Behindertenbeauftragte fordert mehr inklusive Reiseangebote
Vor ihrem Besuch bei der Internationalen Tourismusbörse Berlin fordert die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, mehr inklusive Reiseangebote, auch für Menschen mit geistiger Behinderung.
Es gebe zwar immer mehr Angebote für Menschen mit Behinderung, aber es seien längst nicht genügend, sagte Bentele im Deutschlandradio Kultur. Sie erwarte und hoffe, dass mittelfristig von der Planung und Buchung der Reisen bis zur Durchführung an Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen gedacht werde. "Und das heißt eben, dass es nicht nur spezielle Angebote gibt, die sich nur an Reisende mit Behinderung richten, sondern dass wirklich alle Angebote eben auch für Menschen mit Behinderung zugänglich gemacht werden."
Die vielfache Paralympics-Siegerin im Biathlon mahnte insbesondere mehr Angebote in leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten an. Darüber denke die Politik noch zu wenig nach. "Da ist mit Sicherheit die Angebotsbreite noch sehr gering, weil eben auch aufgrund der Tatsache, dass die Menschen früher meist in Einrichtungen gelebt haben, dort eigentlich auch immer die Reisen organisiert wurden. Aber je mehr Menschen inklusiv leben und in ihren eigenen Wohnungen mit ihren eigenen Assistenten, desto mehr wird sich da eben auch der Bedarf natürlich ergeben."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ob es nun etwas mit Ihrem Alter zu tun hat oder mit einer angeborenen oder durch einen Unfall entstandenen Behinderung – auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben ein Recht darauf, dahin reisen zu können, wo sie gerne hin möchten. Und das barrierefreie Reisen ist deshalb auch ein Thema auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin.
Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Verena Bentele besucht deshalb heute diese weltgrößte Reisemesse. Aber vorher spricht sie mit uns, schönen guten Morgen, Frau Bentele!
Verena Bentele: Hallo, guten Morgen!
Alle Reiseangebote für Behinderte zugänglich machen
Kassel: Hat denn eigentlich so generell gesagt die Reisebranche das Problem schon erkannt? Ist das Reisen für Menschen mit Behinderung einfacher geworden in den letzten Jahren?
Bentele: Ich sag mal so, es gibt immer mehr Angebote für Menschen mit Behinderung, aber es sind längst nicht genügend Angebote da. Und was ich mir natürlich erwarte und erhoffe, dass wir mittelfristig in allen Planungen für Reisen in der ganzen Kette, eben auch von der Planung und Buchung der Reise bis zur Durchführung, an Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen mitdenken. Und das heißt eben, dass es nicht nur spezielle Angebote gibt, die sich nur an Reisende mit Behinderung richten, sondern dass wirklich alle Angebote eben auch für Menschen mit Behinderung zugänglich gemacht werden.
Kassel: Ich habe vorhin erzählt, in den meisten deutschen Städten kommt man auch mit Behinderung erst mal relativ gut zum Flughafen. Also, es gibt natürlich auch da noch Defizite, aber das geht eigentlich.
Nur, wenn man zum Beispiel am Flughafen ankommt, fangen wir mal ganz klein an: Man hat heute oft Billigflüge, man muss alles selber machen, selber einchecken an Automaten, es muss sehr schnell gehen. Nimmt man da schon allein – fangen wir wirklich im Flughafen in Deutschland an – genug Rücksicht auf Behinderte?
Bentele: Also, Menschen mit Behinderung an Flughäfen brauchen natürlich schon … unterschiedlich natürlich je nachdem, was für eine Behinderung da ist, aber schon eine Unterstützung. Also wenn ich beispielsweise als jemand, der nichts sieht, am Flughafen bin, dann beanspruche ich den Mobilitätsservice, den sogenannten, der mir dann eben wirklich Begleitung anbietet von meiner Ankunft am Flughafen bis hin zum Flugzeug.
Weil, sonst wäre ich aufgeschmissen: Im Flughafen in München oder Frankfurt, wo man immer woanders abfliegt, kann man sich, wenn man nichts sieht, nicht unbedingt allein orientieren. Oder wie Sie sagen, mit den Check-in-Automaten ist es auch schwierig. Wenn es nicht im Internet schon vorher geht, was meistens schon bedienbar ist, ist das ein großes Problem.
Die angelsächsischen Länder sind weiter als wir
Kassel: Wie ist das denn international? Gibt es Länder, wo Sie den Eindruck haben, da ist man schon sehr weit mit der Barrierefreiheit?
Bentele: Also, gemeinhin sind die angelsächsischen Länder deutlich weiter als wir, gerade was beispielsweise barrierefreien Verkehr angeht, ist Großbritannien oder auch Neuseeland, Australien, die haben da doch uns einiges voraus. Und das wünsche ich mir natürlich auch für Deutschland, gerade wenn eben wirklich neu gebaut, saniert wird, egal ob in der Großstadt oder auch der kleine Bahnhof irgendwo auf dem Land, dass wir da mit Sanierungsmaßnahmen dann auch wirklich Barrierefreiheit herstellen.
Kassel: Aber kann man gleichzeitig es allen leichter machen? Sie haben es ja selber schon erwähnt, Sie sind blind, Sie sind aber – Sie waren ja lange Leistungssportlerin – sehr sportlich, sehr beweglich, Sie haben ja ganz andere Bedürfnisse als jemand, der sehen kann, aber nicht laufen.
Bentele: Genau, das ist für mich auch der wichtige und spannende Punkt an dem ganzen Thema Tourismus für alle und eben auch Mobilität für alle Menschen: Wir machen es damit allen Menschen leichter.
Also, wenn man sieht, barrierefreie Angebote, um eine Reise zu buchen eben, wünsche ich mir auch Angebote in leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten, das ist ein wichtiger Punkt, oder wir brauchen eben überall Aufzüge auf Bahnhöfen und Flughäfen für Menschen im Rollstuhl, aber eben auch für die Mutter und den Vater, der einen Kinderwagen mit sich schiebt, oder einfach auch für Reisende mit schweren Koffern.
Also, Barrierefreiheit ist nichts – und das ist immer ein Verständnisproblem –, was alle anderen Menschen einschränkt, sondern es ist das, was allen Menschen hilft und für manche eben dringend notwendig ist, um weiterzukommen.
Nicht jeder Berg muss barrierefrei sein
Kassel: Wie sind aber die Grenzen oder wo sind die Grenzen, wenn ich mir jetzt zum Beispiel in einem Urlaubsland ein altes historisches Gebäude vorstelle, wo dann auch immer so Schilder in acht Sprachen stehen, da muss man trittfest sein … Da kommt ja dann oft der Denkmalschutz und man kann dann da nicht einfach einen Aufzug einbauen. Also, kann man wirklich die ganze Welt barrierefrei gestalten?
Bentele: Ja, also, ob man die ganze Welt am Ende barrierefrei gestalten können wird, ist glaube ich eher nicht so die Debatte. Wir sind halt eher bei den einfachen Dingen noch gefragt. Also, wir haben wirklich bei ganz normalen auch Gebäuden in Innenstädten … bei historischen Gebäuden gibt es noch keine Lösung oft mit Rampen oder mit Aufzügen oder anderem. Also, ob man jetzt unbedingt jeden Berg barrierefrei machen muss, das sehe ich eigentlich nicht. Dafür ist dann …
Kassel: Aber Frau Bentele, seien Sie mir nicht böse, ich muss das jetzt erleben, Sie haben ja …
Bentele: Ja, ja.
Die Möglichkeiten thematisieren, nicht die Grenzen
Kassel: "Ja, ja", sagt sie! Sie haben ja den Kilimandscharo unter anderem bestiegen! Also, es gibt für Sie offenbar keine Grenzen?
Bentele: Na ja, das ist halt auch immer spezifisch je nachdem, was jemand für eine Behinderung hat. Also, meine Grenze ist, ich kann kein Aquarell malen unbedingt. Also, es gibt vielleicht auch Blinde, die malen, die gibt es sicherlich, aber ich bin halt sehr sportlich und deswegen kann ich auch den Kilimandscharo besteigen mit Unterstützung. Aber Menschen mit Behinderung sind halt sehr unterschiedlich, wie alle anderen Menschen auch, und es muss nicht für jeden alles möglich sein, denn es möchte ja auch nicht jeder alles machen. Es will auch nicht jeder auf den Kilimandscharo.
Aber die Dinge, die Menschen eben wirklich sehen und erleben wollen, sollten wir uns bemühen zugänglich zu machen. Dass wir nicht am Ende jedes alte historische Gebäude zugänglich machen können, finde ich … Ja, das wird sich irgendwann so herauskristallisieren.
Aber wir sollten uns nicht so sehr mit den Grenzen beschäftigen, denn es gibt eben in dem Thema sehr viele Möglichkeiten und die sind eher dann erreicht, wenn wir beispielsweise sagen, wir wollen in der Innenstadt eben nicht überall Pflastersteine haben, wo Rollstuhlfahrer kaum drüberkommen, sondern wir wollen eben einen platten Belag haben.
Mehr Angebote für Menschen mit geistigen Behinderungen
Kassel: Jetzt haben wir beide, finde ich zumindest, direkt eigentlich nur über körperliche Behinderung gesprochen. Denkt die Reisebranche, denken Ziele, denken Veranstalter, auch die Politik auch darüber nach, wie man Reisen möglich machen kann für Menschen mit geistigen Behinderungen?
Bentele: Also, die Politik noch zu wenig, ich schon als Beauftragte, weil das mein Job ist. Also, deswegen hatte ich vorher auch gesagt, wir brauchen eben auch beispielsweise Angebote für Menschen, die leichte Sprache benötigen, also Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen.
Wir brauchen aber genauso auch zumindest ein Grundverständnis davon, wie sich Menschen ausdrücken, die Gebärdensprache nutzen oder von den Lippen lesen, dass bei denen eben wichtig ist, sie anzuschauen und deutlich zu sprechen, oder dass eben auch da Menschen in Hotels beispielsweise wissen, wo man sich Unterstützung holt, wenn eben ein Gast kommt, der Gebärdensprache nutzt.
Und gerade Reiseangebote für Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen oder auch Sinnesbehinderungen, da ist mit Sicherheit die Angebotsbreite noch sehr gering, weil eben auch aufgrund der Tatsache, dass die Menschen früher meist in Einrichtungen gelebt haben, dort eigentlich auch immer die Reisen organisiert wurden. Aber je mehr Menschen inklusiv leben und in ihren eigenen Wohnungen mit ihren eigenen Assistenten, desto mehr wird sich da eben auch der Bedarf natürlich ergeben.
Menschen mit Behinderung wollen an ganz normalen Angeboten teilhaben
Kassel: Wir reden ja seit einigen Jahren gerade auch in Deutschland im Zusammenhang mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen über Inklusion, also gemeinsamer Unterricht für Menschen mit Einschränkung und die ohne, falls überhaupt irgendjemand völlig ohne ist, aber das ist ein anderes Thema. Wie ist das bei Reisen? Ich frage es mal ganz konkret: Halten Sie Reiseangebote, die sich speziell an Behinderte richten, für sinnvoll, oder sagen Sie, nein, das ist nun der falsche Weg?
Bentele: Also, ich würde das eine tun und das andere nicht lassen. Es gibt mit Sicherheit den einen oder anderen auch Menschen mit Behinderung, der das okay fände. Viele Menschen mit Behinderung wollen aber an ganz normalen Reiseangeboten von, weiß ich nicht, Bildungsreiseveranstaltern genauso wie von Sportreiseveranstaltern teilnehmen. Und ich würde mir natürlich mehr wünschen, dass Reiseangebote inklusiv werden.
Kassel: Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen über das barrierefreie Reisen, das auch auf der ITB in Berlin ein Thema ist. Frau Bentele, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Bentele: Danke, schönen Tag!
Kassel: Tschüs, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.