"Ich bin eine rhythmische Ruferin"
Chansonsängerin in der DDR – davon träumte Barbara Thalheim als junge Frau. Erfolgreich war sie dann sogar in Ost und West. Nach der Wende entdeckte sie das Reisen für sich. Trotzdem, sagt sie, sei der Westen nie ihre Welt gewesen. Auch heute nicht.
Vincent Neumann: "Kein Tag ist sicher vor der Nacht", geschrieben von Georges Moustaki und gesungen 1977 von Barbara Thalheim auf dem Album "Lebenslauf". Damals bei ihrem großen Durchbruch war die gebürtige Leipzigerin gerade 30 Jahre alt. Heute ist sie unwesentlich älter, wir dürfen nämlich zum 70. Geburtstag gratulieren, Frau Thalheim! Schön, dass Sie bei uns sind, hallo!
Barbara Talheim: Hallo!
Neumann: Frau Thalheim, in den 90ern hatten Sie sich eigentlich ja nach vielen erfolgreichen Jahren schon von der Bühne verabschiedet, und dann hat es Sie doch wieder gepackt. 2011 starb dann Ihr langjähriger musikalischer Partner Jean Pacalet, und Sie haben trotzdem weitergemacht. Können Sie sich ein Leben ohne Musik einfach nicht vorstellen oder woher kommt diese Kraft, immer wieder ins Studio und auf die Bühne zurückzukehren?
Thalheim: Na ja, 2005, dieser Abgang von der Bühne, der war schon sehr ernst gemeint, wirklich sehr ernst gemeint. Das Füllhorn war so voll mit negativen Erlebnissen auch, da war nichts mehr auszuschütten für andere, und dann habe ich ja drei Jahre nicht gesungen, und dann ereilte mich sozusagen eine sehr ernsthafte Krankheit – der Sensenmann hatte nach mir gefasst. Und in der Zeit, als ich im Krankenhaus lag, entstanden 20 neue Lieder in dieser schon Rückzugszeit, und da gab es zwei Optionen, zwei Entscheidungen: Entweder man trägt die Lieder aus oder man treibt sie ab. Und ich habe mich für das Austragen entschieden, weil ich natürlich wissen wollte, was die Leute zu diesen Liedern sagen, und bereue den Schritt eigentlich nicht, den Schritt zurück auf die Bühne. Die Entscheidung war richtig und wahrscheinlich auch weiterlebensbefördernd, dass dann Leute gekommen sind, und die haben geklatscht und fanden die Lieder gut. Das tut einem mental nicht weh.
Dann bei Jean war es einfach so, das war ein tiefer Einschnitt in meinem Leben, aber wir hatten ja eine gemeinsame Band, mit der ich ja heute auch noch spiele, und die sind ja alle im Alter meiner Kinder. Als Jean dann unter der Erde war, haben die Jungs gesagt, lass es uns ohne ihn versuchen. Ich war erst dagegen, weil ich mir nicht vorstellen konnte. Weil es wäre so, als wenn in einer eingespielten Jazzband der Pianist fehlt. Also Jean war der Kopf und der Arrangeur, der musikalische Chef. Dann haben wir uns zurückgezogen, übrigens ins Wendland und haben dort intensiv gearbeitet an dem vorhandenen Repertoire. Es war so, als wenn ein Verlag zu einem Schriftsteller sagt: Ihr Manuskript gefällt uns, aber schreiben Sie bitte Ihren Roman von der dritten in die erste Person um oder umgekehrt. So war das, also jede Note in die Hand genommen. Es musste ja ein völlig anderer Sound da rauskommen. Da ist dann die Platte "Zwischenspiel" entstanden, und mit den Jungs bin ich eigentlich sehr froh, vor allem, weil jetzt auch so jüngere Leute ins Konzert kommen, die vielleicht nicht jeden Text abgreifen, aber den Groove, und das gefällt mir.
"Ich konnte ja nicht mal nach Ulan-Bator gehen"
Neumann: Ist das auch so ein bisschen Jungbrunnen vielleicht, mit so jungen Leuten auf der Bühne zu stehen?
Thalheim: Ist es, eindeutig. Ich weiß nicht, was es für die ist. Ich meine, die könnten bestimmt mit anderen. Außerdem bin ich ja nicht Sängerin, ich bin ja rhythmische Ruferin. Also sie könnten mit richtigen Sängerinnen spielen, die Jungs. Das ist vielleicht ein Punkt in meinem Leben: Mir sind solche Menschen, solche Musiker immer zugelaufen. Ich habe nirgendwo annonciert, ich suche einen Gitarristen oder so. Es ist immer passiert, und dass die andocken, muss einen Grund haben, den können die nennen. Ich weiß es nicht.
Neumann: Die magische Anziehung der Barbara Thalheim. Nach der Wende haben Sie sich dann ja einen längeren Parisaufenthalt und haben sich da gewissermaßen musikalisch neu erfunden. Gehört sowas bei Ihnen auch dazu, sich immer neu zu motivieren, neue Anreize zu setzen?
Thalheim: Dieser Parisaufenthalt war ja das, was ich in der DDR nicht machen konnte. Ich meine, meine Generation mit 40, Anfang 40 die Wende erlebt zu haben, ist ja vielleicht die letzte, die noch eine Chance hatte, das für sich zu entscheiden. Ich war immer eifersüchtig, um nicht zu sagen neidisch, wenn meine westdeutschen gleichaltrigen Freunde gesagt haben, nach dem Abi, da war ich ein Jahr auf Kreta Apfelsinen pflücken, und ganz nebenbei habe ich Griechisch gelernt oder, was weiß ich, in Amerika oder sonst irgendwo. Ich konnte ja nicht mal nach Ulan-Bator gehen, wenn ich Bock drauf gehabt hätte, und das habe ich nachgeholt als erwachsene Frau mit zwei Kindern. Das war hart, und ich wollte das Experiment mehrmals abbrechen, aber eigentlich ist Paris die wichtigste Station seit dem Mauerfall für mich.
Neumann: Ich habe gelesen, ein Motto von Ihnen ist: Leben kann man nur vorwärts, Leben verstehen nur rückwärts. Spielt das dabei auch eine Rolle?
Thalheim: Ja, sicher. In Paris Deutschland von außen zu sehen, spielt auch eine große Rolle. Also ich habe mir das gut getan, also Fremde unter Fremden zu sein. Da lernt man ganz viel. Also danach ist ja auch eine CD entstanden, die hieß "Fremdegehen", wobei die meisten Rezensenten sie immer mit "Fremdgehen" rezensiert hatten, aber …
Neumann: Die Assoziation ist ja nicht ganz verkehrt.
Thalheim: Ja, die ist da drin, aber "Fremdegehen" hat natürlich was mit die Fremden sollen gehen, in die Fremde gehen, eigene Erfahrungen machen zu tun. Ja, Paris war für mich … Ich hätte es gern mit 20 erlebt, hätte ich gern.
"Meine kleine behinderte DDR"
Neumann: Von Beginn an, wenn wir jetzt noch mal etwas weiter zurückschauen, waren Sie ja eigentlich in Ost und in West erfolgreich, was ja nun wirklich nicht selbstverständlich ist für eine Künstlerin der DDR. Wie haben Sie das damals wahrgenommen, auch im Vergleich zu anderen Künstlern vielleicht?
Thalheim: Na ja, ich hatte das Glück, dass meine ersten beiden Schallplatten bei Amiga, auch bei einem anderen Label in Westdeutschland erschien. Das war, glaube ich, ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang in der Zeit. Also später mit Zilly und so kam das öfter vor, aber in der Zeit war das ungewöhnlich.
Neumann: So zu Ende der 70er, worüber wir reden.
Thalheim: Ja. Mitte … Also die erste CD ist ja '76, glaube ich, weiß ich nicht so genau … Ja, wenn man so jung ist, nimmt man das so ein bisschen als, weiß ich nicht, Auserwählte oder so hin. Ich hatte wenig Zeit, darüber nachzudenken und habe das auch oft verschwiegen, weil es mir peinlich war, also für mein Publikum hier. Eins war für mich von Anfang klar: Also das ist nicht meine Welt. Ich möchte gerne in meiner kleinen behinderten DDR mir einen Namen als Chansonsängerin, Liedermacherin, wie auch immer, erarbeiten. Dort gehöre ich nicht hin. Das hat sich bis heute eigentlich nicht geändert.
Neumann: Aber 1990 wurden Sie dann rausgestoßen in die große weite Welt sozusagen.
Thalheim: Na ja, klar, ich meine, man muss ja auch mit den Gegebenheiten leben lernen, in die man gestellt wurde, und ich war ja nicht die einzige, es waren ja 17 Millionen Leute, und auf jeden Fall lebe ich weiter nach dem Motto, warum zieht alles mich so an, was man für Geld nicht kriegen kann. Damit fahre ich nicht schlecht, also wenn ich nicht Dollarzeichen in die Augen bekomme, aber das schließe ich bei mir aus.
"Der Kick, der kommt, wenn man allein am Mikrofon steht"
Neumann: Viele sehr weise Lebensmotti, das merke ich gerade! Sie hatten ja auch schon früher starke Verbindungen zu westdeutschen Musikern, zum Beispiel zu Konstantin Wecker, mit dem Sie eng zusammengearbeitet haben und der mal über Sie gesagt haben soll, selten sei ihm ein so aufrechter und gleichzeitig zerrissener Mensch begegnet, eine so emotionale und gleichzeitig rationale Künstlerin. Beschreibt Sie das zutreffend?
Thalheim: Da hat er schon tief geguckt, ja. Ja, er hat schon gemerkt – wir haben uns ja bei vielen Festivals und so auch gesehen –, dass ich mich beim Refrainsingen nie in die erste Reihe stelle und dass ich mehr so hinten und … der Kick, dass man loslegen will, der kommt, wenn man alleine am Mikrofon steht und um sich herum Menschen weiß, die einem nahestehen, aber so in solchen großen Konstellationen war ich immer die Schüchterne, und wahrscheinlich bin ich auch sehr schüchtern. Mir hat Gerhard Schöne übrigens mal erzählt, dass er auch ein sehr schüchterner Mensch ist, und um die Schüchternheit immer wieder zu überwinden und über seinen eigenen Schatten zu springen, das ist auch ein Grund, auf die Bühne zu gehen. Ein bisschen paradox, aber ist so.
Neumann: Was wünschen Sie sich denn zum 70. Geburtstag? Vielleicht noch einen kongenialen Partner auf der Bühne, mit dem Sie noch nichts gemacht haben?
Thalheim: Nee, also ich habe mich ganz bewusst bei diesem Geburtstagskonzert nicht dafür entschieden, die berühmten Kollegen, die man so über die Jahre kennengelernt hat, einzuladen, sondern die, die für mich Lebensmittel sind, also junge Künstler, die irgendwas zu tun haben mit meinem Leben – das werde ich erklären auf der Bühne – und die ich gerne sehe, höre, adaptiere, lese. Das ist auch wieder so: Bis auf einen Martin Buchholz sind alle, die da auf der Bühne stehen, jünger als ich, und von den meisten könnte ich die Mutter sein. Das allein als Fakt macht mir Freude.
Neumann: Dann sage ich viel Spaß und viel Erfolg bei dem Geburtstagskonzert. Herzlichen Dank, Barbara Thalheim, für den Besuch hier im Deutschlandfunk Kultur, und natürlich alles Gute für die nächsten 70 Jahre!
Thalheim: Danke!
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