Fluch und Segen des Weltkulturerbe-Status
Seit 25 Jahren steht Bambergs wunderschöne Altstadt auf der Liste der Welterbe-Stätten. Das sorgte für einen gewaltigen Boom im Fremdenverkehr, aber auch für viele Konflikte im Alltag. Die Stadt musste lernen, die Touristenströme zu kanalisieren.
Fronleichnam lebt. An einem Feiertag Ende Mai, dessen Ursprung auch in Bayern kaum noch einer kennt, kann man in Bamberg was erleben. Mitglieder der Zünfte tragen Holzfiguren durch die Straßen – die Gärtner zum Beispiel ihren Zunftpatron, den heiligen Sebastian. Sie feiern damit den Glauben daran, dass Jesus Christus für gläubige Katholiken in Brot und Wein präsent ist.
"Wir haben die ganz große Fronleichnamsprozession, die ist fast vier Kilometer lang, vielleicht dreieinhalb Kilometer lang. Wo dann die bedeutendsten Heiligenstatuen der Kirchen durch die Straßen getragen werden. Das sind Dinge, die kennt man von Sevilla zur Semana Santa, oder von Sizilien. Aber so was gibt es auch noch in Deutschland."
Wenn Michael Knobel über seine Wahlheimatstadt Bamberg spricht, was er von Berufs wegen seit Jahren tut, dann hört man ein beständiges Staunen heraus. Michael Knobel ist heute Touristenführer – und als einstiger Maler von Stadtansichten viel herumgekommen. Nur die fränkische Stadt an der Regnitz hat ihn nicht mehr losgelassen. Wer sie besucht, betritt eine Zeitkapsel.
"Wenn dann eben aus Frankreich Touristen kommen, dann wollen die sonntags auch gern mal in den Bamberger Dom, weil die so prachtvolle Dommessen in ihrem Lande so gar nicht kennen. Dass hier in vollem Ornat die großen Messen im Dom stattfinden, und wenn man sich dann anschaut, dass am Sonntagmorgen drei große Dommessen hintereinander stattfinden – wenn man so will, ist der Dom fast immer voll bei jeder Messe – das ist schon etwas, das man in anderen Städten dann nicht so feststellen kann. Und da merkt man noch die Aktualität von Kirche in so einer uralten Stadt."
Gelebte Tradition und Touristenmassen – das sind die Charakterzüge, die Bamberg heutzutage vereint bzw. unter einen Hut bringen muss. Seit die Unesco vor 25 Jahren große Teile der historischen Altstadt zum Weltkulturerbe erklärte, haben sich die Übernachtungszahlen mehr als verdreifacht:
"Und so ist das dann auch kein Wunder, dass wir so im Schnitt um die 9000 Führungen allein nur vom Tourismusbüro bestreiten."
Michael Knobel und seine Kollegen haben gut zu tun. Und so pilgern Städtereisende die engen Altstadtgässchen den Domberg mit der über 800 Jahre alten Säulenbasilika hinauf – gegenüber einer prachtvollen Residenz im Renaissancestil. An Wochenenden erleben die Bamberger diese Prozessionen im Minutentakt. Was die Frömmigkeit dann schon mal auf die Probe stellt:
"Da kommen nicht einmal die Einheimischen richtig durch. Da können wir nicht einmal richtig laufen, wenn so viele Idioten rumlaufen."
Der grauhaarige Herr in der Fußgängerzone steht für die zwiespältige Haltung einiger Bamberger gegenüber dem Kulturerbe. Denn einerseits gibt es im Bischofsstädtchen so manche enge Stirn – zum anderen aber auch wirklich sehr enge Gassen. Selbst einem Stadtführer wie Michael Knobel ging es zu weit, als vor einigen Jahren die Main-Kreuzfahrtschiffe Tag für Tag ihre Touristen in die Stadt schwemmten:
"Das wurde insofern als problematisch angesehen, dass die Kreuzfahrtschiffgruppen mit Kopfhörern durch die Stadt geführt wurden. Das waren sehr große Gruppen mit 50 Personen. Und wenn dann eben gleichzeitig zwei Schiffe im Hafen lagen, dann kamen auf einen Schlag 400, 500 Gäste in die Stadt. Und dann hat es richtig Engpässe gegeben, dass dann mal ein Straßenzug mitunter komplett blockiert war."
Die Stadt, die 1993 plötzlich berühmt war, hat lernen müssen. Etwa, die Touristenströme mit einer Verteilung von Busparkplätzen besser zu kanalisieren. Immerhin, an diesem Wochentag ist es ruhiger. Und so hat der Fremdenführer Zeit, uns auf die Terrasse des Rosengartens zu führen, wo man einen guten Blick hat auf Bamberg.
"Ja, wenn man jetzt von hier mal über die Stadt schaut, wir sehen, da hinten links von dem Dachreiter – so eine dampfende Fabrik, das ist so eine Backsteinfabrik aus dem 19. Jahrhundert. Das ist eine der größten Mälzereien der Welt, die Mälzerei Weihermann. Und bis dahin reicht die historische Altstadt. Das steht alles unter Denkmalschutz, der gesamte Bereich."
Bier aus der Räucherkammer
Über den windschiefen Giebelchen von Deutschlands größtem Altstadtensemble weht beständig der süßliche Duft von Malzkaffee. In einer Kirchenstadt mit heute noch fünf Klöstern und sechs Wallfahrtskirchen ist traditionell auch das Bier nicht weit: Sage und schreibe elf Brauereien gibt es in Bamberg. Im Schatten des Dombergs bekommt man in einer verwinkelten Gaststube ein besonders dunkles Gebräu ausgeschenkt, das Schlenkerla.
"Das gilt neben dem Spezialbier als das letzte traditionelle Rauchbier weltweit. Und diese Rauchbiere gab es bis zum Jahre 1800. Da hat eigentlich jedes Bier nach Rauch geschmeckt, weil man bis zum Jahre 1800 das Braumalz für die Bierherstellung in Räucherkammern getrocknet hat. Und da erfindet dann im Jahre 1800 die Firma Linde ein neues Trocknungsverfahren, eine Art Fußbodenheizung, die Darre. Und da konnte man durch die Fußbodenheizung Malz trocknen, ohne dass das mit Rauch in Berührung kam."
Nun ja, heutzutage kommen Touristen mit dem gewöhnungsbedürftigen Rauchbier in Berührung. Wie diese Familie aus Boston, nach eigenen Angaben erst seit 20 Minuten in der Stadt:
"It’s a smoky beer with a dark taste". (Es ist ein rauchiges Bier mit einem dunklen Geschmack.)
"My uncle is from Nuremberg, he said you’ll like it, by your second one you like it better, right?" (Mein Onkel ist aus Nürnberg. Er sagte, du wirst es mögen, beim zweiten Bier schmeckt’s schon besser.)
Auch diese jungen Herren aus der Bamberger Umgebung mögen es schwarz.
"Es ist wie durch einen Blumenkübel gefiltert, ne? Also es ist halt das extremste Rauchbier, das es so gibt. Es ist quasi flüssiger geräucherter Schinken, aber es ist gut."
Und mit dem Bier gewöhnt man sich dann auch an den Fremdenverkehr:
"Ja, ich komme extra immer her, weil ich hier viele Fremde habe. Und auch die vielen Touristen, ich gehe gerne ins 'Schlenkerla', da ist alles voll mit Touristen, ich sitze gern unter Touristen. Ich mag das."
Doch nicht nur eine Tür zur Welt hat die Unesco den Bambergern aufgestoßen, sondern auch zur eigenen Stadtgeschichte.
Ursula Sowa steht vor dem Rathaus am anderen Ende der Inselstadt:
"Ich finde, das Welterbe ist ein Geschenk für Bamberg und kam vor 25 Jahren rechtzeitig, weil da noch die Abrissmentalität in den Köpfen war, da hieß es immer noch: Das alte Gerutsch kann weg. Und seinerzeit gab es einen sehr rührigen Denkmalpfleger, Dr. Pause. Der hat dafür gesorgt, dass Bamberg diesen Titel bekommt, eigentlich als Schutz für diesen Abrisswahn. Wir hatten eine tapfere Denkmalschutzbehörde, die sich immer wieder dafür eingesetzt hat, dass Bambergs kleine Denkmäler, also Alltagsdenkmäler auch erhalten bleiben, dass es keine Kunststofffenster gibt, also da kam richtig Schwung rein."
Die grüne Stadträtin ist von Beruf Architektin und kennt die Sorgen der Hausbesitzer vor kostenintensiven Sanierungen. Doch viele sähen es am Ende positiv:
"Alle Bauherren, die ich kannte, waren begeistert von ihren Häusern, weil die Vielfalt und die liebevollen Details, die es da gibt und dann – Überraschung: Klar, da ist dann auch mal ein Balken faul, aber dann wird er halt behutsam ausgewechselt. Dann ist die Verbindung mit so einem Haus viel viel inniger als mit so einem schnöden Neubau."
Dass ja nichts Wesentliches verändert wird, darüber wacht Patricia Alberth vom Zentrum Welterbe:
"Wenn wir Bauprojekte haben im Welterbe oder am Welterbe, können wir das nicht einfach vor Ort entscheiden. Das muss nicht nur durch den Stadtrat gehen, sondern das müssen wir vorab nach Paris schicken. Und dort grünes Licht abwarten, bis wir hier Großbaustellen aufmachen können."
Wird Bamberg ein zweites Rothenburg?
Eine solche Großbaustelle ist gerade im Quartier an den Stadtmauern zu besichtigen, zwischen Fußgängerzone und Busbahnhof. Ursprünglich wollte ein Investor hier eine Shopping-Mall bauen. Doch die Unesco sah einen Bruch mit der kleinteiligen Ladenstruktur rundum – nun wird weniger großflächig bebaut. Die Unesco sieht sich im Recht.
"Das ist so ein ganz tolles Beispiel, wo man zeigt, der Welterbetitel kann nicht nur ein Problem sein, sondern er kann einer Stadt auch den Rücken stärken bei langfristigen Entscheidungen, bei nachhaltigen Entscheidungen, um da nicht Projekte aus dem Boden zu stampfen, die vielleicht kurzfristig lukrativ sind, die dann aber mittel- und langfristig leerstehen."
Dabei sind die architektonischen Kriterien gar nicht so einfach:
"Das ist eben ganz wichtig, dass Architekten nicht dazu angehalten sind, in den historischen Altstädten historisierend zu bauen – so zu bauen als wäre es alt, sondern wirklich auch eine zeitgemäße Architektursprache finden sollen. Sonst haben wir nämlich Rothenburg."
"Also Disneyland, wenn man es böse ausdrücken will."
"Sozusagen, ja. Und das ist eben eine der Voraussetzungen, um auf die Welterbeliste zu kommen: dass der Ort authentisch ist. Dass das, was alt aussieht, auch tatsächlich alt ist. Und dass, was neu ist, auch neu aussieht."
Seit 2009 die Dresdner mit ihrer umstrittenen Waldschlösschenbrücke den Weltkulturerbestatus verloren haben, schaut die Organisation den deutschen Stätten besonders kritisch auf die Finger – beziehungsweise in die Hinterhöfe. Denn gerade dort befindet sich das größte ungenutzte Kapital der Unistadt. Baugrund. Doch der muss teils brachliegen. Denn die Flächen in der so genannten Gärtnerstadt sind historisch einzigartige Relikte – und stehen unter Unesco-Schutz. Patricia Alberth führt auf eine Aussichtsplattform.
"Wir sehen hier, umgeben von einem Häuserring kleinteilige Anbaufelder, teilweise auch noch mit Mäuerchen dazwischen, das heißt in diesem Bereich hält sich auch ein Mikroklima. Hier wird das Gemüse in der Regel etwas früher reif als draußen auf dem Land, wo der Wind drüber fegt."
Über 200 Gärtnereien gab es im mittelalterlichen Bamberg. Eine große Tradition, die wichtige Züchtungen hervorbrachten wie die Kartoffel namens Bamberger Hörnla oder den Spitzwirsing. Einer der letzten aktiven Stadtgärtner ist Heiner Neubauer, 69.
"Wir waren 25 Gärtner in der Straße, in der Heiliggrabstraße. Und jetzt sind wir vielleicht noch ein oder zwei."
Mit Stolz trägt Neubauer heute noch die Bezeichnung des Bamberger Zwiebeltreters.
"Ende Juli, Anfang August hat man halt früher die Zwiebeln umgetreten. Das Grüne, was aus dem Boden raussteht, hat man umgetreten, sodass das quasi abgetötet ist, unterbrochen ist. Damit mehr Nahrung in die Zwiebel reinwächst, damit die Zwiebel größer wird. Und deswegen waren das die Bamberger Zwiebeltreter."
Neubauer zieht auf seinen 2000 Quadratmetern hinterm Haus das junge Gemüse, danach verpflanzt er es auf den Feldern vor der Stadt. Dass sich nun Historiker für seinen Beruf interessieren, findet Heiner Neubauer im Prinzip nicht schlecht. Nur das mit dem Bauverbot im Hinterhof…
"Ich kenne ein paar Kollegen, die wollten in zweiter Reihe, also im Hofbereich, oder am Anfang vom Garten ein zweites Haus reinbauen für ihre jungen Leute – so Zeug wird nicht mehr genehmigt. Und durch diese Maßnahme Weltkulturerbe hat man halt vielen Leuten ihr eigenes Grundstück entwertet."
Gärtner verhinderten die Plattenbauten
Dabei wäre das doch gut, wenn etwa sein eigener Sohn, der ja auch die Gärtnerei übernimmt, irgendwann mal bauen könnte, denkt sich Neubauer. In der Gärtnerzunft begegnet man der Unesco skeptisch. Zumal ohne die konservativen Gärtner heute gar kein Welterbe mehr da wäre, das sie schützen könnte. Denn in den 60-ern wollte man die verwinkelte Gartenstadt mit einer vierspurigen Straße durchschneiden – flankiert von Plattenbauten.
"Da gab es dann eine Begehung von allen möglichen hohen Herrn: Stadtrat und Bürgermeister und Landesplaner und so weiter. Und dann haben in dem ganzen Gebiet die Anwohner schwarze Fahnen aus den Häusern rausgehängt. Also die Anwohner waren damals total dagegen. Und heute ist man dankbar, dass man es nicht gemacht hat. Weil man hätte das ganze Stadtgebiet, das Hofstattgebiet, total kaputtgemacht."
Kundin: "Dann nehme ich einen Salat, ansonsten…"
Heiner Neubauer: "Eissalat, Eichblatt, rot, grün oder Kopfsalat oder…"
Kundin: "Eissalat."
Heiner Neubauer: "Wollen Sie das alles so lose in die Tasche?"
Kundin: "Lose ja.
Heiner Neubauer: "Okay."
Heiner Neubauer: "Eissalat, Eichblatt, rot, grün oder Kopfsalat oder…"
Kundin: "Eissalat."
Heiner Neubauer: "Wollen Sie das alles so lose in die Tasche?"
Kundin: "Lose ja.
Heiner Neubauer: "Okay."
In den 80-ern lohnte sich die Massenproduktion nicht mehr, Heiner Neubauer sattelte um auf den Direktverkauf. Die Kunden kaufen das Gemüse direkt in der Hofeinfahrt, plastikfrei gleich in den Einkaufskorb –mitten in der Stadt. Das Welterbe trifft hier auf den Zeitgeist – lokales Gemüse aus jahrhundertealten Gärten, in einem jungen grünen Bamberg.