Baustelle auf dem Display

Wie Virtual Reality die Stadtplanung verändert

Lorenz Matzat, Journalist, spricht in Köln auf dem 25. Medienforum NRW.
Der Datenjournalist Lorenz Matzat © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Von Philipp Eins |
Ob Stuttgart 21 oder der Ausbau der Stadtautobahn A 100 in Berlin: Städtebauliche Großprojekte führen regelmäßig zu Konflikten zwischen Auftraggebern und Bürgern. Mithilfe der virtuellen Realität könnte die Stadtplanung simuliert und dadurch anschaulicher werden. Welche Folgen hat das?
Es braucht nicht viel, um in die Zukunft zu schauen. Eine Virtual-Reality-Brille genügt, ein Kopfhörer für die Augen: Kaum habe ich sie mir aufgesetzt, tauche ich ein in ein virtuelles Modell von Berlin.
Die Häuser sind zwar undeutlich, als ob ich aus der Vogelperspektive schwebend in eine Google-Maps-Landschaft blicke. Dennoch gibt mir die Animation einen groben Eindruck davon, wie es in den Berliner Stadtteilen Treptow und Friedrichshain aussehen wird, wenn die umstrittene Verlängerung der Stadtautobahn A 100 tatsächlich die Straßenzüge durchschneidet. An den Ausfahrten der blau markierten Trasse könnte sich der Verkehr recht nahe an den Balkonen der Anwohner vorbeischieben.

Mit Visualisierung die politische Diskussion stärken

Entwickelt wurde die Visualisierung vom Datenjournalisten Lorenz Matzat. Die virtuelle Realität ist ein Spielfeld für Journalisten, Game-Entwickler und Filmemacher. Aber auch Architekten und Stadtentwickler interessieren sich für die neue Technologie. Matzat glaubt, mit seiner Arbeit die politische Diskussion zu stärken.
Matzat: "Ich glaube schon, dass das einen demokratisierenden Effekt haben kann. Viele Leute sind, glaube ich, nicht in der Lage, Bauzeichnungen etc. wirklich zu verstehen. Das ist zu abstrakt, dafür muss man ausgebildet sein. Und wenn ich mich aber wirklich in eine Simulation bewegen kann, wo ich das wirklich sozusagen empfinden kann, wie so ein Bauprojekt wirken wird wirklich von der Straßenperspektive aus, oder wenn ich da Anwohner bin, wie das aus meinem Fenster aussehen wird, dann ermöglicht das andere Auseinandersetzungsformen."
Am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart entwickeln Forscher virtuelle Umgebungen, die noch einen Schritt weiter gehen. So könnten sich Bürger zukünftig nicht nur über Baupläne in der virtuellen Realität informieren, sondern auch Notizen hinterlassen und Bauvorhaben mitgestalten. Der Vorteil: Im Gegensatz zu Modellen aus Pappe oder Plastik lassen sich Änderungen in der virtuellen Realität schnell umsetzen. Thomas Bedenk von der Digitalagentur Exozet sieht hier eine Chance für die Stadtplanung.
Bedenk: "Wer auch immer sich dieses Tool in die Hand nimmt, hat natürlich die Möglichkeit, die Leute von seinem Anliegen zu überzeugen. Das kann die Bürgerbewegung sein, das kann die Stadtentwicklung sein. Demnach ist es vielleicht sogar ne gute Idee für die Stadtentwicklung, so was sowohl bei der Entwicklung, Planung als auch bei der Kommunikation einzusetzen. Aber auch die Bürgerbewegung kann natürlich auch sehr viel stärker visualisieren und vielleicht sogar den Politikern klarmachen, was da auf die einzelnen Leute an Belastung zukommt."

Visualisierungen werden geschönt

Es gibt auch kritische Stimmen. Die Architektenkammer Berlin weist darauf hin, dass Visualisierungen oft geschönt werden. Das Licht wird aufgehellt, nirgends liegt Müll auf der Straße – Architektur in der virtuellen Realität ist zu perfekt. Autolärm und Gestank von Abgasen lassen sich außerdem schlecht simulieren.
Auch der Berliner Stadtplaner Bastian Lange warnt vor zu großen Hoffnungen. Er meint, aufwendige Animationen von umstrittenen Bauprojekten würden nicht unbedingt zu einer sachlicheren Debatte führen.
Lange: "Ein Mehr an Informationen führt meiner Erfahrung nach eher zu einem Mehr an differenzierten und auch in sich starken Meinungen, vielleicht sogar auch zu einem höheren Maß an Streit und Beteiligungskultur. Das kann gut sein, wenn sich profunderes Wissen einbringt und profundere Meinungen zeigen. Aber ob das Konflikte aushebelt, das mag ich erst mal stark zu bezweifeln."
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