Stimme und Geist in Einklang bringend
Der studierte Mediziner Christian Gerhaher gehört zu den renommiertesten deutschen Klassik-Sängern. Er gilt als akribischer Arbeiter, der sich intellektuell mit seinen Figuren auseinandersetzt. Denn: Kunst muss ernstgenommen werden, findet der Star-Bariton.
Christian Gerhaher hat dieser Tage einen prallen Terminkalender. Der Bariton gibt den Don Giovanni, den Leporello, den Figaro, den Papageno – und das alles an einem Abend. Sein Mozart-Programm mit Arien ist ein fein gestricktes Netz aus Charakteren: Held – Antiheld, Diener – Intrigant, Naturbursche... Es ist die Frucht aus der langen Beschäftigung mit diesen Figuren.
"Die Figur des Don Giovanni ist ja eine, die praktisch nur im Moment lebt. Sie ergeht sich nicht in Zukunftsträumen und Planungen, die – sagen wir – über die nächsten Eroberungen hinausgehen. Es wird keinerlei Selbstreflexion angestellt bei dieser Figur – er denkt nicht viel über die Vergangenheit nach und hat deswegen überhaupt keine Moral. Er ist im Prinzip in Nietzsches Sinne ein wilder, freier Mensch, der Moral nicht nur ablehnt, sondern sie überhaupt nicht hat."
Eine Ausnahmeerscheinung im schnelllebigen Musikbetrieb
Christian Gerhaher gehört zu den Musikern, die einer Sache auf den Grund gehen, scheinbar nichts unverstanden lassen, sich nie wirklich zufrieden geben. Das kann anstrengend sein – nein: Das ist anstrengend, aber es hat den übrigens fertig studierten Mediziner zu einer Ausnahmeerscheinung im schnelllebigen Musikbetrieb werden lassen.
"Das ist für mich schon ein ganz entscheidender Punkt des Darstellerberufes, dass man nicht nur immer nach Neuem fasst, sondern das Repertoire, das man sehr lange schon kennt, dass man das immer wieder erneuert."
Das gilt auch für sein neuestes CD-Projekt, dass eigentlich ein altes ist: Schon lange singt er die schottischen und walisischen Volkslieder von Haydn und Beethoven, und Brittens Folksongs.
"Englisch zu singen ist ganz besonders schwer"
"Also englisch zu singen ist, finde ich wirklich ganz besonders schwer. Denn durch die Internationalisierung dieser Sprache, die ja im Grunde jeder spricht, kam es natürlich auch dazu, dass so wahnsinnig viele nicht-autochthone Akzente und Aussprachefärbungen, Dialekte entstanden sind. Aber die Aussprache an sich ist im Englischen doch sehr kompliziert. Ich weiß natürlich, die schottischen Lieder speziell, die ich dort singe – ach, das ist... Wenn ein Schotte das hört, der kriegt sicher einen Lachanfall."
...Oder er ist beeindruckt von der emotionalen Vielfalt, die im vermeintlich so simplen Volkslied steckt. Kunst muss ernstgenommen werden, sagt Christian Gerhaher.
Der Liederabend lässt die Stimme erblühen, bringt die Farben hervor. Die Oper fordert die Stimme heraus, aber auch den Geist. Beides in Einklang zu bringen ist die Kunst, die es zu erlernen gilt. Doch eines, und dessen ist sich Christian Gerhaher wohl bewusst, lässt sich nicht beeinflussen – das Altern der Stimme. Ein Gedanke, der den Sänger umtreibt.
"Die Abhängigkeit vom eigenen Körper als Sänger hat einige positive Aspekte: z. B., dass es ein sinnliches Erlebnis sein kann, an Musik aktiv beteiligt zu sein. Auf der anderen Seite das Altern – aber auch die große Abhängigkeit vom täglichen Ton und das Erleben von der jeweiligen Verfassung – das ist etwas, was ich doch als sehr unangenehm empfinde."