Es ist ganz schwer, aus dieser Schublade wieder rauszukommen, die eine Momentaufnahme war, die auch sicherlich hier und da strukturelle Ursachen hat, aber nicht den Alltag in Chemnitz widerspiegelt.
Wie der Erfolg der Niners dem Image der Stadt helfen soll
Erfolge gegen das rechte Image
„Es ist echt ein Thema, dass man als Chemnitzer nicht stolz auf diese Stadt ist. Das hat sich schon extrem entwickelt. Da hilft diese Basketballmannschaft extrem dabei, das herauszukitzeln. Es gibt aber viele andere Gründe, warum die Chemnitzer stolz sein können, aus Chemnitz zu kommen.“
Chemnitzer müssen sich oft rechtfertigen
Mir tut es leid, weil die Chemnitzer müssen sich oft rechtfertigen, wenn sie irgendwo hingehen. Da ist immer die Frage: Ach, du kommst aus Chemnitz, wie geht es dir da so? Wie lebt man da so? So ein bisschen, als würde man auf dem Mond leben.
„Ein Kumpel meinte mal zu mir: ‚Chemnitz ist wie ein nicht eingelöstes Versprechen‘. Immer wenn man das Gefühl hat, gleich passiert’s, gleich wird die Stadt cool, gleich haben wir hier mal einen großen Wurf gelandet, passiert’s nicht“, meint Erik Neubert, der seit Jahren in Chemnitz politisch aktiv ist. Seine Vermutung ist, dass es auch am Standort der Stadt liegt.
„Chemnitz ist die Stadt mit dem größten Minderwertigkeitskomplex überhaupt in ganz Deutschland. Chemnitz ist die viertgrößte Stadt in Ostdeutschland, größer als Magdeburg, Erfurt, Rostock etc. Dadurch, dass sich auch Leipzig und Dresden so wenig identisch sind, hast du hier kaum Gebiete, wo man mal sagen kann: Da sind wir die Stärksten. Chemnitz hat eine richtig gute Hochkultur. Aber Dresden ist eine Stunde entfernt. Chemnitz hat eine gute Subkultur. Leipzig ist aber auch eine Stunde entfernt.“
Was aber Dresden und Leipzig nicht haben, ist ein Basketballteam in der höchsten deutschen Liga.
Die Niners haben viele Zielgruppen
Fan: „Ich komme gerne hierher. Hier passiert niemandem etwas. Wir sind sicher, es geht ums Spiel.“
Das Publikum wirkt vom Alter und Geschlecht her recht gemischt. Neben der Pressetribüne befindet sich der Fanblock.
Die Niners als sicherer Ort
Fan: „Ich bin schon viele Jahre hier mit bei den Spielen. Und was mir immer auffällt, bei so einem Spiel hier steht maximal ein Polizeifahrzeug vorm Haus und beim Fußball sind es mehrere Dutzend.“
Die Polizei Chemnitz bestätigt, dass die Einsatzstunden beim Basketball deutlich die beim Fußball unterschreiten. Bei den Spielen des Chemnitzer FCs in der Regionalliga Nordost wurden in der vergangenen Saison über 12.000 Einsatzstunden verzeichnet. Beim Basketball waren es nur etwa 200. Alle ausnahmslos beim Finale des FIBA Europe Cups gegen Istanbul.
Mit Blick auf die Besucherzahlen wird der Unterschied noch deutlicher. Denn die durchschnittlichen Zuschauerzahlen beim CFC und bei den Niners Chemnitz unterscheiden sich nur durch wenige Hundert. Allerdings haben die Niners vergangene Saison durch die Playoffs und den europäischen Pokal fast doppelt so viele Heimspiele ausgetragen wie die Fußballer.
Geringe Gefahr von Rechtsextremismus
Erik Neubert: „Ich habe einen Kumpel, der ist dann regelmäßig zu den Niners gegangen, weil er gesagt hat: Okay, hier kann ich Sport ansehen, ohne Angst zu haben, dass ich als linker Mensch verprügelt werde.“
Der Kumpel von Erik Neubert bezieht sich vermutlich auf Geschehnisse in der Fankurve des Chemnitzer FC, der seit Jahrzehnten ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Auch wenn der Verein bereits einiges an Maßnahmen ergriffen hat, dieses Problem ist längst nicht gelöst.
Obwohl Personen aus dem Kreis der Niners stets behaupten, man sehe sich nicht als Konkurrenz zum Fußball, drängt sich die Frage auf, ob auch die Basketball-Fanszene in Chemnitz abdriften könnte?
Nein, sagt Robert Claus. Er forscht zu Rechtsextremismus, Fankulturen und Hooligans.
Basketball gehöre nicht zu den Sportarten, die im Visier von Rechtsextremen seien.
Das ist zum einen der Fußball, weil er eine große Öffentlichkeit erreicht, weil viele Rechtsextreme auch Fußballfans sind und weil Fußball historisch auch immer ein Stück weit für nationale Stärke steht. Das ist zweitens Kampfsport und drittens Schießsport. Beide haben eins gemeinsam. In beiden Sportarten kann man sich Gewaltkompetenzen aneignen, also Fähigkeiten, die für Kampfsituationen relevant sind. Nun muss man ja im Hinterkopf behalten: Rechtsextreme vertreten eine grundlegend gewaltvolle Ideologie und rüsten sich für Kämpfe auf. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass der gesamte Kampfsport oder der gesamte Schießsport rechtsextrem ist. Und die vierte Sportart, die mag etwas überraschend klingen, ist aber Darts. Auch hier: Nicht die gesamte Dartszene ist rechtsextrem. Aber es gibt Regionen, wo Darts als quasi Milieusport, als Kneipensport sehr zum Sozialraum gehört, den auch Rechtsextreme betreiben.
Dies trifft auf den Basketball überhaupt nicht zu. Auch wenn er von einem weißen Sportlehrer erfunden wurde und in der Anfangszeit durchaus weiß geprägt war.
Fanstruktur seit Jahren stabil
Er sagt:
Max Schmidt betont mehrfach, dass für die Fanszene der Niners Basketball das verbindende Element sei. In ihren Reihen befänden sich Menschen, die sich verschiedenen politischen Parteien zugehörig fühlten, dies spiele allerdings keine Rolle.
„Man achtet da schon so ein bisschen drauf. Wer kommt da jetzt mit dazukommt. Ich würde jetzt aber nicht sagen, dass es da irgendwelche Unterwanderungsversuche gegeben hätte“, so Schmidt.
Hooliganforscher Robert Claus bestätigt, dass sich Rechtsextreme zurzeit nicht positiv auf Basketball beziehen. Trotzdem sei es nicht ausgeschlossen, dass sich das in Zukunft ändern könnte.
Basketball und die neue Chemnitzer Fankultur könnten der ganzen Chemnitzer Sportgesellschaft helfen, sagt er:
Rollstuhlbasketball unter dem Radar
Sie trainieren in einem neuen Schulcampus, mit einem ehemaligen tschechischen Nationalspieler als Coach. Wer bisher noch dachte, dass Basketball ein körperloser Sport ist, wird spätestens hier merken: Das stimmt so nicht.
Die metallische Geräusche, die beim Training deutlich häufiger zu hören sind als zum Beispiel Dribblings, werden von den Rollstühlen beim Aufeinanderknallen verursacht. Ein sehenswerter Sport, der aber, wie viele paralympische Sportarten, wenig Beachtung findet.
„Das sind unsere täglichen Erfahrungen, dass Sachen, die mit Rollstuhl oder mit Behinderung zu tun hatten, nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen wie bei Menschen ohne Behinderung“, bemängelt Fatima, eine der Spielerinnen.
Die deutschen Nationalmannschaften sind erfolgreich. In Paris holten die Rollstuhlbasketballer die erste Medaille seit 32 Jahren, die Rollstuhlbasketballerinnen erreichten immerhin Platz sechs.
„Sehr cool. Wenn wir ein Heimspiel haben, haben wir so 100 Zuschauer, vielleicht 150. In der Messe waren es dann wahrscheinlich über 2000.“
Till bemerkt auch, dass die Niners-Spiele für Rollstuhlfahrende besonders barrierearm sind:
Anziehungskraft für Sponsoren
Der Assistenztrainer der Rollstuhlbasketballer, Christian Hoffmann, meint, dass dadurch die finanzielle Situation angespannt sein kann:
Der Rollstuhlbasketball ist da sicherlich in einer besonderen Lage, weil die Rollstühle und die Kosten für den Transport zu Auswärtsspielen durchaus ein Kostenfaktor sind.
„Ich habe die Niners erlebt als jemand, der sehr partnerschaftlich auch umgeht mit anderen Vereinen. Ich hoffe, dass das auch bleibt.“
Verantwortung in der Stadtgesellschaft
Matthias Keussen: „Ich glaube, dass man auch auf Vereinsseite, also im eingetragenen Verein, vielleicht auch Teams gründen kann, um Personen abzuholen, die insgesamt der Gesellschaft ein bisschen mehr ausgegrenzt werden. Dass man ihnen Sportfläche bietet, indem man Teams gründet, die man auch entsprechend nennt. Ein FLINTA*-Team zum Beispiel oder so was in diese Richtung. Ich glaube, dass das, wenn es Big Player machen, glaube ich, immer in der Gesellschaft sehr wirkt.“
Frauen und Mädchen bleiben zurück
„Die Stadt kennt nur die Niners. Die Leute kennen gar nicht die ChemCats und dafür, dass man in der zweiten Bundesliga spielt, ist das echt schwach“, sagt Juliane Höhne, Nachwuchstrainerin bei den ChemCats und selbst ehemalige Profibasketballerin.
Juliane Höhne: „Ich fände es gut, wenn es zum Beispiel irgendwie eine Regelung gäbe, dass zum Beispiel, wenn eine Firma sich im männlichen Bereich engagiert, im Sport, dass sie eine gewisse Prozentzahl an den weiblichen Bereich geben muss. Es muss ja nicht immer die gleiche Sportart sein, aber selbst mit fünf Prozent von dem, was die Niners kriegen, hätten wir ausgesorgt.“
Juliane Höhne wünschte sich, dass mehr Doppelspieltage organsiert werden, wie vergangene Saison schon einer stattfand. Oder, dass zum Beispiel durch Ticketaktionen auch Niners-Fans ermäßigten Eintritt zu den ChemCats-Spielen erhalten.
„Manchmal muss man Leute dazu zwingen, mal Frauenbasketball zu gucken, damit sie überhaupt entdecken, dass es geil ist.“, sagt sie.
Die Situation des Chemnitzer Frauenbasketballs kennt auch Steffen Herhold, der Geschäftsführer der Niners. Trotzdem sieht er es nicht als Aufgabe der Niners, jetzt eine weibliche Abteilung aufzubauen:
Treffpunkt Konkordiapark
Auch Rollstuhlbasketballer Till möchte dann dort spielen:
„Ich habe es vor. Man muss natürlich immer den Rollstuhl mitnehmen. Das ist immer ein bisschen so das Ding, gerade für mich, weil ich kein eigenes Auto habe, aber das lässt sich alles irgendwie regeln. Ich denke, die ganze Community profitiert davon, weil es auch ein Hotspot werden wird. Ein Treffpunkt, wo du dich mit deinen Freunden treffen kannst. Macht ja auch Spaß zuzugucken, wenn da irgendwie Leute 3x3 zocken oder einfach bisschen Street Ball zocken.“
Vielleicht wird der neue Konkordiapark der Ort, wo alle vom Erfolg der Niners profitieren können. Und ein weiteres Symbol für den nicht nur sportlichen Aufbruch der Basketballstadt Chemnitz.