Barbara F. Walter: „Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen“
© Hoffmann und Campe
Demokratie in Gefahr
04:58 Minuten
Barbara F. Walter
Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Wollermann, Bernhard Jendricke
Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehenHoffmann und Campe, Hamburg 2023320 Seiten
26,00 Euro
Als Politikwissenschaftlerin lehrt Barbara F. Walter zum Thema politische Instabilität in jungen Demokratien und instabilen Staaten. In ihrem Buch "Bürgerkriege" erklärt sie, warum auch traditionelle Demokratien immer instabiler werden.
Bereits auf dem Buchumschlag wird klar, worauf Barbara F. Walters Ausführungen hinauslaufen: Abgebildet sieht man den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021, ein Ereignis, welches die ganze Welt schockierte. Etwas, was man vorher nur von instabilen Staaten kannte, war nun auch im Herzen der westlichen Welt passiert. Extremisten lehnten sich gegen das Ergebnis einer demokratischen Wahl auf und versuchten, ihren Kandidaten mit Gewalt an der Macht zu halten. Doch damit beginnt Walters Buch nicht. Tatsächlich geht es erst ab der Mitte des Buches um die Vereinigten Staaten. Davor beschäftigt sich Walter intensiv mit der Frage, was passieren muss, damit Staaten zerfallen.
Besonders gefährdet: junge Demokratien
Je undemokratischer ein Land, je weniger Rechte die Bürger eines Landes besitzen, desto höher die Wahrscheinlichkeit für einen Volksaufstand – könnte man meinen. Dass dies ein Trugschluss ist, zeigt Walter, indem sie Daten aus Jahrzehnten an Bürgerkriegsforschung aufbereitet.
Gefährlich wird es meist dann, wenn es zum Systemübergang kommt. Gerade eine zu schnelle Demokratisierung erhöht die Gefahr für Bürgerkriege, funktionierende Autokratien können hingegen sehr stabil sein. Ausschlaggebend für Gewaltbereitschaft innerhalb der Bevölkerung ist dabei vor allem der befürchtete Privilegienverlust zuvor bevorzugter Gruppen.
Besonders gefährlich: Soldaten und soziale Medien
Nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein war es die Auflösung des irakischen Militärs, die Tausende an der Waffe trainierte Männer ohne Lohn und Brot auf die Straße setzte. Nur wenig später sollten viele dieser Männer in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ eine neue Heimat finden. Auch in anderen Konfliktherden waren es oft Ex-Militärs, die sich Rebellengruppen anschlossen.
Walter zieht Parallelen zu Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, wo das Department of Homeland Security bereits 2009 davor warnte, dass Rechtsextremisten unzufriedene Veteranen radikalisieren könnten. Diese Radikalisierung ist im Zeitalter sozialer Medien wesentlich einfacher geworden. Rechtsextreme Gruppen wie die Oath Keepers sind heute bestens über verschiedene soziale Netzwerke verknüpft.
Nach dem Bedeutungsverlust
Zentral für Walters Thesen ist das Verlustgefühl privilegierter Gruppen, zum Beispiel wenn sich die Bevölkerungsstruktur durch Zuwanderung verändert. Dabei brauchen radikale Gruppen nicht viele, gewaltbereite und gut ausgebildete Mitglieder, um Bürgerkriege vom Zaun zu brechen. Oft reichen wenige, gezielte Angriffe aus, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat nachhaltig zu schädigen. So werden aus eingebildeten Bedrohungen schnell reale Gefahren.
Dass es auch anders geht, zeigt Walter am Beispiel von Südafrika, wo das Ende der Apartheid nicht mit Massakern oder einem Genozid einherging, weil politische Akteure auf beiden Seiten sich ihrer Verantwortung bewusst waren. Auch am Beispiel des Bundestaats Kalifornien zeigt Walter, dass mehr Minderheitenrechte nicht zu einer Verschiebung von Privilegien, sondern zu mehr Gerechtigkeit für alle Bürger führen können. Und so bleibt Walter trotz der düsteren Prognosen gerade im US-amerikanischen Kontext optimistisch.