Wer vertritt die deutsche Landwirtschaft?
Vor 20 Jahren entschloss sich ein Milchbauer aus dem Bauernverband auszutreten und eine eigene Interessenvertretung zu gründen. Nach den Milchbauern und Biolandwirten haben sich auch Schweinemäster im eigenen Verband organisiert. Wer spricht nun für die Bauern?
Berlin, Regierungsviertel, morgens kurz vor acht Uhr. Einige Bundestagsabgeordnete steuern auf das "Hopfingerbräu" zu, ein bayerisches Brauhaus, gleich hinter dem Reichstag. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, kurz BDM, hat zum Parlamentarierfrühstück geladen. Hans Foldenauer wartet am Eingang zum Hinterzimmer. Ein großer, sportlicher, braungebrannter Mann, 60 Jahre, Anzug, leicht angegrauter Schnauzer, im Ohr einen kleinen silbernen Ring:
Hans Foldenauer: "Passionierter Milchbauer aus dem Allgäu, der ohne Stallgeruch nicht auskommt. Wir haben den Hof 1981 übernommen von meinen Eltern, damals mit 25 Kühen, haben den dann Schritt für Schritt weiterentwickelt, zwischenzeitlich sind meine Kinder schon voll eingestiegen."
Wenn er könnte, wie er wollte, wäre er jetzt im Stall. Im Allgäu. Stattdessen steht er hinter dem Reichstag. Neben sich eine schwarz-rot-goldene Miniatur-Kuh. Darauf steht "Die faire Milch". Seit Jahren kämpfen Foldenauer und seine Kollegen um Milchpreise, die auch kleinen Bauern das Überleben sichern. Denn Tag für Tag geben 15 Hofbesitzer in Deutschland auf. Darunter viele Milchbauern.
"Morgen, Hallo, sehr erfreut, hamma noch drei Minuten, warten wir bis acht..."
Foldenauer begrüßt den agrarpolitischen Sprecher der FDP, zwei Landwirte von der CDU, eine Tierärztin der Linken, einen Vertreter der SPD, einen Landwirt der Grünen. Auf den Tischen warten fair gehandelte Milch, Lachs, Eier, Brötchen. Der Landwirt blickt auf die Uhr. Es ist kurz nach acht. Foldenauer scannt kurz die drei Tischreihen. Entscheidet sich noch fünf Minuten zu warten.
Deutscher Bauernverband ist der Goliath
"Nach wie vor ist ein Teil der Agrarschiene in den Parlamenten schon in Hand des Bauernverbandes. Da wird natürlich schon geschaut, wo geht der hin und wo nicht. Und wenn der zum BDM geht da kann es sein, dass er so einen kleinen Hinweis bekommt, da muss man nicht gerade hingehen."
Der Deutsche Bauernverband mit seinen knapp 300.000 Mitgliedern ist der Goliath der deutschen Agrarszene. Foldenauer kennt seine Strukturen gut. Er war selbst einmal Mitglied.
"Unser Ziel war eine eigenständige Milchschiene im Bauernverband fahren zu dürfen, das war ein No-Go. Und dann hat sich das Ganze aufgeschaukelt und irgendwann sind wir zur Überzeugung gekommen, im Bauernverband erreichen wir wenig bis gar nix."
Zu wenig Engagement für kleinbäuerliche Betriebe, zu viel Unterstützung für Großagrarier, zu viel Einfluss von Molkereien, Lebensmittel- und Chemieindustrie – darum verließ Foldenauer mit anderen Landwirten den Bauernverband. Und gründete eine eigene Interessenvertretung. 20 Jahre ist das her:
"Man hat mich auch mal den Revoluzzer aus ‘m Allgäu genannt. Warum? Nicht weil wir was angestellt hätten, sondern weil wir sehr deutliche Worte gesprochen hatten, kein Blatt vor den Mund genommen haben. Auch einstecken mussten. Ich selber war auch tangiert von Morddrohungen und wir zünden Dir den Hof an. Das waren sehr intensive Zeiten."
Heute vertritt der BDM 15.000 bäuerliche Milchviehbetriebe. Foldenauer blickt noch einmal auf die Uhr und greift dann zum Mikrofon.
"Wir haben in den letzten Monaten einen deutlichen Rückgang von in der Spitze 43 Cent, was man noch vereinzelt bezahlt hat, jetzt Richtung 3er, also vorne die 30 steht in den meisten Fällen."
Milchwirtschaft mal wieder ein Minusgeschäft
Sinkende Preise, die Pleite eines der größten unabhängigen Milchhändler, mehr als 400.000 Tonnen Magermilchpulver in EU-Lagern – seit dem Auslaufen der Quotenregelung im April 2015 bilden sich die Preise im globalen Milchmonopoly. Rund 40 Cent kostet den Landwirt im Schnitt die Produktion von einem Liter Milch, rechnet Foldenauer vor. Zurzeit ist die Milchwirtschaft wieder Mal ein Minusgeschäft.
Die Milchmenge beobachten, bei Bedarf sie durch Ausgleichszahlungen begrenzen, und notfalls die Produktion zurückfahren – das sind die Forderungen des BDM.
Hans Foldenauer: "Jeder vernünftige Mensch, jede vernünftige Bäuerin, Bauer, weiß, es müssen Veränderungen her. Diese Strategien der Agrarpolitik, ausgegeben Ende der 80er und Anfang 90er Jahre, wir wollen weltweit Märkte erobern, die ist ja im Grund gescheitert."
Frank Uekötter: "Landwirtschaft verändert sich, sie wird stärker marktorientiert und sie ist eigentlich auch der erste Wirtschaftszweig in Deutschland, der so etwas wie einen Globalisierungsschock erlebt."
Wahrheit liegt auf dem Feld
Die Bauern und der Weltmarkt – für Frank Uekötter ist das Geschichte. Landwirtschaftsgeschichte. "Die Wahrheit liegt auf dem Feld", heißt das Buch des Umwelthistorikers, in dem er 200 Jahre bäuerliche Wissens- und Wirtschaftsentwicklung beschreibt. Ende des 19. Jahrhunderts begann der Wandel auf dem Land. Mit einem Globalisierungsschock.
"Als die Getreidepreise weltweit einbrechen in den 1870er Jahren, das ist tatsächlich die erste globalisierte Krise eines Wirtschaftszweiges, das ist die Landwirtschaft des Kaiserreichs.
Prompt werden Forderungen nach Einfuhrzöllen laut. Zum Schutz der heimischen Produktion. Abschottung nach außen. Zusammenrücken im Innern. Das ist die Krisenbewältigungs-Strategie. Deren Folgen heute noch zu spüren sind.
Im späten 19. Jahrhunderts passiert etwas sehr Spannendes, nämlich die Erfindung des Landwirtes, einer Vorstellung, eine Gemeinschaft von allen Leuten, die Agrarproduzenten sind. Historisch ist eigentlich das Bewusstsein sehr stark, wie unterschiedlich Agrarproduzenten sind, insbesondere der große Unterschied ist zwischen Großgrundbesitzern und Bauern, das alles tritt plötzlich in den Hintergrund. Also die Erfindung, dass alle Landwirte in einem Boot sitzen, ist eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts.
Erst Pflug, dann Sozialismus, schließlich Neustart
Im kleinen brandenburgischen Krampnitz, nah bei Potsdam, sitzt Ernst Ruden vor seinem Bauernhof unter einem Pavillon-Dach, genießt den Schatten.
Sohn und Enkel sind auf den Feldern, Heu machen. Das Thermometer zeigt 27 Grad. Viel zu warm, schimpft der alte Landwirt. So heiß war es früher selten. Als er noch Kind war. Und bei der Ernte helfen musste.
Ernst Ruden: "Wir haben morgens gefrühstückt, dann haben wir alles gesprochen, dann sind meine Eltern mit dem Pferdewagen aufs Feld gefahren, die haben Kartoffeln gewühlt, ich musste pflügen, 22 km manchen Tag mit dem Pflug gelaufen, immer hoch und runter und hoch und runter. Heute fahren sie mit dem Trecker, gucken durchs Fenster, da hat sich die Landwirtschaft gewandelt. Und sie wird sich auch in den nächsten 50 Jahren nochmal umstellen müssen."
Ruden nickt. Und denkt zurück. Erst Pflug und Pferd, dann Weltkrieg, Sozialismus, Kollektivierung, schließlich Neustart im vereinten Deutschland. Mit gerade mal neun Hektar Land.
"Ick sage zu meinem Sohn, Du brauchst keine Angst haben, du hast keinen Chef, bist selber Chef, brauchst Dir von keinen dumm kommen lassen, ick sage, probieren wir‘s. Und heute haben wir 230 ha, haben 30 Mutterkühe, Schwiegertochter hat 10 Alpakas."
Pachtpreise klettern in unbezahlbare Höhen
Der 80-Jährige lehnt sich zurück. Blickt über den Hof. Nickt zufrieden. Alles läuft nach Plan. Generation für Generation. Auf dem Hof Ruden.
Drumherum aber läuft es anders. Ganz anders. Investoren drängen aufs Land. Um für ihre Kunden Rendite zu erwirtschaften. Die Pachtpreise klettern in unbezahlbare Höhen...
"Die Kapitalgesellschaften, die machen schon Sorgen, die haben ja den ganzen Bodenmarkt durcheinandergebracht. Indem sie große Rendite versprochen haben. Das hat eigentlich alles mit bodenständiger Landwirtschaft gar nix zu tun. Das Land gehört dem Bauern. Und da muss es auch bleiben."
Berlin-Mitte, "Haus der Land- und Ernährungswirtschaft". Im Eingangsbereich grüßen zwei lebensgroße Plastikkühe. Eine davon in Überraschungsei-Farben, rot-weiß-blau. "Rinderschokolade" steht auf dem Kuhkörper. Und "Rinderüberraschung". Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft – eine künstlerische Symbiose, die im Gebäude politisch ihre Fortsetzung findet. Die Bundesvereinigung der Deutschen Lebensmittelindustrie arbeitet hier, der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Und der Deutsche Bauern-Verband. Mit Präsident Joachim Rukwied an der Spitze.
"Wir sind nicht nur politisch aktiv sondern auch Dienstleister für unsere Bauernfamilien, bei sozialen Fragen, die Rente betreffend, Hofübergaben, in der Steuerberatung, bis hin zur Versicherungsberatung beispielsweise. Wir sind der Allrounder für unsere Mitglieder."
Assoziierte Mitglieder: Raiffeisenbanken und Versicherungen
18 Landesverbände, 300.000 Mitglieder – das schaffen in Deutschland sonst nur Sportverbände. Beim Bauernverband aber gibt es dazu noch assoziierte Mitglieder: Die Raiffeisenbanken etwa, und Versicherungen.
"Am Ende, wenn es um die große Politik geht, sei es in Deutschland, sei es in Brüssel, sage ich ganz selbstbewusst, ist der Deutsche Bauernverband, das politische Sprachrohr der deutschen Landwirtschaft und das wollen wir auch bleiben."
Und da hat Joachim Rukwied viel zu tun: Mitte Juni forderten die Verbraucherminister der Länder die Bundesregierung auf, in Zukunft den Gehalt von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln deutlich auf der Verpackung zu kennzeichnen. Kurz darauf ging der Bauernpräsident in die Gegen-Offensive: Eine Lebensmittelampel, so Joachim Rukwied, würde eher zu einer Fehlernährung führen.
Der richtige Weg, sei die frühzeitige Vermittlung von Ernährungswissen. Wieder einmal übte der Bauerverband so den Schulterschluss mit der Lebensmittelindustrie. Doch auch auf dem Feld der Landwirtschaft hatte Joachim Rukwied in der ersten Jahreshälfte 2018 viel zu tun. Die Branche ist unter Druck, wie schon lange nicht mehr. Ob "Insektensterben", "Grundwasserverunreinigung" oder "Glyphosat-Gefahren". Joachim Rukwied hält unermüdlich dagegen.
"Ich sage ganz selbstbewusst, die deutsche Landwirtschaft wirtschaftet nachhaltig, wir halten höchste Standrads ein, dazu stehen wir. Das ist auch unsere Überzeugung."
Mehr Biodiversität, weniger Pestizide
Doch diese Überzeugung teilen immer weniger. Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften las den Landwirten in Sachen Pestizideinsatz die Leviten. "Wichtige Ökosystemfunktionen und Lebensgrundlagen" heißt es in einem Bericht, seien "ernsthaft in Gefahr". Der wissenschaftliche Beirat des Landwirtschaftsministeriums plädierte für eine Abkehr von den Flächenprämien und fordert eine komplette Neuausrichtung der Agrarförderung. Brüssel verbot die sogenannte Neonikotinoide, drei weit verbreitete Spritzmittel, die im Verdacht stehen, die Bienenpopulation zu reduzieren. Und auch die Regierungskoalition zeigte Handlungsbereitschaft
"Wir lesen Koalitionspapiere aufmerksam. Und da stand drin und steht drin, dass man eine Ackerbaustrategie auf den Weg bringen will. Und wer ist denn geeigneter dafür, als die Landwirtschaft, als diese große Gruppe, wir selbst mit der praktischen Erfahrung untermauert."
Und darum hat nun der Bauernverband eine eigene Zukunftsstrategie Ackerbau vorgelegt. Mehr Biodiversität, weniger Pestizide, Humusgehalt erhöhen - alles in allem: Acht Punkte, achtzehn Maßnahmen, was auf dem Acker in Zukunft alles besser laufen soll, als in der Vergangenheit. Obwohl dort ja vermeintlich alles in Ordnung war. Ein kommunikativer Spagat. Zwischen Bauern und Restbevölkerung.
"Die Spannung spüre ich natürlich auch. Gerade, weil wir Landwirte viel machen, da grummelt es schon bei einem oder anderen schon, wenn man dann hört, man macht zu wenig."
Rechnet sich das Engagement für Umweltschutz?
Derweil wird in Brüssel seit erstem Juni über die Neuverteilung der Agrarmittel gerungen. Es laufen die Verhandlungen zur nächsten Förderperiode der gemeinsamen Agrarpolitik. Dass ab 2020 gekürzt und umgeschichtet wird, steht dabei außer Frage. Wohin allerdings wie viel Geld fließt, darüber wird in den nächsten Monaten erbittert gerungen werden. Agrarkommissar Phil Hogan aber hat schon einmal die Linie vorgegeben:
"Deshalb macht es mir auch Sorge, wenn Kürzungen angedacht sind. Der jüngste Vorschlag von Hogan, der entspricht nicht unbedingt unseren Erwartungen, wir sehen das Risiko einer Renationalisierung. Wichtig ist nach wie vor, dass sich Herr Hogan sich für eine Beibehaltung des Zwei-Säulen-Systems ausspricht. Mit einer 1. Säule, die auch Direktzahlungscharakter hat. Er will aber die erste Säule in Hinblick auf die Bedingungen, also auf Umweltvorgaben etc., will er die Entscheidungsfreiheit den Mitgliedsstaaten übergeben."
Eine Bundesregierung, die einen größeren Verteilungsspielraum bei den Brüsseler Agrarmilliarden bekommt. Und diesen auch nutzt. Die einen Teil der Flächenprämien umlenkt, um eine naturnähere Landwirtschaft zu unterstützen. Je weniger gesellschaftliche Folgekosten verursacht werden, desto höher könnten die Zahlungen ausfallen. Jeder Landwirt kann dann kalkulieren, ob sich mehr Engagement für Umwelt-, Klima- und Tierschutz rechnet. Doch eine derartige Umverteilung der Agrarmilliarden würde bei seinen Mitgliedern zusätzlich für Unruhe sorgen, befürchtet der Bauernpräsident. Denn schon jetzt wird beim Bauernverband, hinter den Kulissen, oft um eine gemeinsame Linie gerungen.
"Die Landwirtschaft ist heterogener geworden, wie sie noch vor 20,30 Jahren war. Sprich: Die Interessen driften ein Stück weit auseinander."
Alles zur Freude der Verbraucher
Frank Uekötter: "Heutige Bauern sind ja in der Regel nur Produzenten von einem Agrarprodukt, das was bis in den 50er,60er Jahren gelehrt worden war, war das genaue Gegenteil, man sollte eigentlich mehrere Betriebsteile haben, die sich gegenseitig stützen, die auch ein bisschen Krisensicherheit produzieren. Just diese Landwirte, die in den 50er,60er Jahren ihre Betriebe immer mehr vereinfachen und größer werden lassen, haben in der Landwirtschaftsschule das Gegenteil gelernt, dass sie eben vielfältiger aufgestellt werden sollten."
Für den Historiker Frank Uekötter ist das eine Schlüsselphase in der Landwirtschaftsentwicklung. Erfahrung und Erlerntes treten in den Hintergrund, Berater kommen auf die Höfe. Werben für neue Maschinen, neues Saatgut, neue Sprizt- und Düngemittel. Berater, Banken – sie alle reden mit in der neuen Agrarzeit. Wer einsteigt, nimmt Kredite auf, spezialisiert sich. Und wird zum Lieferanten für den Massenmarkt. Zur Freude der Verbraucher:
"Wir haben als eine der bundesdeutschen Mythen das Wirtschaftswunder. Die wenigsten Menschen wissen, dass ein ganz wesentlicher Beitrag des Wirtschaftswunders im relativen Verfall der Lebensmittelpreise bestand. Das eben die Agrarproduktion immer effizienter wurde. Mit dem Effekt, dass eben die Menschen mehr Geld hatten für andere Dinge."
Der Landwirt als Wirtschaftsmotor. Für eine schöne, bunte Konsumwelt. Der Verbraucher hat die Wahl. Ganz anders als viele Landwirte. Die bekommen zwar eine Grundsicherung aus Brüssel, müssen den Rest aber am Markt erwirtschaften:
"Da ist ein Drang hin zur Monokultur, ein Drang zu den großen Einheiten und das hat eine unheimliche Unerbittlichkeit und das man als Landwirt einfach mitmachen muss und immer wieder expandieren muss, obwohl man es eigentlich gar nichts so richtig will und mit einer Nummer kleiner, viel glücklicher wäre. Die Geschichte der Bauern des 20. Jahrhunderts ist wirklich auch eine Geschichte der Getriebenen."
"Bullerbü-Bauernhof" lästern die Kollegen
Berlin. In seinem Büro, im deutschen Bundestag, nimmt Friedrich Ostendorff noch einen Bissen vom Bienenstich, schiebt den Teller auf dem Schreibtisch zur Seite.
Friedrich Ostendorff: "Als ich vor 50 Jahren in der Landwirtschaft anfing. War es 1,3 Millionen Betriebe, heute sind es 275.000. Also 20 Prozent sind übriggeblieben, alle anderen sind ausgeschieden. Wir haben einen Biolandbetrieb, den wir 1983 umgestellt haben, nach den Richtlinien von Bioland. Wir haben Kühe, wir haben Masttiere, Rinder, wir haben Schweine, wir haben Hühner. Wir haben eine Hofvermarktung und einen sehr vielfältigen Ackerbau."
"Bullerbü-Bauernhof" lästern da manchmal die Kollegen. Aus den anderen Parteien. Der 65-Jährige grüne Politiker nimmt es mit Humor. Ostendorff gehört zu den Mit-Begründern der Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft, kurz AbL. In den 80er Jahren schlossen sich dort junge Landwirte zusammen, um vor allem für eine bäuerliche, familienorientierte Landwirtschaft zu werben:
"Wir wurden ja nix im Bauernverband das war ja die Begründung, dass wir uns dann, die Renitenten, zusammengetan haben, weil uns der Bauernverband schon in Landjugendzeiten bekämpf hat, haben wir die AbL gegründet, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Und wir befinden uns eigentlich alle, die aus dieser Generation kommen, am Rand."
Dreizehn Landwirte sitzen im Bundestag
Und das nicht nur auf dem Land. Sondern auch im Parlament. Dreizehn Landwirte sitzen im Deutschen Bundestag.
Die Struktur ist so, wenn ich die Kollegen und Kolleginnen im Agrarausschuss betrachte, bin ich der einzige aus der Landwirtschaft, der in der letzten Legislatur nicht aus der CDU/CSU Reihe kam. Alle anderen in der CDU/CSU-Reihe waren überwiegend Agrarier und überwiegend mehr oder weniger stark dem Bauernverband verpflichtet: Mehrere Kreisvorsitzende, ein Landesbauernpräsident.
"Die Vernetzung der Agrarindustrie und Agrarpolitik in Deutschland" heißt eine Studie, die Ostendorffs Fraktion vor fünf Jahren veröffentlichte.
Auf 300 Seiten seziert sie das Beziehungsgeflecht des Deutschen Bauernverbandes. Selbst in der graphischen Darstellung fällt es dem Agrarpolitiker schwer den Überblick zu behalten.
Wir haben uns mal bemüht, das mal auf die Tafel zur bringen, letztendlich Kreuzungspunkte anzulegen, aber da sieht man dieses Knotengewirr. Aber so isses ja auch, es ist ja ein Netz von verschiedensten Positionen, die dann bekleidet werden und man findet dann in der Mitte Namen, die sehr bekannt sind.
Banken, Genossenschaften, Lebensmittelhersteller, sie alle sind mit dem Deutschen Bauernverband verknüpft. Mal über gemeinsame Beteiligungen, mal über Persönlichkeiten. Ein personelles Geflecht zwischen Agrobusiness und Bauernverband, das so dicht ist, dass es nahezu unauflösbar scheint. Nicht zuletzt deshalb setzt Ostendorff zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft vor allem auf außerparlamentarische Unterstützung.
"Wir haben immer versucht als AbL uns sehr stark mit gesellschaftlichen Gruppen zusammenzutun, die AbL ist keine große kampfstarke, menschenstarke Organisation. Aber sie ist stark im Bündnis mit Umweltgruppen, mit Tierschutzgruppe, mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, dort hat die AbL ihre Bedeutung."
Absatz von Bioprodukten steigt stetig
Mit Wählerstimmen aus der Stadt zum Wandel auf dem Land. Das ist eine Strategie, die bisher einmal zum Erfolg führte.
"Wir haben natürlich das große Ziel: Biologischer Landbau 20 Prozent. Das hat Renate Künast ausgerufen. Davon sind wir noch relativ weit entfernt. Aber der biologische Landbau befindet sich mit der Einführung des gesetzlich geregelten Biostandards – das hat Renate Künast gemacht - befindet er sich auf einem permanenten Siegeszug."
Der Absatz von Bioprodukten steigt in Deutschland beständig. Wenn auch von einem niedrigen Niveau aus. Einzelhandel und Discounter haben sie im Angebot. Die heimische Produktion kann die Nachfrage bei weitem nicht decken.
Der Grundstein aber ist gelegt, daran erinnert sich Friedrich Ostendorff immer wieder. Wenn ihn die aktuelle Agrarpolitik frustriert.
"Man verzweifelt oft. Aber ich gebe es ja nie nicht auf."
Johannes Röring: "Wir sind ein Schweinemastbetrieb, Ackerbau mit Schweinemastbetrieb und sind vor zwölf Jahren auch in die neue Technologie der Energieerzeugung über Biogas eingestiegen."
Massentierhaltung und Biogas-Produktion im Familienbetrieb Röring. Das ist für Johannes Röring ein Beispiel für die moderne Landwirtschaft. Während sein Sohn im Münsterland die Geschäfte führt, kümmert sich Vater Röring in Berlin um die Politik. Als CDU-Abgeordneter. Und Obmann im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft.
"Wenn man politisch erfolgreich sein will, muss man Netzwerke haben. Und auch viele Unterstützer haben. Und das ist nun Mal auch in Berlin wichtig, wenn man seine Stimme erhebt, muss jeder wissen, wer erhebt dort seine Stimme und wer steht hinter ihm."
Und hinter Johannes Röring stehen viele. Er sitzt im Beirat der AGRAVIS Raiffeisen AG, ist im Aufsichtsrat des Deutschen Bauernverlags, ebenso beim LVM-Pensionsfonds. Dann ist er noch Vorsitzender des Bundesmarktverbandes für Vieh und Fleisch. Und Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. Seine Nebeneinkünfte gibt er mit rund zwei Millionen Euro an
"Man sagt ja heute Lobbyisten zu uns. Für mich ist das kein Schimpfwort. Eine Berufsgruppe vertreten zu dürfen ist gut. Und man muss ja im Deutschen Bundestag und im Berliner Umfeld feststellen, dass die Interessen durchaus austariert sind."
Eine machtvolle Stimme für die Landwirtschaft
Eine machtvolle Stimme für die Landwirtschaft. So sieht Röring sich. Privilegien verteidigen, für die Zukunft Nachteile verhindern – das ist Teil seines politischen Tagesgeschäfts.
"Bei all unserem Tun müssen wir einfach wissen, Landwirtschaft ist Teil der Wirtschaft, ein ganz wichtiger Teil. Und wird dürfen natürlich auch nicht ausblenden, was um uns herum passiert. Das heißt für mich, die sogenannte Globalisierung, die Märkte sind nicht mehr lokal, sie sind global geworden, vor allem was die Preisfindung anbelangt."
Wer da konkurrenzfähig bleiben will, muss laufend noch effizienter, sprich kostengünstiger produzieren. Wettbewerbsvorteile entdecken und ausschöpfen. Und weiter wachsen. Das ist Rörings landwirtschaftliche Logik. Lange Zeit spielten dabei die gesellschaftlichen Folgekosten keine Rolle. Kritik von Natur- und Tierschutzverbänden wurde schlicht nicht ernst genommen. Die Zeiten sind endgültig vorbei.
"Wir haben durchaus bei dieser schnellen Entwicklung, die durch den technischen Fortschritt ja massiv befördert wurde, auch große Fehler gemacht. Deswegen müssen wir zum einen durchaus sagen: Ja, Landwirtschaft ist modern, nutzt die Fortschritte der Technik, aber sie ist auch nicht immer so soft wie dargestellt. Sondern wir schädigen auch Natur und Landschaft."
Ein Eingeständnis, dass der Deutsche Bauernverband lange vermieden hat. Hinter dem säuberlich gepflegten Agrar-Idyll verbirgt sich eine industrialisierte Landwirtschaft. Mit Folgen, die nicht mehr zu übersehen sind.
"Was wir versprechen müssen, meiner Einschätzung nach, ist, dass wir diese Beeinträchtigungen der Natur, da wo sie stattfinden, möglichst klein machen und dort wo wir sie vermeiden und verhindern können, dass wir sie abstellen. Da haben wir in der Vergangenheit nicht genug gemacht. Und wir haben auch nicht genug darüber geredet."
Der Bauer als Witzfigur in einer Show
Abstreiten, abwiegeln, anzweifeln – das war jahrelang die Strategie der Verbands-Funktionäre. Ein Fehler mit Folgen. Für die Landwirte. Dabei geht es nicht nur um verspielte Glaubwürdigkeit. Sondern um die Akzeptanz eines ganzen Berufsstandes.
Frank Uekötter: "Die Kluft, die sich zwischen den Landwirten und dem Rest der Gesellschaft ist eine, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt und die nicht einfach überwunden werden kann. Was heute die Besonderheit ausmacht ist, dass die Agrarproduzenten einfach so winzig klein geworden sind, dass man über sie problemlos Witze machen kann, ohne dass man ein schlechtes Gewissen haben muss. Bauern sind in unserer Gesellschaft einer der letzten Gruppe, die man bei uns gefahrlos diskriminieren kann, da können sie bei jeder Sendung "Bauer sucht Frau" Belegmaterial für finden."
Der Bauer als Witzfigur. In einer Heiratsshow. Das ist ein Zeichen für den Bedeutungsverlust eines ganzen Berufsstandes. Glaubt der Historiker Frank Uekötter:
"Wenn wir von der Agrarproduktion reden, dann reden von einem Bereich, der seit dem späten 19 Jahrhundert schrumpft, sowohl von der Bevölkerungszahl als auch von der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung, diese Erfahrung von Marginalisierung, das Gefühl man ist zurückgeworfen auf einen kleinen Zirkel von vertrauenswürdigen Leuten ist ganz tief verankert in der Landwirtschaft."
Bei 0,7 Prozent liegt der Anteil der Landwirtschaft am deutschen Bruttoinlandsprodukt. Der Landwirt wird immer mehr zur Randfigur. In der Gesellschaft. Ungesehen und unverstanden. Das tut weh, sagt der alte Landwirt Ernst Ruden:
"Das ist ja im Bauernverband auch das Problem, die Ausstrahlung auch vom Bauernhof in der Öffentlichkeit, wer macht das denn von den Bauern, wer stellt sich dieser Diskussion, hm? Bei den Versammlungen beim Bauernverband, heißt es immer: naja, vielleicht hast Du noch was zu sagen, da schieben sie mir immer so ein bisschen mit vors Loch, ja."
Renate Künast war schon auf dem Hof
Und darum lädt Ruden regelmäßig auf seinen Hof ein. Wer will, kann gucken kommen. Sogar Renate Künast war schon da. Vor 20 Jahren. Zu Rudens 60. Geburtstag. Nachdem sie auf dem Bauerntag in Münster von 5.000 Landwirten ausgepfiffen worden war. Der alte Bauer nimmt noch einen Schluck Wasser. Blickt über den Hof. Lächelt. Neulich erst hat ihm sein neunjähriger Enkel gesagt, er will Bauer werden.
125 Jahre haben wir jetzt Ernst Ruden geschafft, wenn mein Urenkel - ist voriges Jahr geboren - 70 wird, dann sind das schon 200 Jahre Landwirtschaft Ernst Ruden, das soll mal einer nachmachen.
Im Brauhaus, hinterm Reichstag, verabschieden sich die Abgeordneten. Der Agrarausschuss wartet. Hans Foldenauer schüttelt Hände. Ein CDU-Abgeordneter will wissen, ob sich BDM und Bauernverband nicht endlich mal zusammenraufen könnten. Zum Wohl der Milchviehalter. "Das haben Sie aber nicht mitgeschnitten?", fragt er nervös den Radiojournalisten. Sicher ist sicher. Hans Foldenauer holt sich eine Tasse Kaffee. Und ein Brötchen. Macht es sich in einer ruhigen Ecke bequem. Vor ihm liegt ein Strategiepapier. Unterzeichnet von Umweltverbänden, dem BDM, der AbL, auch Brot für die Welt und Miseor sind dabei. Sie fordern eine Agrarwende. In Berlin. Und Brüssel. Mehr Tierwohl, mehr umweltverträgliche Landwirtschaft, mehr Unterstützung für kleinbäuerliche Betriebe.
"Also die Seite der Ernährungsindustrie wird sich da mit Händen und Füßen wehren. Und vor allem mit viel Geld, Lobbyarbeit kostet Geld, da sind sie gut aufgestellt. Man wird versuchen, die Veränderungen so marginal wie möglich zu halten. Also ich sehe die Chance zu Veränderungen, aber es wird keinen Systemwechsel geben. Da bräuchte es eine Revolution. Und bei Revolutionen ist eines immer wieder feststellbar: Die Revolutionäre werden am Ende erschossen, das wollen wir nicht, sondern wir machen weiter."