Dubiose Sinnsuche der Modernisten
In der Weimarer Zeit hatten kleine Glaubensgemeinschaften Hochkonjunktur. Am frühen Bauhaus etablierte Johannes Itten die Lehre "Mazdaznan": einen religiösen Schmelztiegel mit strengen Ernährungsvorschriften und latentem Rassismus.
Mazdaznan: ein schillernder Name, der mit dem Weimarer Bauhaus untrennbar verbunden ist. Was verbirgt sich hinter dieser religiösen Lehre? 1919 erschien der Mazdaznan-Jünger Johannes Itten am Bauhaus. Der neue Lehrer kam auf Empfehlung von Alma Mahler, der Witwe des Komponisten Gustav Mahler, die damals mit dem Bauhaus-Gründer Walter Gropius verheiratet war.
Itten führte ein strenges Regiment. Der jugendbewegte Christian Haeusser, der unter den Bauhaus-Schülern viele Anhänger hatte, verlor an Einfluss. Jetzt war Schluss mit wallendem Männerhaar und alternativen Jesuslatschen. Das "verzottelte Wandervogel- und Heilsbringer-Image", spielte am Bauhaus keine Rolle mehr.
Die Mazdaznan-Jünger zogen mit glatt rasierten Schädeln und langen Kutten durch die thüringische Dichterstadt und verdarben sich mit einer abenteuerlichen Körner-Diät nachhaltig den Verdauungstrakt.
Haare als Zeichen der Sünde
Der Bauhaus-Schüler Lothar Schreyer erinnert sich:
"'Bauhäusler' – das klang wie 'Zuchthäusler' – so nannten uns viele Weimarianer mit Schaudern und nicht ohne Angst. Viele hatten aber auch Nachsicht mit uns und taten uns Gutes. Wir bedurften der Nachsicht. Wir hatten uns eine Männertracht erfunden, die wir – auch die Meister, soweit sie mochten – öffentlich trugen. Als Itten eines Tages erklärte, Haare seien ein Zeichen der Sünde, rasierten sich die Begeisterten den Schädel völlig. So bevölkerten wir Weimar und die nähere Umgebung."
Mazdaznan war am Bauhaus "keine externe Strömung", sondern eine "intern verkündete Heilslehre", so bewertet der Bauhaus-Kenner Ulrich Linse den Einfluss der Reformreligion. Nicht nur Itten, auch der Maler Georg Muche glaubte an Mazdaznan, und selbst Bauhaus-Gründer Walter Gropius war lange Zeit empfänglich für die indisch geprägte Heilslehre, für die Philipp Oswald, ehemaliger Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, kritische Worte findet.
Oswald: "Das hört sich ja erst mal sehr schön an: transkulturell, Bauhaus und Indien, die indische Kultur. Was aber selten genannt wird: dass mit dem Mazdaznan-Kult ein starker Rassismus einhergeht. Es gibt von Itten auch eine berühmte Zeichnung, ‚Der weiße Mann‘, die explizit rassistisch ist. Itten hat dann einen rassentheoretischen Text geschrieben über die Kulturgeschichte der Menschheit. Das sind Dinge, die man dann in diesem Zusammenhang auch mal erwähnen muss."
Rassismus und Reformhaus-Diät
Seit 1890 stilisierte sich der Begründer von Mazdaznan, Otto Hanisch, als persischer Magier und verbreitete seine Lehre zunächst in Chicago. Er berief sich auf Propheten wie Zarathustra, Moses, Buddha, Mohammed und Jesus Christus. Eine wilde Mischung, aber der Religionsstifter war sich seiner Sache sicher: Die arische Rasse könne sich nur mit einer reinen Lebensweise selbst erlösen.
1981 machte sich der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe in seinem kurzweiligen Pamphlet "Mit dem Bauhaus leben" über Mazdaznan und den "Silberprinzen Walter Gropius" lustig:
"Gropius unterstützte jedes Experiment, das ihnen in den Sinn kam, solange es im Namen einer sauberen und reinen Zukunft geschah. Sogar neue Religionen, wie Mazdaznan. Sogar Reformhaus-Diät. Es gab in Weimar eine Phase, da bestand die Bauhaus-Diät ausschließlich aus einem Mus von rohem, frisch geernteten Gemüse. Das Mus war so schlaff und faserig, dass man Knoblauch beigeben musste, um irgendeinen Geschmack zu erzielen."
Weit weg von atomarer Gefahr
In der Schrift "Die Fleischfrage" wird Otto Hanisch rabiat: 98 Prozent der Menschheit plapperten nur die gängigen Überzeugungen nach. Stattdessen sollten sie lieber ihren Verstand benutzen, schließlich gehe es beim Verzicht auf Fleisch um eine prinzipielle Menschheitsfrage:
"Es handelt sich hier um den Fortschritt, die Zukunft der Rasse, um die körperlich-sittlich-geistige Gesundheit eines ganzen Volkes."
"Die Fleischfrage" erschien 1954 im Mazdaznan-Verlag Genf. Die Schrift wurde von der Diät- und Lebensschule im nordhessischen Bringhausen vertrieben. Die deutschen Mazdaznan-Jünger hatte es an den Edersee verschlagen, weil sie an einem Ort leben wollten, der weit weg von der atomaren Gefahr sein sollte.
Jürgen Weste hat im nahegelegenen Bad Wildungen einen Heizungs- und Sanitärbetrieb. Mitte der 60er Jahre hat die Firma Aufträge für das Mazdaznan-Anwesen am Edersee erledigt.
Destilliertes Wasser getrunken
Weste: "Es trafen sich dann aus dem Verein immer mehr in Bringhausen, ganz bestimmte Leute hatten dann auch Spendierhosen an. Von der Klientel, die ich kennen gelernt habe, ist ein ganz Teil Lehrer, Firmeninhaber, dann gab es eine ganze Menge Heilpraktiker, Apothekerinnen und sowas."
Eine typische Klientel, die bis heute alternativen Lebensentwürfen und der Bauhaus-Idee nahesteht. Und so wie am frühen Bauhaus wurde von Mazdaznan auch in der Nachkriegszeit auf strenge Regeln Wert gelegt.
Weste: "Es gab eine Gruppe, die nur destilliertes Wasser getrunken haben. Es wurde also dann eine Destillationsanlage installiert. Das war für mich dann mal so ein ausschlaggebender Punkt, darüber nachzudenken, ist Trinkwasser jetzt schädlich, in der Art und Weise, wie es aus dem Hahn kommt, oder? Ich glaube, es gehört eine innere Überzeugung dazu, ob ich destilliertes Wasser als Grundnahrungsmittel da nehmen würde."
Am Weimarer Bauhaus entwickelte Johannes Itten unter den Einfluss von Mazdaznan seinen berühmten Vorkurs. Er wird bis heute als Vorbild gefeiert und ist bei Kunstpädagogen nach wie vor einflussreich.
Fortschrittsglaube ersetzt Mazdaznan
Als Anfang der zwanziger Jahre der Niederländer Theo van Doesburg nach Weimar kam, wurde Mazdaznan durch seine konstruktivistischen Ideen kräftig Paroli geboten. Ittens Stern als mystischer Prophet verblasste. Im März 1923 verließ er das Staatliche Bauhaus in Weimar. Die Schule war im Umbruch. Es ging zu Ende mit Mazdaznan und der dazugehörigen Gesinnung. Die neue Religion war der Fortschrittsglaube, das Dessauer-Bauhaus Credo hieß nun: Kunst und Technik, eine neue Einheit.
Und in Bringhausen? Das Anwesen ist heute ein Bio-Hotel. Ab und zu treffen sich noch Mazdaznan-Jünger, die verstreut aus ganz Europa kommen. Doch der Ort, sagt Jürgen Weste, hatte schon 1973 seine Unschuld und Aura verloren.
Weste: "Wir haben ein Braunkohlekraftwerk in Borken, das ist ungefähr 30 Kilometer von Bringhausen weg. Und da hieß es nun, es kommt ein Atomkraftwerk hin. Und mit diesem Tag der Aussage hieß es, wir werden Bringhausen aufgeben, wenn das spruchreif ist."