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"Denn der Gesang ist der Sprache wegen da"
Gut 150 Jahre nach seinem Tod schlägt das Pendel der Wertschätzung Carl Loewes noch immer weit aus. Unangefochten ist sein Ruf als Meister der Ballade, kritisch beurteilt wird sein Schaffen auf den Gebieten der Oper, des Oratoriums oder der instrumentalen Musik. Ob ihm damit historische Gerechtigkeit widerfährt?
Die Frage nach dem Urteil der Nachwelt schwingt mit, wenn es auch bei den "Interpretationen" zunächst "nur" um Carl Loewes Balladen zuzüglich einiger Lieder geht. In ihnen bündeln und entfalten sich all die Stärken, die etwa in Loewes Bühnenwerken, aber auch in seiner Klavier- und Kammermusik, eher im Ansatz verblieben sind: sein dramatisches Gespür, sein Sinn für tonmalerisches Gestalten, für affekthaft-drastische Darstellung ebenso wie für epische und lyrische Reflexion.
Je nachdem, welche Ballade man auswählt, wird man die eine oder andere Seite von Loewes Talent besonders ausgebildet finden. Schon sein Erstlingswerk – "Edward", die grausige Geschichte eines Vatermordes – besitzt eine Schärfe und Direktheit im Ausdruck, die betroffen macht. Nicht weniger eindringlich sind Loewes Balladen unheimlichen Inhalts, die aus der Welt der Märchen und Sagen, der Elfen, Zwerge und anderer Geisterwesen stammen – darunter die Vertonung von Goethes "Erlkönig", die den Vergleich mit Schuberts berühmtem Opus 1 nicht zu scheuen braucht.
Je später, desto harmloser
In seiner Spätzeit gerieten Carl Loewe die Werke mit schaurigem Sujet allerding deutlich harmloser als in seinen genialen Jugendwerken. Die unheimliche Dämonie, die noch der Elfenballade "Herr Oluf" (nach Herder) innewohnt, verliert sich in "Tom der Reimer" (nach Fontane) zu lieblichem Traum. Und in die gesanglich anspruchsvolle Ballade "Der Nöck" (nach August Kopisch) mischt sich gar ein sentimentaler, larmoyanter Ton.
Neue Facetten hatte Loewes Balladen-Schaffen indessen schon vorher gewonnen: in der Abmilderung des Schaurigen und Phantastischen zum Humoristischen, in der Wendung des Numinosen zum Grotesken und Makabren. Für diese Übergänge fand der Komponist eine besonders pointierte Musik-"Sprache". Dabei griff er bevorzugt auf Texte Goethes zurück. Bei deren Vertonung brauchte er nur dem Duktus der Verse zu folgen, um eine beinahe szenische Bildhaftigkeit zu erreichen. "Der Zauberlehrling", das "Hochzeitslied" oder "Der Todtentanz" sind Paradebeispiele dafür.
Die Kunst des Vortrags
Bei allen drei Satiren auf romantischen Gespensterkult zeigt sich Loewe auf der Höhe seiner Meisterschaft. Vor allem verwirklicht sich in diesen Werken seine Grundvorstellung von der Ballade als "Vortragskunst". Die Vertiefung in das "Wesen der Sprache" galt ihm als "letzte Grundlage der Musik": "…jeder spricht, aber wenige wollen so singen – und doch soll man so singen, wie man spricht, denn der Gesang ist der Sprache willen da." So der bündige Leitgedanke, den der Komponist und sich selbst begleitende Sänger strikt verfolgte. Er bringt auf den Punkt, welchen Anspruch die Balladen und Lieder Carl Loewes an heutige Interpreten stellen – ein Anspruch, dessen Einlösung der Stimmexperte Jürgen Kesting als Studiogast dieser Sendung nachgeht.