Beleidigen mit Geist – und Grenzen
Stirn an Stirn stehen die Musiker beim Battle Rap. Ihr Ziel: Den anderen mit möglichst geistvoller und witziger Sprache zu erniedrigen. In Russland feierte die Szene 2017 ihren Erweckungsmoment: Eine wachsende Subkultur mit politischer Selbstzensur.
"Alle haben auf den Auftritt des Königs und des Narren gewartet." Das sind die ersten Worte von Slava KPSS an seinen Gegner Oxxxymiron. Im August 2017 trugen die beiden ihre lange Fehde in einem Rap-Battle aus.
Auf der einen Seite: Oxxxymiron: ein erfolgreicher, populärer Musiker und der ungeschlagene König des russischen Battle-Rap. Ihm gegenüber: der junge, provozierende und außerhalb der Battle-Rap-Szene wenig bekannte Slava KPSS.
Eine Stunde dauerte das Wortgefecht. Voller Kraftausdrücke. Voller sprachlicher Verweise aus der Szene, aber auch auf die russische Hochkultur. Am Ende gewann der Narr: Slava KPSS. Das sorgte für riesige Aufmerksamkeit. Zehn Millionen Aufrufe bei YouTube. Innerhalb des ersten Tages. 40 Millionen sind es heute. Selbst auf den staatlichen TV-Sendern wurde tagelang analysiert und erklärt. Die Subkultur der Battle-Rapper bewegte die Nation.
Eine Chance auf Öffentlichkeit
"Das konnten sich Leute anschauen, die lyrische Aspekte interessant fanden. Leute, die sich als intellektuell betrachten oder einfach Arbeiter aus der Fabrik, die abends heimkommen, sich ein Bier reinstellen und sich auf YouTube anschauen, wie Leute sich gegenseitig beleidigen."
Der Rapper Booker ist grade mal 23 Jahre alt und bereits ein alter Hase in der Battle-Rap-Szene. Seit Jahren tritt er selbst an. Genau hier. In der Bar 1703. Sie liegt in einem ehemaligen Lagerhallen-Areal von St. Petersburg. Hohe Decken, Backsteinwände.
Hier veranstaltet die größte russische Battle-Liga namens "Versus" ihre Wettkämpfe. Das Format: Zwei Battle-Rapper treffen aufeinander mit bereits vorbereiteten Texten, in denen sie ihren Opponenten auf originelle Weise als absoluten Versager und sich selbst als Held darstellen. Das Ganze A cappella. Nach mehreren Runden entscheidet eine Jury, wem das besser gelungen ist. Als Booker im Jahr 2013 die ersten Battles von "Versus" auf YouTube sah, wusste der angehende Rapmusiker, dass er Teil davon sein will.
"Für uns war es eine Chance durchzukommen, auf sich aufmerksam zu machen. Und damals hatte ich absolut gar nichts. Keiner kannte mich, keiner hörte mich. Ich wollte eben irgendwie zeigen: Hier bin ich! Ich existiere. Und als die Battles so um die 10.000 Zuschauer hatten, war das sehr wichtig für das eigene Selbstbewusstsein. Du fühlst, dass die Leute dich wollen, sich für dich interessieren. Dass du nicht einfach ein dumpfes Stück Fleisch bist, sondern dass tatsächlich etwas in dir steckt."
Wertschätzung der Sprache
Und im besten Falle sind es Punchlines, also pointierte Angriffe, die zwar hart aber auch geistvoll sein sollten. Denn: Die hohe Wertschätzung der Sprache hat in der literaturzentrierten russischen Kultur Tradition. In den Medien werden die Battle-Rapper sogar als eine Art neue Dichtergeneration betitelt.
"Es war sehr schnell der Fall, dass es nicht mehr ausreichte, die Freundin oder Mutter des Opponenten zu beleidigen. Also haben die Leute angefangen, mit diesen kulturellen Ebenen zu arbeiten, Verweise zu machen und so weiter. Ich glaube, für das russisch Volk sind solche verbalen Angelegenheiten charakteristisch."
Mittlerweile konzentriert sich Booker auf seine Karriere als Rapmusiker, schreibt Tracks und gibt Konzerte. Er hat sich in sämtlichen Ligen und Formaten seiner Heimatstadt gemessen: St. Petersburg gilt heute als das Epizentrum des russischen Battle-Raps. Entstanden ist die Szene aber woanders: Mitte der 2000er Jahre spielte Rap in der russischen Musikindustrie keine große Rolle. Es gab nur wenige Künstler, die sich im Internet vernetzen. So entstand langsam eine überregionale Rap-Community im Online-Forum "hiphop.ru". Hier wurden sogenannte Online-Battles ausgetragen. Das bedeutet, zu festgelegten Themen verfassten die Teilnehmer ihre Texte, die besseren kamen weiter.
Auch wenn sich die Rapper in Richtung Turnierfinale gegenseitig angriffen, glich das ganze eher einem Liederwettbewerb. Vom Internet in das reale Leben trat der Battle-Rap erst 2012 in der südrussischen Stadt Krasnodar.
Battle-Rap auf Russisch ist schwieriger
"Wir stießen auf die britischen Battles namens ‚Don’t Flop‘, wo das alles ohne Musik stattfand. Also die Leute standen im Kreis, reagierten sehr lebendig auf die starken Texte. Das sah sehr cool aus. Wir wollten das bei uns ausprobieren und das hat geklappt. Es kam sehr gut an."
Der Krasnodarer Anton Belogay ist heute Anwalt. Bekannt in der Szene ist er unter dem Namen Hyde. Hin und wieder ist er noch als Juror bei Rap-Battles dabei. Als damals aktiver Rapper gründete er mit einem befreundeten Musiker die Plattform "SLOVO" – zu Deutsch "Wort". Dafür kopierten sie das Format von den englischsprachigen Vorbildern. Aber schnell zeigte sich hier die Eigenständigkeit des russischen Battle-Raps.
"Die russische Sprache ist schwer, es gibt viele lange Wörter. Im Englischen kann man mit einsilbigen Wörtern ein paar Zeilen decken. Und die werden sich hintereinander reimen: don’t, flop, drop, stop und so. Zudem haben im Englischen viele Wörter ein und dieselbe Bedeutung. Und das ermöglicht viel Spielraum für coole Punchlines und Texte. Im Russischen ist es schwieriger. Wir haben nicht so viele Wörter, die gleich klingen und dieselbe Bedeutung haben. Daher hat die Sache eine andere Richtung in der Entwicklung eingenommen. Die Auseinandersetzung mit dem Ganzen erfordert meiner Ansicht nach, verstärkte intellektuelle Anstrengungen."
Auch mit dem Rhythmus wäre es nicht so einfach wie im Englischen, weshalb russische A-capella-Battles weniger musikalisch, sondern mehr wie eine Deklamation klingen würden.
Monatelange Turniere
Und deklamiert wird im ganzen Land, in den größten Städten entstehen Filialen von "Slovo". Angehende Rapmusiker oder reine Hobby-Battler geben sich in monatelangen Turnieren einem verbalen Kräftemessen hin. Die Videos dazu kann man sich online angucken.
Aber eine breite Resonanz erzeugen erst die Battles des Projekts "Versus" ab dem Jahr 2013. Denn hier treten bereits bekannte Rapmusiker gegeneinander an, so wie Oxxxymiron. Mit seinen sprachlich als auch technisch ausgefeilten Auftritten zieht er online ein Millionenpublikum an. Denn die geschlossenen Veranstaltungen von "Versus" sind von Anfang an als YouTube-Format konzipiert.
In Russland blüht diese Plattform gerade erst richtig auf mit ihrer Schar an Videobloggern – die russische Jugend hat ihren alternativen Ort für Information und Unterhaltung gefunden.
Nicht nur Rap-Fans schauen sich die Battles an
Die junge St. Petersburgerin Wlada Petrowa entdeckt Rap-Battles als eine neue, spannende Form, die unterschiedliche Bedürfnisse anspricht.
"Man könnte es einfach eine Art YouTube-Show nennen. Ich kenne Leute die Battles schauen, aber ansonsten keine Rapmusik hören und sich nicht dafür interessieren. Für das Publikum ist es Entertainment, für die Battler ist es eine einfache Möglichkeit sich selbst auszudrücken, wie es sonst vielleicht nicht möglich ist. Denn um Tracks zu schreiben, braucht man gewissen Fähigkeiten und Ressourcen, auch im finanziellen Sinne um sie dann aufzunehmen. Um ein Battle-Rapper zu sein, benötigst du nichts."
Wlada selbst interessiert neben dem gekonnten Spiel mit Wort und Rhythmus, wie sich die Kontrahenten nicht nur bezüglich ihrer Rap-Fertigkeiten, sondern insbesondere auf der persönlichen Ebene angreifen. Also welche charakterlichen Schwächen und Verfehlungen sie einander vorwerfen:
"Es ist spannend, welche moralischen und sozialen Normen die Leute vertreten. Zudem ist es für mich, vom Standpunkt einer jungen Frau aus betrachtet, interessant, wie sich Männlichkeit in unserer Kultur konstituiert."
Sexistische Angriffe sind gängige Strategien
Von derben oder sexistischen Äußerungen fühlen sich dabei weder sie noch ihre Freundinnen provoziert. Über unkorrekte Sprüche kann sie lachen. Die 23-Jährige bezieht sich auf das kulturhistorische Konzept der Karnevalisierung des russischen Philosophen Michail Bachtin. Stark verkürzt sei laut dieser Theorie die Karnevalszeit, in der sämtliche gesellschaftlichen Normen über Bord geworfen werden, ein wichtiges Ventil der Gesellschaft. Der alle Schichten erfassende, geduldete Tabubruch trage dazu bei, dass die Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur zeitweise aufgehoben werden.
"Ich sehe Battle-Rap in eben diesem Sinne. Es ist ein Ort, an dem sich die Leute das erlauben, was sie sich im echten Leben nicht erlauben würden. Im echten Leben würde man keine Witze über die Krankheit des Gegenübers machen oder ihm nahestehende Menschen beleidigen, so wie ihn selbst ohne Grund. Und im Battle ist dies nicht nur möglich, sondern auch erwünscht."
Doch es können sich nicht nur Battle-Rapper Tabubrüche erlauben. Unter den Fans hat sich eine eigene Kultur der Fanfiction entwickelt. Auf Onlineportalen schreiben Fans hunderte Geschichten über Protagonisten der Szene. Das häufigste Sujet: homosexuelle Beziehungen.
"Ich denke, dass darin der Witz an hypermaskulinen Kulturen bzw. Subkulturen liegt, weil man darin immer einen gewissen homoerotischen Moment entdecken kann und das tun die Leute offensichtlich."
Die Battle-Rapper würden das mit Humor nehmen, einer hätte sogar einen Track über seine Auftritte in den Fanfiction-Erzählungen verfasst.
Weibliche Battle-Rapperin und Doktorandin
Obwohl Frauen mittlerweile einen großen Teil des Publikums ausmachen, sind sie als Teilnehmerinnen wenig vertreten. Julia Kiwi ist eine der wenigen in der Szene und war anfangs noch sehr darum bemüht, gegen Vorurteile seitens des männlichen Publikums zu kämpfen. Mittlerweile hat sie sich in Turnieren einen festen Namen gemacht.
"Es gab Typen, die waren kategorisch dagegen. Andere wiederum haben alles abgefeiert, nur weil es eine Frau war. Diese beiden Extrempositionen empfand ich als Beleidigung."
Die freundliche, offene Art und beinahe mädchenhafte Ausstrahlung der 24-jährigen Doktorandin steht in Kontrast zu ihren Auftritten im Battle.
"Den inneren Dämon rauslassen"
"Du kannst im Leben ein netter Typ sein, loyal, nicht streitsüchtig. Aber dann gehst du zum Battle und dort herrschen eigene Spielregeln. Du weißt, dass du angegriffen wirst und das ist normal, dafür musst du bereit sein – warum zur Hölle gehst du sonst hin. Aber zugleich kannst du ohne Beschränkungen Gemeinheiten von dir geben. Den inneren Dämon rauslassen."
Der Text, so Julia Kiwi, muss aussagestark, darf nicht banal und simpel sein. Aber im Fokus stehe nun mal die Konfrontation und das heiligt alle Mittel.
"Mir gefällt Battle-Rap, weil es ein sehr freies Genre ist. Beim Battle kannst du machen, was du willst, du kannst sagen, was du willst, behaupten was du willst. Du kannst scherzen, aggressiv sein, jemanden auf die heftigste Art beleidigen, aussprechen, was oder wer dir nicht gefällt und was dich in der Gesellschaft stört."
Es herrscht einfach Narrenfreiheit. Vom Gang zur Toilette bis zu gesellschaftlichen Problemen wird jedes Thema angesprochen – solange es eben dazu dient, den Kampf für sich zu entscheiden. Dazu vulgäre Sprache, Flüche. Zweifellos ist es ein Tanz auf Messers Schneide.
Lieber keine Scherze auf Kosten Putins und der Kirche
Bisher hat sich die Politik nicht aktiv in die Szene eingemischt. Auch, weil der Veranstalter der "Versus"-Battles sich konsequent gegen brenzlige politische Äußerungen einsetzt. Das Battle, so äußerte Alexander Restorator mehrmals, sei nicht er richtige Ort um über heikle Themen wie die Ukraine zu sprechen. In der Aufzeichnung wird das dann gepiept oder gar rausgeschnitten. Man will weder mit den Autoritäten Probleme haben, noch die Sponsoren vertreiben. So ist letztlich auch die absolute Freiheit in dieser spezifischen Subkultur illusorisch.
"Es gibt die Situation, dass die Leute sich selbst im Kopf zensieren. Sie filtern selbst, über was gesprochen werden darf und was nicht."
Viktor SD ist Rapmusiker und Battle-Rapper der ersten Stunde, Producer und Labelchef. Der Moskauer fokussiert sich momentan auf seine Künstler und weiß daher gut, von welchen Themen man besser die kritischen Finger lässt.
"Ich denke das ist vornehmlich unser Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin – ein riskantes Thema für Scherze. Irgendetwas über die Orthodoxe Kirche, da solltest du auch nicht scherzen, wenn du noch etwas machen möchtest. Und Ramzan Kadyrow. Über ihn sollte man auch keine Scherze machen, ihn am besten gar nicht erwähnen."
Einer seiner Schützlinge, nämlich Slava KPSS hatte in einem Battle den tschetschenischen Präsidenten erwähnt, worauf er Probleme mit Angehörigen dieser Volksgruppe bekam. Daraufhin folgte eine öffentliche Entschuldigung des Rappers.
Ein Sprungbrett zum Erfolg
Wenn man sich also ein paar Themen ausspart und nicht nur ein guter Battle-Rapper ist, sondern auch Songs schreiben kann, dann lässt sich der Sprung auf die Konzertbühnen Russlands schaffen, so Labelchef Viktor SD. Nicht zuletzt der Hype um den Battle-Rap der vergangenen Jahre habe die russische Rapmusik im Allgemeinen populärer gemacht.
"Heute gibt es in Russland selbst für die Underground-Rapper einen fruchtbaren Boden, um Geld zu verdienen. Sie können ihre Songs auf iTunes packen, können in Russland Konzerte geben. Niemand wird sie daran hindern. Es ist eine gute Möglichkeit, aus seinem Leben etwas zu machen."
Allerdings sind Rap-Battles für Viktor SD und seine Künstler momentan nicht interessant. Die große Aufregung hat sich gelegt. Es gibt zwar mehr Werbepartner, mehr Zuschauer und mehr Formate. So wird auch wieder oft auf Beats gerappt oder in Teams. Aber die leuchtenden Charaktere der Szene arbeiten an ihren musikalischen Karrieren außerhalb der Hallen. Sie versuchen in der wachsenden russischen Rap-Industrie Fuß zu fassen. Oder sind in der Versenkung verschwunden.
Das Publikum ist breiter geworden, die Anzahl der Battle-Rapper gestiegen aber nicht zwingend die Zahl an aufmerksamkeitserregenden Battles. Das kann sich jedoch sehr schnell wieder ändern – spätestens wenn der aktuelle König herausgefordert wird.