch historisch relevant ist.
Kapitel für Kapitel – insgesamt sind es zehn – stellt er eine Seuche nach der anderen ausführlich vor. Er erklärt zunächst, wie welcher Erreger, die Infektion überträgt, wie er aussieht, von wem er später entdeckt wurde, und wer die erste wirksame Therapie fand. Dann folgt eine genaue Beschreibung der Krankheitssymptome und des Ausmaßes der Epidemie.
Beim Fleckfieber, das den napoleonischen Truppen so zusetzte, übertrug beispielsweise die Kleiderlaus den Erreger. Die Kranken hatten ein aufgedunsenes rotes Gesicht, hohes Fieber und fast immer bohrende Kopfschmerzen. Entdeckt hat den Übertragungsweg der französische Bakteriologe Charles Nicolle. Er wurde dafür 1928 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Heute ist das Fleckfieber gut behandelbar mit Antibiotikum. Nach zwei Wochen gilt der Infizierte als genesen.
Der Biologe und Historiker Manfred Vasold ist ein akribischer Rechercheur, wie seine bereits veröffentlichten medizinhistorischen Bücher beweisen. Seine Beschreibungen sind äußerst detailliert und mit einer Fülle an Zahlenmaterial versehen. Das macht das Lesen zuweilen etwas mühselig. Trotzdem ist der Text anschaulich, denn der Autor verwendet viele Zitate aus privaten Tagebüchern, aus Zeitungsberichte und aus Stadtchroniken. So zitiert er zum Beispiel aus den Sektionsprotokollen des Städtischen Krankenhauses in Nürnberg von 1918, wo abgemagert bis auf die Knochen zahlreiche Leichen einer bis dahin nie gekannten Grippeepidemie im Sektionssaal lagen. Die meisten waren zwischen 20 und 30 Jahren alt geworden. Ungewöhnlich viele junge Menschen starben zwischen 1918 und 1919 an der schwersten Grippewelle, die weltweit grassierte und heute als die Spanische Grippe bezeichnet wird. Sie forderte weltweit über 25 Millionen Menschenleben.
Dass den großen Seuchen so viele Tote zum Opfer fielen, lag aber auch an den allgemein geltenden schlechten hygienischen Verhältnissen, wie Manfred Vasold in einem eigenen Kapitel beschreibt. Bis Anfang des 20.Jahrhunderts war Trinkwasser in vielen europäischen Städten ein Herd für Infektionen. Beengte Wohnverhältnisse und schlechte Ernährung taten ihr übriges. Vielerorts starb die Hälfte aller Kleinkinder an Magendarminfekten. Vasold wirft auch hier einen eindrücklichen Blick auf den Alltag der Menschen und macht damit deutlich, wie präsent Krankheit und Sterben bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts im Alltag der meisten Menschen weltweit waren.
Herausgekommen ist so ein spannender historischer Bericht, der mit einem kurzen Ausblick auf die heutige Zeit endet. Denn trotz guter Hygiene, Antibiotika und Schutzimpfungen - die drei wichtigsten Faktoren in der Eindämmung von Seuchen - sind Infektionskrankheiten längst nicht verschwunden. Malaria, Tuberkulose und Aids kosten bis heute jährlich weltweit sechs Millionen Menschen das Leben - die meisten davon in Entwicklungsländern.
Rezensiert von Susanne Nessler
Manfred Vasold: Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen in Europa
Franz Steiner Verlag 2008
310 Seiten, 24,90 Euro
Kapitel für Kapitel – insgesamt sind es zehn – stellt er eine Seuche nach der anderen ausführlich vor. Er erklärt zunächst, wie welcher Erreger, die Infektion überträgt, wie er aussieht, von wem er später entdeckt wurde, und wer die erste wirksame Therapie fand. Dann folgt eine genaue Beschreibung der Krankheitssymptome und des Ausmaßes der Epidemie.
Beim Fleckfieber, das den napoleonischen Truppen so zusetzte, übertrug beispielsweise die Kleiderlaus den Erreger. Die Kranken hatten ein aufgedunsenes rotes Gesicht, hohes Fieber und fast immer bohrende Kopfschmerzen. Entdeckt hat den Übertragungsweg der französische Bakteriologe Charles Nicolle. Er wurde dafür 1928 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Heute ist das Fleckfieber gut behandelbar mit Antibiotikum. Nach zwei Wochen gilt der Infizierte als genesen.
Der Biologe und Historiker Manfred Vasold ist ein akribischer Rechercheur, wie seine bereits veröffentlichten medizinhistorischen Bücher beweisen. Seine Beschreibungen sind äußerst detailliert und mit einer Fülle an Zahlenmaterial versehen. Das macht das Lesen zuweilen etwas mühselig. Trotzdem ist der Text anschaulich, denn der Autor verwendet viele Zitate aus privaten Tagebüchern, aus Zeitungsberichte und aus Stadtchroniken. So zitiert er zum Beispiel aus den Sektionsprotokollen des Städtischen Krankenhauses in Nürnberg von 1918, wo abgemagert bis auf die Knochen zahlreiche Leichen einer bis dahin nie gekannten Grippeepidemie im Sektionssaal lagen. Die meisten waren zwischen 20 und 30 Jahren alt geworden. Ungewöhnlich viele junge Menschen starben zwischen 1918 und 1919 an der schwersten Grippewelle, die weltweit grassierte und heute als die Spanische Grippe bezeichnet wird. Sie forderte weltweit über 25 Millionen Menschenleben.
Dass den großen Seuchen so viele Tote zum Opfer fielen, lag aber auch an den allgemein geltenden schlechten hygienischen Verhältnissen, wie Manfred Vasold in einem eigenen Kapitel beschreibt. Bis Anfang des 20.Jahrhunderts war Trinkwasser in vielen europäischen Städten ein Herd für Infektionen. Beengte Wohnverhältnisse und schlechte Ernährung taten ihr übriges. Vielerorts starb die Hälfte aller Kleinkinder an Magendarminfekten. Vasold wirft auch hier einen eindrücklichen Blick auf den Alltag der Menschen und macht damit deutlich, wie präsent Krankheit und Sterben bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts im Alltag der meisten Menschen weltweit waren.
Herausgekommen ist so ein spannender historischer Bericht, der mit einem kurzen Ausblick auf die heutige Zeit endet. Denn trotz guter Hygiene, Antibiotika und Schutzimpfungen - die drei wichtigsten Faktoren in der Eindämmung von Seuchen - sind Infektionskrankheiten längst nicht verschwunden. Malaria, Tuberkulose und Aids kosten bis heute jährlich weltweit sechs Millionen Menschen das Leben - die meisten davon in Entwicklungsländern.
Rezensiert von Susanne Nessler
Manfred Vasold: Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen in Europa
Franz Steiner Verlag 2008
310 Seiten, 24,90 Euro