Behörden unterstützen Streetart
In Ägypten riskieren Streetart-Künstler inzwischen Gefängnis-Strafen - umso erstaunlicher, dass Straßenkünstler in Jordanien gefeiert werden. Die jordanischen Behörden veranstalten ein Streetart-Festival mit 17 Künstlern, die sogar aus Saudi-Arabien oder den Emiraten anreisen. Das kleine Königreich geht damit einen Sonderweg in der arabischen Welt.
"Wer eine Wand gefunden hat, soll bitte anfangen. Wir haben nicht so viel Zeit."
Unter einer Brücke in Jordaniens Hauptstadt Amman steht eine Gruppe junger Männer und Frauen mit Sprühdosen, Farbeimern und Pinseln in der Hand. Sie sind nicht etwa deshalb in Eile, weil sie befürchten müssen, gleich von der Polizei erwischt zu werden. Sondern, weil sie in den kommenden sechs Tagen etliche Brückenpfeiler, Häuserfronten und Schulmauern neu gestalten wollen. Aus Anlass des jährlichen Streetart-Festivals "Baladk", zu Deutsch "Dein Land", ins Leben gerufen von Raed Asfour.
Raed: "Wir haben vor fünf Jahren mit diesem Festival begonnen. Ich besitze ein Theater in Amman und in dem Stadtviertel, in dem es sich befindet, gab es damals leider viele geschlossene Geschäfte. Und da haben wir Künstler eingeladen, Musiker, Maler, Tänzer."
Um die Gegend zu beleben. Was bis heute geblieben ist, sind bemalte Gassen und eine Erkenntnis:
"Wir hatten das Gefühl, Graffitis sind wichtig, um die Freiheit zu erfahren."
Raed Asfour steigt kurzerhand in sein Auto, um bei einer kleinen Stadtrundfahrt zu zeigen, was gemeint ist.
An einer der steilen Straßen im grauen Häusermeer Ammans taucht plötzlich ein gigantischer rosa-farbener Flamingo auf. Sechs Stockwerke hoch stolziert er elegant durch petrolfarbenes Schilf. Das neueste Werk des jordanischen Sprayers Suhaib Attar, der damit auch auf die Wasserkrise in Jordanien anspielt. An einem Parkplatz in Downtown sieht man unterdessen ein Graffiti, das eine verschleierten Frau im schwarzen Gewand zeigt. Für ein Selfie wirft sie sich mit Kussmund in Pose. In der Linken hält sie ihr Handy, in der Rechten eine Kalaschnikow.
Raed: "Das hat uns eine Menge Ärger eingebracht."
Der Umgang mit anderen ist das Motto des Festivals
Meint Raed Asfour trocken. Das provokante Bild stammt von Ben Naz, einer phillipinisch-französischen Guerilla-Sprayerin, wie sie sich nennt. Sie kam vor drei Jahren zu der Aktion "Women on Walls" nach Amman und schockte. Aber trotz öffentlicher Debatte – das Kunstwerk ist immer noch da, so Raed Asfour zufrieden beim Blick aus seinem Autofenster. In Jordanien gehe man mit Streetart liberaler um als in den meisten anderen Ländern des Nahen Osten.
"In den palästinensischen Gebieten ist das Teil des Widerstandes, dass die Leute jeden Tag ihre Parolen gegen die israelische Besetzung an die Wände sprühen. Aber die Israelis überpinseln das wiederum täglich. Und auch in Ägypten lässt das Regime sämtliche Graffitis entfernen, die eine sensible Botschaft haben. Wir haben bis heute keine Probleme. Wir haben eine gute Beziehung zur Stadtverwaltung von Amman. Dort ist man davon überzeugt, dass Graffitis wichtig für eine Stadt sind. Aber sie fragen die Künstler nie vorab nach den Motiven. Man glaubt fest daran, dass wir verantwortlich handeln. Und wir möchten im Gegenzug gerne unsere Stadt gestalten."
Das heißt: In der Regel werden Tabus respektiert. Weder das jordanische Königshaus, noch der Glaube der mehrheitlich muslimischen Jordanier werden angegriffen. Laila Ajawi thematisiert in ihren Graffitis aber das Thema Frauenrechte in der islamischen Welt. Selbst in sittsamem langen Gewand gekleidet und ein Kopftuch tragend hat die junge Jordanierin eine Powerfrau im ärmellosem T-Shirt und mit kurzen Haaren auf die Wand gesprüht. Aus dem Kopf sprudeln – wie Symbole zeigen – tausend Ideen, erklärt Laila:
"Ich habe zwei Botschaften. Die eine ist für die Kerle. Sie lautet: Schaut nicht nur auf meinen Körper, schaut auch auf meinen Geist. Und den Frauen möchte ich sagen: Es ist nichts Schlechtes daran, gut auszusehen. Aber gleichzeitig müsst ihr auch im Kopf gut aussehen."
"Ich und Du", der Umgang mit anderen ist das Motto des diesjährigen Streetart-Festivals in Amman. Für das Sieben-Millionen-Einwohner-Land Jordanien, das über zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, ein großes Thema, so Raed Asfour:
"Die anderen, das sind alle: die Flüchtlinge, aber auch die Frauen, die Christen, die Muslime... Nur durch Diversität entsteht eine gute Gesellschaft. Aber bis heute haben wir eine Menge Probleme mit "den anderen", und das ist vielleicht ein spezielles Problem in der arabischen Gemeinschaft."
In der jordanischen Hauptstadt Amman können Streetart-Künstler dazu aber wenigstens ihr eigenes, buntes Statement auf die Wände bringen.