Schwere Familienprobleme

Für die Herren bleibt außer einer episodischen Nebenrolle eigentlich nur der Bösewicht vom Dienst; alles andere – fünf große Partien inklusive der Verkörperung des Titelhelden – machen die Sopran-, Mezzo- und Altstimmen unter sich aus.

Historisch hat das mit der damaligen Beliebtheit von Kastratenstimmen zu tun; und weil wir im 21. Jahrhundert damit – glücklicher Weise – nicht mehr dienen können, wird die Herausforderung für die aktuellen Bühnenfrauen, die dann männliche Charaktere verkörpern müssen, umso größer: so für Anthea Pichanick als Mitridate, der nicht nur gegen den Stiefvater, sondern auch gegen die eigene Mutter zu Felde ziehen muss, um sich seine legitimen Rechte zu sichern.

Erfunden hat die ganze verwickelte Konstellation der französische Tragödiendichter Jean Racine; unter ihren vielen Vertonungen ist die des 14-jährigen Mozart am bekanntesten, aber auch Porpora, Aldovrandini, Caldara und eben Alessandro Scarlatti reihen sich in die respektable Schar der musikalischen Dramen-Veredler ein. Wobei hier nicht erst der Komponist, sondern auch schon das Libretto des italienischen Grafen Roberti mit einer sehr kritischen Sicht auf die Herrschenden bemerkenswerte Akzente setzt: so treten unter anderem freiheitsliebende Bauern als bewaffnete Heerschar auf – und nicht nur in solchen Passagen dürfen wir staunen, in welch dialektischer Differenzierung hier die Figuren hinsichtlich Recht und Unrecht handeln.


Basilika Notre-Dame, Beaune (Frankreich)

Aufzeichnung vom 21.07.2017


Alessandro Scarlatti

"Mitridate", Opera seria in fünf Akten

Libretto: Girolamo Conte Frigimelica Roberti


Anthea Pichanick, Alt - Mitridate

Thomas Dolié, Bariton - Farnace

Mary Ellen Nesi, Mezzosopran - Stratonica

Lucile Richardot, Mezzosopran - Antigono

Blandine Staskiewicz, Sopran - Laodice

Anna Kasyan, Sopran - Nicomede

Leandro Marziotte, Countertenor - Pelopida


Les Accents

Leitung: Thibault Noally