Apokalypse in der Wüste

Hier sollte eine der größten Stadt Kaliforniens entstehen, doch seit der Immobilienkrise gleicht California City einer Geisterstadt. Bastian Günther widmet diesem apokalyptischen Ort und seinen verbliebenen Bewohnern einen beeindruckenden Film.
Patrick Wellinski: Wir begeben uns jetzt nach California City, es ist die drittgrößte Stadt Kaliforniens, liegt mitten in der Mojave-Wüste und hat derzeit etwa 10.000 Einwohner auf 500 Quadratkilometern. Die Natur sagt einem auch sehr direkt, dass dies kein Land für Menschen ist, zu heiß, zu trocken, ein relativ gescheiterter Ort, der am Reißbrett von Grundstückspekulanten entworfen wurde und jetzt ein einziges Skelett ist. Und genau hier hat Bastian Günther seinen neuen Film angelegt, "California City" heißt er, und Bastian Günther ist jetzt bei uns. Herzlich Willkommen!
Bastian Günther: Hallo!
Wellinski: Was war denn zuerst da – die Landschaft von California City oder die Geschichte eines namenlosen Insektenbekämpfers?
Günther: Nein, die Stadt war zuerst da, ich habe die irgendwie gefunden, ich weiß schon gar nicht mehr genau, wie ich sie gefunden habe. Ursprünglich wollte ich einen Film machen über die Zeltstädte, die entstanden 2008 sind, als alle aus ihren Häusern raus mussten und sich von ihrem letzten Geld ein Zelt gekauft haben und dann auf öffentlichen Plätzen in Los Angeles oder in Sacramento gezeltet haben. Da bin ich dann hingefahren, nur die waren relativ schnell wieder weg, weil natürlich kein Bürgermeister diesen Schandfleck in seiner Stadt haben wollte.
Und dann habe ich gedacht, die müssen ja irgendwo vorher gelebt haben und bin dann auf California City gestoßen, diese künstlich angelegte Stadt, die ja durch diesen Boom, den es vorher gab, noch mal aufgebaut wurde oder es wurde noch mal versucht, da was zu bauen, so wie Ende der 50er-Jahre ja auch schon mal. Das war eine moderne Geisterstadt - man fuhr auf diese Stadt zu, und es sieht von der Entfernung irgendwie ganz gut aus eigentlich, blauer Himmel, Sonne, nette Häuser, man merkt aber nach einer Weile, dass da kein Leben ist, und das ist extrem unheimlich.
Wellinski: Diese Landschaft steht ja auch für etwas in Ihrem Film, für das Scheitern dieses Traums, von dem Sie gerade sprachen, aber auch eines Systems.
Günther: Die Landschaft oder die ganze Stadt steht für das Scheitern eines Systems und sie steht auch dafür, wie wir mit so einem Scheitern umgehen als Menschen. Wie zieht man sich auch aus einer Krise wieder raus? Also es ist auch symbolhaft für Krisen, die wir haben als Menschen, persönliche Krisen, die ja auch die Hauptfigur mit sich rumschleppt in dem Film. Es ist nicht speziell nur ein Film über California City, aber es ist natürlich der Aufhänger und das Setting für einen Film darüber, wie wir mit Verlust und Krisen umgehen.
"Jedes Hollywood-Studio würde sich wünschen, so ein Setting zu haben"
Wellinski: Die große Metapher, die Sie bemühen, ist die Apokalypse – die Landschaften wirken apokalyptisch, Apokalypse wird auch häufiger genannt, was die Menschen und ihre Zukunft betrifft. War das für Sie so offensichtlich, dass das hier eine apokalyptische Szenerie ist?
Günther: Das ist sehr offensichtlich, wenn man da ist. Also ich stieg da aus dem Auto aus und erstmal hört man gar nichts. Es ist wirklich so, dass, wenn man nicht gerade an dieser einen Hauptstraße steht, wo ab und zu ein Auto vorbeikommt, es total still ist. Man hat dann wirklich auch Probleme mit dem Gleichgewicht ab und zu, weil man sich an nichts orientieren kann, und dann stehen wirklich Häuser im Wüstensand, vollkommen leer und dann steht einen Kilometer weiter das nächste Haus. Es sind Ruinen, die wir zurückgelassen haben. Ich glaube, jedes Hollywood-Studio würde sich wünschen, so ein Setting zu haben, die müssten echt nur mal zwei Stunden rausfahren in die Wüste, dann hätten sie echt ein tolles Setting für einen Science-Fiction-Film.
Wellinski: Jetzt haben Sie sich entschieden, "California City" nicht wirklich als Spielfilm anzulegen, aber auch nicht wirklich als Dokumentarfilm, man nennt den Film einen Hybridfilm. Warum das?
Günther: Das ist mit der Zeit so ganz langsam gekommen, das hat sich irgendwie so eingeschlichen in meinen Kopf. Ganz zu Beginn war schon der Gedanke da, einen relativ klassischen Dokumentarfilm zu drehen, mit den Leuten, die da wohnen und die ja auch im Film vorkommen, aber die Stadt California City hat mich selbst so beeinflusst und so einen starken Effekt auf mich gehabt – immer wenn ich dagewesen bin, habe ich mich sehr melancholisch und verloren gefühlt und irgendwie auch so bedrückt, dass ich dachte, ich muss irgendwie als Filmemacher den Film ein bisschen mehr steuern, auch etwas von meinen Erfahrungen in den Film reinbringen, wie ich mich gefühlt habe. Dann kam ich irgendwann auf die Idee, diesen fiktiven Charakter in den Film reinzunehmen, diesen Kammerjäger, der ja ein Schauspieler ist, der so eine Art verlängerter Arm vom Filmemacher ist.
Wellinski: Jetzt begegnen wir ja mit ihm zusammen Menschen, die dort noch wohnen, zum Beispiel gibt es da Dan, den Immobilienverwalter, der dann etwas verwaltet, was es eigentlich nicht mehr zum Verwalten gibt. Es gibt Jonah, einen Verschwörungstheoretiker alter Schule, würde ich sagen. Und Scooby, einen Mann, der gerade ein Bewerbungsvideo dreht, weil er zur ersten Marsmission aufbrechen möchte. Wie haben Sie diese Menschen gefunden?
Günther: Ganz unterschiedlich. Also den Immobilienmakler Dan, das war der erste, der an Bord war für diesen Film, schon bei meiner allerersten Recherchetour 2010 habe ich ungefähr so 50, 60 Maklerbüros angeschrieben und keiner wollte natürlich was mit diesem Film zu tun haben, ist ja klar, und Dan war der einzige, der gesagt hat, ja, ich mach das, ich habe auch mein Haus verloren und gehe jeden Tag durch leere Häuser und checke die, und im Grunde sieht er jeden Tag seine Situation vor sich. Und der ist ein ganz netter und cleverer Typ, der sich sehr viele Gedanken macht über seine Situation und über die Situation, wie man sie da vorfindet. Er ist all die Jahre bei diesem Projekt geblieben, und immer wenn ich da bin, habe ich ihn getroffen, mal kürzer, mal länger.
Und so jemanden wie Jonah, den haben wir wirklich durch Zufall getroffen. Als wir abends im Hotel im Whirlpool saßen und eigentlich entspannen wollten, weil wir am nächsten Tag einen harten Drehtag hatten, kam dieser Typ und setzte sich rein und fragte, ob er da mit uns rumhängen könnte und wir sagten, ja klar, und dann fing der einfach an zu erzählen, und dann habe ich meinem Kameramann gesagt, dem Michael Kotschi, geh mal raus aus dem Whirlpool und hol mal die Kamera. Dann ist der wirklich in der Badehose ins Zimmer und hat dann das ganze Equipment schnell aufgebaut, das ist dann Glück gewesen. Das braucht man auch, dass man manchmal Sachen findet oder die einen finden.
Die Landschaft prägt die Menschen - und umgekehrt
Wellinski: Trotzdem ist das ein sehr seltsamer Menschenschlag, den Sie da gefunden haben. Wie würden Sie das denn versuchen zu fassen? Sind das verlorene, abgehängte Überlebenskünstler?
Günther: Ja, das sind zum Teil verlorene Aussteiger, aber auch Leute, die den Wahnsinn nicht mitmachen, den wir alle mitmachen, sondern, sagen wir mal, wenn man wirklich erfolgreich sein will, dann geht man da besser weg aus dieser Gegend. Und die Leute, die wollen das aber nicht, die wollen nichts damit zu tun haben, wie der Großteil der Menschen da leben, sondern die haben sich ihr kleines Leben da eingerichtet, die brauchen auch dieses Rückzugsgebiet.
Vor allen Dingen jemand wie Burt, der ja diesen Schrott sammelt auf dem Bombentestgelände, der sagt ja auch, immer wenn ich in die Stadt gehe, dann bekomme ich Schwierigkeiten, also die brauchen wirklich diese Isolation, damit sie so eine Art Frieden haben. Ob das dann Aussteiger sind oder einfach Leute, die vielleicht irgendwann kriminell gewesen sind und lieber in der Wüste bleiben, weil sie sich auch selbst schützen müssen oder Leute, die einfach die Wüste oder diese Orte lieben oder auch Kreative, die das brauchen. Scooby ist ja alles, der ist Tänzer, der ist Maler, der ist Martial-Arts-Kämpfer, Schauspieler ist er wahrscheinlich auch noch und jetzt will er noch zum Mars fliegen. Es sind schon sehr verrückte Leute, die aber alle auch gute Sachen zu sagen haben.
Wellinski: Würden Sie denn sagen, dass die Landschaft, in der diese Menschen leben, diese Menschen geprägt hat oder prägen diese Menschen dann doch noch die Landschaften?
Günther: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, manche suchen sich diese Landschaft wirklich aus und gehen dahin, weil die sowas brauchen, aber ich glaube, es gibt auch den anderen Ansatz, dass Leute dadurch so geworden sind oder so geprägt werden. Ich glaube, es gibt beides.
Wellinski: Wie ist das eigentlich jetzt, wenn Sie – der Film ist ja abgeschlossen, wurde schon auf einigen Festivals gezeigt –, würden Sie sagen, Sie haben diesen Ort California City, diesen Unort vielleicht ja auch, besser verstanden, anders verstanden, anders begriffen – deshalb haben Sie ja diesen Film auch gemacht, weil Sie diesen Ort irgendwie aufladen wollten, sich dem nähern wollten.
Günther: Ich bin schon lange Zeit da gewesen, also wirklich über vier Jahre immer wieder. Ob ich ihn jetzt tatsächlich total begriffen habe, das weiß ich gar nicht. Ich habe auch beim letzten Mal, als ich da war, immer noch staunend davor gestanden und mir gedacht, wie kann das eigentlich sein, dass wir sowas probieren, dass man so eine absurde Idee probiert, ins totale Niemandsland, in so eine lebensfeindliche Umgebung versucht, die drittgrößte oder vielleicht sogar die größte Stadt Kaliforniens zu bauen. Das habe ich bis heute nicht begriffen, wie man das probieren kann. Und wenn man dann da steht vor diesen leeren Straßenzügen und ab und zu geht dann mal vielleicht eine Tür irgendwo auf und einer kommt raus, dann bohrt sich das Auge an diese eine Figur, weil man dankbar ist, dass es irgendwo noch jemanden gibt, der lebt, aber so ganz begriffen habe ich es nicht, nein.
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