Das 16-Millionen-Ding bei der Greensill-Bank
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Die Pleite der Greensill-Bank hat viele Anleger geschockt, die ihr Geld zu relativ hohen Zinsen angelegt haben. Während Privatanleger schon entschädigt wurden, gehen Städte und Gemeinden leer aus.
Ortsmitte Weissach, eine 7500-Einwohner-Gemeinde gut eine halbe Autostunde von Stuttgart entfernt. Zwei Passantinnen unterhalten sich über das "16-Millionen-Ding".
"Ich weiß gar nicht, wie viele Jahre wir überhaupt sparen müssen, um so viel Geld zu haben."
"Gut, und dann war ja Weissach auch mal eine sehr reiche Gemeinde."
"Ja, sind wir immer noch, wenn wir 16 Millionen irgendwo anlegen können."
"Also, ich habe mal alle Städte durchgeschaut, die betroffen sind: Da sind wir mit 16 Millionen voll dabei, das ist schon heftig!"
Vor so manchem Weissacher Einfamilienhaus steht ein Porsche. Der Sportwagenhersteller betreibt vor den Toren Weissachs sein Entwicklungszentrum und gilt als eine Art Wohlstandsgarant für die Gemeinde.
Die Einlage bei der Greensill-Bank ist weg
Doch dann passierte eben das "16-Millionen-Ding": 16 Millionen Euro hatte die Gemeinde bei der Greensill-Bank angelegt. Jetzt sind die 16 Millionen Euro einfach weg.
"Nach den Erfahrungen aus der Finanzkrise finde ich solche Anlagen schon sehr leichtsinnig. Von daher weiß man, dass solche Anlagen kaputtgehen können."
"Also ich finde, 16 Millionen sind ganz schön viel."
"Ich find's traurig: Die Kinder und Eltern können nicht unterstützt werden. Aber wenn wir 16 Millionen verlieren, ist das schlimm. Das ist eine wahnsinnige Summe. Da könnte man ganz schön viel machen. Krippenplätze einrichten, Erzieher einstellen. Also in meiner Welt ist das sehr viel Geld."
Auch in der Welt der Gemeindeverwaltung sind die 16 Millionen Euro kein Pappenstiel: "Bei uns im laufenden Haushalt führt das nicht dazu, dass Projekte nicht durchgeführt werden können oder irgendetwas gestoppt werden muss", sagt zwar der Weissacher CDU-Bürgermeister Daniel Töpfer.
In den kommenden Jahren, so seine Prognose, würden die fehlenden Millionen aber durchaus für Engpässe beim Handlungsspielraum der Gemeinde sorgen: "In der mittelfristigen Finanzplanung, also die nächsten drei bis fünf Jahre, wird die Frage zu stellen sein, ob man dann alles machen kann, was man machen möchte."
Bad Dürrheim fehlen nun zwei Millionen Euro
Auswirkungen der Greensill-Pleite, die sich nicht nur in Weissach zeigen, sondern in zahlreichen Städten und Gemeinden – unter anderem in der beschaulichen Kur- und Bäderstadt Bad Dürrheim im Schwarzwald: Auch sie hat Geld bei Greensill angelegt, auch hier ist das den Passanten gleich präsent.
"Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, waren es zwei Millionen. Das ist natürlich schon ein strammer Betrag. Aber ich bin überzeugt, dass das die Stadt nicht umwirft."
"Würde ich schon sagen, dass das Geld jetzt in der Kasse fehlt. Die haben ja viele Projekte geplant. Ich würde schon denken, dass einiges auf die lange Bank geschoben wird."
Auch in Bad Dürrheim empfinden viele Bürgerinnen und Bürger die Geldanlage von zwei Millionen Euro bei der Greeensill-Bank, die die Stadtverwaltung nach derzeitigem Stand abschreiben muss, als ausgesprochenes Ärgernis.
Für CDU-Bürgermeister Jonathan Berggötz ist es "ein Thema, das absolut keine Freude macht: Wir reden von zwei Millionen Euro, die den Bürgern von Bad Dürrheim gehören. Wenn wir das mal umrechnen, sind das pro Einwohner circa 150 Euro, die uns verloren gehen könnten. Das ist richtig bitter."
Gerade für Bad Dürrheim sind zwei Millionen Euro viel Geld: kaum Industrie; die Stadt gilt von ihrer Wirtschaftsstruktur her alles andere als finanzstark. "Das heißt, bei uns sitzt das Geld keinesfalls locker. Klar ist: Wir hätten die zwei Millionen gerne in andere Themen wie beispielsweise die Infrastruktur gesetzt."
Erschwerend kommt in Bad Dürrheim noch hinzu, dass das Tourismus- und Gesundheitsangebot sehr stark sei. "Da haben wir Corona-bedingt natürlich auch sehr viele Probleme."
Elf Kommunen allein im "Ländle" betroffen
Neben Weissach und Bad Dürrheim müssen neun weitere baden-württembergische Kommunen um den Verlust ihrer Greensill-Einlagen fürchten. Sie haben sich in einer Art kommunalem Selbsthilfenetzwerk zusammengeschlossen, "um unsere Kräfte zu bündeln, da sich die Situationen vor Ort nahezu überall gleich zeigen: Alle Kommunen haben Gelder dort im Rahmen von Festgeldanlagen getätigt", erklärt der Weissacher Bürgermeister Töpfer.
Viele Kommunen seien von Finanzdienstleistern beraten worden, häufig mit den identischen Partnern und Anbietern. Die Rahmenbedingungen seien überall in etwa die gleichen gewesen, sagt Töpfer, der auch Sprecher des Selbsthilfenetzwerkes ist: "Daher war schnell klar: Wir schließen uns zusammen, bündeln die Kräfte, um damit gegenüber allen anderen Gläubigern eine starke Stellung einzunehmen und unsere Interessen zu vertreten."
Alle betroffenen Kommunen sehen sich mit demselben Vorwurf konfrontiert: Nämlich die Gemeindemillionen viel zu blauäugig bei der Greensill-Bank angelegt zu haben, deren Zinsversprechen in einer Null-Zins-Phase eigentlich zu ordentlich Misstrauen bei den Bürgermeistern und Gemeindekämmerern hätte führen müssen.
Kritik am Anlageverhalten der Kommunen
So jedenfalls die Kritik von Bankenexperte Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim: "Wenn da irgendein höherer Zins gezahlt wird, dann muss das einen Grund haben. Es gibt einen berühmten Spruch an den Kapitalmärkten: There is no free lunch! Das heißt: Du bekommst nichts geschenkt. Am Kapitalmarkt ist das sehr unwahrscheinlich. Das hätte den Kämmerern klar sein müssen. Denn der Marktzins ist eben bei null."
Hinzu kommt: Greensill sei nicht die einzige Bank gewesen, die bei Kommunen mit günstigen Zinskonditionen lockte und später die Einlagen nicht mehr zurückzahlen konnte. Alles schon mal da gewesen, meint Finanzexperte Burghof:
"Solche Geschäfte haben wir immer wieder: Mit Derivaten haben wir so etwas konstruiert in der Vergangenheit. Es gibt die Geschichte mit den Schweizer-Franken-Krediten, wo Kommunen statt in Euro Kredite in Schweizer Franken aufgenommen haben, obwohl sie keine Einnahmen in Schweizer Franken haben und man dann gesagt hat: Der Schweizer Franken wird schon nicht so stark ansteigen. Tatsächlich ist genau das passiert. Das kam auch nicht ganz überraschend."
"Die schwäbische Hausfrau … na ja, hinterher ist man immer schlauer, sagt vielleicht: Man hätte es anders einschätzen können", kontert der Weissacher Bürgermeister Töpfer die Kritik.
Rat externer Anlage-Experten
Man habe sich bei der Entscheidung, Millionenbeträge bei Greensill anzulegen, auf den Rat ausgewiesener Finanzexperten verlassen, sagt der CDU-Politiker. "Denn die kleinen Kommunen haben oftmals gar keine anderen Möglichkeiten, sich dieses Expertenwissen einzukaufen. Wir beschäftigen keine Finanzanalysten. Wir beschäftigen keine Volkswirte. Darüber hinaus müssen wir auf Finanzdienstleister zurückgreifen, die tagtäglich nichts anderes machen, als sich mit dieser Materie zu beschäftigen."
Über viele Jahre und Jahrzehnte habe das auch gut funktioniert, sagt Töpfer: "Jetzt im vorliegenden Fall offensichtlich bei Einzelfällen nicht. Da steht auch im Raum, dass eine Falschberatung stattgefunden haben könnte."
Deswegen haben sich die elf baden-württembergischen Gemeinden aus der kommunalen Greensill-Selbsthilfegruppe dazu entschlossen, um ihre Millionen zu kämpfen: Sie denken über rechtliche Schritte nach: gegen die Bank, gegen die Banker und gegen die Berater: "Wir schätzen die Chancen als gut ein", sagt Netzwerksprecher Töpfer.
Doch wie diese Verfahren tatsächlich ausgeht, wird erst die Zukunft zeigen. Ob dann überhaupt noch etwas von den Greensill-Einlagen übrig sein wird, ist fraglich.
Eine "bisschen naive" Geldanlage
Finanzexperte Burghof von der Universität Hohenheim mahnt dagegen bei den betroffenen Städten und Gemeinden ein grundsätzlich vorsichtigeres Vorgehen bei der Geldanlage an, gepaart mit deutlich mehr Misstrauen bei vermeintlich lukrativen Angeboten: "Wie gesagt: Der Kapitalmarkt schenkt nichts."
Tatsächlich möge es eine Pflicht geben, das Geld möglichst günstig anzulegen. "Das ist aber ein bisschen naiv, denn Sie kommen am Kapitalmarkt eben vom Marktzins nicht wirklich weg. Es gibt gleichzeitig die Pflicht, mit dem Geld der Bürger keine Spekulationen zu machen, keine Risiken einzugehen. Ich glaube, diese Pflicht ist dann eben doch verletzt worden."