Das neue Mekka für Glücksspieler
20:20 Minuten
Batumi ist das "Las Vegas des Ostens": Weil Glücksspiel in Ländern wie der Türkei oder dem Iran weitgehend verboten ist, kommen immer mehr Touristen in die georgische Schwarzmeerstadt. Krim-Krise und die schwache türkische Lira verstärken den Boom.
Elf Stockwerke ohne Aufzug, darüber kann David Ruebush inzwischen nur noch müde lächeln. Alleine am Vortag sei er insgesamt 100 Etagen zu Fuß rauf- und runter gelaufen, meistens einen oder mehrere Kunden aus aller Welt im Schlepptau. Der Rohbau im Zentrum von Batumi ist eines von fünf Immobilien-Projekten, die der gebürtige Texaner aktuell vermarktet in der Schwarzmeer-Metropole. Die Käufer: Russen, Ukrainer, zunehmend aber auch Westeuropäer und Israelis.
Ruebush steht jetzt auf dem Dach des Gebäudes und blickt ins Land: die Schwarzmeerküste mit dem kilometerlangen Strandboulevard von Batumi im Westen, in der anderen Richtung die hügeligen, subtropischen Wälder der Provinz Adscharien, deren Hauptstadt Batumi ist - und nur 15 Kilometer weiter südlich liegt die türkische Grenze.
Vom Dorf zur Stadt in sechs Jahren
Wie viele Hochhäuser es inzwischen in Batumi gebe? Auch das entlockt David Ruebush nur ein mildes Grinsen: "Als wir 2013 nach Batumi gekommen sind, hatte die Stadt vielleicht 30.000 permanente Bewohner, im Sommer natürlich mehr. Es gab zwei größere Restaurants für Leute wie mich oder für Touristen. Es gab vier höhere Gebäude, alles größere Hotelketten wie Sheraton und Radisson. Schauen Sie sich um: Heute kann man gar nicht zählen, wie viele Hochhäuser hier stehen. Vor drei, vier Jahren habe ich vom Dach eines der Gebäude die Anzahl der Baukräne gezählt: Es waren 42. Heute lebt sicherlich eine Viertelmillion Menschen in Batumi. Die Stadt boomt und hat sich buchstäblich von einem Dorf zu einer Stadt entwickelt, und das alles in nur sechs Jahren."
Er schaut auf sein Handy: Nina, seine ukrainische Frau und Geschäftspartnerin, schreibt, dass ein potenzieller Kunde auf ihn warte in der Firmenzentrale. "Batumi Paradise" heißt das Unternehmen von David Ruebush und seiner Partnerin Nina. Auf einer ledernen Sitzgruppe sitzt ein Kunde aus Deutschland, dem David Ruebush die Vorzüge des lokalen Immobilienmarkts erläutert: Rechtssicherheit, zweistellige Renditen, boomender Tourismus.
Walter P. kommt aus der Nähe von Aachen und will lieber nicht mit vollem Namen genannt werden. Auf Batumi sei er eher zufällig durch die Facebook-Seite von "Batumi Paradise" gestoßen: "Und dann habe ich festgestellt, dass es hier einige interessante Investitionsmöglichkeiten gibt, vor allem, weil das hier alles noch am Anfang steht. Das Land ist gut, es ist offen. Man möchte dann irgendwo einen Schritt voraus sein, nicht irgendwo hinterherlaufen, einige Appartements kaufen und dann über David die Vermarktung machen."
Eine halbe Million Euro will der Deutsche investieren, für dieses Geld seien aktuell in Batumi acht bis zehn kleine Appartements zu bekommen, mit einer Rendite um die 15 Prozent pro Jahr, rechnet Ruebush vor. Die Zahlen sprächen für sich, findet Walter P..
Unternehmer-Paradies am Schwarzen Meer
Die georgische Schwarzmeer-Region boomt ordentlich – so, wie das ganze Land: Georgien belegt aktuell Platz sechs im weltweiten "Doing Business"-Ranking der Weltbank – und landet damit vor Ländern wie Deutschland, Platz 24, oder der Schweiz auf Rang 38.
Firmengründer, auch aus dem Ausland, müssen lediglich ihren Reisepass in einer der über das ganze Land verteilten "Public Service Halls" vorlegen. Und: Es gibt kaum ein Land, das derart liberale Aufenthaltsbestimmungen hat wie Georgien: Staatsangehörige der meisten Länder können zeitlich unbegrenzt und visafrei im Land bleiben.
Den Stein ins Rollen gebracht hat Michail Saakaschwili, von 2004 bis 2013 georgischer Staatspräsident, der vor allem die Ansiedlung von Casinos in Batumi förderte – ein einträgliches Geschäft, weil Glücksspiel in der Türkei und den meisten anderen muslimischen Ländern der Region, aber auch in Russland, weitestgehend verboten ist. Dann wurden die Strände hergerichtet, der Strandboulevard gebaut, um nicht nur Glücksspieler, sondern auch Badegäste nach Batumi zu locken.
Bis heute seien aber die Casinos eine der Säulen für den Tourismus in Batumi, berichtet Mamuka Berdzenishvili. Der Soziologe war bis vor zwei Jahren Chef der städtischen Tourismus-Behörde und leitet heute eine Denkfabrik, die sich für nachhaltigen Tourismus in Georgiens Küstenregion stark macht.
"Das Glücksspiel ist wichtig für Batumi, weil es für eine Auslastung der Hotels auch außerhalb der Sommersaison sorgt. Darum halte ich es zunächst einmal für eine gute Entscheidung der früheren Regierung Saakaschwili, Anreize für die Ansiedlung von Casinos zu schaffen. Diese Sonderregelungen gelten ja auch heute noch: Wenn du ein Hotel mit mehr als 100 Betten in Batumi baust, bekommst du die Glücksspiel-Lizenz umsonst dazu. Das wird auch künftig neue Hotels in die Stadt bringen. Eine gute Sache, denke ich."
Und auch wer nur ein Casino, also ohne Hotel, eröffnet, zahlt moderate 100.000 Euro Konzessionsgebühr pro Jahr – zum Vergleich: In der Hauptstadt Tiflis sind hierfür zwei Millionen Euro fällig.
Casinos haben Batumi reich gemacht
Zwölf große und unzählige kleinere Casinos gibt es inzwischen in Batumi und jedes Jahr kommen neue hinzu. Im Sommer 2018 hat das "Eclipse" im Süden der Stadt eröffnet, und auch schon um 20 Uhr ist der riesige Casino-Saal ganz gut besucht. Wie viel hier umgesetzt wird an einem Tag wie heute, wie viel gewonnen und verloren, darüber darf Sofia Karapetyan nichts sagen. Die junge Frau arbeitet seit zehn Jahren in der georgischen Glücksspiel-Branche und ist Marketing-Chefin des "Eclipse"-Casinos.
"Das hier ist unser Entertainment-Center mit verschiedenen Bereichen. Wir stehen hier im Casino, da hinten ist der Wett-Club, oben ein Restaurant und eine Sommer-Terrasse. Wir sind im Moment das größte Casino in ganz Georgien. Die meisten Gäste kommen aus der Türkei, die Grenze ist ja nicht weit. Dann haben wir sehr viele Gäste aus Israel und aus arabischen Ländern und dem Iran. Da hinten wird Roulette gespielt, hier weiter vorne Baccara. Das mögen vor allem Gäste aus dem Iran und aus China."
Sofia entschuldigt sich, ein Anruf. Ihr Chef will nicht, dass ein Reporter im "Eclipse" mit Mikrofon herumläuft, schon gar nicht, dass Casino-Besucher befragt werden. Diskretion ist hier eines der obersten Gebote. Ich werde höflich aber bestimmt gebeten, mein Aufnahmegerät auszuschalten.
Draußen, auf dem riesigen Casino-Parkplatz, steht eine kleine Gruppe junger Männer mit Zigaretten in der Hand. Birkan Aksu und seine drei Freunde kommen alle aus Samsun, der größten türkischen Stadt am Schwarzen Meer, rund 500 Kilometer westlich von Batumi. Birkan ist Ingenieur und reist beruflich mehrfach im Jahr nach Batumi. Dann besucht er immer eines der großen Casinos.
"Es ist bunt und voll da drinnen. Das gefällt mir. Bei uns in der Türkei gibt es das ja nicht, weil es verboten ist. Ich würde sagen, alleine heute Abend sind sicherlich die Hälfte der Besucher Türken hier. Ich spiele vor allem, wenn die Saison vorbei ist. Denn, mal ganz ehrlich: Wenn der Sommer zu Ende ist, kannst du in Batumi nicht viel anderes machen."
Viele russische und türkische Touristen
Doch auch die Urlaubssaison wird immer länger in Batumi. Inzwischen beginnt sie im Mai - und auch im September, Oktober ist die Strandpromenade noch gut gefüllt mit Touristen, die vor allem Türkisch und Russisch sprechen. Zwar hat Russland im Juli wegen politischer Spannungen mit Georgien sämtliche Direktflüge ins kleine Nachbarland eingestellt. Doch das hält russische Besucher nicht ab, trotzdem zu kommen. Entweder sie fliegen mit Zwischenstopp zum Beispiel in Istanbul oder Kiew – oder sie machen es wie Sergej und Irina Sokolov.
Das Paar kommt aus Archangelsk am Weißen Meer, die 3200 Kilometer sind die beiden mal eben mit dem eigenen Auto gefahren: drei Tage, zwei Übernachtungen – kein Problem, sagt Sergej. Die beiden sind schon zum dritten Mal in Batumi, sind begeistert davon, wie sich die Stadt entwickelt – und wollen wiederkommen, ungeachtet der aktuellen Probleme zwischen Moskau und Tiflis.
Glücksspiel, Bade-Tourismus, Gastfreundschaft und gutes Essen – all das seien Dinge, mit denen Batumi punkten könne, sagt auch der Texaner David Ruebush. Das viele Investoren-Geld fließt aber seiner Ansicht nach aus anderen Gründen in die Stadt.
"Ich sage immer: Georgien ist da schon ein Glückspilz gewesen in den vergangenen zehn Jahren, weil man quasi von den Problemen seiner Nachbarn profitiert hat. Als Russland und die Ukraine Probleme miteinander bekamen, haben die Leute ihr Geld von dort abgezogen und nach Batumi gebracht. Als die türkische Lira ins Trudeln geriet, dasselbe. Und als der Iran für eine gewisse Zeit offener wurde, kamen auch von dort Investoren. Und: Georgien ist stabil, es gibt keine Korruption, und hier ändert sich nicht gleich alles, wenn eine neue Regierung an die Macht kommt, anders als in den meisten Ländern Osteuropas. All das ist für mich ein Zeichen dafür, dass Georgien inzwischen eine stabile Demokratie ist."
Und das sieht nicht nur Investor David Ruebush so: "Transparency International" listet Georgien in seinem jüngsten, 180 Länder umfassenden Korruptionsindex auf Rang 41, gleichauf mit Spanien und deutlich vor anderen EU-Ländern wie Italien oder der Slowakei.
Architektonischer Wildwuchs und Disneyland
Doch die Entwicklung der vergangenen Jahre, vor allem der architektonische Wildwuchs in Batumi, gefällt nicht allen in der Stadt. Irma Zoidze zum Beispiel. Der sogenannte "Alphabetic Tower", ein 130 Meter hohes Stahlgebilde zu Ehren des georgischen Alphabets, oder viele der neumodischen Hotelburgen – all das erinnert die Journalistin eher an Disneyland. Außerdem seien viele Häuser im historischen Zentrum von Batumi quasi über Nacht abgerissen worden in den vergangenen Jahren, kritisiert Irma Zoidze. Sie engagiert sich in einer NGO für den Erhalt der alten Bausubstanz und steht an diesem Herbstmorgen auf der "Piazza", einem kleinen Platz, der wohl irgendwie italienisch wirken soll und fast erdrückt wird von den umliegenden Restaurants und Bars.
"Das ist purer Kitsch hier, schrecklich. Aber das eigentlich Schlimme an der Sache ist, dass hier früher eine Grundschule stand. Die hat man abgerissen. Es gibt aber kein Ersatzgebäude. Abgerissen und fertig. Kein Problem. Und das ist nicht die einzige Schule, mit der so verfahren wurde."
Und dann das Glücksspiel: Auf einem zentralen Platz unweit der Altstadt blickt Irma Zoidze um sich und zählt jene sieben, acht Casinos auf, die allein im Umkreis von 500 Metern stehen.
"Die Casinos bringen ja vieles in die Stadt, was wir nicht brauchen: Prostitution, Drogenhandel, Spielsucht. Die Prostituierten kommen inzwischen auch aus anderen Ländern, da ist eine richtige Industrie entstanden. Nicht nur in den Casinos. Im türkischen Viertel um die Moschee herum zum Beispiel gibt es ja diese ganzen Thai-Massage-Salons. Da geht es aber um andere Dinge als Massagen. Das weiß jeder, und es ist völlig offensichtlich. Aber es gibt eben eine Nachfrage, die diese Frauen bedienen."
Allein an der Kutaissi-Straße, die direkt an der zentralen Moschee vorbeiführt, gibt es zehn, zwölf solcher Massage-Salons. Hinter großen Glasscheiben sitzen junge asiatische Frauen und warten auf Kundschaft – nicht aber auf einen Radio-Reporter, der Fragen zu ihrer Arbeit stellt.
Thaimassage-Salons: fragwürdige Kundschaft
Zu einem Interview ist hier niemand bereit. Eine der Frauen erzählt dann aber doch kurz, als das Mikro ausgeschaltet bleibt: Dass sie aus Thailand nur für die Sommer- und Herbstmonate nach Batumi komme, dort, in Bangkok, eine Familie mit zwei kleinen Söhnen habe. Ihre Kunden hier: vor allem türkische Männer, die wegen des Glücksspiels und der erotischen Massagen in die Stadt reisen.
Die Aktivistin Irma Zoidze jedenfalls erwartet nichts Gutes für die Zukunft der Stadt, in der sie geboren wurde. Eine Art Geisterstadt werde Batumi irgendwann sein, mit leeren Hotelburgen im Winter, fürchtet sie.
Der US-amerikanische Investor David Ruebush sieht zwar auch nicht alles durch die rosa-rote Brille. Aber er ist sich sicher: Der Boom in Batumi ist noch lange nicht am Ende.
"Die Touristen kommen und sie werden auch weiterhin in Massen kommen - und zwar, weil Georgien ganz generell für jeden etwas zu bieten hat: für Besucher aus Kasachstan, Japan, Südafrika genauso wie für jemanden aus New York City oder Dänemark. Und das hat man nicht oft, dass ein so kleines Land quasi ein globaler Markt ist, wenn es um Tourismus geht. Und wenn ihr Markt quasi die Welt ist, dann ist eine Stadt wie Batumi mit 250.000 Einwohnern doch eher klein, wird aber noch kräftig wachsen. Schauen Sie sich an, wie Dubai sich entwickelt hat: von einem Fischerdorf im Wüstensand zu einer Weltmetropole. Auch in Batumi ist da noch viel Luft nach oben."