Kultivierter Rossini am Aalto-Theater
Der Regisseur Jan Philipp Gloger hat in Essen Rossinis "Der Barbier von Sevilla" inszeniert. Es ist Glogers erstes Mal am Aalto-Theater: Musikalisch ist alles ordentlich, jedoch wenig herausragend. Aufhorchen lässt der Gast Juan José de Leon als Almaviva.
Der erste Moment ist der überraschendste im Aalto-Theater: Wenn der Dirigent Giacomo Sagripanti den Taktstock gehoben und das quicke, übermütige Parlando der Ouvertüre im Graben begonnen hat, tritt auf der Bühne noch ein Mann im Frack vor den Vorhang und dirigiert spiegelbildlich zum Kapellmeister die ersten Minuten des "Barbier von Sevilla". Bei einem markanten Akzent gibt er ein Zeichen, der Vorhang öffnet sich und auf der Bühne ist – nichts, ein leerer schwarzer Kasten. Der Mann legt den Frack ab, nimmt einen Elektrokarren und transportiert eine Sperrholzkiste herein, daraus holt er – starr wie eine Puppe - die Darstellerin der Rosina. Da wird einem klar: Der Mann ist Figaro, das Faktotum, der Drahtzieher der ganzen Geschichte, die hier beginnt. In der Sicht des Regisseurs Jan Philipp Gloger ist er der Dirigent und Kulissenschieber, der erst die Welt schafft, in der sie spielen kann: das Theater.
Jan Philipp Gloger, zum ersten Mal am Aalto-Theater in Essen, ist spätestens seit seinem Bayreuther "Holländer" von 2012 einem größeren Opernpublikum bekannt für klare, überraschende Bilder: Da war der Verdammte der Weltmeere ein Businessman mit Rollkoffer. Nun ist es sicher leichter, für einen mythosgesättigten Wagner eine neue Lesart zu finden, als für eine perfekte, aber eben auch wasserdicht konstruierte Buffa von Rossini.
Das Personal agiert schrill gewandet
Und so bleibt Glogers Idee auch irgendwann auf der Strecke. Es gibt eben Szenen, die sich nicht aus Figaros Perspektive erzählen und inszenieren lassen im Stück (zum Beispiel gleich Rosinas berühmte Auftrittsarie "Una voce poco fa"). Und dann sieht man die Rossini-Choreographien aus Marschakzenten, Trippelschrittchen und marionettenhaften Bewegungen genau zur Musik wie überall sonst auch. Allerdings in einem unverbrauchten, witzigen Bühnenbild (Ben Baur): Es besteht nur aus rohen Holzkisten, die größte ist Bartolos Haus, die kleinste das Schälchen für Figaros Rasierutensilien. Darin agiert das Personal schrill gewandet und frisiert.
Musikalisch ist alles ordentlich, wenig herausragend. Aufhorchen lässt der Gast Juan José de Leon als Almaviva, ein Tenor, der sichere Höhen und leichte Koloraturen hat, genau richtig für Rossini. Außerdem kann er mit der Stimme spielen, musikalischen Ausdruck geben, Farben setzen. Das fehlt den beiden Ensemblemitgliedern Karin Strobos als Rosina und Georgios Iatrou als Figaro, die beide temperamentvoll Theater spielen, aber im musikalischen Ausdruck schmal und klanglich "eintönig" bleiben. Der Dirigent Giacomo Sagripanti und die Essener Philharmoniker liefern fein ziselierten, hoch kultivierten Rossini voller betörend schöner Details. Im zweiten Teil geht darüber der Sinn für den dramatischen Zug der Geschichte manchmal verloren.