Explodierende Baukosten
Was hilft, gegen steigende Immobilien- und Baupreise? Die Stadt Ulm verfolgt eine Baupolitik, die private Häuslebauer unterstützt. © imago / Westend61 / Werner Dieterich
Eine Stadt hält dagegen
07:23 Minuten
Ein eigenes Haus zu bauen, ist für viele unerschwinglich, und die Preise ziehen weiter an. Ulm ist ein Beispiel dafür, wie es anders geht: Die Stadt erwirbt Grund und verkauft ihn zu moderaten Preisen weiter an Menschen, die ein Eigenheim wollen.
Am Rohbau eines Mehrfamilienhauses am Ulmer Safranberg wird spätnachmittags noch gewerkelt. Eine Baugemeinschaft verwirklicht hier ein mehrstöckiges Wohnhaus mit Gewerbenutzung im Erdgeschoss.
Die Lage ist optimal: Die Ulmer Innenstadt ist mit etwas gutem Willen noch fußläufig erreichbar, zugleich grenzt das Neubaugebiet direkt ans Grüne. Einer der Bauherren ist Markus Blum. Seine Suche nach Eigentum in Ulm hatte 2016 begonnen.
Zentrumsnah und noch bezahlbar
Mittelhäuser, Einfamilienhäuser, große Wohnungen – alles hat er sich angeschaut. Doch die Preise seien „für zwei ganz normale Arbeitnehmer eher unrealistisch. Wenn es realistisch war, waren die Angebote, gelinde gesagt, etwas frech.“
Schließlich hat sich Blum mit seiner Familie der Baugemeinschaft angeschlossen, von der Stadt Ulm kam der Zuschlag für das Grundstück. Zentrumsnah und noch bezahlbar. 720 Euro pro Quadratmeter hat die Baugruppe bezahlt.
Am freien Markt wäre an dem Standort deutlich mehr fällig gewesen, schätzt Architekt Roberto Carnevale: „Das muss man auf dem freien Markt Faktor zwei bis drei rechnen. Es sind durchaus Grundstücke hier, auf denen ich jetzt gebaut habe, die bei 1600, 1700 Euro auf den Quadratmeter verkauft wurden.“
Gezielte Baulandpolitik seit 130 Jahren
Der günstige Preis hängt mit der Baulandpolitik zusammen, die Ulm seit 130 Jahren verfolgt. Ende des 19. Jahrhunderts hob die Stadt ihre sehr erfolgreiche Strategie aus der Taufe.
Ulrich Soldner, ehemals Leiter des Liegenschaftsamtes, ist Experte für die Bodenstrategie der Stadt. Er erläutert: „Das war im Zeitalter der Industrialisierung. Als viele Fabriken viele Arbeitskräfte, Fachkräfte gebraucht haben, hat die Stadt Ulm begonnen, in der Oststadt sogenannte Arbeitereigenheime zu errichten. Und so hat die systematische Ulmer Bodenstrategie begonnen, 1894 waren die Beschlüsse im Gemeinderat."
Und weiter: "Dazu hat auch gehört, dass man von da an systematisch im Außenbereich, wo Entwicklungschancen gesehen wurden, aufgekauft hat, um dann Zug um Zug dort Bebauungspläne aufzustellen.“
An diesem Vorgehen hat die Stadt bis heute nichts geändert: Jedes Jahr stehen dem Liegenschaftsamt 16 Millionen Euro für Grundstückskäufe zur Verfügung. 4600 Hektar, mehr als ein Drittel der Fläche Ulms, gehören der Stadt. Zentraler Punkt der Bodenvorratspolitik ist laut Soldner, immer genügend Baugrund zu besitzen, um eine aktive Stadtentwicklung betreiben zu können und dabei auch den Hut aufzuhaben.
Wiederverkaufsrecht liegt bei der Stadt
Wie im Falle von Neubaugebieten. Die werden in Ulm nur erschlossen, wenn alle dafür notwendigen Flächen im Eigentum der Kommune sind. Und auch nach dem Verkauf eines Grundstücks habe die Stadt noch den Daumen drauf, sagt Soldner. Die Stadt Ulm habe ein Wiederkaufsrecht, wenn innerhalb einer bestimmten Frist die Fläche nicht bebaut würde.
„Innerhalb dieser Frist holen wir die Fläche zurück, zum damaligen Preis ohne Zuschlag. Wenn bezugsfertig errichtet ist, dann sind wir aus dem Spiel, haben aber beim Einfamilienhaus eingeführt: Mindestens zehn Jahre Selbstnutzung, sonst ist eine Nachzahlung fällig“, erklärt er.
Spekulation mit Grundstücken verhindern
So will die Stadt verhindern, dass mit ihren Grundstücken spekuliert wird. Zugleich nimmt sie als alleiniger Verkäufer neuer Baugrundstücke Einfluss auf die Preise, erläutert die heutige Leiterin des Liegenschaftsamtes Tanja Oelmayer.
Wir kalkulieren die Preise immer kostendeckend. Also, wir spekulieren nicht am Markt mit unseren Grundstücken, wir vergeben auch nicht zu Höchstpreisen, sondern wir kalkulieren auskömmliche Preise. Sprich: Was die Stadt bezahlt hat für das Grundstück, was sie an Erschließungsaufwendungen ausgegeben hat, das wird quasi eingepreist und dann vom Kunden über den Kaufpreis zurückverlangt. Aber nicht mehr.
Doch trotz der 130 Jahre alte Bodenpolitik der Stadt steht auch in Ulm der Immobilien- und Grundstücksmarkt unter Druck. Es gibt zu viele Bauwillige und zu wenig Baugrund.
Ein Beispiel: Die Stadt hat jüngst 37 neue Baugrundstücke zum Verkauf angeboten – darauf gab es 1700 Bewerbungen. Wer da keinen Zuschlag bekommt, versucht es auf dem freien Markt, den Bauherr Markus Blum beschrieben hat, und dort sind die Preise deutlich gestiegen.
Viele Bauwillige schwenken auf Wohnungen um
Gerit Bernstein vom Gutachterausschuss für Grundstücksbewertung und Immobilienpreise in Ulm analysiert alle Kaufverträge im Immobilienmarkt und verfolgt die Entwicklung.
„Ich würde sagen, ab 2014 haben die Preise deutlich angezogen, in den Jahren 2017 bis 2019 war die meiste Steigerung. Wir sehen jetzt im letzten Jahr tatsächlich ein leichtes Abflachen sowohl der Anzahl der Verkäufe als auch der Menge des Geldes, das pro Kaufpreis über den Tisch geht“, sagt er. „Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt, denn wir sehen tatsächlich, wenn wir uns die Verkäufe im Geschosswohnungsbau anschauen, dass dort keine Stagnation festzustellen ist.“
Der Gutachter schätzt, dass Bauwillige inzwischen nicht nur mangels Grundstücks, sondern auch wegen massiv steigender Baupreise lieber auf eine Wohnung umschwenken. Steigende Zinsen, schlechte Verfügbarkeit von Handwerkern, ein Mangel an Baumaterialien – das macht den Bauwilligen Sorgen.
Nachfrage und Angebot einpendeln
Dass die Stadt Baugrundstücke günstiger anbieten kann, habe in der Gemengelage einen überschaubaren Einfluss, meint Architekt Roberto Carnevale. „Gemessen an dem, was jetzt auf dem Markt passiert ist, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Was kann die Kommune noch tun? Bauen, bauen, bauen, sagt Ulms Baulandpolitik-Experte Ulrich Soldner. Und das tue neben Ulm auch die Nachbarstadt Neu-Ulm. Soldner ist der Überzeugung, dass sich das Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Immobilienmarkt wieder einpendeln wird.
Bauherr Markus Blum steht unterdessen auf der Baustelle am Ulmer Safranberg und schaut nach oben zu seiner zukünftigen Maisonettewohnung. Was er am Ende bezahlen wird, das will er selbst angesichts des schon stehenden Rohbaus lieber nicht schätzen.
„Wie es bei so was immer ist. Man fängt etwas kleiner an, dann wird es etwas mehr, dann kommt irgendwo ein Kostenaufschlag hinzu, dann wird es irgendwo etwas billiger. In einem Jahr setzen wir uns oben hin, dann sage ich Ihnen, wie viel es gekostet hat“, sagt er.