Bandtourneen nach dem Brexit

Sonderregelungen für Musiker?

07:35 Minuten
Eine Pro-EU-Band demonstriert in London gegen den Brexit.
Wie kommen britische Bands für Konzerte künftig ohne langwierige Formalitäten in die EU – und umgekehrt? Diese Band demonstriert in London gegen den Brexit. © picture alliance / AP / Matt Dunham
Kevin Offer im Gespräch mit Andreas Müller |
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Der Brexit macht alles komplizierter. Zum Beispiel Tourneeplanungen von hüben nach drüben und zurück. Machen Stars wie Ed Sheeran künftig einen Bogen um die EU-Staaten, weil neue Formalitäten die Tourplanung dramatisch teuer machen?
Kevin Offer arbeitet in London für die Steuerberatung Hardwick & Morris. Besondere Expertise hat er im Musikbereich. Nach eigenen Angaben arbeitet er mit einigen der größten Acts der Musikindustrie zusammen. Für die Musikindustrie und die Künstler, sagt Offer, sei der Brexit ein negativer Einschnitt.
Andreas Müller: Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren mit Musikerinnen und Musikern aus Großbritannien über den Brexit gesprochen. Die meisten von ihnen waren ausgesprochene Gegner des EU-Austritts. Eine Sorge, die immer wieder geäußert wurde, war: Der Brexit macht es erheblich schwerer, auf Tour zu gehen. Teilen Sie diese Sorge?
Kevin Offer: Ja, das sehe ich auch so. Horace Trubridge ist der Generalsekretär der Musician’s Union, einer Organisation, zu der rund 30.000 Musikerinnen und Musiker in Großbritannien gehören. Er hat gesagt, dass ein großer Teil der Mitglieder Pläne, nach 2020 auf Tour zu gehen, aufgeschoben hat – wegen des Brexits. Das macht klar, dass eine große Unsicherheit herrscht, die jetzt schon ganz reelle Folgen hat.
Ich persönlich gehe aber davon aus, dass sich die Situation nach dem Brexit erst mal nicht ändern wird. Die großen Veränderungen kommen zum 1. Januar 2021. Zunächst ist also Unsicherheit der zentrale Punkt: Es ist unklar, was für Visa benötigt werden, was für Papiere benötigt werden, um das Equipment über die Grenze zu bringen. Merchandise ist ein weiterer Problemfall. So lange diese Fragen ungeklärt sind, lässt sich nur schwer eine Tour planen. Daher denke ich, dass die Musiker, die Sie erwähnt haben, ganz richtig liegen mit ihren Sorgen.

Trucks und Entourage - das verursacht hohe Kosten

Müller: Sie sind nun ein Mann der Zahlen und arbeiten nach eigenen Angaben mit einigen der größten Acts der Musikindustrie zusammen. Wenn Popstars nun auf Tour gehen, dann ist das ja oft mit großem Aufwand verbunden: Lastwagen, Nightliner, die große Entourage. Damit wir eine Vorstellung haben: Haben Sie ein Beispiel, was da, sagen wir, auf einen Ed Sheeran zukommen könnte?

Offer: Wenn ein Musiker in der Größenordnung von Ed Sheeran auf Tour geht, ist das mit einem immensen Aufwand verbunden. Es heißt, dass er auf seiner letzten Tour mit 20 bis 30 Trucks unterwegs war. Wenn das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat und wir nicht mehr Teil der Zollunion sind, wird für den Grenzübertritt ein Zollbegleitschein notwendig sein. Bei diesem sogenannten Carnet-Dokument handelt es sich um eine Liste, auf der alles aufgeführt sein muss, was sich in den Trucks befindet, inklusive dem Wert des jeweiligen Gegenstandes. Diese Liste wird dann an der Landesgrenze überprüft. Möglicherweise fallen dafür sogar Gebühren an.
Der britische Sänger Ed Sheeran bei einem Konzert.
Der Sänger Ed Sheeran – auch ihm wird es möglicherweise bald zu teuer und zu kompliziert, für Konzerte in die EU zu reisen.© PA Wire / Ben Birchall
Wahrscheinlich wird das aber vor allen Dingen eine Fingerübung in Sachen Bürokratie sein. Aber für einen Musiker, der mit besagten 20 bis 30 Trucks unterwegs ist, kostet so etwas viel Zeit – und damit auch Geld. Spielt Ed Sheeran an einem Tag in Großbritannien und am nächsten in Frankreich, wird ihm niemand garantieren können, dass das Equipment rechtzeitig durch den Zoll kommt. Er wird also ein bis zwei Tage Pause zwischen beiden Konzerten einplanen müssen, an denen seine Crew weiterhin bezahlt werden möchte.

Independent-Bands können die Kosten nicht aufbringen

Müller: Mann muss sich das vielleicht noch mal bildlich machen: In so einem Carnet wird im Prinzip jedes Kabel, jeder Satz Saiten, jedes winzige Detail aufgeführt. Und bei dieser Produktionsgröße – Sie haben es gerade gesagt: Das ist Irrsinn.
Offer: Ja, das ist es. Und die Dokumente müssen bei der Ein- und Ausreise überprüft werden. Jemand wie Ed Sheeran wird sich das womöglich leisten können, wenn ich mir diesen Kommentar erlauben darf. Aber wenn wir über weniger finanzstarke Künstler sprechen, über Bands aus dem Independent-Bereich – da spielen solche Kosten mitunter eine große Rolle. Die wird das vielleicht ganz vom Touren abhalten.
Und natürlich müssen wir bedenken, dass wir hier nicht nur von britischen Künstlern sprechen. Wenn zum Beispiel Rammstein im Vereinigten Königreich spielen wollen, wie es die Band im letzten Jahr getan und in diesem Jahr vorhat, dann gilt diese Regelung auch für sie.

Spezielle Regelungen für Musiker

Müller: Im Oktober 2019 haben Sie sich dafür ausgesprochen, dass es eine besonderen Regelung für tourende Musiker braucht. Ist diese Aussage noch aktuell? Falls ja, wie könnte sie aussehen?
Offer: Ja, ich halte das immer noch für eine gute Idee. Dieser Vorschlag findet auch bei vielen Musikerinnen und Musikern Anklang – überhaupt: in der ganzen Musikindustrie. Wir wünschen uns eine Art Sonderregelung, mit der wir Verzögerungen und Carnets, besondere Visa und andere Dinge vermeiden können. Tourneen durch Europa sind ein wichtiger Wirtschaftszweig. Auch kulturell gesehen ist es wichtig.
Was sind die nächsten Schritte? Zunächst einmal wird es eine Übergangsphase geben. Und Boris Johnson geht davon aus, dass er bis Jahresende eine Freihandelszone erstritten haben wird. Vernünftige Menschen halten das für wenig realistisch. Aber mal angenommen, dass das klappt, dann geht es immer noch darum, Menschen von einem Land ins nächste zu kriegen. Die USA könnten uns da mit ihren Regelungen ein Vorbild sein. Man hätte einen temporäre Berechtigung, sich frei zu bewegen. Wenn wir nicht zu so einer Vereinbarung kommen, wird es sehr schwer, auf Tour zu gehen.

Keine Vorteile für die Musikindustrie

Müller: Ja, das wäre sehr schön, wenn es so ein Ergebnis gebe, so eine Regelung. Ich weiß aber auch jetzt schon von deutschen Musikern, die kein Visum für die USA bekommen mitunter. Das geht gar nicht so einfach. Wir haben über viele Probleme jetzt schon gesprochen: das Visum und so weiter. Dass eben auch schon Acts sagen: Wir setzen die Touren erst mal aus, bis wirklich Klarheit herrscht. Sehen Sie an irgendeiner Stelle einen Vorteil des Brexit?
Offer: Als jemand, der kein Befürworter des Brexit ist, sich aber damit hat abfinden müssen, sehe ich sehr wenig Vorteile für die Musikindustrie. Ich bin mit The Clash aufgewachsen, das war politische Musik zu politisch heiklen Zeiten. Wenn wir also mal von den finanziellen und rechtlichen Fragen absehen, dann könnte der Brexit zu einer neuen Ära führen, in der Popsongs wieder eine Botschaft und eine gesellschaftliche Relevanz haben. Eine Ära, in der Musiker etwas wollen, und zwar mehr wollen, als uns zu erzählen, wie schön das Wetter ist. Aber abgesehen davon fallen mir keine Vorteile ein.
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