Bangladesch

Der Kampf ums Überleben

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Frauen und Männer arbeiten am 03.01.2014 in der Textilfabrik "One Composite Mills" in Gazipur, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch. © dpa picture alliance/ Doreen Fiedler
Von Jürgen Webermann |
Die Arbeiter protestieren für höhere Löhne, die Fabrikbesitzer beklagen sich über gestiegene Kosten. Doch warum kommt so wenig Geld bei ihnen an? Weil sich die westlichen Unternehmen weigern, mehr für die Ware zu bezahlen. Es geht um Cent-Beträge.
In der Textilfabrik Denier am Rande der Hauptstadt Dhaka herrscht Produktionsdruck. Es ist später Nachmittag. 500 Arbeiterinnen sitzen hinter ihren Nähmaschinen. Tageslicht gibt es hier nicht. Lediglich die Neonröhren leuchten. Oft dauern die Arbeitstage hier zwölf Stunden. Bei Denier produzieren sie pro Tag zehntausend T-Shirts.
Shohag, der Leiter der Fabrik, lässt uns überraschenderweise hinein. Nach dem Rundgang führt er uns in sein Büro. Kaum ist die Tür zu, redet er Klartext. Vor ihm liegt ein blaues T-Shirt. Es soll auch in Deutschland verkauft werden, in den Läden der Kette "New Yorker". Das Preisschild ist schon angebracht. 6 Euro 95.
"Mein Kunde zahlt mir dafür einen Dollar 50, also etwas mehr als einen Euro. Ich verdiene kaum noch etwas daran."
Shohags Produktionskosten sind seit der Rana Plaza Katastrophe um mehr als 70 Prozent gestiegen. Er musste in die Sicherheit investieren, weil inzwischen die Standards herauf gesetzt wurden. Dazu muss Shohag höhere Mindestlöhne zahlen, statt 30 sind es jetzt 50 Euro pro Monat. Doch diese Mehrkosten muss er alleine schultern, sagt Shohag.
"Meine Kunden weigern sich, mehr zu zahlen. Nicht mal 5 oder zehn Cent."
Autor: "Sie sagen, nicht mal 5 Cent?"
"Nein, nicht mal fünf Cent. Ich habe gerade einen Auftrag über 700-tausend T-Shirts. Aber nein, wenn ich sage: Ich muss 70 Prozent mehr Lohn zahlen, bitte gebt mir wenigstens fünf oder zehn Cent mehr, heißt es immer: Das geht nicht."
Endpreis von 6,95 auf 7,30 Euro – reines Wunschdenken
Dabei ist Shohags Rechnung eigentlich ganz einfach: Fünf Prozent des Verkaufspreises. Das sind im Fall des blauen T-Shirts knapp 35 Cent mehr. Der Preis für die Verbraucher würde dann nicht mehr bei 6 Euro 95, sondern bei 7 Euro 30 liegen. Doch das ist reines Wunschdenken.
Andere Fabrikbesitzer scheinen das Problem drastischer zu lösen. Mitten in Dhaka, auf dem Parkplatz vor dem Glasturm des Textilunternehmerverbandes, protestieren etwa 80 Menschen. Sie sind Textilarbeiter. Sicherheitsleute versuchen, sie von den Nobelkarossen fernzuhalten.
"Wir haben einfach nur von unseren Chefs gefordert, uns höhere Löhne zu zahlen. Schließlich wurde ja auch der Mindestlohn herauf gesetzt. Aber dann wurden wir geschlagen und gefeuert. Und jetzt wollen sie uns nicht mal die Abfindung zahlen, die uns zusteht."
Ahjana ist Näherin. Sie sagt, es sei kein Problem, einen neuen Job zu finden in einer anderen Fabrik. Aber ihr geht es ums Prinzip. Viel Hilfe erwartet sie nicht. Schlagkräftige Gewerkschaften entwickeln sich nur langsam in Bangladeschs Textilbranche.
Unternehmerverband: "Wir sind Opfer einer negativen Kampagne"
Ein paar Stockwerke weiter oben wettert der Präsident des Unternehmerverbandes, Atiqul Islam, gegen die Demonstranten.
"Wissen Sie, nebenan sitzen Fabrikbesitzer, die ihre Firmen schließen mussten. Ich kann meine Kosten nicht mehr decken. Und die da unten auf dem Parkplatz, das sind deren Mitarbeiter, die wollen immer mehr."
Der mächtige Lobbyist redet sich in Rage. Fragen zur Katastrophe am Rana Plaza gefallen ihm überhaupt nicht.
"Wir sind Opfer einer großen, sehr großen negativen Kampagne. In China gibt es auch viele Unfälle. Aber alle reden nur über Bangladesch! Vielleicht sind unsere Medien einfach zu unabhängig. Und vielleicht sind wir einfach zu nett zu ausländischen Reportern."
Shohag, der Fabrikant aus dem Vorort von Dhaka, würde das wohl etwas zurückhaltender formulieren. Aber auch er klingt verbittert.
"Es gibt hier hunderte Fabriken. Sollen die Kunden doch woanders hingehen, sie drohen ja immer damit. Gut, ich kann darauf setzen, dass sie feststellen werden, dass anderswo die Qualität schlechter ist als bei uns. Dann kommen sie in einem Jahr wieder. Aber in einem Jahr bin ich hier fertig. Das würde ich nicht durchhalten."
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