"Barbara"

Von Hannelore Heider |
In "Barbara" spielt Nina Hoss eine Berliner Ärztin, die aus der DDR ausreisen möchte und deshalb strafversetzt wird in die Provinz. Für seinen neuen Film wurde Christian Petzold bei der 62. Berlinale als bester Regisseur ausgezeichnet.
Eine Frau sitzt auf der Bank vor dem Krankenhaus, in dem sie fürderhin arbeiten wird, und raucht eine Zigarette. Der Bus hat sie gebracht von der Bahnstation in die tiefste Provinz irgendwo in Mecklenburg. Zwei Männer beobachten sie oben am Fenster und kommentieren ihr Verhalten. Es sind der junge Chefarzt (Ronald Zehrfeld) und ihr Stasioffizier (Rainer Bock). Die Frau heißt Barbara (Nina Hoss). "Barbara" ist die fünfte Zusammenarbeit von Regisseur Christian Petzold mit dieser Ausnahmedarstellerin - und der erste seiner Filme, der nicht in der unmittelbaren Gegenwart spielt. Auf der diesjährigen Berlinale erhielt er für diese Filmerzählung über die Geschichte einer Frau aus den letzten Jahren der DDR den Silbernen Bären für die beste Regie.

Er hat genau recherchiert und genau zugehört. Auch wenn das alte Krankenhaus am Rande einer Siedlung nicht dekoriert ist mit den Versatzstücken aus DDR-Museen, stimmen alle Details. Sie sind atmosphärisch wichtig, doch im Zentrum des Filmes steht nicht das Leben in der DDR, sondern diese eine Frau: Barbara Wolf, Ärztin an der Berliner Charité, nach ihrem Ausreiseantrag strafversetzt in die Provinz. Gleich am ersten Tag nimmt sie der junge Chefarzt in seinem Auto mit. Ohne nach dem Ziel zu fragen, setzt er die neue Kollegin vor dem alten Gutshaus ab, in dem sie ein Zimmer hat. Sie organisiert sich ein Fahrrad, um nicht auf dieses Mitfahren angewiesen zu sein. Barbara will keine Freundlichkeit und keine Neugier; es reicht, dass der Stasimann ganz offen jeden Schritt von ihr überwacht. Und Barbara hat wirklich etwas zu verbergen. Sie hat ihren Plan trotz aller Drangsalierungen nicht aufgegeben und sie trifft sich heimlich mit ihrem Liebhaber, dem Kollegen aus dem Westen. Barbara ist auf dem Sprung und auf der Hut, aber sie hat Patienten und Kollegen, denen sie nicht aus dem Weg gehen kann.

Nina Hoss und Ronald Zehrfeld spielen mit wenigen Worten, fast nur mit Blicken das langsame Aufatmen und Vertraut-werden-miteinander - und nur wir Zuschauer wissen, was Barbara damit riskiert. Denn sie hatte sich selbst abgeschottet, amputiert förmlich, um sich die Freiheit zu erhalten, gehen zu können. Damit trägt sie als eine ganz genau in ihre Zeit und Umgebung eingepasste Heldin einen Konflikt aus, der nicht auf die stürmische Landschaft hinter dem Meer und die zugemauerte DDR begrenzt ist. Barbaras Entscheidung bereitet Christian Petzold mit ganz undramatischen, vielschichtig das Leben in der DDR spiegelnden Szenen vor und nimmt seine Heldin so ernst, wie es ihr Ringen um Freiheit verdient. Damit ist "Barbara" eine ganz andere Art DDR-Film als es "Sonnenallee" oder "Das Leben der anderen" noch waren - und ein Erlebnis für Zuschauer in Ost und West.

Deutschland 2012, Buch und Regie: Christian Petzold; Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Jasna Fritzi Bauer, Mark Waschke, Rainer Bock; ab 6 Jahren; 108 Minuten

Filmhomepage "Barbara"