Baustelle Energiewende

Von Dieter Nürnberger |
Ausufernde Strompreise, ein schleppender Umbau der Netze und die ungelöste Endlagerfrage: Bis 2022 soll in Deutschland Schluss sein mit der Atomkraft - doch bei der Energiewende gibt es noch etliche ungelöste Probleme.
Knapp zwei Jahre nach dem beschlossenen Atomausstieg wird das Wort von der Energiewende kaum noch ohne den Zusatz Baustelle verwendet. Zumindest in diesem Punkt sind sich die Politiker - egal welcher Couleur - einig.

Der Atomausstieg soll nach dem Bundestagsbeschluss vom Juni 2011 bis Ende 2022 vollendet sein. Allein 2011 wurden in Deutschland acht Meiler vom Netz genommen, die derzeit noch verbleibenden ebenfalls acht Kernkraftwerke mit insgesamt neun Reaktorblöcken sollen zwischen 2015 und 2022 ihren Betrieb einstellen.

Dass die Atomkraft in Deutschland keine Zukunft hat, wurde Anfang dieses Jahres von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) noch einmal ausdrücklich bestätigt – der Minister reagierte damit auf Aussagen seines Parteifreundes Günther Oettinger, der in der EU-Kommission für Energiefragen zuständig ist. Oettinger hatte über einen Fortbestand der Kerntechnik in Deutschland auch über das geplante Ausstiegsjahr hinaus spekuliert.

Doch stellen jene, die den Atomausstieg noch oder wieder in Frage stellen, wohl lediglich eine Minderheit dar. Felix Christian Matthes vom Freiburger Öko-Institut gilt als einer der versiertesten Energieexperten in Deutschland. Für ihn ist die Sache gelaufen:

"Der Ausstieg ist –glaube ich – unumkehrbar. Die Mehrheiten sind dafür. Die zentrale Frage ist nicht der Atomausstieg."

Laut Matthes geht es nun vor allem darum, den Einstieg in eine Zukunft ohne Atomkraft hinzubekommen. Hierbei spielen drei Aspekte die Hauptrolle: Die künftige Energieversorgung Deutschlands muss ökologisch, bezahlbar und sicher sein. Auch dieser Dreiklang ist parteiübergreifender Konsens, doch liegt der Teufel bekanntlich im Detail.

Ökologisch heißt vor allem Nutzung erneuerbarer Energien, 2050 sollen sie in Deutschland so gut wie 100 Prozent des Bedarfs abdecken. Dafür ist jedoch ein kompletter Umbau der Stromnetze erforderlich. Da die Erneuerbaren nicht grundlastfähig sind, müssen auch neue Speichertechnologien entwickelt, zudem Reservekapazitäten bereitgestellt werden, die auf Gas- oder vielleicht auch noch auf Kohlebasis arbeiten. Heute hat zwar die Energiegewinnung aus Wasser, Wind, Sonne und Co. schon einen Anteil von 25 Prozent, doch steigen dadurch auch für die Verbraucher die Stromkosten. Umweltminister Altmaier taxierte die Kosten der Energiewende unlängst auf sage und schreibe eine Billion Euro. Deshalb ist auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die darin festgeschriebenen Einspeisevergütungen für Betreiber der neuen Anlagen eine Baustelle, soll heißen, es besteht Reformbedarf.

Die Endlagersuche geht weiter
Apropos Kosten: Derzeit klagen die Kernkraft-Betreiber RWE und Vattenfall gegen Regularien des von der Bundesregierung beschlossenen Atomausstiegs. Auch hier geht es um mehrere hundert Millionen Euro.

Der Aspekt Sicherheit der Energieversorgung umfasst zwei Bereiche: Zum einen muss das künftige Netz stabil und krisensicher sein, zum anderen heißt Sicherheit aber auch, dass die Abfälle der Kernkraft nicht vergessen werden dürfen. Wohin also mit den atomaren Altlasten? Spätestens 2030 soll es ein nationales Atommüll-Endlager geben, allerdings sind die Chancen auf eine politische Einigung erst einmal wieder in weite Ferne gerückt, weil Niedersachsen nach dem Machtwechsel hin zu Rot-Grün den bisher von der Bundesregierung favorisierten Standort Gorleben kategorisch ablehnt. Stephan Weil (SPD), Niedersachsens neuer Ministerpräsident:

"Niedersachsen hat kein Recht, sich insgesamt aus der Endlagersuche auszuklinken. Wir haben aber jedes Recht, dafür zu streiten und uns auch so zu verhalten, dass Gorleben als Endlagerstandort herausgenommen wird aus dieser Suche. Das wird unsere weiteren Gespräche in dieser Richtung prägen."

Die Baustelle Endlagersuche strahlt somit weiter.

Das Fazit zwei Jahre nach Fukushima: Politisch beschlossen wurden der Ausstieg aus der Atomkraft und der Einstieg in die Energiewende. Umweltminister Altmaier drückt es so aus:

"Es ist einfach so, dass wir lange Zeit geglaubt haben, dass es reicht, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu fördern und das Andere wird sich von selbst ergeben. Es ergibt sich aber nicht von selbst und deshalb muss der Staat handeln!"

Somit wird auch künftig der Zusatz "Baustelle" beim Begriff Energiewende bestimmt nicht fehlen.
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