Zeit ist Geld, nicht Kaffee
Wahre Trends sind global. Und was in Moskau begeistert, entzückt auch in Instanbul. Doch sind die Vorlieben der urbanen Hipster wirklich so universell? Das Zeit-Café in Barcelona - abgekupfert in der russischen Hauptstadt - kommt bei den Katalanen jedenfalls (noch) nicht an.
Der Name ist Programm. Im Café TacTic gibt die Uhr den Rhythmus vor. Eine große runde Uhr mit altmodischem Ziffernblatt, gleich neben dem Eingang. Darya Pantyukhina reicht einen Zettel über den Tresen: ein Zeitbon für 60 Minuten. Und kassiert dafür drei Euro 60.
"Bezahlt wird allein die Zeit, alles andere - Kekse, Internetverbindung, Gesellschaftsspiele und das Fläzen auf den ausladenden Sofas – ist mitinbegriffen."
Darya Pantyukhina, Gründerin des ersten spanischen Time-Cafés wirft das lange blonde Haar über die Schulter:
"In meinem Land, in Russland, sind Time-Cafés ein Riesenerfolg und wir wollen diese Idee importieren. Restaurants oder Bars sind in Russland normalerweise teuer, man kann da auch nicht zwei Stunden an einem Kaffee nippen. Hier kann man es."
Danya ringt nach Worten. Denn natürlich geht es um viel mehr. Nämlich darum, sich ein Stück Freizeit zu kaufen.
Time is money. Zeit ist Geld. Und Geld schenkt Zeit. Schöner lässt sich das Dilemma des turbokapitalistisch geschulten und zur Selbstausbeutung neigenden Großstädters nicht fassen.
"In Russland rennen die Leute immer von einem Ort zum nächsten und haben nie Zeit, hier, in Barcelona, habe ich den Eindruck, die Leute wissen, wie sie die Zeit nutzen, sie verstehen es auch auszuruhen. Sie haben irgendwie mehr Zeit."
Danya blickt sinnierend durchs leere Lokal. Den vielen Medienberichten und dem Nieselregen draußen zum Trotz: So ganz scheint Barcelonas urbane Elite die Idee ihres Time-Cafés noch nicht verstanden zu haben. Vielleicht weil sich russische Verhältnisse eben doch nicht so einfach auf eine Stadt übertragen lassen, in der krisenbedingt viele die Erwerbs- gegen Projektarbeit getauscht hat. Und vielleicht auch weil die Zeit hier anders tickt.
Mit Geld kann man keine Zeit kaufen
War ja auch zu vermuten in einer Kultur, in der es für Warten, Erwarten und Hoffen nur ein Wort gibt: Esperar.
Der Psychologe Robert Levine spricht von zwei Zeitkulturen: der monocronen, in der die Uhr das Maß der Dinge ist – und der variableren, polycronen, in der man sich nach dem Ereignis richtet. In Barcelona und Madrid gilt "A la hora de comer", "zur Essenszeit" als präzise Angabe: irgendwann zwischen halb zwei und drei.
Statt Zeit-Cafés florieren in Spanien Zeit-Banken. Dort kann man mit Geld keine Zeit kaufen, aber mit Zeit ein Ereignis. Eine Stunde Kinderhüten gegen eine Stunde Englischunterricht oder Klospülung reparieren.
"Statt Time is money sagen wir Time is life. Was wir in der Zeitbank machen, ist genau das gleiche, was unsere Eltern oder Großeltern getan haben: Tauschhandel unter Nachbarn. Gegenüber klingeln, um zu fragen, ob man eine Tasse Zucker haben kann oder ob jemand die Lampe reparieren kann. In den Jahren des Booms ist das verloren gegangen, wir wollen es uns jetzt wieder aneignen."
Sagt Luis Monzón, Gründer der Zeitbank Barceloneta, mit 1500 Mitglieder eine der größten der zehn städtischen Zeitbanken.
Dass die Stunde dabei für alle gleich schlägt, ist Teil des Konzept. Und eine Möglichkeit nach den Jahren der Krise ganz leise das postkapitalistische Zeitalter einzuläuten, in der getauscht, geteilt, genetzwerkt wird.
"Warum soll die Stunde einer Näherin mehr oder weniger Wert sein als die eines Englischlehrers? Jeder bringt sich nach seinen Fähigkeiten, seinen Möglichkeiten ein, nach seiner Ausbildung, nach seiner Lebenserfahrung."
Etwas vom neuen alten Konzept der Ereignis-Zeit dringt langsam auch in den Kosmos des Time Cafés vor. Statt junger Hipster treffen sich bei Danya Pantyukhina nämlich zuweilen auch die Domino-spielenden Männer aus der Nachbarschaft: Sie zahlen eine Stunde und bleiben dann so lange wie die Partie dauert. Danya hat es seufzend akzeptiert.