Gutes tun in Bosnien-Herzegowina
Fast sein gesamtes Leben verbrachte Jakob Finci in Sarajevo. In den 80er-Jahren organisierte er im ehemaligen Jugoslawien die Winterspiele mit, während des bosnischen Bürgerkriegs vertrat er sein Land als Botschafter in der Schweiz. Und ob Serbe, Kroate oder Muslim - immer galt sein Einsatz einem gleichberechtigten Leben aller Menschen.
Im habsburgischen Zentrum von Sarajevo, nicht weit vom Ufer der Miljacka, wo vor bald einem Jahrhundert ein junger Serbe den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie erschoss, steht das Haus der jüdischen Gemeinschaft von Bosnien-Herzegowina. Es gibt heute rund 600 Mitglieder. Jakob Finci, der Vorsitzende, ein untersetzter Herr mit schütterem Haar und rotem Ziertuch, hat Sinn für grotesken Humor und staatsmännische Gesten. An den Wänden seines Kabinetts hängen die Porträts von Rabbinern unterschiedlicher Zeitalter, zwischen ihnen aber auch ein ostmanischer Effendi. So spiegelt sich hier bosnisch-jüdische Geschichte, deren Anfänge in die frühe Neuzeit reichen, als die aus Spanien vertriebenen Sepharden Aufnahme im osmanischen Sarajevo fanden:
Jakob Finci: "Ich bin das erste Mitglied der Familie Finci, das in den vergangenen 350 Jahren außerhalb von Sarajevo geboren wurde. Ich kam nämlich auf der Insel Rab zur Welt, in einem italienischen Lager, in dem meine Eltern gefangen gehalten wurden. So bin ich ein Lagerkind, aber ich fühle mich nicht so, denn ich war ganz klein."
1943 kam Finci auf der kroatischen Insel Rab zur Welt, ein lebensrettender Umstand, da die dort herrschenden italienischen Besatzer die Deportation von Juden in Vernichtungslager in den meisten Fällen verhinderten. Fragen nach dem Holocaust weist Jakob Finci, der im Oktober gerade 70 Jahre alt geworden ist, indes vorsichtig zurück. Seine erlebte Geschichte beginnt mit der Rückkehr der Familie nach Sarajevo – in Titos Jugoslawien. Viele überlebende Juden wanderten in den 40- und 50er-Jahren nach Israel aus.
"Das hing aber nicht so sehr mit einer zionistischen Überzeugung zusammen, sondern mit der Krise, in die Jugoslawien damals durch den Bruch mit Stalins Sowjetunion geriet. Man rechnete jeden Augenblick mit einem Angriff des Ostblocks auf Jugoslawien. Da haben viele gedacht, ich habe schon einen Krieg überlebt, noch einer, das wird zu viel. Deshalb sind sie nach Israel ausgewandert."
Religiöse Fragen beschäftigten ihn weniger
Jakob Finci blieb wie seine Vorfahren in Sarajevo. Er wurde Jurist, trat in die kommunistische Partei ein und begeisterte sich für das Bobfahren. Finci betätigte sich als Wettkampfrichter und gehörte zu den Organisatoren der olympischen Winterspiele in Sarajevo 1984. Religiöse Fragen beschäftigten ihn weniger – und damit stand Finci nicht allein:
"Religiöse Gefühle waren hier nicht sehr ausgeprägt. Stattdessen gab es ein Gefühl der nationalen Zugehörigkeit. Da man im Judentum Nationalität von Religion nicht trennen kann, feierten wir unsere religiösen Feiertage als nationale Feiertage. Das Pessachfest etwa ist ja ein Fest der Freiheit. Da erzählt man sich von dem Tag, als wir aus der ägyptischen Sklaverei befreit wurden. Und Befreiung von der Sklaverei, das musste auch im Sozialismus gefeiert werden. Und so haben wir es hier gefeiert, nicht als religiösen, sondern als nationalen Feiertag."
Der Welt bekannt wurde Finci im bosnischen Bürgerkrieg, als er sein Land nicht nur als Botschafter in der Schweiz vertrat, sondern mit großem Einsatz internationale humanitäre Hilfe für das belagerte Sarajevo organisierte – das allen notleidenden Bürgern unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit zugute kam. Damals und danach galt sein ganzer Einsatz der bosnisch-herzegowinischen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit – und dabei dem Aufbau eines funktionierenden Staats. Abseits der hohen Politik, betrieben durch die Nationalparteien der bosnischen Serben, Kroaten oder Muslime, startete Finci in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder Initiativen zum gleichberechtigten Leben aller knapp vier Millionen Bürger Bosnien-Herzegowinas ohne Rücksicht auf ihre ethnische Zugehörigkeit.
Erfolg vor dem Menschenrechtsgerichtshof
Fincis vielleicht größter Erfolg: Gemeinsam mit Dervo Sejdić, dem Vertreter der bosnischen Roma, gewann er 2009 einen Prozess vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gegen die ethnisch begründete Dreiteilung der politischen Macht in der Verfassung seines Landes. Dieser Verfassung zufolge, die 1995 in Dayton beschlossen wurde, kann nur ein Kroate, Serbe oder muslimischer Bosniake Staatspräsident werden, Vertreter anderer Gemeinschaften hingegen nicht. Finci erinnert sich:
"Gleich nach dem Daytoner Abkommen zeichnete der Jüdische Weltkongress Richard Holbrooke, den Schöpfer dieses Abkommens, für seine Beendigung des Kriegs auf dem Balkan aus. Während des Mittagessens, ich kannte Herrn Holbrooke auch von früher – fragte ich ihn: Sag mal, Dick, du tust so, als wärst du mein Freund, aber laut deiner Dayton-Verfassung kann ich nicht für das Amt des Präsidenten von Bosnien kandidieren. Ich suche natürlich eine andere, anständige Arbeit. Aber das Recht zu kandidieren, sollte ich doch haben. Holbrooke antwortete: Mein Lieber, glaub mir, das war nicht gegen dich gerichtet. Aber die ethnische Dreiteilung der Macht in Bosnien, das war das erste, worauf sich in Dayton alle Beteiligten einigen konnten."
Und das, was in Bosnien-Herzegowina bis heute ein normales Zusammenleben behindert, wenn nicht verhindert, wie viele Dayton-Kritiker in Bosnien meinen. Obwohl das Sejdić-Finci Urteil bereits 2009 gefällt wurde, hat man es in Bosnien bislang noch nicht umgesetzt. Immer noch ringen bosnische Politiker gemeinsam mit EU-Vertretern um eine Lösung. Jakob Finci ist sich sicher, dass die diskriminierenden Passagen aus der Dayton-Verfassung gestrichen werden müssen. Jakob Finci gleicht in seinen Bemühungen einem Staatsmann ohne Staatsmacht – mit unermüdlichem Einsatz und außerordentlichem Geschick
"Obwohl ich ja gegen Bosnien-Herzegowina geklagt habe und der Fall ´Sejdić/Finci gegen Bosnien-Herzegowina` heißt, bin ich mir sicher, dass wir mit der Klage etwas Gutes für Bosnien-Herzegowina getan haben. Denn es kann mit unserem Land nur vorangehen, wenn alle Bürger gleichberechtigt sind."