"Eine totale Revolution"
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Ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern bekommt den deutschen Pass. Das klingt selbstverständlich, ist aber erst seit 20 Jahren der Fall. Barbara John (CDU) kämpfte ehemals an der Seite von SPD und Grünen für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht.
Vor 20 Jahren verabschiedete der Bundestag mit seiner rot-grünen Mehrheit ein neues Staatsangehörigkeitsrecht. Für Deutschland bedeutete das nicht weniger als eine "volle, totale Revolution", so Barbara John (CDU), damals Berliner Ausländerbeauftragte.
Denn das neue Gesetz weichte das bis dahin gültige Abstammungsprinzip (ius sanguinis) auf und führte zusätzlich das Geburtsortprinzip (ius solis) ein. Damit konnten erstmals hier geborene Kinder von Ausländern die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Vorher musste mindestens ein Elternteil deutsch sein, damit das Neugeborene ein Anrecht auf die Staatsbürgerschaft hatte.
Deutschland sah sich nicht als Einwanderungsland
Diese Hürde war bewusst gesetzt, denn Deutschland hatte sich ausdrücklich nicht als Einwanderungsland verstanden: "Gastarbeiter ja, aber wenn wir sie nicht mehr brauchen, dann ist Rückkehr angesagt", beschreibt John eine damalige, weit verbreitete Meinung: "Das funktionierte alles nicht, konnte auch nicht funktionieren."
Der Widerstand gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht war groß, erinnert sich die CDU-Politikerin. Viele argumentierten damals: "Man kann doch nicht Kindern, die ausländische Eltern haben, einfach die deutsche Staatsbürgerschaft geben, die sind ja gar nicht integriert, die wissen ja gar nichts von der Kultur", so John.
Kritisiert wurde auch, dass das neue Gesetz die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft vorsah. So trat die hessische CDU zur Landtagswahl 2000 mit der Kampagne "Ja zur Integration. Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft" an: "Das war ein bisschen schräg vorbei an den Realitäten, denn diese Kinder, um die es ging, von Geburt an, waren ja hier zuhause", sagte John im Deutschlandfunk Kultur. "Insofern ist es gut, dass das jetzt bereinigt ist."
Signal an Einwanderer
Anders als ihre Partei hatte sich Barbara John damals für das neue Staatsbürgerschaftsrecht ausgesprochen: "Weil ich die Situation von Migranten kannte als Ausländerbeauftragte", betont sie. "Es war ein Signal an die eingewanderten Minderheiten: Wir wollen, dass eure Kinder – zweite, dritte Generation – von Anfang an dazugehören."
Eine erwartete Wirkung des Gesetzes blieb allerdings aus: Die Zahl der Einbürgerungen habe sich dadurch nicht nennenswert erhöht, berichtet John.
Einen Grund dafür sieht sie darin, dass viele EU-Ausländer sich nicht einbürgern lassen müssen, um weitgehend gleiche Rechte wie Deutsche zu haben:
"Viele wollen nicht Deutsche werden, etwa auch Leute aus Australien, Neuseeland. Sie sagen, ich will meinen Ursprungspass behalten, das ist so etwas wie das Bild meines Großvaters auf dem Nachttisch, und das will ich jetzt nicht weggeben. Also, da sind viele emotionale Bindungen."
Insgesamt wurden 2017 112.000 Menschen aus mehr als 150 Ländern in Deutschland eingebürgert. Die meisten waren Türken, Briten und Polen.
(uko)