Baltic Sea Philharmonic
Leitung: Kristjan Järvi
Beethoven mit nordischem Puls
Beethoven auf die Reise durch den Ostseeraum geschickt haben Kristjan Järvi und das Baltic Sea Philharmonic bei einem Sonderkonzert des Usedomer Musikfestivals in der Kraftwerkshalle in Peenemünde.
Kristjan Järvi arbeitet mit seinem Orchester "Baltic Sea Philharmonic" daran, gute Absichten zu verfolgen. Der Dirigent aus Estland war mit dem Ensemble am 12. September im Kraftwerk Peenemünde zu Gast, um ein Sonderkonzert im Rahmen des Usedomer Musikfestivals zu spielen. In der riesigen Halle des Industriebaus am westlichen Ende der Insel Usedom musste das Programm - natürlich im Jahr 2020 - irgendetwas mit Ludwig van Beethoven zu tun haben.
Aber Kristjan Järvi geht es dabei nicht nur um die Musik des Jubilars an sich. Genauso wichtig ist für das Baltic Sea Philharmonic und seinen Gründer und Leiter Kristjan Järvi die große Idee, für die Beethoven mit seiner Musik eingetreten ist. Und diese Idee ist nach Järvis Ansicht wirklich raumgreifend: "Musik überwindet die Grenzen von Raum und Zeit", und das meint Kristjan Järvi durchaus auch politisch, wenn er sich die Brüche und Gegensätze in der heutigen Zeit ansieht. Und das Fehlen von Menschlichkeit in allen Ländern, unabhängig vom jeweiligen Wirtschafts- und Politiksystem.
Irgendetwas mit Beethoven
Gegensätze überwinden möchte Järvi auch mit diesem Musikprogramm, das hier zu hören ist, das Beethovens Fünfte Sinfonie mit vielen kleinen Stückchen baltisch-nordischer Herkunft verbindet, als ob es "irgendetwas mit Beethoven" sein müsste, auf den ersten Blick verständlich und nicht zu kompliziert gedacht. Im Baltic Sea Philharmonic spielen Musikerinnen und Musiker aus fast allen Anrainern des baltischen Meeres, der Ostsee, von Russland bis Deutschland. Wie zum Beispiel die deutsche Oboistin Annika Oser und die lettische Flötistin Kristine Beitika, die in unserer Sendung Auskunft geben über die Art und Weise, wie sie zusammen arbeiten, spielen und sich den "musikalischen Planeten" Ostseeraum erschließen.
So sagt Kristine Beitika: "Für die Musik der baltischen Länder ist die Natur immer ganz wichtig. Die Menschen leben noch näher an der Natur. Wie wir zum Beispiel die Mittsommernacht feiern oder andere Jahreszeitenfeste. Das wird auch in der Musik fühlbar. Dass sich die Komponisten von der Natur inspirieren lassen, vom Meer oder dem kalten Wetter und allen Gefühlen, die in der Musik hörbar werden. Das unterscheidet sich auch von Beethovens Zugang zur Musik, und es ist natürlich eine andere Zeit."
Auswendig und im Stehen spielen alle Musikerinnen und Musiker
Die Musikerinnen und Musiker spielen - bis auf die Cellistinnen und Cellisten - im Stehen und alle auswendig ohne einen Blick in die Noten. Das garantiert ein flexibles und fantasievolles Spiel, auch in Zeiten des physischen Distanzgebots, wie Kristjan Järvi meint: "Die Akustik ist hier im Kraftwerk immer herausfordernd, egal ob man im Sitzen, Stehen oder auf dem Kopf stehend spielt! Und mit elektronischem Zuspiel ist es nochmal anders. Aber unser Orchester spielt mit möglichst wenigen Einschränkungen. Eine Einschränkung wäre, wenn wir in die Noten gucken müssten. Das stört die Kommunikation untereinander. Im Stehen spielt man ganz anders, solistisch in gewisser Weise. Ich kenne überhaupt nur wenige Jobs, die man gut im Sitzen machen kann, einen Bürojob vielleicht, ja."
Die Geigen machen der Solistin Platz
Die Flötistin Kristine Beitika ergänzt: "Wir haben ohnehin viel Freiraum beim Spielen, können uns in alle Richtungen bewegen, weil wir auswendig spielen. Insgesamt haben wir mehr Freiheit. Wir können eigene Ideen umsetzen und sind nicht an einen Stuhl gebunden. Wenn ich ein Solo mit dem Fagott habe, kann ich zu dem Kollegen hingehen. Genauso zur ersten Geige, wenn wir zusammenspielen. Oder wenn das Englischhorn ein Solo hat, können alle, die davorstehen, zur Seite gehen, damit alle die Solistin sehen. Das geht bei einem sitzenden Orchester nicht, es ist eine völlig andere Erfahrung hier."
Überraschungen jedweder Art
Die Reise mit dem Baltic Sea Philharmonic durch den europäischen Nordosten beginnt mit einem Ausschnitt aus den Stücken im Alten Stil von Henryk M. Górecki, die die Orchestermitglieder interpretieren, während sie die Bühne betreten. Angelehnt an die fünfte Sinfonie Ludwig van Beethovens, deren dritter, erster und vierter Satz darin vorkommen, geht es weiter mit skandinavischer und baltischer Musik, erkennbar auch bekannte Stücke von Edvard Grieg und Peter Tschaikowsky sowie von Stenhammar und Nielsen. Die zeitgenössische Szene zwischen Clubkultur, Minimal und Jazz ist vertreten durch Stücke von Robot Koch, Sven Helbig, Gediminas Gelgotas und vor allem von Kristjan Järvi selbst. Die große Halle des Kraftwerks Peenemünde hat eine typisch hallige Akustik. Alle Sätze gehen fließend ineinander über und bieten Überraschungen jedweder Art.
Usedomer Musikfestival
Kraftwerk des Museums Peenemünde
Aufzeichnung vom 12. September 2020
Kraftwerk des Museums Peenemünde
Aufzeichnung vom 12. September 2020
Henryk M. Górecki
Aussschnitt aus "Drei Stücke im Alten Stil"
Aussschnitt aus "Drei Stücke im Alten Stil"
Robot Koch
"Liquid"
"Liquid"
Carl Nielsen
Introduktion aus "Aladdin"-Suite
Introduktion aus "Aladdin"-Suite
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 5, Sätze Nr. 3, 1 und 4
Sinfonie Nr. 5, Sätze Nr. 3, 1 und 4
Edvard Grieg
"In der Halle der Bergkönigs" und "Morgenstimmung" aus "Peer Gynt"
"In der Halle der Bergkönigs" und "Morgenstimmung" aus "Peer Gynt"
Peter Tschaikowskij
Auszüge aus den Balletten "Dornröschen" und "Schwanensee" (arrangiert von Kristjan Järvi)
Auszüge aus den Balletten "Dornröschen" und "Schwanensee" (arrangiert von Kristjan Järvi)
Wilhelm Stenhammar
"Mellanspel"
"Mellanspel"
Gediminas Gelgotas
"To the skies"
"To the skies"
Kristjan Järvi
"Aurora"
"White Dragon"
"Nebula"
"Aurora"
"White Dragon"
"Nebula"
Sven Helbig
"Bell Sound Falling Like Snow"
"Bell Sound Falling Like Snow"