Steffen Greiner ist Autor, Dozent und Journalist. Er war Chefredakteur der Zeitschrift zur Gegenwartskultur „Die Epilog“ und Co-Autor des erzählenden Brief-Sachbuchs „Liebe, Körper, Wut & Nazis“ (Tropen 2020). Im Februar 2022 erschien seine Erkundung zur Geschichte der spirituellen Querfront in Deutschland zwischen Lebensreform, Weimar und Corona „Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern“, ebenfalls bei Tropen.
500 Jahre Bauernkrieg
Als Bauern des Mittelalters kostümierte Darsteller stellen die Bauernschlacht in Bad Frankenhausen vor 500 Jahren nach. In der Mitte Roland Sölle als Thomas Müntzer. © picture alliance / dpa / Matthias Bein
Lehren zur Überwindung eines verkrusteten Systems
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Mit Dreschflegeln und Mistgabeln kämpften die deutschen Bauern gegen ihre Ausbeutung. Am 6. März 1525 präsentierten sie ihre Forderungen in zwölf Artikeln. Und die können uns Heutige noch einiges lehren, findet der Autor Steffen Greiner.
In der DDR wurde der Bauernkrieg 1525 von der offiziellen Geschichtsschreibung vereinnahmt und zu einer Art frühsozialistischen Revolution verklärt. Vielleicht liegt es daran, dass der Aufstand von Bauern, Leibeigenen und einfachen Stadtbürgern in Südwest- und Mitteldeutschland heute kaum Teil der deutschen Erinnerungskultur ist. Dass 500 Jahre Reformation 2017 mit viel Getöse gefeiert wurden, während 500 Jahre Bauernkrieg weit weniger beachtet werden.
Dabei hat gerade Luther durchaus entscheidend zur Eskalation beigetragen: Man solle die Bauern „zerschmeißen, würgen und stechen“, schrieb er, “wie man einen tollen Hund totschlagen muss‟. So kam es dann auch. An die 15% der waffenfähigen Männer sollen bei den adeligen Racheaktionen im Sommer 1525 gestorben sein, bis zu 100.000 Tote soll es gegeben haben.
Die Idee von der Freiheit aller
Was könnte abseits dieses blanken Fakts von diesem Ereignis zu erzählen sein? Dass eine Geschichte des Bauernkriegs auch ohne staatssozialistische Verbiegung möglich ist, zeigt gerade etwa die Oxford-Historikerin Lyndal Roper. In ihrem Buch über den Bauernkrieg legt sie dar, wie aus der Theologie der Reformation die Idee der Freiheit aller abgeleitet werden kann – und zwar eben nicht im akademischen Disput, sondern im Gespräch einfacher Menschen miteinander.
Im Zentrum des Erinnerns könnten deshalb vielleicht nicht die Gemetzel stehen, sondern die Kreativität und die Fortschrittlichkeit der Ideen, die damals von den Bauern entwickelt wurden.
Genau vor 500 Jahren trafen in Memmingen die Vertreter der Bauernhaufen von Oberschwaben zusammen, um sich auf gemeinsame Forderungen zu einigen und die Grundzüge für ein neues Miteinander der Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten zu entwerfen.
Das war dringend notwendig, denn die Situation der Bauern war elend und prekär: Sie litten unter einer ständig größer werdenden Abgabenlast und mussten den Grundherren immer mehr Frondienste leisten. Am Ende des Treffens stand ein Manifest: Die zwölf Artikel der Bauernschaft. Vielen gilt das Papier als ein erster Entwurf von Allgemeinen Menschenrechten.
Mit der Bibel gegen die Ungerechtigkeit
Denn darin wird zum Beispiel das Ende der Leibeigenschaft gefordert. Theologisch begründet: Weil Christus sein Blut für alle vergossen hat, hat er auch alle freigekauft, Zitat: „Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und frei sein wollen‟.
Andere Artikel fordern das allgemeine Fisch-, Jagd- und Holzrecht, weil Gott die Natur für alle gemacht hat, oder das Wiederherstellen der vom Adel angeeigneten Allmende, also: des gemeinsam von der Gemeinde genutzten Landes. Die Idee der unantastbaren Freiheit des Individuums, des gemeinschaftlichen, nachhaltigen Wirtschaftens lassen das Dokument erstaunlich modern erscheinen.
Klar: Die Situation im Übergang von Mittelalter zu Neuzeit ist kaum mit der Gegenwart zu vergleichen. Eine Inspiration lässt sich auf jeden Fall aber doch ziehen aus den alten Sätzen. Denn wie im 16. Jahrhundert erscheint es auch derzeit vielen kaum denkbar, neue Wege zu finden, die Gesellschaft zu verändern.
Von Gedanken, die alles verändern können
Wie heute sprichwörtlich das Ende der Welt vorstellbarer ist als das Ende des Kapitalismus, hielten die Bauern der Reformationszeit auch das christlich-feudale System für unveränderlich wie die Natur. Aber die „Zwölf Artikel‟ schaffen es doch, es komplett umzudeuten. Sie bringen die Bibel gegen die in Stellung, die ihre Macht auf einen christlichen Gott beziehen.
In ihrem Selbstverständnis sind die Bauern so nicht Rebellen, sondern sie wollen die Ordnung wiederherstellen, die durch die Gier und Anmaßung von Kirche und Adel aus den Fugen geraten ist.
So sind die „Zwölf Artikel“ nicht nur das Manifest eines brutal gescheiterten Aufstands, sondern auch der Möglichkeit von schöpferischen Gedanken in festgefahrenen Zeiten – Gedanken, die alles verändern können.