Wem nützt der "Königsweg" am Königsstuhl?
Seit 2016 ist der kostenfreie Abstieg vom Königsstuhl zum Strand von Rügen nicht mehr begehbar. Mecklenburg-Vorpommern will die Treppe nicht erneuern, dafür aber eine teure Stahlkonstruktion bauen. Eine Bürgerinitiative ist dagegen.
Zu Gast im Nationalpark Jasmund auf der vorpommerschen Ostseeinsel Rügen, gelegen zwischen Sassnitz und Lohme. Hier befindet sich auch der Königsstuhl, Rügens höchster und berühmtester Kreidefelsen. Wer den Königsstuhl betreten will, muss in der Regel dreimal dafür zahlen: Am Parkplatz Lohme. Im Zubringerbus. Und schließlich 9,50 Euro für den Eintritt ins Nationalparkzentrum Königsstuhl, das auch Führungen anbietet.
"Die Kreidefelsen sind entstanden vor über 70 Millionen Jahren. Da war hier das Kreidemeer, und im Kreidemeer lebten ziemlich viele von diesen Algen. Die Algen hatten so ein Kalkskelett. Und immer, wenn die gestorben sind, sind die so wie Schnee auf den Meeresboden gerieselt und haben Schichten gebildet…."
Jährlich gönnen sich rund 270.000 Besucher den Blick vom 118 Meter hohen Königsstuhl auf die Kreideküste mit ihren tiefen Schluchten und zweihundertjährigen Buchen sowie den Blick aufs offene Meer.
"Wenn man hier so die Segelschiffe entlangfahren sieht: Ein ganz tolles Panorama!"
Umweltministerium will Treppe nicht erneuern
Doch die Idylle ist etwas trügerisch, denn aus zwei Gründen gibt es Zwist. Zum einen geht es um den sogenannten "Königsweg" - ein ingenieurstechnisch anspruchsvolles Bauprojekt. Die geschätzten Kosten von 7 Millionen Euro für die Stahlkonstruktion, die künftig über dem Königsstuhl schweben soll, will hauptsächlich das Land Mecklenburg-Vorpommern tragen. Zum anderen aber weigert sich das zuständige Umweltministerium in Schwerin, die Treppe vom Hochuferweg hinunter zum Fuße des Königsstuhles zu erneuern und damit eine 200 Jahre lang genutzte Route begehbar zu halten.
Doch warum gilt die Kreide in einem Fall als zu riskanter Baugrund und im anderen Fall nicht? Welche Rolle spielt das Nationalparkzentrum Königsstuhl, das von einer gleichnamigen GmbH betrieben wird? Deren Hauptanteilseigner: die Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature, WWF.
Ingolf Stodian ist im Nationalparkamt Vorpommern zuständig für die Außenstelle Jasmund auf Rügen. Die ist verantwortlich für den Erhalt des Jasmunder Buchenurwaldes und der Kreidefelsen, die zum UNESCO-Weltnaturerbe zählen. Dass seine Behörde und das Schweriner Umweltministerium endgültig keine Treppe mehr in Königsstuhl-Nähe haben wollen, obwohl sie die bisherige noch im März 2016 für 400.000 Euro erneuern wollten, begründet der Landesbeamte so:
"Wir waren mehrere Jahre zuvor in der Prüfung der Möglichkeiten, dort einen wirklich stabilen Ersatz zu schaffen und hatten nach vielen Jahren alles so weit vorbereitet, hatten sogar das Geld. Aber die Umsetzung - zu der kam es nicht mehr. Durch diesen unglücklichen Umstand mit der Hangrutschung an der Treppe, dass der Baum uns diese zerschlagen hatte - das führte natürlich zu einer juristischen Prüfung: Was machen wir dort an dem Hang überhaupt? Diese Prüfung war dann nach längerer Zeit zu dem Ergebnis gekommen, dass man das an dieser Stelle einfach nicht mehr vertreten kann."
Zu stark fressen Wind und Wasser die Kreidefelsen und das Strandufer an.
"Denn dadurch, dass da das Wasser inzwischen sehr regelmäßig bis an den Cliff-Fuß heranschwappt und alles wegräumt, was sich dort irgendwie abgelagert hat, hat sich dort eine Steilwand herausgebildet. In einigen Bereichen nur drei, vier, fünf Meter hoch. Will man dort etwas errichten, werden das gewaltige Bauwerke, die aber nur eine ganz geringe Lebenszeit hätten."
Vor allem aber gehe es um die Sicherheit der Strandspaziergänger. Weil die Gefahr von Hangrutschungen, gar Abbrüchen lauere, wolle man die Besucherströme nicht mehr zum Fuß des Königsstuhles lenken.
"Und in der Gesamtschau kam unser Ministerium zu der Einigung: An dieser Stelle ist es eben nach 200 Jahren leider zu Ende."
Lohmer Bürgerinitiaitve: Ministerium dramatisiert die Lage
Doch der Strand am Königsstuhl ist nicht etwa gesperrt. Nach wie vor tummeln sich dort Spaziergänger. Sie müssen allerdings einen längeren Strandmarsch entlang der Steilküste in Kauf nehmen. Etwa 7 Kilometer von der einen Seite aus Sassnitz kommend, rund 6 km von der anderen Seite aus Richtung Lohme, sagt der Lohmer Hotelier und Bürgermeister Matthias Ogilvie.
"Dann käme man aber nicht mehr hoch, sondern frühestens am Kieler Bach, der noch mal 3,5 Kilometer weiter Richtung Sassnitz liegt. Das machen aber immer noch viele Leute. Das heißt, die Gefährdungslage ist sogar vergrößert, weil die länger wandern müssen, wenn sie denn die Kreideküste von unten sehen möchten. Und das ist ein Bedürfnis, das sehr, sehr viele Menschen haben."
Diese Erfahrung machen auch der Fliesenleger Burkhard Rahn und der Gastronom und Hotelier Jörg Burwitz von der Bürgerinitiative "Bewahrt Lohme!". Das Küstendorf mit seinen 450 Einwohnern setzt vor allem auf sanften, naturnahen Wandertourismus. Damit die Gegend auch attraktiv für Wanderer bleibt, kämpfe man dafür, dass es im benachbarten Bereich des Königsstuhls bald wieder eine begehbare Verbindung zwischen Hochuferweg und Strand gibt, sagt Jörg Burwitz.
"Wir haben nie ein gewisses Gefährdungspotential an der Steilküste in Frage gestellt. Bloß man muss es auch nicht dramatisieren. Unserer Meinung nach müssen wir es dem kundigen Bürger überlassen zu entscheiden, ob er sich ein Stück weit in die Gefahr begibt, um die Natur zu erleben, oder ob er es sein lässt. Wir haben das mal recherchiert. Den letzten Todesfall, den es nach dem Szenario des Umweltministeriums geben könnte, hat es 1936 gegeben an der Steilküste: Uferabbruch, und da ist jemand verschüttet worden."
Bei allen anderen Unfällen hätten sich die Menschen unvernünftig oder lebensmüde über konkrete Warnungen und Absperrungen hinweggesetzt, ergänzt Burkhard Rahn. Er verweist zudem auf eine Studie vom Geologischen Forschungszentrum Potsdam. Der erstaunliche Befund: Der größte Teil der Abbrüche entlang der Rügener Kreideküste findet im Winter statt und in 80 Prozent dieser Fälle nachts, wenn kein Mensch mehr spazieren geht.
"Sie wissen nicht warum. Aber auch das ist ein Argument, dass die Gefahr am Tage weit geringer ist."
Die Lohmer Bürgerinitiative sieht Anhaltspunkte dafür, dass es das Umweltministerium zumindest nicht nur aus Sorge um gefährdete Spaziergänger ablehnt, die jetzige Treppe instand zu setzen oder an einer leicht versetzten Hangroute eine neue zu bauen.
"Wir sind der Meinung, dass sämtliche kostenfreien Angebote dort zurückgefahren bzw. ausgeschaltet werden sollen, um das Überleben der Nationalpark-Zentrum GmbH, sprich: der GmbH des WWF - zu 70 Prozent gehört sie nämlich dem WWF - zu garantieren."
Kostenfrei ist im Nationalpark Jasmund tatsächlich nur das Wandern auf dem Hochuferweg, der auch auf den benachbarten Aussichtspunkt Victoria-Sicht führt. Noch, fürchtet Burkhard Rahn mit Blick auf die Nationalpark-Zentrum GmbH.
"Das kann nicht sein, dass sich maßgebliche Leute aufregen, wenn Busfahrer im Bus zum Königsstuhl auf die Schönheit der Victoria-Sicht hinweisen. Das möchte man zum Beispiel nicht, und deshalb sind wir der Meinung, dass man da oben recht froh ist, dass der Abstieg, der das zweite kostenfreie Angebot war, jetzt nicht mehr da ist. Denn sie sehen auch: 500.000 Gäste besuchen den Nationalpark; 270.000 waren im Zentrum."
Zu wenig Interesse an kostenpflichtiger WWF-Ausstellung
Das ist auf ein Jahr gerechnet und zeigt: Nur ein Teil zahlt 9,50 Euro Eintritt. Der große Rest hält sich in der Nähe auf, zieht aber das obulusfreie Naturerlebnis vor. Schlecht für die Betreiber des 2004 eröffneten Nationalparkzentrums, dessen Bau das Land Mecklenburg-Vorpommern kräftig gefördert hatte. Das moderne Gebäude beherbergt eine WWF-Dauerausstellung, eine Cafeteria und die Mitarbeiter von Nationalparkverwaltung und Betreiber-GmbH.
"Es gab ja die Drei-Meilen-Grenze und einen Beobachtungsturm …"
Ansonsten gehört zu dem seinerzeit großzügig eingezäunten Areal auch die einzige Zuwegung zum Königsstuhl.
Weil sich schon bald herausstellte, dass zu wenige Besucher die kostenpflichtige WWF-Ausstellung sehen wollten und die Refinanzierung eines 3-Mio-Euro-Kredites stockte, erhielt die GmbH die Erlaubnis, auch von jenen Besuchern den vollen Eintrittspreis zu erheben, die nur einen Blick vom Königsstuhl werfen wollten. Aber, so erinnern sich Burkhard Rahn und Jörg Burwirtz:
"Es war damals angedacht, diese Kombination Königsstuhl und Ausstellung für den Zeitraum zu nutzen, wo die Baufinanzierung dieser Anlage notwendig war. Danach sollte das dann wieder entkoppelt werden. Ich denke mal, darüber müsste man auch reden, dass der Königsstuhl eben nicht instrumentalisiert wird die Ausstellung des WWF zu finanzieren ist."
"Und mit dem 'Königsweg' und mit der angedachten Streckenführung dieser Brücke zementieren wir diese Geschichte auf ewig. Und das möchten wir nicht."
"Königsweg" soll sieben Millionen Euro kosten
Im Zusammenhang mit der Kreideküste ist der sogenannte "Königsweg" das zweite große Gesprächsthema auf der Insel Rügen, speziell in der Stadt Sassnitz. Zu Gast auf Bürgerinformationsveranstaltungen: auch der Geschäftsführer des Nationalparkzentrums, Mark Ehlers.
Er versucht die Furcht mancher Rüganer zu zerstreuen, die geplante 90 Meter lange Stahlseilbrücke, die als Rundweg in Ellipsenform über dem Königsstuhl schweben soll, werde den einmaligen Anblick des berühmten Kreidefelsens zerstören. Ja, seitlich werde der an Stahlseilen hängende Rundweg bis zu drei Meter über die heutige Aussichtsplattform des Königsstuhles ragen und die Besucher über die tiefen Schluchten führen. Doch nach vorn Richtung Meer rage der Königsweg keinesfalls über den Königsstuhl hinaus.
"Also es ist schon eine vergleichsweise dezente Wegeführung, und die gesamte Gründung und Aufhängung erfolgt im Hinterland, wenn man so will. Hinten mit einem Pylon, der dann doch recht hoch ist. Also 40 Meter immerhin und damit auch etwas höher als diese mächtigen Buchen, die hier stehen. Also ganz verstecken werden wir ihn nicht können."
Viele Rüganer stören sich an den veranschlagten Kosten von sieben Millionen Euro aus den öffentlichen Kassen für ein Bauwerk, das ihrer Meinung nach überhaupt nicht in die Kreidefelsenlandschaft passt. Doch man möge bedenken, dass der Königsstuhl komplett entlastet würde, weil ihn niemand mehr betreten werde.
"Also das ist ja immerhin ein ganz kleiner Raum nur, diese Plattform, die von vielen hunderttausend Menschen im Jahr betreten wird und jeder nimmt so einen ganz kleinen Krümel mit. Das sieht man auch auf dem Königsstuhl. Der ist schon pfannenartig ausgebildet. Da steht im Sommer das Wasser drauf, denn jeder Gast nimmt ja einen kleinen Krümel mit.. Und auch der Zugang ist ja nicht auf alle Zeiten sicher.
Außerdem, so Geschäftsführer Mark Ehlers:
"Das ist ja nicht der erstbeste Entwurf, der hier umgesetzt werden soll, sondern da wurde jahrelang intensiv geprüft und wirklich zentimeterweise geguckt: Wie kann man das Bauwerk so gestalten, dass möglichst wenig Eingriff in den vorhandenen Buchenwald geschieht. Auch die Art der Konstruktion soll ja dazu dienen, der Natur den Königsstuhl zurückzugeben. Wir renaturieren ja auch eine Fläche, die bisher intensivst genutzt wird. All das muss man ja auch dagegen halten.
Und was mir auch immer ganz wichtig ist: Wir machen das ja nicht, um noch mehr Gäste hierher zu holen oder so, sondern uns geht es ja auch ganz wesentlich um Umweltbildung. Das Nationalparkzentrum ist hier am Königsstuhl gelegen, weil man eben mal festgelegt hat, dass man hier die Gäste des Königsstuhls auch mit Informationen zum Nationalpark versorgen wollen. Dass wir die Leute begeistern wollen, Verständnis wecken wollen für Naturschutzthemen. Das kann man hier am Königsstuhl besonders gut, und der Königsweg soll dem ja auch dienen, sag ich mal. Er soll die Umweltbildung für die nächsten Jahre unterstützen."
Sperrung des Königsstuhls als Alternative
Man könne sich freilich auch fürs Nichtbauen entscheiden und den Königsstuhl sperren, wenn die Gefahr von Abbrüchen zu groß geworden ist. Das wäre dann allerdings für immer und deshalb keine Option - weder für das Land Mecklenburg-Vorpommern noch für die Stadt Sassnitz, die nun als offizielle Bauherrin des Königsweges in die Genehmigungsverfahren geht. Gut so, findet Stefan Grunau, Mitglied im Bau- und Finanzausschuss der Stadtvertretung Sassnitz.
"Weil ich der Auffassung bin, dass durch die Erosion dort am Königsstuhl die Gefahr besteht, dass der Königsstuhl in absehbarer Zeit geschlossen wird für die Öffentlichkeit. Diese Auswirkungen halte ich für Sassnitz im Besonderen, aber auch für die Insel Rügen im Allgemeinen für verheerend."
Der selbständige Unternehmer im Bereich Fremdenverkehr ist froh, dass der im Sommer anberaumte Bürgerentscheid, der bis Ende Oktober laufen sollte, wegen formaler Fehler ausgefallen ist. Nicht auszudenken, so der CDU-Mann, wenn die Gegner des Königsweges mit ihrer Strategie Erfolg gehabt hätten.
"Da sind Bildmontagen, Fotomontagen vorgelegt worden, die in keinster Weise dem Projekt entsprachen, die das Planungsbüro hier öffentlich vorgestellt hat. Das ist eigentlich eine Methode gewesen, die wir hier in Sassnitz hinlänglich kennen. So ist damals Anfang der 90er-Jahre gegen die Meyer Werft agiert worden. So ist gegen die Windkraftanlagen agitiert worden, auch mit ähnlichen Fotomontagen."
Für den jüngsten Entwurf haben sich sämtliche Parteien und Interessenvertretungen ausgesprochen, auch die Naturschutzverbände erklärten sich gegen das Versprechen diverser ökologischer Ausgleichsmaßnahmen damit einverstanden, dass in dem streng geschützten Nationalparkareal rund um das künftige Bauwerk circa 30 junge Bäume und eine alte Buche gefällt werden müssen.
Derweil hat Burkhard Rahn aus Lohme, der für einen sanften Wandertourismus und das Aufrechterhalten der letzten kostenfreien Naturerlebnisse am Königsstuhl kämpft, einen Alternativvorschlag.
"Der Königsstuhl als Fels gilt nicht als unsicher. Der Zugang zum Königsstuhl erodiert stark und ist vielleicht in 15, 20 Jahren nicht mehr begehbar. Warum kann man dann keine Brückenkonstruktion über die Schlucht parallel zum jetzigen Zugang machen. Eine Streckenführung auf den Königsstuhl, die dann eine separate Streckenführung später wieder möglichen machen würde und keinen monströsen Pylon erfordern würde und wahrscheinlich nicht ein Drittel oder Viertel kosten würde."
Doch das sei offenkundig ebenso wenig gewollt wie ein weiterhin kostenfreier Abstieg zum Fuße des Königsstuhls, um diesen 118 Meter hohen Kreidefelsen von unten betrachten zu können.
"Wie eine Sprecherin des Umweltministeriums sagte: 'Wir wollen die Besucherströme kanalisieren". Das Kanalisieren aber kann für uns nicht bedeuten, dass der Kanal so eng gefasst wird, dass er am Eingang des Nationalparkzentrums mündet."