Balkanländer als EU-Kandidaten

Das Pulverfass im Südosten

Das Denkmal für die Opfer der Balkankriege zwischen 1990 und 1999 in Belgrad.
Die Blumen am Denkmal für die Opfer der Balkan-Kriege in Belgrad sind verdorrt - der Nationalismus in der Region jedoch noch lange nicht. © Deutschlandradio/Sabine Adler
Sabine Adler im Gespräch mit Anke Schaefer |
Die Balkanländer möchten Mitglied der EU werden. Die EU-Staaten wiederum sehen im Balkan ein Bollwerk gegen den Einfluss Russlands und der Türkei. Osteuropa-Expertin Sabine Adler warnt: Die EU werde sich große Probleme mit der wirtschaftlich wie politisch instabilen Region einhandeln.
Vier Balkanstaaten haben die Verhandlungen für einen möglichen EU-Beitritt aufgenommen: Mazedonien, Montenegro, Serbien und Albanien. Zwei weitere – Bosnien und Herzegowina und Kosovo – wären ebenfalls gerne dabei. Als frühestmöglicher Termin für einen Beitritt wird 2025 genannt.
Sabine Adler, Reporterin und Osteuropa-Expertin beim Deutschlandfunk Kultur, glaubt jedoch nicht, dass auch nur eines dieser Länder bis 2025 so weit sein wird. Wirtschaftlich und auch politisch sei in den Ländern des Westbalkan noch viel zu tun. Sie seien instabil, schnell könnten dort wieder ethnische Konflikte ausbrechen.

Serbiens Präsident steht nicht für Demokratie

Die Einschätzungen der politischen Opposition in den beitrittswilligen Ländern fielen ebenfalls ernüchternd aus, so Adler. Beispiel Serbien: Dort stehe mit Aleksandar Vucic zwar jemand an der Spitze, der ein enges Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel pflege. Doch Kritiker sagten: "Mit diesem Präsidenten kommen wir vielleicht in die EU, aber nicht als demokratisches Land, denn er steht nicht für Demokratie."
Der Präsident der europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic bei einer Pressekonferenz in Belgrad.
Serbien will in die EU: Der Präsident der europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic in Belgrad.© imago stock&people
Warum sich die EU also diesem Risiko aussetzt, liegt für Sabine Adler auf der Hand:
"Ein Grund für dieses jetzige Angebot an die Balkan-Staaten, in die EU zu kommen, war unter anderem, so hat es Bulgarien erklärt, der wachsende Einfluss von Russland – nicht nur Russland, aber hauptsächlich –, von China und der Türkei. Und da gibt es eine Sorge in der EU, dass der Balkan, der ja umgeben ist von EU-Mitgliedsländern, abdriften könnte." Und das könne man in den Balkanländern nicht nachvollziehen. Diese hätten sich seit jeher – noch als das ehemalige Jugoslawien – als neutral verstanden, ohne Zugehörigkeit zu irgendwelchen Bündnissen.
Trinkbecher mit Putin: Der russische Präsident wird in Serbien von vielen verehrt.
Trinkbecher mit Putin: Auch wenn die Balkanländer ihre Neutralität betonen - der russische Präsident wird in Serbien von vielen verehrt. Vielleicht zu sehr aus Sicht der EU-Länder.© Deutschlandradio/Sabine Adler

Eher Probleme als Vorteile

Insgesamt werde die EU sich mit den Balkanländern eher Probleme als Vorteile einhandeln. Das schon erwähnte Demokratiedefizit werde verstärkt "durch Korruption, durch Geldwäsche, Waffenhandel – also durch schwerwiegende Probleme".
Die Adlers Eindruck nach größte Bedrohung sei jedoch der niemals erloschene Nationalismus von Bosniaken, Serben oder Kosovaren, der wieder in einen Krieg münden könne. Die Menschen, mit denen sie vor Ort gesprochen habe, hätten gewarnt: "Die Politiker haben keine Programme – sie mobilisieren über die Nationalitätenfrage. Und die Menschen lassen sich leider auch immer wieder so mobilisieren. Das heißt also: Es geht nicht um Renten, es geht nicht um Wirtschaftspolitik, sondern es geht immer um Bosniaken, Kroaten, Serben miteinander, gegeneinander und um die große Kosovofrage, die völlig ungelöst ist."
(mkn)

Sabine Adler ist Reporterin beim Deutschlandfunk Kultur mit Schwerpunkt Osteuropa-Berichterstattung.

Die komplette Sendung mit Sabine Adler hören Sie hier:
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