Edelstahltöpfe so groß wie Heizölkessel
Das größte Hotel Deutschlands, das Estrel in Berlin, soll einen neuen Turm bekommen - und würde damit zum höchsten Gebäude Berlins. Und: Es liegt nicht etwa in Mitte, sondern in den Tiefen Neuköllns.
Der Reisebus aus Vechta hält kurz hinter der gläsernen Spitze des modernen Hotelmonstrums. Die große automatische Glasschiebetür geht auf und der Bus spuckt Berlinbesucher mit Rollkoffern und Umhängetaschen in die Lobby .
"Wir sind mit der Bustouristik Hoffmann hier, ca. mit 60 Leuten und dann haben wir hier eingecheckt. Das ist eine 3-Tage-Reise, morgen Stadtrundfahrt und am Sonntag Brandenburger Tor und dann Heimreise."
Sofort verschwinden die Neuankömmlinge in der Weite, mischen sich mit Herren im dunklen Anzug, die hier an einem Medizinkongress teilnehmen, einer Großfamilie aus Italien, Geschäftsreisenden aus Stuttgart und den Mitgliedern eines Chors aus Dänemark. Die Lobby ist ein glasüberdachtes Atrium, so groß wie ein halbes Fußballfeld. Eine Art Dorfplatz mitten im Hotel mit Springbrunnen, Bäumen, Restaurants, Sesseln und Bänken und natürlich der Rezeption hinter einem mindestens 20 Meter langen Tresen.
"You are staying with us for one night? One night. Your Room is located in wing number two in the eleventh floor. It is right over there, you take those Elevator …"
Die junge russische Ärztin verschwindet zum Aufzug. Lange warten muss niemand, hier ist man auf viele Gäste eingestellt. In vier Flügeln hat das Hotel 1125 Zimmer und über 2000 Betten. Das größte Hotel Deutschlands. Ausgerechnet im Berliner Schmuddelbezirk Neukölln.
Die Nähe zum künftigen Großflughafen Schönefeld war bei der Standortwahl entscheidend. 1994 wurde eröffnet. Wann der Flughafen mal fertig wird, steht in den Sternen. Ute Jacobs, die seit fast 20 Jahren hier Direktorin ist, schmunzelt:
"Na, das Hotel funktioniert ja auch ohne den BER, obwohl wir ihn uns seit Jahren wünschen und dann natürlich das erste Haus auch am Platz sind. Weil, es wäre natürlich so ein bisschen auch das Tor in die Stadt hinein, wenn denn der Flughafen kommt."
Wenn er denn kommt. Aber auch so profitiert das Hotel vom Flugverkehr, besonders wenn dabei etwas schiefgeht. Niemand anders kann die Passagiere eines vollbesetzten Jumbos, die in Berlin vielleicht ihren Anschluss verpasst haben, mal eben so unterbringen:
"Dann kommt ein Anruf, wir sind ja da gelistet bei den Fluggesellschaften, und dann gucken wir ob wir wirklich noch zum Beispiel 150 Zimmer gerade frei haben und dann werden die Gäste, die quasi gestrandet sind und erst am nächsten Morgen weiterkönnen, werden die hierhergebracht und kriegen dann von uns auch wenn es nachts ist und teilweise spät ist, sind bei uns immer die Restaurants noch offen und dann kann man hier noch schnell was essen und dann bis zum nächsten Morgen die Zeit hier bei uns verbringen."
Hier steigen aber nicht nur Busreisende und Fluggäste ab. Von Schröder bis Merkel von Gottschalk bis Julio Iglesias -alle waren schon hier. Im Hoteleigenen Veranstaltungszentrum finden Parteitage, Boxkämpfe und Fernsehshows statt. Genug ist das dem Besitzer Ekkardt Streletzki aber noch nicht. Sein Gigant soll noch gigantischer werden. Die Präsidentensuite liegt im 11. Stock. 250 Quadratmeter.
Handwerker und Künstler müssen dem Neubau weichen
Miranda Meier öffnet die Balkontür und zeigt auf eine Brachfläche an der einen und ein altes Industriegebiet auf der anderen Seite des Hotels.
"Das sind so alte Fabrikgebäude, die werden abgerissen und da entsteht dann unser neues Congress Center. Da sind zum Teil kleine Werkstätten drin, Handwerker aber auch ein paar Künstler und da laufen jetzt die Mietverträge aus, so dass wir halt bald anfangen können dort zu bauen."
Auf der Brache an der anderen Seite soll auf 33.000 Quadratmetern Berlins höchstes Wohngebäude entstehen. 176 Meter, 50 Stockwerke, nochmal 700 Zimmer. Ein Architekten-Wettbewerb läuft. Maßlosigkeit oder mangelnde Bodenhaftung wirft dem Chef kaum jemand vor, die Senatsverwaltung hat nach anfänglicher Skepsis eingelenkt, schließlich geht es um Arbeitsplätze. 700 Mitarbeiter beschäftigt das Estrel bereits jetzt, weitere Hunderte sollen folgen.
Neben den Flugreisenden und den Touristen sind die Kongressteilnehmer das wichtigste Standbein im Hotelgeschäft. Ein Nierenarzt aus der Schweiz sitzt während der Kongresspause beim Kaffee mit zwei Kollegen unter einem Baum im Atrium. Gut acht Kilometer sind es von hier bis zum Brandenburger Tor. Etwas zu weit für eine Mittagspause, meint er bedauernd.
"Ich persönlich wäre jetzt lieber in der Berliner Mitte weil das letzte Mal, dass ich in Berlin war, stand noch die Mauer und war völlig intakt. Also von daher wäre das schon spannender. Aber bezogen auf das Geschäftliche, für Businessveranstaltungen, die hier stattfinden, ist das ein ideales Zusammenstellen von Schlafen, gemeinsamem Arbeiten - und am Ende das Netzwerken eine vernünftige Kombination ist."
Trockenen Fußes unter Glas gehen die Tagungsteilnehmer anschließend wieder in ihren Saal.
700 Mediziner werden hier mit Leichtigkeit untergebracht. Der Kongressbereich ist insgesamt 15.000 Quadratmeter groß. Damit wird für das Hotel das meiste Geld verdient. Alle Tagungsteilnehmer dabei gleichzeitig mit einem 3-Gänge-Menü zu versorgen ist Routine.
13 Küchen gibt es im Hotel. Ein Koch rührt in einem runden Edelstahltopf so groß wie ein Heizölkessel mit einem Löffel von den Ausmaßen einer Schneeschaufel. Die Soße für das Entrecote für die Kongressteilenehmer ist fertig. Keine größere Herausforderung. Kurz vor Weihnachten sind aber auch schon mal 2500 Gänsekeulen auf einmal zu servieren, sagt Koch Tom Setzepfandt.
"Das ist ein großes logistisches Problem, logisch. Da wir aber hier über die nötige Größe verfügen arbeiten wir an diesem Tag mit 15 Öfen und in einen Ofen passen ungefähr 150 Gänsekeulen und genauso ist es mit den 6000 Portionen Klößen, 150 Liter Soße usw. Det ist ja det Tolle, det können nur wir. Na klar ist man da stolz."
Weil der Weg abends in die Stadt weit ist, gibt es eigene Unterhaltungsveranstaltungen.
Die legendäre Doppelgänger Show "Stars in Concert" im Veranstaltungstrakt des Hotels läuft seit 16 Jahren ununterbrochen, fast täglich und fast immer ist sie ausverkauft. Hier kommen auch viele Berliner und Gäste aus dem Umland.
Für 79 Euro gibt's Show, Übernachtung und Frühstück. Ist es der Preis? Ist es die Anziehungskraft der Hauptstadt? Sind es die fast unbegrenzten Tagungsmöglichkeiten? Die Rundum-Sorglos-Pakete der Reiseanbieter? Oder die Möglichkeiten auch kurzfristig große Menschenmengen unterzubringen? Das größte Hotel Deutschlands jedenfalls hat keine Probleme mit der Auslastung. Im Gegenteil. Es wird noch größer.