Eine Schule für eine radikal neue Architektur
Vor 100 Jahren gründete der Architekt Walter Gropius in Weimar eine Kunstschule, die er "Staatliches Bauhaus" nannte. Sie sollte die Trennung von Theorie und Praxis, Kunst und Handwerk aufheben. In einem Manifest formulierte Gropius sein Credo.
Berlin im Frühjahr 1919: Architekten, Maler und Bildhauer haben sich im "Arbeitsrat für Kunst" zusammengeschlossen, als ästhetische Avantgarde, die nach der politischen Revolution auch ein Neues Bauen, zeitgemäßes Design und alternative Lebensformen propagiert. Nur bleiben das Ideen, solange keine Institution gefunden ist, um diese Konzepte zu vermitteln und praktisch zu erproben.
Aber dann berichtet Walter Gropius, der sich als Direktor der Kunsthochschule in Weimar beworben hat, nach Berlin:
"Meine Weimarsache ist nun perfekt. Ich habe die Leitung von Kunstgewerbeschule und der Akademie der bildenden Künste und will ein neues Einheitsinstitut unter dem Titel 'Staatliches Bauhaus in Weimar' daraus machen. Beginn am 1. April."
Gropius, ein umtriebiger Architekt, übernimmt am 1. April 1919 mit der Hochschule zugleich die Kunstgewerbeschule – und gründet so das "Staatliche Bauhaus". An seine Mitstreiter in Berlin schreibt der neue Direktor:
"Ich habe hier mein Amt angetreten und in zwei Tagen alles durchgesetzt, was ich wollte: Berufung von 4 radikalen Künstlern und Bewilligung meines radikalen Programms durch die Regierung."
"Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam"
Unter den "radikalen Künstlern" ist auch Lyonel Feininger. Gemeinsam mit Gropius formuliert er ein Bauhaus-Manifest:
"Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück. Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens."
Auf Flugblättern verteilt und in der SPD-Zeitung "Vorwärts" abgedruckt, verbreiten sich die Bauhaus-Ideen in einer jungen Generation, die nach dem Schrecken des Weltkriegs und in den Wirren der politischen Umbrüche nach Orientierung sucht. 1922 kann der Bauhaus-Direktor Gropius erste Bilanz ziehen:
"Der Erfolg des Manifests spricht für sich selbst; junge Menschen kamen aus Deutschland und aus dem Ausland, nicht um 'korrekte' Lampen zu entwerfen, sondern um an einer Gemeinschaft teilzuhaben."
Tanz, Lesungen und Kostümfeste
Mit Tanz und Theater, Dichterlesungen und Vorträgen, Musik oder bei den von Gropius angeregten Kostümfesten kommen sich die Bauhäusler näher. Die Trennung zwischen Theorie und Praxis wird aufgehoben. Lehrer dozieren nicht als Professoren vom Katheder herab, sie leiten als "Meister" die verschiedenen Werkstätten. Ein Keramik-Atelier wird von dem Bildhauer Gerhard Marcks aufgebaut, als weitere Meister verpflichtet Gropius Künstler, die unter Akademikern oder auch in der breiten Öffentlichkeit nicht unumstritten sind: Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Marcel Breuer oder Paul Klee.
"Wir dürfen nicht mit dem Mittelmäßigen beginnen, sondern wir haben die Pflicht, starke, in der Welt bekannte Persönlichkeiten heranzuziehen, auch wenn wir sie innerlich noch nicht verstehen."
Dieses gegenseitige Verstehen mag sich allerdings nicht recht einstellen zwischen Gropius und dem Künstler Johannes Itten, der 1919 die für das Bauhaus prägenden "Vorkurse" einführt: Die Anfänger lernen in den Werkstätten nicht nur Materialkunde und handwerkliche Methoden, als verschworene Gemeinschaft folgen einige auch den romantisch-religiösen Vorstellungen Ittens. Das kritisiert Gropius:
"Die Arbeitsweise am Bauhaus geht heute in zwei Richtungen: Das eine ist die romantische Arbeitsweise. Die andere Arbeitsweise wächst aus dem heutigen Leben, und das Resultat ist eine für die Allgemeinheit gültige Form, ein nützlicher Gegenstand."
"Stiefkinder des überpraktischen Zweckmenschen"
Der "nützliche", zweckrationale Ansatz setzt sich durch, verkörpert in einem von Gropius entworfenen Gebäude in Dessau. Dorthin muss das Bauhaus 1925 umziehen, nachdem das Land Thüringen die finanzielle Unterstützung gekürzt hat. 1933 schließen die Nationalsozialisten das Bauhaus als Institution. Geblieben ist sein legendärer Ruf, meist reduziert auf kühle Ästhetik und technische Funktionalität. Das aber ging selbst Gropius zu weit. 1955 beklagte der erste Bauhaus-Direktor in einem Rückblick:
"In unserem Zeitalter… wurde der Künstler ja fast vergessen. Der Poet und der Prophet wurden zu Stiefkindern des überpraktischen Zweckmenschen."