Künstliche Dünen und Hipster-Hotels
Baulärm statt Meeresrauschen – in rasantem Tempo schießen in Schleswig-Holstein neue Ferienanlagen aus dem Boden. Jahrzehntelang dümpelte der Tourismus vor sich hin. Nun werden dort Millionen investiert, um Urlauber in die Region zu locken. Kritiker sehen das nicht nur als Chance.
Baustellensafari mit Investor Sven Hollesen auf der Halbinsel Priwall in Lübeck-Travemünde.
"Es sieht aus, wie eine Mondlandschaft gerade, aber das wird eine Dünenlandschaft, wenn wir fertig sind."
Investor Sven Hollesen hat Großes vor: In bester Lage zwischen Strand und Travemündung, direkt am Yachthafen, entsteht ein neues Feriendorf. Wobei – eher ein ganzer Ferien-Stadtteil.
"Unser Investment insgesamt: 155 Millionen Euro. Für diesen Preis kriegen wir dann knapp 500 Übernachtungseinheiten, Ferienwohnungen mit touristischer Bindung und wir kriegen 25 Shops und gastronomische Einrichtungen."
Dazu: Indoor-Spielplatz, Beachclub und ein Tagungszentrum. Der Priwall verändert sein Gesicht. Doch auch auf der Travemünder Festland-Seite wird kräftig gebaut. Lübecks Wirtschaftssenator Sven Schindler von der SPD ist begeistert.
"Das Projekt 'A-ja' mit den entsprechenden Ferienwohnungen und Hotelzimmern. Ein weiteres Hotel soll entstehen in der Parkallee, Ecke Lotsenberg, da sind auch 120 Zimmer geplant, also: Es tut sich unglaublich viel."
Touristischer Großangriff auf Mecklenburg-Vorpommern
Die Bettenanzahl im Lübecker Badeort wird sich bis 2019 fast verdoppeln, von 3.800 auf 7.500. Aufbruch und Bauboom – das gab es lange nicht. Seit den 70er-Jahren wurde kaum noch investiert. Ähnlich wie in vielen anderen Badeorten an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste. Wirtschaftsminister Bernd Buchholz, FDP, erinnert sich.
"Wir haben an der Ostsee schon ein paar Orte gehabt, die im Stand der 60er Jahre irgendwie klebengeblieben sind. Das versprühte einen Charme, den ich aus meinen Kinderjahren noch kenne."
Und die Konkurrenz schläft nicht. Nach der Wende wurde in den Badeorten in Mecklenburg-Vorpommern viel investiert. Die alten Ostseebäder wurden hübsch gemacht. Und in Schleswig-Holstein blieben die Gäste weg. Restaurierte Kaiserbäder waren beliebter, als Wirtschaftswunder-Ambiente und Waschbeton-Optik.
Doch Schleswig-Holstein will aufholen. 2014 begann man mit einer Wachstumsstrategie den touristischen Großangriff auf die östlichen Nachbarn. Bernd Buchholz will bis 2025 viel erreichen.
"30 Prozent mehr Umsatz, 30 Millionen Übernachtungen, unter den Top drei qualitativ wollen wir sein."
Die Strategie scheint aufzugehen. Der Umsatz steigt, die Übernachtungszahlen auch. Und bei der Gästezufriedenheit liegt Schleswig-Holstein sogar auf Platz zwei im Bundesländer-Vergleich. Bernd Buchholz ist zufrieden.
"Wir haben in Schleswig-Holstein ordentlich aufgeholt. Wir haben sehr stark in Hotels und Beherbergungsbetriebe investiert, aber eben auch in kommunale Infrastruktur. Dabei sind schon sehr eindrucksvolle Strandpromenaden entstanden und die führen dann, nach dieser öffentlichen Investition eben auch dazu, dass Private auch nachinvestieren."
Zerstört der Tourismusboom die Idylle?
Fördervolumen an der Ostsee: Seit 2012 fast 70 Millionen Euro. Alleine an der Ostseeküste entstehen so über 7.000 neue Betten.
Doch nicht alle freuen sich über den großen Gästeansturm. Denn an manchen Orten ist es mit der Idylle jetzt vorbei. Auch auf dem Priwall in Lübeck-Travemünde. Jahrzehntelang verlief hier die innerdeutsche Grenze. Der Todesstreifen war nur eineinhalb Kilometer vom Yachthafen entfernt. Nichts passierte hier – bis jetzt. Carl Howe sagt:
"Es war ein gewisser Ruhepol."
Carl Howe sitzt für die Wählergemeinschaft Grün-Alternativ-Links in der Lübecker Bürgerschaft. Jahrelang hat er versucht, die Ferienanlage zu verhindern, vergeblich. Seine Befürchtung: Unter den Profit-Interessen eines Investors müssen Priwall-Bewohner und Natur leiden. Und auch für die Architektur hat er nicht viel übrig.
"Das sind hier Würfelhusten, und das ist dann hier runtergekommen."
Damit meint Howe die elf sogenannten Promenadenvillen; kastenartige Gebäude mit Holzverkleidung und Balkonen. Dahinter entstehen nochmal 32 Häuser, eingebettet in eine künstliche Dünenlandschaft.
"Mich stört, dass diese Architektur auch durchaus, sage ich mal, in Stade stehen kann, in Kiel, in Husum."
Im Gestaltungsbeirat der Hansestadt ist die Priwall-Architektur seit Jahren Thema. Eine Jury aus vier Architekten entscheidet über die Entwürfe des Investors.
Insgesamt ist man mit der Ferienanlage zufrieden. Die Bausünden von morgen entstehen hier nicht, meint Professor Jörg Springer, Vorsitzender des Gestaltungsbeirats.
"Nein, die Sorge habe ich nicht. Also ich glaube, dafür ist die Entwicklung auch zu maßstäblich. Im Grunde genommen denke ich, dass das, was dort entsteht in seinem Zusammenhang sehr selbstverständlich erscheinen wird. Und insofern glaube ich auch nicht, dass man sich in 30 Jahren fragen wird: Was ist da eigentlich passiert?"
Hippe Hotels namens "Bretterbude"
Während man in Lübeck noch über Architektur streitet, flanieren in Heiligenhafen schon die Gäste. Die sogenannte Erlebnis-Seebrücke ist das neue Wahrzeichen von Heiligenhafen, einer Kleinstadt südlich von Fehmarn. Manfred Wohnrade ist hier der Tourismus-Chef.
"Unsere Erlebnis-Seebrücke, auf der wir jetzt gerade stehen: 435 Meter lang, 5,3 Millionen Baukosten und in Form eines Blitzes gebaut. Andere sagen, es sieht aus wie ein Treibholz. Wenn wir uns jetzt mal umwenden, dann sehen wir hier direkt von der Seebrücke angeschlossen die beiden Hotels, im etwas weiteren westlichen Bereich dann die Strandvillen. Und das ist natürlich ein Panorama – wenn man hier so steht – was einen glücklich macht, weil man weiß, wie es vorher hier gewesen ist."
Heiligenhafen hat als einer der ersten Badeorte in Schleswig-Holstein den 70er-Jahre-Stillstand überwunden und in den Tourismus investiert. Schon 2002 wurde die erste Promenade erneuert, die Seebrücke kam zehn Jahre später. 40 Millionen Euro hat Heiligenhafen in die Infrastruktur gesteckt. Und mit neuen Hotel-Konzepten will die Stadt das verstaubte Seebad-Image aufpolieren. Der Wirtschaftsminister Bernd Buchholz ist begeistert.
"Ein Hotel heißt Bretterbude, Untertitel: Holzklasse, sowas ist dann schon eher was für junge Leute, aber zu günstigen Preisen dort unterzukommen ist halt eine tolle Möglichkeit, die Ostsee eben auch anders zu beleben – eben frisch, modern und innovativ aufzubereiten."
Der 10.000 Seelen-Ort als Besuchermagnet für junge Leute: Das Kalkül scheint aufzugehen, die hippen Hotels sind gut gebucht. Seit 2004 haben sich die Übernachtungszahlen in Heiligenhafen fast verdoppelt – enorme Veränderungen für eine Kleinstadt.
Heiligenhafen ist fast nicht mehr wiederzuerkennen
Im Heiligenhafener Heimatmuseum beobachtet man den rasanten Wandel im Ort genau. Auf alten Fotos im Treppenhaus erkennt man das Heiligenhafen von heute fast nicht wieder, erklärt Museumspädagogin Hannelore Dudek.
"Wenn Sie heute gucken, auf diese Seite, da, auf der linken Seite wären die ganzen Hotels, die jetzt entstanden sind und auf der rechten Seite ist es bis zur Öffnung, dass man auf die Ostsee fahren kann."
Die Grundstimmung im Ort: Überhaupt nicht negativ. Aber Manchen ist nicht ganz wohl, erklärt Hannelore Dudek.
"Ist das eigentlich eine gesunde Entwicklung? Brauchen wir wirklich so viele Neubauten dort? Eine Strandbar, ist das vielleicht das Richtige für Heiligenhafen? Also, das hört man dann auch schon. Das heißt: Das, was die Touristen sich so sehr wünschen, ist nicht unbedingt das, was die Heiligenhafener sich wünschen."
Doch ohne Tourismus kann Heiligenhafen nicht überleben, meint Manfred Wohnrade vom Tourismus-Service.
"Jeder Ort muss ja eine Zukunft haben. Und eine kleine Stadt wie Heiligenhafen lebt eben davon, dass junge Menschen Arbeit finden. Und da die Chance, dass hier irgendjemand eine Dosenfabrik aufmacht relativ gering ist, müssen wir auf das Pferd Tourismus setzen. Und dazu gehören eben auch solche Dinge, wie wir sie hier gemacht haben."
Und das nächste Hotel ist schon geplant. Der Bauboom geht weiter.
(mw)