Balsam für Körper und Seele
Ob als Duftöl, Badezusatz oder Hautcreme - mit dem Begriff "ätherische Öle" verbinden viele zuerst wohltuende Entspannung. Doch die ätherischen Öle sind keine Erfindung der modernen Wellness-Industrie. Heil-, Salb-, und Pflegeöle gibt es schon seit Jahrtausenden und in nahezu allen Kulturen der menschlichen Epoche.
"Ich massiere gerade den Unterarm und streiche vom Ellenbogen zum Handgelenk und gehe aus der Hand raus. Jetzt hebe ich den Arm nach oben und streiche die Handinnenfläche."
Während die ayurvedische Masseurin Miriam Lasch das warme Sesamöl auf dem Unterarm verteilt und mit sanften Streichbewegungen einmassiert, bekommt die junge Frau zum Körper des Klienten vor ihr - wie sie es ausdrückt - eine Verbindung nichtstofflicher Art.
"Man kann spüren, wenn Verspannungen vorliegen. Man kann spüren, was viel benutzt wird, man kann Blockaden auch spüren. Ayurveda kommt aus Indien und ist übersetzt: Ayu ist das Wissen und Vada das Leben, und das heißt eigentlich das Wissen vom Leben. Das ist eine 5000 Jahre alte Lehre. Also, warmes Öl wird über den Körper gegossen, danach wird es eingestrichen und dann werden muskuläre Partien behandelt. Aber sicherlich nicht, wie man es in einer physiotherapeutischen Praxis kennt, denn das Öl geht in die tieferen und die untersten Hautschichten und weicht diese sozusagen auf. Deswegen ist die Behandlung auch länger, damit das Öl tief weichen kann."
Hennadolden, Nardenblüten,
Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt,
alle Weihrauchbäume,
Myrrhe und Aloe,
allerbester Balsam.
Die Quelle des Gartens bist du.
Unter den Heiligen Schriften dieser Welt ist wohl keine so sehr mit Duft durchtränkt wie das Hohelied Salomos. Jeder zweite Vers beschreibt Duftöle in ihrer sinnlichsten Fülle.
Wasser vom Libanon.
Nordwind, erwache! Südwind, herbei!
Durchweht meinen Garten,
lasst strömen die Balsamdüfte!
"Sesamöl. Es gibt Sonnenblumenöl, es gibt Olivenöl, Kokosnussöl, es gibt Mandelöl. Ja also, das sind so die Grundöle, die man verwendet. Das Sesamöl ist erhitzendes Öl und das Sonnenblumenöl eher kühlendes Öl."
Die Öle, die Miriam Lasch für die ayurvedische Ölmassage verwendet, sind schon seit Jahrtausenden in Gebrauch. Kaum ein Stoff oder ein Material ist so beständig in allen Zeiten und in nahezu allen Kulturen so präsent wie Öle.
"Öl spielt eine sehr große Rolle im Judentum und Christentum. Es spielt auch eine sehr große Rolle in den alten Religionen des Orients. Also, in der babylonischen Religion, in der hebräischen Religion, ägyptischen Religion, dann auch in den alten europäischen Religionen, also, bei den Griechen, den Römern, den Germanen."
Andreas Feldtkeller ist Professor für Religionswissenschaften an der Berliner Humboldt Universität.
"Während es bei den Religionen, die über diesen geografischen Kreis hinausgehen dann sehr viel spärlicher wird; oft auch andere Substanzen verwendet werden oder Öl eben nur sehr begrenzt verwendet wird. Auch beim Islam fällt mir nicht ein, dass Öl eine solche Rolle spielen würde, wie das beim Judentum oder Christentum der Fall ist."
Doch warum ist Öl zu einem derart wichtigen Material geworden? Was macht seinen Wert aus?
"Öl war im alten Orient eine sehr wertvolle Substanz wegen des aufwändigen Verfahrens der Ölherstellung. Also, zunächst der Ölbaum war deswegen wertvoll, weil er eine sehr lange Zeit braucht, bis der neu gepflanzte Baum die Früchte tragen kann. Wer einen Ölbaum pflanzt, der arbeitet für die Enkel, weil weder diese Person selbst noch der Sohn die Früchte ernten wird, sondern es eben solange dauert bis der Baum trägt, dass das wirklich ein generationenübergreifendes Projekt ist, so dass Öl im vorderen Orient ein besonderer Ausdruck von Wertschätzung ist und unter anderem im Ritus zur Einsetzung von Königen eine wesentliche Rolle spielt; nicht nur im alten Israel, sondern auch in den umgebenden Kulturen. Und aus diesem Ritus, dass ein König, der neu eingesetzt wird, zum Zeichen seiner Einsetzung ihm Öl auf sein Haupt gegossen wird, hat sich dann auch das Bild des Gesalbten im biblischen Sinne entwickelt."
Der gesalbte Würdenträger zum einen, der Todgeweihte zum anderen: Wer geölt, wer gesalbt wurde, der war in besonderer Form über die anderen erhoben.
Als Jesus in Bethanien im Haus Simons des Aussätzigen bei Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem, wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan? Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt.
Lange Zeit war die "letzte Ölung" in der katholischen Zeremonie jener Ritus, der mit dem Übergang vom Leben zum Tod einherging.
"Nicht nur im katholischen Bereich, wo ja das Sakrament der letzten Ölung, das dann umbenannt worden ist zur Krankensalbung, schon seit sehr langer Zeit eine sehr wichtige Rolle spielt; es ist auch ein sehr wichtiger Ritus mit einer durchaus beträchtlichen Geschichte in der anglikanischen Kirche, wo wir auch in dieser Situation, besonders der Krankheit, ein Ritual haben, wo Öl verwendet wird, um dem Kranken den Wunsch der Genesung oder auch die Geborgenheit im Prozess seines Sterbens zuzutragen."
"Es gibt so komplette Sets für die Priester und Sie sehen hier einmal ein Kreuz drin, manchmal lege ich dem Patienten das auf die Brust oder ich frage ihn, ob er das selber in die Hand nehmen will oder ein Angehöriger es halten will. Das ist so ein Stück auch sich festhalten an dem Kreuz."
Bruder Rudolf ist Franziskaner und Krankenhausseelsorger in der Charité. Bevor er hier seinen Dienst begann, war er zehn Jahre lang auf einer Aids-Station Seelsorger. Das Set, das Bruder Rudolf nun öffnet, ist dem eines Maniküre-Sets für die tägliche Pflege nicht unähnlich, doch der Set-Inhalt des Franziskaners hat mit einer Alltäglichkeit nichts zu tun.
"Dann sehen Sie hier eine Kommuniondose, da kann ich also das Abendmahl oder die Kommunion bei uns, hineintun, und dann bei der Salbung selbst, da sehen Sie hier ein anderes Gerät: Das mache ich offen und darin ist also eine Watte und darin ist das Öl hineingeträufelt und da kann ich dann mit dem Daumen hineingehen und dem Patienten jeweils mit dem Kreuzzeichen die Stirn und die Hände salben. Die Krankenhausumgebung ist nüchtern. Ich muss mir manchmal einen Platz suchen. Auf dem Nachttisch oder zwischen den Herzfrequenztongeräten und so weiter, dass ich überhaupt dazwischen komme, weil oft das Bett gerade, besonders auf der Intensivstation, komplett umstellt ist von Geräten. Von daher ist es sehr praktisch, wenn ich ein sehr einfaches, kleines, handhabbares Set habe."
"Zunächst kennen Sie ja das Wort: die Salbe. Wenn ich das Wort so aufgreife, einfach auch aus der Medizin: Eine Wunde wird durch die Salbe gemindert, gestärkt, dass sie wieder besser heilen kann. In früheren Zeiten wurden viele Menschen gesalbt, etwa Propheten, Könige, hohe Priester, als Stärkung für ihren Dienst. Das war der größere, allgemeine Sinn. Und in den Anfängen der christlichen Kirche hat dann diese Krankensalbung den Sinn bekommen, speziell Kranke zu salben. Es werden aber auch zum Beispiel heute noch Priester gesalbt, für ihre Aufgabe bei der Priesterweihe, oder auch noch Täuflinge, die werden auch noch gesalbt.
Ich salbe gern die fünf Sinne des jungen Menschen bei der Taufe, damit alle seine fünf Sinne wach werden, damit er sie entwickeln kann, damit er durch Menschen gestärkt wird, die bei der Taufe dabei sind, sein Leben entwickeln zu können, und dabei das Gespür hat, das ist ein Sinn meines Lebens, alles zu entdecken und zu entwickeln, was Gott in mich hineingelegt hat. Und so auch das Wissen zu spüren, bei der Erkrankung bin ich nicht hilflos, das ist nicht eine Katastrophe, oder ich gebe meinen Körper nicht wie so zur TÜV-Reparatur eines Autos ab, sondern das kann auch einen Sinn haben: Den versuche ich zu entdecken, zu entschlüsseln, und durch die Salbung zu vertiefen. Meistens werde ich zu Krankensalbungen gerufen, sei es vom Patienten oder häufig auch von Angehörigen. Ich lasse alle Angehörigen dann auch die Hand auflegen, das Streicheln ist ja sehr wichtig, der Berührungskontakt ist sehr wertvoll, und dann spreche ich die Salbung."
Durch diese heilige Salbung helfe Dir der Herr in Seinem reichen Erbarmen. Er stehe Dir bei in der Kraft seiner Gnade. Er, Der Dich von Sünden befreit hat, rette Dich. In Seiner Gnade richte er Dich auf.
"Ich salbe dann die Stirn und die Hände und, wenn es auch geht, auch die Füße. Also, noch einmal auch viele Sinne, den ganzen Leib des Menschen als ein Ausdruck: Es ist etwas Kostbares um diesen Leib."
Das Öl, das Bruder Rudolf verwendet, ist das sogenannte Chrisamöl.
"Es gibt eine sogenannte Chrisammesse einmal im Jahr in der Kathedrale. Chrisam ist das griechische Wort für Öl. Dann weiht der Bischof in der Chrisammesse, immer am Gründonnerstag vor Ostern, die neuen, frischen Öle und die Priester der Diözese nehmen sie dann mit für die Pfarreien und die Krankenhäuser. Das ist also die reale Herkunft."
Nicht nur das geweihte Chrisamöl für die Krankensalbung hat heute eine Bedeutung, auch im jüdischen Leben des 21. Jahrhunderts hat Öl eine zentrale Rolle gespielt; etwa beim wichtigen Channukka-Fest.
"Channukka wird ja gefeiert zur Erinnerung an das Ölwunder. Dieses Ölwunder fand statt im Tempel von Jerusalem, weil: Dort wurde nach der Zerstörung des Tempels ein kleines Fläschchen mit Öl gefunden und dieses Öl war wichtig, um den Tempelleuchter dort zu entzünden."
Karin Grimme ist Historikerin und Buchautorin. Gleichzeitig arbeitet sie im jüdischen Museum in Berlin.
"Und dieses eine kleine Fläschchen hätte eigentlich nur für einen Tag gereicht und es hat wunderbarerweise acht Tage gereicht. Also, aus einem Tag werden acht Tage, aus einem kleinen Fläschchen wurden acht Tage Licht. Das ist das Ölwunder und zur Erinnerung daran wird das jüdische Lichterfest, nämlich Channukka, im Dezember, in der dunklen Jahreszeit gefeiert. Öl spielt eine ganz wichtige Rolle im Judentum. Das ist etwas, was für verschiedene Dinge und verschiedene Sachen benutzt wird, zum Beispiel ist das ewige Licht ursprünglich ein Öllicht. Das ewige Licht brennt vor dem Schrein mit der Thora, mit der heiligen Schrift. Das ist ein kleines Lämpchen, heutzutage ist es meist eine Glühbirne einfach, früher ursprünglich war es ein Öllicht, eine Öllampe. Das ewige Licht. Also, Öl bedeutet Licht."
In dem Kulturraum, in dem Öl außerhalb des täglichen Gebrauches eine Rolle spielt, wird meist bestes Olivenöl verwendet. Diesem Olivenöl können noch Duftzusätze beigemischt sein, wie etwa Essenzen aus Sandelholz, Bergamotte, Rose, Jasmin, Orangen und unendlich viel mehr.
All diesen besonders wertvollen und darum sehr reinen Ölen aber ist gemein, dass sie sozusagen Transportmittel sind. Je nachdem, wird mit ihnen der Wunsch nach einem ewigen Leben, nach Genesung, nach einem erfüllten und reichen Leben oder einfach nur nach Entspannung und Ruhe verbunden.
Heute haben ätherische Öle nicht nur im Sinne von Wellness eine wichtige Funktion, auch die Krankensalbung mit dem Chrisamöl erfährt in diesen Zeiten eine Art stille Renaissance - und immer wird dieses Ritual mit Geborgenheit in Verbindung gebracht, der Geborgenheit in der Not zu Gott.
"Es ist zu beobachten, dass in Deutschland solche Riten zunehmend an Bedeutung gewinnen, dass also immer mehr Menschen auch diese Form der körperlichen rituellen Zuwendung entdecken als etwas, was sie für sich wünschen als Begleitung in Situationen von Krankheit und Sterben. Ich denke im evangelischen Bereich haben wir uns zu lange zu sehr auf das Wort konzentriert, auf das Gespräch, wenn es um Sterbebegleitung geht, und das Bedürfnis nach einer körperlichen Zuwendung und rituellen Zuwendung unterschätzt. Das ist ganz deutlich auch bei den Menschen vorhanden. Ich salbe im Grunde genommen den, der zum Tod hinübergeht für einen neuen Leib, für die Auferweckung des Leibes und der Seele, wie wir sagen, des ganzen Menschen."
In welcher Handlung auch immer: Es ist wohl eher die Berührung, die mit dem Öl einhergeht, die ebenso wichtig ist wie die Ölung selbst. In eben dieser Berührung liegt womöglich das eigentlich Kostbare dieses Rituals: nämlich die Zuwendung, der körperliche Kontakt.
"Also, in diesem Fall muss man das ganz deutlich so sagen, dass das Bedürfnis nach Riten, nach Zuwendung und eben dann auch der Verwendung von Öl bei den Menschen stärker wird, und hier auch eine Rückkehr zu Formen, die man vor zehn oder 20 Jahren für veraltet oder Relikte einer früheren Zeit gehalten hat, aber das eben heute von vielen Menschen nicht mehr so gesehen wird und sie sich auch außerhalb des Judentums und des Christentums unter den Vorzeichen von Esoterik einen neuen Umgang mit Körperlichkeit, mit Riten und mit solchen Substanzen zuwenden."
"Der Sinn der ayurvedischen Massage ist, die Menschen wirklich ganzheitlich zu berühren. Und die Resonanz meiner Kunden bestätigt, dass es so etwas eigentlich heute gar nicht mehr gibt. Wir leben in einer Gesellschaft, wo Berührung eigentlich mehr oder weniger, ja, Nebensache ist. Heutzutage wird ein Erwachsener kaum noch ganzheitlich berührt und nach so einer Massage fühlt man sich wirklich wieder ganz. Und ich denke, das ist das Wichtige, dass wir vergessen, dass wir ganz sind und auch so behandelt werden wollen - und nicht nur unser Kopf."
Die Berührung und das Öl, der Ritus und die Wertschätzung - zu allen Zeiten und in vielen Kulturen gingen diese Dinge im wahrsten Sinne des Wortes "Hand in Hand". Auch heute noch ist das von Mensch zu Mensch weitergegebene Öl weit mehr als nur eine "transferierte Substanz ": Es ist vielmehr eher der Wohlgeruch der Zuwendung, der Liebe.
"Also, ich habe eine Krebspatientin begleitet im Sterben und die sagte das auch: Also, das Wichtigste für sie war, berührt zu werden."
Während die ayurvedische Masseurin Miriam Lasch das warme Sesamöl auf dem Unterarm verteilt und mit sanften Streichbewegungen einmassiert, bekommt die junge Frau zum Körper des Klienten vor ihr - wie sie es ausdrückt - eine Verbindung nichtstofflicher Art.
"Man kann spüren, wenn Verspannungen vorliegen. Man kann spüren, was viel benutzt wird, man kann Blockaden auch spüren. Ayurveda kommt aus Indien und ist übersetzt: Ayu ist das Wissen und Vada das Leben, und das heißt eigentlich das Wissen vom Leben. Das ist eine 5000 Jahre alte Lehre. Also, warmes Öl wird über den Körper gegossen, danach wird es eingestrichen und dann werden muskuläre Partien behandelt. Aber sicherlich nicht, wie man es in einer physiotherapeutischen Praxis kennt, denn das Öl geht in die tieferen und die untersten Hautschichten und weicht diese sozusagen auf. Deswegen ist die Behandlung auch länger, damit das Öl tief weichen kann."
Hennadolden, Nardenblüten,
Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt,
alle Weihrauchbäume,
Myrrhe und Aloe,
allerbester Balsam.
Die Quelle des Gartens bist du.
Unter den Heiligen Schriften dieser Welt ist wohl keine so sehr mit Duft durchtränkt wie das Hohelied Salomos. Jeder zweite Vers beschreibt Duftöle in ihrer sinnlichsten Fülle.
Wasser vom Libanon.
Nordwind, erwache! Südwind, herbei!
Durchweht meinen Garten,
lasst strömen die Balsamdüfte!
"Sesamöl. Es gibt Sonnenblumenöl, es gibt Olivenöl, Kokosnussöl, es gibt Mandelöl. Ja also, das sind so die Grundöle, die man verwendet. Das Sesamöl ist erhitzendes Öl und das Sonnenblumenöl eher kühlendes Öl."
Die Öle, die Miriam Lasch für die ayurvedische Ölmassage verwendet, sind schon seit Jahrtausenden in Gebrauch. Kaum ein Stoff oder ein Material ist so beständig in allen Zeiten und in nahezu allen Kulturen so präsent wie Öle.
"Öl spielt eine sehr große Rolle im Judentum und Christentum. Es spielt auch eine sehr große Rolle in den alten Religionen des Orients. Also, in der babylonischen Religion, in der hebräischen Religion, ägyptischen Religion, dann auch in den alten europäischen Religionen, also, bei den Griechen, den Römern, den Germanen."
Andreas Feldtkeller ist Professor für Religionswissenschaften an der Berliner Humboldt Universität.
"Während es bei den Religionen, die über diesen geografischen Kreis hinausgehen dann sehr viel spärlicher wird; oft auch andere Substanzen verwendet werden oder Öl eben nur sehr begrenzt verwendet wird. Auch beim Islam fällt mir nicht ein, dass Öl eine solche Rolle spielen würde, wie das beim Judentum oder Christentum der Fall ist."
Doch warum ist Öl zu einem derart wichtigen Material geworden? Was macht seinen Wert aus?
"Öl war im alten Orient eine sehr wertvolle Substanz wegen des aufwändigen Verfahrens der Ölherstellung. Also, zunächst der Ölbaum war deswegen wertvoll, weil er eine sehr lange Zeit braucht, bis der neu gepflanzte Baum die Früchte tragen kann. Wer einen Ölbaum pflanzt, der arbeitet für die Enkel, weil weder diese Person selbst noch der Sohn die Früchte ernten wird, sondern es eben solange dauert bis der Baum trägt, dass das wirklich ein generationenübergreifendes Projekt ist, so dass Öl im vorderen Orient ein besonderer Ausdruck von Wertschätzung ist und unter anderem im Ritus zur Einsetzung von Königen eine wesentliche Rolle spielt; nicht nur im alten Israel, sondern auch in den umgebenden Kulturen. Und aus diesem Ritus, dass ein König, der neu eingesetzt wird, zum Zeichen seiner Einsetzung ihm Öl auf sein Haupt gegossen wird, hat sich dann auch das Bild des Gesalbten im biblischen Sinne entwickelt."
Der gesalbte Würdenträger zum einen, der Todgeweihte zum anderen: Wer geölt, wer gesalbt wurde, der war in besonderer Form über die anderen erhoben.
Als Jesus in Bethanien im Haus Simons des Aussätzigen bei Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem, wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Jesus bemerkte ihren Unwillen und sagte: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan? Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für das Begräbnis gesalbt.
Lange Zeit war die "letzte Ölung" in der katholischen Zeremonie jener Ritus, der mit dem Übergang vom Leben zum Tod einherging.
"Nicht nur im katholischen Bereich, wo ja das Sakrament der letzten Ölung, das dann umbenannt worden ist zur Krankensalbung, schon seit sehr langer Zeit eine sehr wichtige Rolle spielt; es ist auch ein sehr wichtiger Ritus mit einer durchaus beträchtlichen Geschichte in der anglikanischen Kirche, wo wir auch in dieser Situation, besonders der Krankheit, ein Ritual haben, wo Öl verwendet wird, um dem Kranken den Wunsch der Genesung oder auch die Geborgenheit im Prozess seines Sterbens zuzutragen."
"Es gibt so komplette Sets für die Priester und Sie sehen hier einmal ein Kreuz drin, manchmal lege ich dem Patienten das auf die Brust oder ich frage ihn, ob er das selber in die Hand nehmen will oder ein Angehöriger es halten will. Das ist so ein Stück auch sich festhalten an dem Kreuz."
Bruder Rudolf ist Franziskaner und Krankenhausseelsorger in der Charité. Bevor er hier seinen Dienst begann, war er zehn Jahre lang auf einer Aids-Station Seelsorger. Das Set, das Bruder Rudolf nun öffnet, ist dem eines Maniküre-Sets für die tägliche Pflege nicht unähnlich, doch der Set-Inhalt des Franziskaners hat mit einer Alltäglichkeit nichts zu tun.
"Dann sehen Sie hier eine Kommuniondose, da kann ich also das Abendmahl oder die Kommunion bei uns, hineintun, und dann bei der Salbung selbst, da sehen Sie hier ein anderes Gerät: Das mache ich offen und darin ist also eine Watte und darin ist das Öl hineingeträufelt und da kann ich dann mit dem Daumen hineingehen und dem Patienten jeweils mit dem Kreuzzeichen die Stirn und die Hände salben. Die Krankenhausumgebung ist nüchtern. Ich muss mir manchmal einen Platz suchen. Auf dem Nachttisch oder zwischen den Herzfrequenztongeräten und so weiter, dass ich überhaupt dazwischen komme, weil oft das Bett gerade, besonders auf der Intensivstation, komplett umstellt ist von Geräten. Von daher ist es sehr praktisch, wenn ich ein sehr einfaches, kleines, handhabbares Set habe."
"Zunächst kennen Sie ja das Wort: die Salbe. Wenn ich das Wort so aufgreife, einfach auch aus der Medizin: Eine Wunde wird durch die Salbe gemindert, gestärkt, dass sie wieder besser heilen kann. In früheren Zeiten wurden viele Menschen gesalbt, etwa Propheten, Könige, hohe Priester, als Stärkung für ihren Dienst. Das war der größere, allgemeine Sinn. Und in den Anfängen der christlichen Kirche hat dann diese Krankensalbung den Sinn bekommen, speziell Kranke zu salben. Es werden aber auch zum Beispiel heute noch Priester gesalbt, für ihre Aufgabe bei der Priesterweihe, oder auch noch Täuflinge, die werden auch noch gesalbt.
Ich salbe gern die fünf Sinne des jungen Menschen bei der Taufe, damit alle seine fünf Sinne wach werden, damit er sie entwickeln kann, damit er durch Menschen gestärkt wird, die bei der Taufe dabei sind, sein Leben entwickeln zu können, und dabei das Gespür hat, das ist ein Sinn meines Lebens, alles zu entdecken und zu entwickeln, was Gott in mich hineingelegt hat. Und so auch das Wissen zu spüren, bei der Erkrankung bin ich nicht hilflos, das ist nicht eine Katastrophe, oder ich gebe meinen Körper nicht wie so zur TÜV-Reparatur eines Autos ab, sondern das kann auch einen Sinn haben: Den versuche ich zu entdecken, zu entschlüsseln, und durch die Salbung zu vertiefen. Meistens werde ich zu Krankensalbungen gerufen, sei es vom Patienten oder häufig auch von Angehörigen. Ich lasse alle Angehörigen dann auch die Hand auflegen, das Streicheln ist ja sehr wichtig, der Berührungskontakt ist sehr wertvoll, und dann spreche ich die Salbung."
Durch diese heilige Salbung helfe Dir der Herr in Seinem reichen Erbarmen. Er stehe Dir bei in der Kraft seiner Gnade. Er, Der Dich von Sünden befreit hat, rette Dich. In Seiner Gnade richte er Dich auf.
"Ich salbe dann die Stirn und die Hände und, wenn es auch geht, auch die Füße. Also, noch einmal auch viele Sinne, den ganzen Leib des Menschen als ein Ausdruck: Es ist etwas Kostbares um diesen Leib."
Das Öl, das Bruder Rudolf verwendet, ist das sogenannte Chrisamöl.
"Es gibt eine sogenannte Chrisammesse einmal im Jahr in der Kathedrale. Chrisam ist das griechische Wort für Öl. Dann weiht der Bischof in der Chrisammesse, immer am Gründonnerstag vor Ostern, die neuen, frischen Öle und die Priester der Diözese nehmen sie dann mit für die Pfarreien und die Krankenhäuser. Das ist also die reale Herkunft."
Nicht nur das geweihte Chrisamöl für die Krankensalbung hat heute eine Bedeutung, auch im jüdischen Leben des 21. Jahrhunderts hat Öl eine zentrale Rolle gespielt; etwa beim wichtigen Channukka-Fest.
"Channukka wird ja gefeiert zur Erinnerung an das Ölwunder. Dieses Ölwunder fand statt im Tempel von Jerusalem, weil: Dort wurde nach der Zerstörung des Tempels ein kleines Fläschchen mit Öl gefunden und dieses Öl war wichtig, um den Tempelleuchter dort zu entzünden."
Karin Grimme ist Historikerin und Buchautorin. Gleichzeitig arbeitet sie im jüdischen Museum in Berlin.
"Und dieses eine kleine Fläschchen hätte eigentlich nur für einen Tag gereicht und es hat wunderbarerweise acht Tage gereicht. Also, aus einem Tag werden acht Tage, aus einem kleinen Fläschchen wurden acht Tage Licht. Das ist das Ölwunder und zur Erinnerung daran wird das jüdische Lichterfest, nämlich Channukka, im Dezember, in der dunklen Jahreszeit gefeiert. Öl spielt eine ganz wichtige Rolle im Judentum. Das ist etwas, was für verschiedene Dinge und verschiedene Sachen benutzt wird, zum Beispiel ist das ewige Licht ursprünglich ein Öllicht. Das ewige Licht brennt vor dem Schrein mit der Thora, mit der heiligen Schrift. Das ist ein kleines Lämpchen, heutzutage ist es meist eine Glühbirne einfach, früher ursprünglich war es ein Öllicht, eine Öllampe. Das ewige Licht. Also, Öl bedeutet Licht."
In dem Kulturraum, in dem Öl außerhalb des täglichen Gebrauches eine Rolle spielt, wird meist bestes Olivenöl verwendet. Diesem Olivenöl können noch Duftzusätze beigemischt sein, wie etwa Essenzen aus Sandelholz, Bergamotte, Rose, Jasmin, Orangen und unendlich viel mehr.
All diesen besonders wertvollen und darum sehr reinen Ölen aber ist gemein, dass sie sozusagen Transportmittel sind. Je nachdem, wird mit ihnen der Wunsch nach einem ewigen Leben, nach Genesung, nach einem erfüllten und reichen Leben oder einfach nur nach Entspannung und Ruhe verbunden.
Heute haben ätherische Öle nicht nur im Sinne von Wellness eine wichtige Funktion, auch die Krankensalbung mit dem Chrisamöl erfährt in diesen Zeiten eine Art stille Renaissance - und immer wird dieses Ritual mit Geborgenheit in Verbindung gebracht, der Geborgenheit in der Not zu Gott.
"Es ist zu beobachten, dass in Deutschland solche Riten zunehmend an Bedeutung gewinnen, dass also immer mehr Menschen auch diese Form der körperlichen rituellen Zuwendung entdecken als etwas, was sie für sich wünschen als Begleitung in Situationen von Krankheit und Sterben. Ich denke im evangelischen Bereich haben wir uns zu lange zu sehr auf das Wort konzentriert, auf das Gespräch, wenn es um Sterbebegleitung geht, und das Bedürfnis nach einer körperlichen Zuwendung und rituellen Zuwendung unterschätzt. Das ist ganz deutlich auch bei den Menschen vorhanden. Ich salbe im Grunde genommen den, der zum Tod hinübergeht für einen neuen Leib, für die Auferweckung des Leibes und der Seele, wie wir sagen, des ganzen Menschen."
In welcher Handlung auch immer: Es ist wohl eher die Berührung, die mit dem Öl einhergeht, die ebenso wichtig ist wie die Ölung selbst. In eben dieser Berührung liegt womöglich das eigentlich Kostbare dieses Rituals: nämlich die Zuwendung, der körperliche Kontakt.
"Also, in diesem Fall muss man das ganz deutlich so sagen, dass das Bedürfnis nach Riten, nach Zuwendung und eben dann auch der Verwendung von Öl bei den Menschen stärker wird, und hier auch eine Rückkehr zu Formen, die man vor zehn oder 20 Jahren für veraltet oder Relikte einer früheren Zeit gehalten hat, aber das eben heute von vielen Menschen nicht mehr so gesehen wird und sie sich auch außerhalb des Judentums und des Christentums unter den Vorzeichen von Esoterik einen neuen Umgang mit Körperlichkeit, mit Riten und mit solchen Substanzen zuwenden."
"Der Sinn der ayurvedischen Massage ist, die Menschen wirklich ganzheitlich zu berühren. Und die Resonanz meiner Kunden bestätigt, dass es so etwas eigentlich heute gar nicht mehr gibt. Wir leben in einer Gesellschaft, wo Berührung eigentlich mehr oder weniger, ja, Nebensache ist. Heutzutage wird ein Erwachsener kaum noch ganzheitlich berührt und nach so einer Massage fühlt man sich wirklich wieder ganz. Und ich denke, das ist das Wichtige, dass wir vergessen, dass wir ganz sind und auch so behandelt werden wollen - und nicht nur unser Kopf."
Die Berührung und das Öl, der Ritus und die Wertschätzung - zu allen Zeiten und in vielen Kulturen gingen diese Dinge im wahrsten Sinne des Wortes "Hand in Hand". Auch heute noch ist das von Mensch zu Mensch weitergegebene Öl weit mehr als nur eine "transferierte Substanz ": Es ist vielmehr eher der Wohlgeruch der Zuwendung, der Liebe.
"Also, ich habe eine Krebspatientin begleitet im Sterben und die sagte das auch: Also, das Wichtigste für sie war, berührt zu werden."