Bauhaus-Tradition für soziales Wohnen

Es fehlt mutige Stadtpolitik

Straßenansicht in der Römerstadt in Frankfurt am Main
Die Römerstadt in Frankfurt am Main. Die Reihenhaussiedlung gilt als wegweisendes Projekt im Städtebau der 1920er Jahre, der Zeit des Bauhauses. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Klaus Englert · 30.11.2015
Soziales Wohnen ist zu unsexy für Star-Architekten, viel Geld lässt sich da nicht verdienen. Auch die Kommunen versagen und lassen Baulücken lieber mit Townhouses für Reiche füllen. Wir brauchen mehr stadtpolitische Initiative, fordert der Architekturkritiker Klaus Englert.
Im Oktober 1929 kamen nach Frankfurt am Main europäische Visionäre, um über eine Frage zu debattieren, die damals viele Länder bewegte: "Die Wohnung als Existenzminimum". Das war der Titel des Kongresses, des Congrès International d'Architecture Moderne. Zugegen waren der Pariser Le Corbusier, der aus Dessau angereiste Walter Gropius und der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May.
Eindringlich mahnten die Architekten an, Wohnungen für die "mindestbemittelte Schicht der Bevölkerung" zu schaffen. Wie sehr Armut und Wohnungsnot zum politischen Sprengsatz werden konnte, bewies der zweite Kongresstag, der zum Schwarzen Freitag der New Yorker Börse wurde, an dem die Aktienkurse ins Bodenlose stürzten.
Star-Architekten interessieren sich heute nicht mehr für preisgünstiges Wohnen
Dass sich einflussreiche Architekten in einer deutschen Metropole treffen, um über Standards erschwinglichen Wohnens zu streiten, ist heutzutage unvorstellbar. Oder dass sie sich Gedanken machen über die Grundrisse einer Minimalwohnung. Oder über typisierte Bauelemente, die möglichst schnell und in hoher Stückzahl hergestellt werden können. Fragte man einen internationalen Star wie Rem Koolhaas, dann würde er antworten: "Die Honorare sind zu niedrig, die Aufgabe zu unattraktiv, das Ergebnis zu unbefriedigend." Deswegen baute er lieber in der City of London das neue Headquarter der Rothschild Bank.
1929 war das noch anders: Ernst May errichtete die Römerstadt – eine Großsiedlung mit 1220 Wohnungseinheiten für die unteren sozialen Schichten. Revolutionär war auch die voll funktionsfähige Typenküche auf nur 6,4 Quadratmetern, die eigens von Margarete Schütte-Lihotzky entworfen wurde.
Der afghanische Bauhaus-Direktor Omar Akbar, ein später Nachfolger von Walter Gropius, entsann sich 2008, kurz nach Beginn der internationalen Finanzkrise, des legendären Frankfurter Kongresses und lobte den "Bauhaus Award" mit der Frage aus, wo denn die Stararchitekten seien, die das Elend bekämpften. Schließlich leben 900 Millionen Menschen unter dramatisch schlechten Bedingungen.
Die Zeiten eines Koolhaas, Calatrava oder Foster sind nicht mehr die eines Le Corbusier, Gropius oder May, die sich noch mit Verwahrlosung auseinandergesetzt haben. Deswegen verwundert es nicht, dass der erste Bauhaus-Preis an zwei wenig bekannte Architekten ging, die ein Siedlungsprojekt für ein illegales Arbeiterviertel im chilenischen Temuco entwarfen.
Nur noch Studenten haben einen Bauhaus-Enthusiasmus
Dieser Enthusiasmus ist eben heute nur noch in studentischen Workshops anzutreffen. Dort überlegen angehende Planer durchaus, ob es ausreicht, für entwurzelte Flüchtlinge und traumatisierte Bürgerkriegsopfer bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Gefragt sind vielmehr - das ist die Antwort - sozialintegrative Wohnraumangebote in städtischen Zonen.
Beispielsweise zeigten Hannoveraner Architekturstudenten auf, dass es eine Alternative zu den Containersiedlungen an der Peripherie gibt, denn in ungenutzten städtischen Baulücken läßt sich eine konsequente Nachverdichtung durchführen – mit hölzernen Wohnmodulen, die sich einfach und schnell in einen Stahlskelettrahmen montieren und nach Bedarf wieder demontieren lassen.
Dafür bräuchte es aber eine Stärkung kommunaler Selbstbestimmung: Baudezernenten müssten beispielsweise Brachen oder ungenutzte Liegenschaften auswählen. Damit würden sie den Strategien von Immobilienfirmen zuvorkommen, die jeden Leerstand nur dazu nutzen, um renditeträchtige Stadtwohnungen und Townhouses für die Reichen zu schaffen.
Gefragt ist also mehr stadtpolitische Initiative. Anders sind die gewaltigen Herausforderungen für die Kommunen nicht zu lösen.

Klaus Englert, Architekturkritiker, schreibt für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung und den Hörfunk. Er war Kurator der Ausstellung "Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" (Stadtmuseum Düsseldorf) und der Wanderausstellung von "Neue Museen in Spanien". Außerdem schrieb er die Bücher "Jacques Derrida" und "New Museums in Spain".
Klaus Englert
Klaus Englert© Foto: privat
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