Moderner, performativer Theaterbegriff
In Berlin fand das erste "Festival für aktuelles Musiktheater BAM!" statt. Dort konnte man Theater erleben, in dem Musik zwar eine ganz entscheidende Rolle spielt, aber keine Oper ist – mit einem auffälligen Hang zur Installation und zur bildenden Kunst.
Es riecht nach gebratenem Lachs, nach Suppe und frischem Gebäck im Berliner "Acker Stadt Palast". In Makiko Nishikazes "Breakfast Opera" wiederholen die Mitglieder des Ensembles "Maulwerker" Interviewausschnitte, zerdehnen die Vokale, rhythmisieren die Sprache, bringen die Zutaten eines banalen Frühstücks zum Klingen.
Nicht mehr Illusionstheater
Das hat Witz und Charme, spannt hungrige Zuschauer mit den Essensgerüchen lustvoll auf die Folter und ist hochmusikalisch, auch wenn die originelle Idee um etwa eine Viertelstunde überdehnt wird. Jedenfalls erfüllt die "Breakfast Opera" alle Kriterien, die Veranstalter Roland Quitt für die Teilnahme am Musiktheaterfestival BAM! aufzählt:
"Ein Theater, in dem Musik eine ganz entscheidende Rolle spielt, nicht nur im Hintergrund verwendet wird, nicht nur zur Illustration verwendet wird. Die Theaterformen, die wir zeigen, sind keine der Opernformen, sondern das ist ein Musiktheater, das mehr oder weniger einem modernen, performativen Theaterbegriff folgt, nicht mehr auf ein Illusionstheater, ein Kostümtheater zielt."
Oper mit Guckkastenbühne, Samtvorhang und Kronleuchter hatten die Veranstalter vom Verein "Zeitgenössisches Musiktheater Berlin" gar nicht im Sinn bei ihrer Leistungsschau der freien Gruppen mit sprechenden Namen wie "Hauen und Stechen", die sich Beethovens "Fidelio" vorgenommen haben, "glanz&krawall", und dem Solistenensemble "Kaleidoskop" oder dem Ensemble "Mosaik".
"Ins Größere gehen"
Sie verwandelten den Kern des Bezirks Mitte in ein Festivalareal und bespielten legendäre Orte der durch Gentrifizierung bedrohten Clubkultur. Das Ensemble "gamut inc" ließ beispielsweise in einer Chill-Out-Lounge musikalische Bruchstücke aus romantischen Opern hören.
"Auf eine gewisse Art und Weise sind die Konditionen immer so gewesen, dass man angefangen hat, sich einzurichten in einer bestimmten Formensprache. Aber es gibt durchaus auch Gruppen, die versuchen, ins Größere zu gehen. Dass es wenig größere Formen gibt, hat sehr stark damit zu tun, dass es keine Möglichkeiten gibt, diese Formen auszufalten", sagt Roland Quitt.
Einen deutlichen Zug ins Größere zeigten Daniel Kötter und Hannes Seidel mit "Land (Stadt Fluss)". Die Sophiensäle haben sie mit Rollrasen ausgelegt und eine Großleinwand aufgebaut. Das auf Decken campierende Publikum beobachtet das Geschehen auf einem Bauernhof zwischen Frankfurt und Köln im Sommer. Ein meditatives Erlebnis wie "Parsifal" ohne Sänger. Und ohne Leitmotive. Aber mit bemerkenswerter Sogwirkung, die dazu führt, dass die Zuschauer verblüffend lange ausharren
Auffälliger Hang zur Installation, zur bildenden Kunst
Das experimentelle Musiktheater zeigt einen auffälligen Hang zur Installation, zur bildenden Kunst, auch wenn eine Rückkehr des erzählenden Theaters sich zart andeutet. Es ist deshalb kein Wunder, dass Meriel Price ihre Videoarbeit "Staring at the Bin" in der Galerie Martin Mertens zeigt. Was zunächst aussieht wie eher zufällige Streetart unter dem Motto: "Was passiert, wenn in einer Großstadt viele Menschen auf einen Mülleimer starren?", erweist sich bald als durchkomponiertes Gesamtkunstwerk.
"Ich schreibe wirklich eine Partitur auf und die Musiker, Performer kriegen Noten und die müssen das auswendig lernen und auf der Straße dann performen. Ich sehe das auf jeden Fall als Musik, aber halt ohne Instrumente, denn die Geräusche, die dann entstehen, sind Alltagsgeräusche. Schritte, Husten, Rollkoffer, alles Mögliche", sagt Meriel Price.
Reger Austausch und kontroverse Diskussionen
Die gedrängte Festivalatmosphäre, in der das Publikum hier etwas sah, dafür dort etwas verpasste, sich zwischendurch in dem kleinen Areal immer wieder auf dem Weg von einem Veranstaltungsort zum anderen traf, sorgte jedenfalls für einen regen Austausch und kontroverse Diskussionen. Insofern kann Veranstalter Roland Quitt rundum zufrieden sein:
"Ich glaube, dass es für das neue Musiktheater im Moment noch nicht wirklich eine Schnittmenge zum Opernpublikum gibt. Unser Versuch mit diesem Festival ist ja tatsächlich der, diese Kunstform einem größeren Publikum mal vorzustellen und auch um ein größeres Publikum zu werben."