Die netten Gentrifizierer von nebenan
Baugemeinschaften gelten als innovativ und zukunftsweisend. Ihre Wohnform können sie gestalten - etwa mit Gemeinschaftsgärten, Kitas oder nachhaltiger Energieversorgung. Doch sie haben auch ihre Schattenseiten.
"Ja, also, wir befinden uns hier im Florakiez von Pankow. Der Florakiez ist ein bisschen so 'ne Art kleiner familienorientierter Szenekiez, wo es auch so Bioläden und so weiter gibt, nicht so ausgeprägt wie im Prenzlauer Berg, aber Prenzlauer Berger Familiengründer gehen hier gerne her, um zu leben, weil es einfach wesentlich ruhiger ist, unaufgeregter und auch grüner."
Ulf Maaßen, studierter Stadtplaner, steht an der Brehmestrasse im Berliner Stadtteil Pankow und zeigt auf einen der fünf- und sechsgeschossigen Neubauten, die hier entstehen.
"Na, Sie sehen die ersten Gerüste sind abgebaut, das heißt, der Rohbau ist fertig, die Fenster sind drinnen, die Balkone sind dran, im Grunde rüsten wir ab. Bei den meisten Häuser können Sie die Fassaden schon gut erkennen, aber in den nächsten zwei Wochen steht das Haus hier in der vollen Pracht, der ganze Innenausbau ist jetzt im Gang, wir planen, im Mai alle einzuziehen."
Ruhige Lage trotz S-Bahngleisen in unmittelbarer Nähe? Alles eine Frage der Perspektive. Maaßen ist Baugemeinschafts-Unternehmer. Seine Firma Area entwickelt und initiiert Baugemeinschaftsprojekte und hat auch das Projekt "Himmel und Erde" hier im Florakiez auf den Weg gebracht: Sechs Mehrfamilienhäuser, 67 Eigentumswohnungen, eine Gemeinschaftsdachterrasse und ein 3000 Quadratmeter großer Garten im Innenhof. Dazu eine Kita, mit der sich die Baugruppe auch in den Kiez einbringen möchte. Alles zusammen eine "runde Sache", findet der 47-Jährige, der sich hier selbst eine Wohnung gekauft hat.
"Einfach eine Dachgeschosswohnung. Ich war aber auch vorher in zwei anderen Wohnungen und bin dann, weil ich noch ein bisschen unentschieden war, nochmal ein bisschen hin und her gesprungen."
Man spare bis zu 20, 30 Prozent, meint Maaßen, wenn man nicht auf dem freien Markt kauft, sondern sich einer Baugemeinschaft anschließt. Denn so fielen Maklerkosten und Investorenrendite einfach weg. Und in seinen Projekten würden sich die Leute auch noch eine Menge Stress ersparen, die schwierigsten Aufgaben seien ja bereits gelöst: das Grundkonzept steht, das Grundstück ist gesichert, Architekten haben Häuser entworfen, Baukosten und Wohnungspreise sind kalkuliert. Baugruppenprojekte als vorgestrickte Konfektionsware?
"Die ursprüngliche Baugemeinschaft war ja sozusagen, fünf Freunde oder sieben Familien tun sich zusammen und suchen ein Grundstück. Diese Projekte scheitern regelmäßig alle. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie, a, kein Grundstück bekommen, b, sich zerstreiten, ist unendlich groß, und die brauchen halt einfach eine professionelle Betreuung."
Die Chance sich zu zerstreiten ist groß
Berlin sei, was Baugemeinschaften betrifft, ein Sonderfall, erklärt Constance Cremer, Leiterin der Berliner Stattbau-Stadtentwicklungsgesellschaft. Hier hätten Stadtplaner- und Architektenbüros die Initiative übernommen – ein dynamisch wachsender Markt.
"Das fing im Grunde genommen mit dem Abbau der Förderung an. Der Wohnungsneubau ist fast eingeschlafen im Lande Berlin, wir hatten ja durchaus auch einen Wohnungsüberschuss, und dass das aber trotzdem nicht die Qualitäten sind, die nachgefragt waren, kann man sich auch vorstellen. Insofern sind, ich sag mal, findige Architekten auf die Idee gekommen, wir bauen für Familien vielleicht das, was sie sonst im Einfamilienhaus am Rande der Stadt suchen, mittendrin. Und wir haben heute vielleicht 400, 500 Projekte, allein entstanden in den letzten 15 Jahren in diesem Modell."
Eine Büroetage im Umweltforum der Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain. Architektin Cremer sitzt in einem der Besprechungsräume. Mehr als 1000 Beratungsgespräche haben die 43-Jährige und ihr Team in den vergangenen sechs Jahren hier geführt, seit sie den entsprechenden Auftrag von der Stadt erhalten haben. Welche Rechtsform gibt sich die Gruppe? Was ist bei der Finanzierung zu bedenken? Welche Förderungen für ökologisches Bauen kann man beantragen? Die Städte wachsen, sagt Constance Cremer. Deshalb plädiert sie für eine stärkere Einbindung von Baugemeinschaften bei der Planung neuer Quartiere, etwa durch eine Quote für Baugruppen bei der Grundstücksvergabe.
"Und wenn man sich das mal noch ein bisschen zukünftig vor Augen führt, also wie sollen denn Quartiere aussehen, dann macht das schon Sinn, Wohnungsbaugesellschaften, Baugruppen, kleinere Projekte, soziale Träger zusammenzubinden. Wenn ich irgendwie Quartiere von 500 Wohneinheiten habe und eine Monostruktur, dann weiß ich schon, da habe ich dann die Probleme in den nächsten 20 Jahren."
Doch eine solche Quote wird es in Berlin wohl erst mal nicht geben. Stattdessen arbeitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt an einem Konzeptverfahren: Wenn sich Baugemeinschaften für den Kauf eines städtischen Grundstücks bewerben, sollen sie aufgrund ihrer Wohnkonzepte, beispielsweise anhand sozialer und ökologischer Aspekte, ausgewählt werden. Stadtplaner Ulf Maaßen hat bereits an einem Testlauf teilgenommen – erfolglos. Ein unzumutbarer Bewerbungsstress sei das gewesen.
"Man fängt halt erst an wirklich ein Konzept detailliert durchzuplanen, wenn man relative Sicherheit hat, dass man den Grundstückszugang hat, aber wenn sich natürlich 80 andere Parteien um ein Grundstück bewerben und alle müssen ein komplettes Verfahren, also komplette Architektur hinlegen mit durchdachten sozial-ökologischen Ideen und wie wird das finanziert, das ist ein unglaublicher Aufwand, den dann Freiberufler und auch Familien tätigen müssen, um so was überhaupt hinzubekommen – also, eine wirkliche Zumutung."
Zurück auf der Baustelle an der Brehmestrasse in Berlin-Pankow. In den Wohnungen hat der Innenausbau noch nicht begonnen, große Heizlüfter ziehen die Feuchtigkeit aus dem nackten Beton. Maaßen öffnet ein Fenster und blickt in den Hof.
"Also im Moment ist für Baugemeinschaften die Situation deutlich schwieriger geworden, weil es, a, keine öffentlichen Grundstücke mehr gibt, außer vom Bund werden nochmal ab und zu welche im Höchstgebotsverfahren, Gott sei Dank, angeboten. Und bei den Privaten, die sind so eklatant teuer derzeit, dass sich da wohl auch eine Blase abzeichnet."
Öffentliche Grundstücke sind Mangelware
Nun wolle man auch noch vorrangig die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bedienen, die den sozialen Wohnungsbau wieder ankurbeln sollen. "Aber haben die ihre baulichen Kompetenzen in den langen Jahren ohne Neubautätigkeiten nicht längst verloren?", fragt sich Maaßen. Eines steht für ihn jedenfalls fest: Eigentlich sei das Problem lösbar, Bauland gebe es genug.
"Im Endeffekt geht es darum, dass sich die Politik an bestimmte Flächen nicht herantraut. Es gibt ja viele Flächen, aber sie traut sich zum Beispiel nicht an die ganzen innenstadtnahen Kleingartengebiete heran, weil sie da eben Wählerschaften sieht und auch Bevölkerungsaufstände von den Kleingärtnern – sehr bedauerlich, auch für die Baugemeinschaftsszene."
Maaßen ist keiner, der bloß so daherredet, er hat sich an ein Kleingartengebiet herangetraut, an ein Grundstück der Deutschen Bahn – jenes Grundstück, auf dem nun schon in wenigen Monaten die Gärten der Baugemeinschaft "Himmel und Erde" entstehen werden.
"Hier waren die letzten 70 Jahre 18 Kleingärtnerparteien drauf, das war im Flächennutzungsplan immer ausgewiesen als Wohnbauland, aber natürlich, als es dann soweit war, dass hier Wohnungen wirklich gebaut werden sollten, war das natürlich für einige Kleingärtner ein Schock. Der Kleingartenverband hat sich dann selber sozusagen hier auf dem Grundstück festgeklammert, rechtswidrig, und musste dann sozusagen erst per Gerichtsbeschluss hier runtergeklagt werden."
Baugemeinschaften können alteingesessene Bewohner eines Stadtteils verdrängen oder zumindest deren Rückzugsräume zerstören, wie im Fall der Kleingartenkolonie "Famos" in Pankow. Sind Baugruppen also, mit einem hässlichen Wort, sogenannte Gentrifizierer? Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Uni, betrachtet Baugemeinschaften aus dem Blickwinkel der Mieter.
"Es ist eine extrem teure Wohnform, und sie setzt voraus, dass du dieses Eigenkapital auch mitbringst, sonst finanziert dir keine Bank die Teilnahme an so einem Projekt."
Aber gibt es nicht auch Baugemeinschaften, die sich genossenschaftlich organisieren und in begehrten Stadtvierteln zu halbwegs erträglichen Mieten wohnen wollen? Andrej Holms Antwort: Ja, sicher, die gibt es, aber Bau- und Grundstückskosten und Anforderungen der Banken fressen den sozialen Ansatz schnell auf.
"Und um eine wirklich soziale Wohnungsversorgung zu organisieren, müsste man einen völlig anderen Gedanken der Art und Weise, wie das organisiert wird, entwickeln. Da müsste man Wohnen als soziale Infrastruktur verstehen, da müsste man den Staat mit Geldern und mit sozusagen seinen Liegenschaften und Wohnungsbaugesellschaften viel stärker in Verantwortung ziehen."
Denn einerseits fehlen deutschlandweit mehr als vier Millionen Sozialwohnungen. Andererseits bringen die ständig steigenden Mieten auch die Mittelschichten in Bedrängnis. Hippe Stadtviertel werden aufgewertet, Altmieter verdrängt. Es findet also, kurz gesagt, Gentrifizierung statt. In dieser Situation werden Baugemeinschaften für die nicht ganz Reichen und zugleich nicht ganz Armen zur Option.
"Eigentlich laufen die der Aufwertung hinterher und versuchen sozusagen, ihren Status in den Aufwertungsgebieten zu halten und haben durch kulturelle Ressourcen und auch die finanzielle Ausstattung, die die Arbeit an so einer Baugruppe voraussetzt oder das Mitmachen an der Baugruppe voraussetzt, die nutzen die, um ihren Status auch sozusagen vor Ort zu halten."
Andrej Holm spricht mit der analytischen Kälte des Soziologen. Aber was ist eigentlich mit dem Traum, Stadt selber zu machen und der Idee, das Wohnen kollektiv zu denken? – Eine Reise nach Hamburg.
Der Traum von der eigenen Stadt
Kurz vor der Ankunft aus Berlin fällt der Blick aus dem Zugfenster auf eine schienendurchzogene Brachfläche. Auf dem Gelände eines stillgelegten Güterbahnhofes soll in den nächsten Jahren ein neues Quartier entstehen, die "Neue Mitte Altona".
Die Baugemeinschaft "Möwe-Altonah" hat hier gerade von der Stadt ein Grundstück ergattert. Nötig war dafür eine umfangreiche Bewerbung mit finanziellen, ökologischen und sozialen Kriterien. Und eine Präsentation vor einer Behördenjury. Nun ist klar: Ab Frühjahr 2016 darf die Gruppe bauen. Damit hat der eigentliche Stress gerade erst begonnen.
Sonntagnachmittag in einer Wohnung, nicht weit vom Bahnhof Altona entfernt. Plenumstreffen der "Möwe-Altonah". Die 35-jährige Fanni verliest die neue Organisationsstruktur der Gruppe. Denn neben den wöchentlichen Plenumssitzungen stehen Treffen verschiedener Arbeitsgruppen an – und offizielle Termine, in einigen Tagen zum Beispiel eine Besprechung mit den benachbarten Bauherren im zukünftigen Wohnviertel.
"Man muss jeden Tag mindestens 30 Mails schreiben und lesen ..."
… sagt Gesa. Sie stellt sich nur mit ihrem Vornamen vor, so wie die anderen anwesenden Mitglieder der Baugruppe auch. Warum sie ihren vollen Namen im Radio nicht hören wollen, wird nicht ganz klar. Aber es passt auch irgendwie mit den Vornamen. Schließlich soll bei dem Projekt vor allem der lockere und freie Umgang miteinander zählen.
"Was ganz wichtig ist: ein Haus zu haben, in dem es einfach einen Raum gibt für ganz verschiedene Lebensentwürfe und Wohn- und Familienformen. Also: große Familien, kleine Familien, alte, junge Leute. Dass das irgendwie so ein Raum ist, wo ganz viele Leute drin Platz haben, die es sonst vielleicht auch total schwierig haben auf dem Wohnungsmarkt."
Und so steht sie schließlich doch wieder im Raum, die bittere Wirklichkeit. Will heißen: der schwierige Wohnungsmarkt. Immerhin vier Jahre hat die "Möwe-Altonah", anfangs noch in zwei getrennten Gruppen, erfolglos gesucht. Auf dem Grundstück, das die Baugemeinschaft jetzt an der Hand hat, sollen nach der Auflage der Stadt Sozialwohnungen entstehen. Um die Baukosten für die 34 Wohneinheiten zu stemmen, will die "Möwe-Altonah" eine Klein-Genossenschaft gründen. Dafür müssen die Mitglieder aber eine hohe Einlage zahlen. Dabei haben alle nur ein eher niedriges Einkommen, sonst dürften sie gar nicht die öffentlich geförderten, günstigen Sozialwohnungen beziehen, die sie für sich selbst bauen.
Karsten Wagner: "Ja, erst mal klingt das wie ein Widerspruch, und es ist auch nicht ganz einfach. Tatsächlich: Wer genossenschaftlich ein Baugemeinschafts-Projekt machen will, der muss viel Eigenkapital mitbringen, wo es dann auch immer herkommt. Und nicht alle, die gern in so ein Projekt ziehen möchten, sind in der Lage, dieses Eigenkapital auch einzubringen."
Es scheitert oft am Eigenkapital
Karsten Wagner von der gemeinnützigen Lawaetz-Stiftung in Hamburg hat schon viele Baugemeinschaftsprojekte betreut. Und die haben trotz der finanziellen Schwierigkeiten bisher immer geklappt. Die "Möwe-Altonah" etwa denkt über ein Solidaritätsmodell nach.
Gesa: "Also, konkret heißt das, dass Leute, die ein bisschen mehr Geld auf der hohen Kante haben, sich auch vorstellen können, ein paar mehr Genossenschaftsanteile zu erwerben, als sie unbedingt müssten, sodass welche, die halt eher geringere Rücklagen haben, eben trotzdem die Möglichkeit haben, einzuziehen."
Und doch - irgendwer muss hohe Rücklagen aufbringen, damit am Ende ein bezahlbares gemeinschaftliches Wohnprojekt entstehen kann.
Angela Hansen von der Agentur für Baugemeinschaften kennt all diese Widersprüche und Schwierigkeiten sehr genau. Sie sitzt in einem fensterlosen Besprechungszimmer in der Hamburger Stadtentwicklungsbehörde. Unter der Decke surrt die Lüftung, an der Wand hängen farbig markierte Flächenpläne. Die 56-Jährige ist Architektin, Stadtplanerin – und ausgebildete Erzieherin.
"Man ist halt wirklich nah dran am Menschen, der hinterher ja ein Haus bauen will. Und da ist es manchmal auch ganz gut, wenn man mit Menschen ganz gut umgehen kann, und da kommt mir meine erste Ausbildung ganz gut zupass."
In der Stadtentwicklungsbehörde leitet Hansen eine bundesweit einzigartige Institution. Was in Berlin gerade erst geplant wird, ist in Hamburg nämlich bereits seit elf Jahren Realität. Die Agentur für Baugemeinschaften vergibt öffentliche Grundstücke an Baugemeinschaften – zum Festpreis und im Konzeptverfahren. Und sie darf 20 Prozent der städtischen Grundstücke an Baugemeinschaften vergeben.
"Sie tragen zu einer gewissen Stabilität im Quartier bei, sie sind oft innovativ, sie grenzen nicht aus, sie nehmen oft Menschen mit Behinderung in ihre Projekte auf. Das sind alles Gründe, warum wir auch diese 20 Prozent mal festgesetzt haben, weil wir das eben als Stadt unterstützungswert finden."
Bevorzugt werden zurzeit Sozialwohnungs-Projekte wie das der "Möwe-Altonah". Solche Baugemeinschaften können dann zusätzlich die normale öffentliche Wohnraum-Förderung der Stadt in Anspruch nehmen.
"Also, wir haben drei Einkommensstufen in der Förderung. Das heißt, man darf drei verschieden hohe Einkommen haben und eine Förderung in Anspruch nehmen, und die, die am wenigsten verdienen, zahlen dann eben auch am wenigsten Miete. Und die, die mehr verdienen, zahlen dann auch ein bisschen mehr Miete. Und der Rest wird dann sozusagen von der Stadt subventioniert."
Doch um bei den Ausschreibungen erfolgreich abzuschneiden, müssen die Baugemeinschaften mit ihren Konzepten überzeugen. "Möwe-Altonah" punktete bei der Agentur mit einer Idee für ein soziales Projekt. Die Baugemeinschaft will in ihrem Haus sechs Wohnungen für allein lebende Jugendliche schaffen – in Kooperation mit dem Jugendhilfeträger "Basis und Woge".
Ein weiteres Plenumstreffen der Gruppe. Mal wieder verliest Fanni am Anfang die aktuelle AG-Liste der Gruppe. An diesem Sonntag sind 15 Mitglieder gekommen, einige mit Kindern.Zu viele, um sich privat in einer Wohnung zu treffen. Wo die Gruppe schließlich zusammenkommt, steht erst kurz vor Beginn der Sitzung fest: im wenig einladenden Foyer der Hamburger Uni-Sporthalle.
"Zu der AG Integration. Also, vielleicht könnt ihr da noch mal ein bisschen genauer erklären, was das so beinhaltet."
Judith ist neu in der Gruppe und erkundigt sich nach dem Sozialprojekt. Hier deutet sich ein Problem an. Der Kooperationspartner der "Möwe-Altonah", der Jugendhilfeträger "Basis und Woge", soll eigentlich Teil der Baugenossenschaft werden. Da "Basis und Woge" aber öffentlich finanziert wird, würde die Stadt doppelt Geld ausgeben, nämlich zuerst für die Genossenschaftsanteile und später für die Miete der Jugendlichen. Und dagegen könnten sich die Behörden sperren, erläutert Frank, Sozialpädagoge bei "Basis und Woge" und an diesem Tag Plenums-Gast.
"Also, für uns ist noch eine Frage, an welchem Punkt ihr gerade seid, was die Zielgruppe überhaupt angeht. Wir hatten ja angefangen damit, dass es in erster Linie um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geht, und das ist für uns nicht unbedingt so …"
Für die Gruppe sind dies die eigentlich wichtigen Fragen: Welche Jugendlichen mit welchen Biografien und Traumatisierungen werden einziehen? Wie soll das Zusammenleben mit ihnen aussehen? Nach insgesamt zwei Stunden Plenum muss die Moderatorin des Treffens, Johanna, resümieren:
"Aber ich glaube, im Moment macht es erst mal Sinn, diese vertragliche, rechtliche Ebene zu klären."
Nachdem die anderen bereits gegangen sind, sitzt Johanna immer noch im Foyer der Sporthalle. Sie erzählt, dass die "Möwe-Altonah" auf die Genossenschaftsanteile des Jugendhilfeträgers angewiesen ist. Würde "Basis und Woge" für die Jugendlichen später nur Miete zahlen, könnte das die ohnehin knappe Kalkulation sprengen. Auch deshalb ist eine von Johannas Erfahrungen auf dem Weg vom Traum zur Realität einer Baugemeinschaft:
"Und man darf tatsächlich einfach nicht unterschätzen, wie krass gegängelt man ist durch diese ganze Finanzierungsgeschichte."
Finanzierungssorgen und langwierige Gruppenprozesse
Finanzierungssorgen beim Bau und langwierige Gruppenprozesse in der Planungsphase – das Berliner Wohnprojekt "Leuchtturm" hat das schon hinter sich. Vor zehn Jahren gründete Politikwissenschaftlerin Gabriele Schambach die Baugruppe zusammen mit ein paar Freunden. Heute bilden sie eine Genossenschaft.
"Hier sind wir in unserem Gemeinschaftsraum, hier kann man sitzen und mit Beamer Tatort gucken, was manchmal sonntags passiert. Es gibt ein Bad und eine Küchenzeile und ein Balkon und den Zugang zum Dach, und hier haben wir auch unsere Hausversammlung, aber hier feiern wir auch Partys."
Pappelallee 44 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. 2009 haben Schambach und ihre Mitstreiter das Grundstück auf dem freien Markt gekauft und darauf gebaut. Jetzt leben hier 28 Erwachsene und 15 Kinder, teils als Familien, teils in Wohngemeinschaften, auf sechs Etagen. Hier werden Solidargemeinschaft und Selbstverwaltung gelebt: genossenschaftliche Gremien, 14-tägige Hausversammlungen und Arbeitsgruppen, die sich um alle Belange des Hauses und des Miteinanders kümmern. In einer Kleingenossenschaft scheint die Arbeit der Gruppe an sich selbst also niemals aufzuhören.
"Wir sind schon, ich würde sagen, 28 individuelle Persönlichkeiten mit zum Teil unterschiedlichen Vorstellungen, also die Frage, wie diskutiert wird, wie ein Sommerfest aussehen soll, wie der Garten gestaltet werden soll, wie man den Gemeinschaftsraum nutzt. Also ich würde da jetzt gar nicht unbedingt so eine Gewichtung reinbringen, weil das hat sich schon sehr verändert seit der Bauphase, also da war halt klar, wenn wir uns jetzt lange da rummähren mit irgendwelche Entscheidungen, die ewig dauern, dann wird dieses Haus halt nicht gebaut."
Doch lässt sich so viel Gemeinschaft dauerhaft leben? Klar, meint Schambach.
"Und es muss ja auch nicht so selbstverwaltet und so basisdemokratisch und konsensorientiert sein, wie wir das hier machen, das kann ja jede Genossenschaft für sich selber entscheiden. Also, ich glaube, so ein Konzept von Genossenschaft eignet sich eher nochmal, um zu sagen, uns gehört das Haus, und nicht so, hier ist meine Scholle, und die verteidige ich jetzt mit meinem Angetrauten und meinen zwei Kindern."
Viele Ideen konnte die Gemeinschaft verwirklichen, erzählt die 46-Jährige. So halten beim "Leuchtturm" Mitglieder mit mehr Kapital im Hintergrund deutlich mehr Genossenschaftsanteile als finanziell weniger gut ausgestattete. Deren Einkommen darf allerdings nicht allzu gering sein – die Kaltmiete beträgt immerhin 9,50 Euro pro Quadratmeter. Kleinere Mieten ließen sich erst im Laufe der kommenden Jahrzehnte erreichen, in denen die Kreditbelastung langsam schrumpfe. Damit dies auch tatsächlich erreicht wird und um die Ziele der Genossenschaft dauerhaft zu sichern, haben Gabriele Schambach und ihre Mitstreiter das Grundstück an die gemeinnützige Trias-Stiftung verkauft. Diese hat den Auftrag, Böden der Spekulation zu entziehen.
"Die Lage ist hier so Eins-A, und wenn man halt die Eigentumsverhältnisse des Grundstücks von denen des Hauses trennt, dann kann halt nicht irgendwann mal die Hausgemeinschaft sagen, super, der Schuppen ist zig Millionen wert, und wir verkloppen den jetzt und machen den großen Reibach, das geht nicht, weil ihnen nämlich nicht der Grund und Boden gehört, also uns als Genossenschaft gehört der Grund und Boden nicht. Im Gegenzug dazu hat die Trias-Stiftung einen Teil des Grundstücks bezahlt, also, wir haben halt einen Erbpachtvertrag, wo wir natürlich Erbpachtzins zahlen, und den werden wir auch immer zahlen."
Nische für selbstbestimmtes Wohnen
Das eigene Haus dem Markt entziehen, um sich so eine Nische für selbstbestimmte Wohnformen zu schaffen – am konsequentesten verfolgt das Mietshäuser-Syndikat diese Idee. Entstanden aus der Hausbesetzer-Szene der 1980er Jahre, umfasst die Initiative mittlerweile bundesweit knapp 90 selbstverwaltete Wohnprojekte. Diese gründen GmbHs, bei denen das Syndikat zur Hälfte beteiligt ist. Sollte eine Wohngruppe ihr Haus gewinnbringend umnutzen oder verkaufen wollen, kann das Syndikat als Mitgesellschafterin dies per Veto verhindern. Auch auf der Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg soll jetzt ein solches Wohnprojekt entstehen: "Gomokry". Mit dabei: der 32-jährige Simon Stülcken, der Erziehungswissenschaft und Soziologie studiert.
"Wir sind gerade in Wilhelmsburg in der Mokrystraße. Hinter uns ist das Gebäude, das wir gerne kaufen wollen, das ist ziemlich verfallen. Und generell in Wilhelmsburg gibt es sehr viel Altbau und sehr viele alte Arbeiterwohnungen. Also war vor zehn Jahren auf jeden Fall noch so ein, wie soll man sagen, Schmuddel-Stadtteil. Und das hat sich in letzter Zeit ziemlich doll geändert. Also, die Stadt hat hier so Programme gemacht, dass Studis herziehen können für billig Geld. Und das hat eben dazu geführt, dass hier jetzt immer mehr junge Leute wohnen und man hier auch schon die Gentrifizierung ziemlich deutlich merkt."
Noch sei der Stadtteil zwar gut durchmischt, ergänzt der 31-jährige Informatiker Jörn Müller:
"Die Befürchtung ist aber eben, dass, wie in anderen Stadtteilen auch, diese Entwicklung nicht stehen bleibt, und das ist eben die Befürchtung, aber eben auch der Punkt, warum wir jetzt dabei sind so ein Projekt dagegenzusetzen."
Ideen für das Hausprojekt gibt es zuhauf. Bezahlbare Groß-WGs für insgesamt 40 Bewohner, darunter eine WG für obdachlos gewordene Frauen; Kulturangebote für jugendliche Hip-Hop-Begeisterte; ein Seminarraum; sogar eine ehemalige Kneipe im Erdgeschoss, die die Mitglieder der Initiative wiederbeleben möchten.
"Hohe Decken, Säulen und Stuck, das ist schon sehr schön hier."
Stülcken und drei seiner Mitstreiter haben für diesen Tag den Schlüssel zu ihrem Haus bekommen. Aber was heißt schon "ihr Haus"? Bisher gibt es für sie nur die Option, das schon lange leerstehende Objekt zu mieten. Ziel ist aber der Kauf, am besten sogar zusammen mit dem benachbarten Flachbau. Auf diesen möchte die Gruppe Neubauwohnungen aufstocken. Beide Grundstücke gehören einem Investor, der schon einige alternative Bauprojekte realisiert hat. Der würde wohl verkaufen, doch dafür brauchen die Leute von der Mokrystraße viel Geld, das sie zurzeit nicht haben. Stemmen müssten sie auch die aufwändige Sanierung des Altbaus.
"Letztendlich ist es halt klar, dass das Mietshaus-Syndikat immer durch Direktkredite finanziert wird. Das bedeutet: viele, viele Freunde, Verwandte und, ja, wen man noch so kennt, fragt man, ob die nicht Lust haben, ihr Geld zu investieren in ein sinnvolles soziales Projekt. Und das Motto vom Mietshaus-Syndikat ist immer: 'lieber viele Freunde im Rücken als eine Bank im Nacken'. Und so versuchen wir das eben auch."
Zwar kann die "Gomokry"-Gruppe nicht auf die Förderungen und Zuschüsse der Hamburger Agentur für Baugemeinschaften zählen, denn die mit dem Mietshaussyndikat verbundene Rechtsform der GmbH wird von der Agentur nicht anerkannt. Noch ist unklar, wie viel Eigenkapital "Gomokry" letztlich zusammenbekommen wird. - Und dennoch: Statt Finanzierungsstress herrscht Aufbruchsstimmung in der Gruppe.
"Ich glaube, das ist das Dach. - Da kann man mal raus gucken, ich habe das noch nicht gemacht."
Die vier Freunde stehen auf dem Dachboden des Hauses. Eine brüchige Holzleiter führt hinauf zu einer Luke. Zwar weckt der morsche Dachstuhl nicht unbedingt Vertrauen – ein Ausstieg auf das teergedeckte Dach könnte die Gefahr bergen, einzustürzen -, doch die Neugier obsiegt.
"Toll. Superaussicht. Alter, das wird ja legendär hier ab nächstes Jahr!"
Vom Dach des Hauses ergibt sich ein weiter Blick Richtung Norden und Innenstadt. Zu sehen ist das bunte Gebäude der Stadtentwicklungsbehörde, dahinter, auf der anderen Seite der Elbe, blitzt und blinkt die Elbphilharmonie in der Nachmittagssonne; links davon sieht man die Hafenkräne und die angrenzenden Stadtteile St. Pauli und Altona - alles scheint so nah beieinander in dieser Stadt.
"Ja, Hamburg ist schon ein Dorf, und, ja, aber eben doch schon ein Dorf, wo man in einigen Dorfteilen nicht mehr so gut wohnen kann. Also ein paar von uns haben auch früher auf Altona oder St. Pauli gewohnt, da könnte so ein Projekt gar nicht mehr stattfinden oder sehr, sehr unwahrscheinlich, weil einfach da die Preise so durch die Decke geschossen sind, ja, dass viele eben auch tatsächlich aus der Not heraus hierher gezogen sind. Und gleichzeitig wissen wir halt auch, dass wir damit Teil des Problems sind in verschiedenen Stadtteilen, das ist ja auch oft die gleiche Kette, Studierende ziehen her, dann kommen Künstler, dann denken andere Leute, ah, ist hipp, kann ich hinterher ziehen, und ja, pums, plötzlich werden alle Leute vertrieben, die hier vorher ganz normal gewohnt haben und sich die Miete nicht mehr leisten können."
Ist "Gomokry"“ also Teil des Problems oder gerade ein Beitrag zu dessen Lösung? Schließlich wollen Stülcken und seine Mitstreiter ja bezahlbaren Wohnraum schaffen, in Wohngemeinschaften zusammenleben und soziale und kulturelle Projekte unterstützen. Zugleich ist es ihnen wichtig, sich den Mechanismen des Profitstrebens, der Gentrifizierung und Verdrängung zu entziehen. Jörn Müller glaubt, dass die Gruppe ihre Ziele erreichen kann:
"Klar, können wir eben diese Gesamtsituation nicht völlig umdrehen oder verändern, was wir eben versuchen können ist innerhalb so eines Hauses schon mal so ein Beispiel dafür zu geben, dass man das eben im kleinen Rahmen irgendwie schon zumindest etwas anders angehen kann. Klar, nach außen sind wir zumindest jetzt in dieser Kaufsituation natürlich auch irgendwo Marktteilnehmer, aber über das Syndikat kommt man eben auch da zumindest längerfristig so ein bisschen raus."