Banalisierung der Kunst
Noltze nimmt den Leser mit auf einer kulturkritischen Tour d’horizon, die von der Quotengeilheit des Fernsehens über die schwindenden Subventionen für die deutsche Stadttheater-Landschaft bis zur langen Agonie der Plattenindustrie reicht, die auf Umsatzeinbrüche nur mit "Classic goes Pop"-Strategien und Erotik-Kampagnen zu reagieren weiß.
Es ist das größte, erschütterndste Liebes-Drama, das man sich nur vorstellen kann: Wagners "Tristan und Isolde". Und wie erklärt der Wagner-Dirigent Christian Thielemann die herzzerreißende Geschichte um Liebe, Verrat, unendliche Sehnsucht und Tod? "Da wird im Dunkeln geknutscht, also das ist eine kleine private Party, aber die endet eben sehr unerfreulich."
Die Erklärung galt Jugendlichen vor der Pubertät. Aber dass sie auch nur im Entferntesten eine Ahnung von dem vermittelte, was "Tristan und Isolde" ist und im Hörer auslösen kann, das wird wohl niemand behaupten.
Der Bayreuth-Überflieger Christian Thielemann ist ein Paradebeispiel für die "furchtbaren Vermittler" und Komplexitäts-Reduzierer, denen Holger Noltze, Musikjournalist und Professor für "Musik und Medien", in seiner neuen Streitschrift "Die Leichtigkeitslüge" den Kampf angesagt hat.
Das Buch erscheint in einer Zeit, in der die Vermittlung von Kunst (und besonders von Musik, und ganz besonders von Neuer Musik) allgegenwärtig ist. Jedes Orchester hat sein Jugendprogramm, kein Konzert ohne Einführung, pädagogisches Bemühen allerorten. Und für die Neue Musik gibt es vier Jahre lang das Netzwerk Neue Musik, ein großes Vermittlungsprojekt der Kulturstiftung des Bundes.
"Gute Vermittlung wäre aber doch eine, die vor allem eine Ahnung davon gibt, was hinter der freundlich-übersichtlichen Anfangserfahrung noch alles zu entdecken ist. Dazu gehört zu sagen, wie weit der Weg dahin sein kann, und glaubhaft zu machen, dass die Länge dieses Erfahrungs- und Erkenntnisweges aber genau den Reiz der Sache ausmacht." Der Satz steht auf Seite 21, und er beschreibt Noltzes Ideal einer Annäherung an große Kunst.
Die Realität aber sieht anders aus. Die Kunst in all ihrer Komplexität wird banalisiert und so ihres Eigentlichen beraubt. Oft aus zynischem, kommerziellen Kalkül und aus einer tiefen Verachtung des Publikums (respektive der Käufer) heraus. Oft aber auch im besten Wollen und Bestreben, die bisher Uninteressierten zu erreichen.
Man hole das Publikum ab, aber man traue ihm wenig zu, schreibt Noltze über die "furchtbaren Vermittler". Man muss nichts wissen, man muss sich nicht anstrengen, es kostet keine Mühe, es bringt schnellen Spaß. Kunst hat nichts Befremdliches, nichts Irritierendes. Und eigentlich ist auch eine Symphonie nur "Pop" und Mozart ein cooler Typ.
Noltze nimmt den Leser mit auf einer kulturkritischen Tour d’horizon, die von der Quotengeilheit des Fernsehens über die schwindenden Subventionen für die deutsche Stadttheater-Landschaft bis zur langen Agonie der Plattenindustrie reicht, die auf Umsatzeinbrüche nur mit "Classic goes Pop"-Strategien und Erotik-Kampagnen zu reagieren weiß.
Das ist alles richtig – und auch etwas weitschweifig. Aber gegen Ende kommt Holger Noltze doch wieder auf sein eigentliches Thema und Anliegen zurück. "Wesentlich für die ästhetische Erfahrung eines Kunstwerks sind weder Anekdoten aus dem Leben des Künstlers noch die Verengung auf das eigene Empfinden im Sinne eines ‚Was macht das mit mir?’" So schreibt er und propagiert stattdessen (unter anderem) Friedrich Schillers Ideal einer ästhetischen Erziehung. Es gehe um die Ausbildung von "Gefühlsvermögen" und den "Genuss erfüllter Gegenwart" im Vollzug des Entdeckens. Gerade die Mühe, die man aufwendet, um etwas zu entdecken, sei ein Weg zur Erkenntnis. "Gute Vermittlung dürfte demnach die Begegnung mit Komplexität gerade nicht vermeiden; sie müsste allerdings der Selbstunterforderungsmechanik, etwa der Angst vor dem Nichtverstehen, entgegenwirken." "Das Schöne ist komplex", schreibt Noltze apodiktisch. Eigentlich eine Banalität. Dass sie heute als Provokation wirkt, sagt viel über die Zeitläufte.
Besprochen von Rainer Pöllmann
Holger Noltze: Die Leichtigkeitslüge. Über Musik, Medien und Komplexität
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010
294 Seiten, 18,00 Euro
Die Erklärung galt Jugendlichen vor der Pubertät. Aber dass sie auch nur im Entferntesten eine Ahnung von dem vermittelte, was "Tristan und Isolde" ist und im Hörer auslösen kann, das wird wohl niemand behaupten.
Der Bayreuth-Überflieger Christian Thielemann ist ein Paradebeispiel für die "furchtbaren Vermittler" und Komplexitäts-Reduzierer, denen Holger Noltze, Musikjournalist und Professor für "Musik und Medien", in seiner neuen Streitschrift "Die Leichtigkeitslüge" den Kampf angesagt hat.
Das Buch erscheint in einer Zeit, in der die Vermittlung von Kunst (und besonders von Musik, und ganz besonders von Neuer Musik) allgegenwärtig ist. Jedes Orchester hat sein Jugendprogramm, kein Konzert ohne Einführung, pädagogisches Bemühen allerorten. Und für die Neue Musik gibt es vier Jahre lang das Netzwerk Neue Musik, ein großes Vermittlungsprojekt der Kulturstiftung des Bundes.
"Gute Vermittlung wäre aber doch eine, die vor allem eine Ahnung davon gibt, was hinter der freundlich-übersichtlichen Anfangserfahrung noch alles zu entdecken ist. Dazu gehört zu sagen, wie weit der Weg dahin sein kann, und glaubhaft zu machen, dass die Länge dieses Erfahrungs- und Erkenntnisweges aber genau den Reiz der Sache ausmacht." Der Satz steht auf Seite 21, und er beschreibt Noltzes Ideal einer Annäherung an große Kunst.
Die Realität aber sieht anders aus. Die Kunst in all ihrer Komplexität wird banalisiert und so ihres Eigentlichen beraubt. Oft aus zynischem, kommerziellen Kalkül und aus einer tiefen Verachtung des Publikums (respektive der Käufer) heraus. Oft aber auch im besten Wollen und Bestreben, die bisher Uninteressierten zu erreichen.
Man hole das Publikum ab, aber man traue ihm wenig zu, schreibt Noltze über die "furchtbaren Vermittler". Man muss nichts wissen, man muss sich nicht anstrengen, es kostet keine Mühe, es bringt schnellen Spaß. Kunst hat nichts Befremdliches, nichts Irritierendes. Und eigentlich ist auch eine Symphonie nur "Pop" und Mozart ein cooler Typ.
Noltze nimmt den Leser mit auf einer kulturkritischen Tour d’horizon, die von der Quotengeilheit des Fernsehens über die schwindenden Subventionen für die deutsche Stadttheater-Landschaft bis zur langen Agonie der Plattenindustrie reicht, die auf Umsatzeinbrüche nur mit "Classic goes Pop"-Strategien und Erotik-Kampagnen zu reagieren weiß.
Das ist alles richtig – und auch etwas weitschweifig. Aber gegen Ende kommt Holger Noltze doch wieder auf sein eigentliches Thema und Anliegen zurück. "Wesentlich für die ästhetische Erfahrung eines Kunstwerks sind weder Anekdoten aus dem Leben des Künstlers noch die Verengung auf das eigene Empfinden im Sinne eines ‚Was macht das mit mir?’" So schreibt er und propagiert stattdessen (unter anderem) Friedrich Schillers Ideal einer ästhetischen Erziehung. Es gehe um die Ausbildung von "Gefühlsvermögen" und den "Genuss erfüllter Gegenwart" im Vollzug des Entdeckens. Gerade die Mühe, die man aufwendet, um etwas zu entdecken, sei ein Weg zur Erkenntnis. "Gute Vermittlung dürfte demnach die Begegnung mit Komplexität gerade nicht vermeiden; sie müsste allerdings der Selbstunterforderungsmechanik, etwa der Angst vor dem Nichtverstehen, entgegenwirken." "Das Schöne ist komplex", schreibt Noltze apodiktisch. Eigentlich eine Banalität. Dass sie heute als Provokation wirkt, sagt viel über die Zeitläufte.
Besprochen von Rainer Pöllmann
Holger Noltze: Die Leichtigkeitslüge. Über Musik, Medien und Komplexität
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010
294 Seiten, 18,00 Euro