"Baut den Apparat um!"
Wie viele Theater, Opern und Museen braucht ein Land wie Deutschland? Diese Frage stellt Stephan Opitz, einer der Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt". Derzeit werde die Kulturlandschaft ungerecht finanziert. Auch über Subventionen müsse nachgedacht werden.
Ulrike Timm: Derzeit fördern wir Lobby und Institutionen, nicht die Kunst, lesen wir heute im "Spiegel". Eine Streitschrift von vier Autoren, die wird für Wirbel sorgen, zeitgleich erscheint ein Buch: "Der Kulturinfarkt". Allein das Foto, was es im "Spiegel" heute zu sehen gibt: eine ganze Seite mit schönen Opern- und Theatersälen, dazu die Frage: Und was wäre, wenn es die Hälfte davon weniger gäbe? – Dass es allein schon als ketzerisch gilt, diese Frage zu stellen, monieren die Autoren und konstatieren: Zu viel Geld fließt in verkrustete Strukturen, die keiner mehr infrage stellt. Und Kultur für alle ist ohnehin eine Illusion der 70er-Jahre, die sich fast erledigt hat. Viel Sprengstoff steckt in diesen Zeilen! Mit geschrieben hat sie Stephan Opitz, Professor für Kulturmanagement an der Uni in Kiel. Herr Opitz, ich grüße Sie!
Stephan Opitz: Guten Tag!
Timm: Die Hälfte, mit Fragezeichen, so wird es formuliert. Aber letztlich ist es ein Aufruf, die öffentlich geforderten Kulturinstitutionen von Oper, Theater, Orchestern und Museen von 50 Prozent ihrer Subventionen abzunabeln. Wollen Sie wirklich den Kahlschlag für ein System, um das uns die halbe Welt glühend beneidet?
Opitz: Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen möglicherweise einen Umbau oder wir schlagen vor, dass man über einen Umbau reden müsste. Es geht auch nicht darum, die Hälfte des Geldes zu kürzen, sondern es geht darum, möglicherweise die Hälfte der in Stein gegossenen Institutionalität zurückzufahren und mit dem verbleibenden Rest des Geldes dann unter anderem für diese Institution die rechten Geldmengen zu bewegen. Klasse kostet. Und wir wissen alle, dass die Theater, die Museen, die Bibliotheken, die Archive und so weiter landauf, landab gewaltige Schwierigkeiten haben, überhaupt noch die Arbeiten zu machen, für die sie eigentlich mal gegründet worden sind.
Timm: Das heißt aber dann de facto: Die Hälfte – oder vielleicht auch etwas weniger als die Hälfte – dieser Opern, Theater, Orchester und Museen fiele dann trotzdem weg, selbst wenn dann nicht weniger Geld flösse? Die anderen bekämen dann mehr, aber die Hälfte wäre weg?
Opitz: Das könnte sein, ja. Es kann auch weniger sein, es kann auch mehr sein. Es ist ja nur so, dass wir einen ... Das ist ein Diskussionsanstoß, ein Anstoß für eine Kulturdebatte. Wir merken, dass das System monetär und auch von der Zielsetzung her ja vor dem Kollaps steht. Das merken Sie schon an solchen Slogans wie "Theater muss sein". Mehr ist dazu offenbar nicht zu sagen.
Timm: Aber ist es wirklich so einfach? Der Betrag, der in den öffentlichen Häusern für die Kunst, sage ich mal ganz wirtschaftlich, drauf geht, der liegt im einstelligen Bereich. Das meiste sind gebundene Kosten, Personalkosten, und selbst, wer den Kulturhaushalt, den gesamten Haushalt in Gedanken mal halbiert, wird ja deshalb den Staatshaushalt nicht wesentlich entlasten. So viel ist das einfach nicht.
Opitz: Ja, das ist ein Argument, was hier ja keine große Rolle spielt, dass Sie sagen, es ist so wenig Geld, das spielt überhaupt, da ist es dann auch egal, ob das noch ausgegeben wird oder nicht. Außerdem nochmals: Die Autoren, alle vier, behaupten in dem Buch und auch in dem Artikel nicht, dass man die Summe – also diese knapp zehn Milliarden – einzusparen hätte. Sie sagen, baut den Apparat um! Er ist an seine Grenzen gelangt, er ist erstarrt, er sorgt nicht für die berühmte Innovation. Der Slogan – Sie haben es ja im Anspann gesagt –, der Slogan "Kultur für alle", das hat nicht geklappt. Beispiel Musikschulwesen: Wir wissen ganz genau, dass wir nicht die berühmten bildungsfernen Schichten mit dem Musikschulsystem erreichen. Niemand wird einen Vorschlag machen, dass man keinen Musikunterricht mehr geben sollte; die Frage ist, wie man das im Zusammenhang mit einem Bildungssystem zum Beispiel in Zukunft organisiert. So. Das ist eine strukturelle Frage. Das heißt, das sind ordnungspolitische Fragestellungen und die sind eben in der Kulturpolitik ganz, ganz selten. Wir müssen hin zu einer ordnungspolitischen Betrachtung der Dinge.
Timm: Was mich gewundert hat und was garantiert für Aufruhr sorgen wird, ist die durchgehend wirtschaftliche Sprache, die Sie benutzen, es geht um Angebot und Nachfrage. Gerade bei den Musikschulen, die Sie eben beschreiben, ist nun die Nachfrage sehr, sehr groß. Und argumentiert wird in diesem Artikel sehr wider den Gedanken "Kultur für alle", einen Gedanken der 70er-Jahre. Und das hat mich gerade bei Ihnen ganz besonders gewundert, Herr Opitz, denn Sie haben lange eine Volkshochschule geleitet. Da müssen Sie doch eigentlich erlebt haben, dass, um eben im Wirtschaftsjargon zu bleiben, Nachfrage erst entsteht, wenn man mit dem Angebot vertraut gemacht wird, und zwar, wenn möglichst viele mit dem Angebot vertraut gemacht werden?
Opitz: Ja, das ist normales Marktdenken und das ist dadurch ja nicht außer Kraft gesetzt. Wenn man sich – wir stellen das in dem Artikel ja dar –, wenn man sich mal mit den Wirtschaftsgütern beschäftigt auch in der Kultur, dann haben Sie eben bei einer Volkshochschule oder auch bei einem Theater, haben Sie ein typisches meritorisches Gut. Das heißt, dass die Durchsetzung dieses Gutes auf einem Markt wird eben durch außerwirtschaftliches Geld, also kulturpolitisches Geld eben, beeinflusst.
Timm: Und das ist schlecht?
Opitz: Nein, das ist nicht schlecht. Die Frage ist nur: Wie definiere ich dieses meritorische Geld? Es ist ja nirgendwo geschrieben, dass es diese Anzahl von Volkshochschulen, diese Anzahl von Museen und so weiter geben muss. Entscheidend ist, dass wir den Bedürfnissen nach zum Beispiel Erwachsenenbildung nachkommen können. Es gibt ...
Timm: ... das heißt das aber auch, Sie leben in ... , Entschuldigung! ...
Opitz: ... lassen Sie mich das doch gerade sagen ... mit wie viel Institutionen, mit wie viel Institutionalität, mit wie viel Verbandsarbeit, die diese Institutionalität noch mal abbildet, wir das zu bewerkstelligen haben, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Darüber muss man natürlich sehr geordnet reden, aber wir merken doch an allen Ecken und Enden, gucken Sie in welches Bundesland auch immer, ob es ein sogenanntes reiches oder ein sogenanntes armes ist, gucken Sie in alle Kommunen: Die Dinge entzünden sich am Kulturhaushalt, die Haushaltsüberlegungen entzünden sich auch an den Kulturhaushalten, und dann kommt die Sache, das geht überhaupt nicht, oder, nein, auch die Kultur darf nicht ausgenommen werden. Anstelle diese Diskussion zu versachlichen, auf ordnungspolitische Ziele zurückzugehen und nicht nur von Vorlieben und einem großen Behauptungsreservoir, dass Kultur das absolut Gute abbildet, eben einfach mal auszugehen. Nur darum geht es, also, weniger Aufgeregtheit in die Debatte reinzubringen.
Timm: Meint Stephan Opitz, Professor für Kulturmanagement an der Uni Kiel und einer der Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt" und des "Spiegel"-Artikels "Die Hälfte?" – Herr Opitz, wenn Sie meinen, es drohe durch zu viel Subventionen ein Kulturinfarkt, zu viel Altes wird gefördert, zu viel von allem und überall das Gleiche, wie genau wollen Sie es denn anders machen?
Opitz: Man kann das mit ein paar Vorschlägen, glaube ich, unterfüttern. Wir müssten uns zum Beispiel um das Phänomen der Kulturwirtschaft und auch der Kulturindustrie, wenn man es jetzt auch mal in einen weltweiten Maßstab nimmt, durchaus kümmern. Wir spielen da als Europa – wohlgemerkt, das trifft nicht nur Deutschland –, wir spielen auf dem weltweiten Kulturmarkt praktisch keine Rolle. Darüber sollte man nachdenken, warum das so ist. Unsere Kulturangebote werden mit hohem Steueraufkommen an exotische Veranstaltungsorte in was weiß ich, Indien oder sonst wo, exportiert, wir kaufen in industriell wirtschaftlich globalem, großem Maßstab Kulturprodukte aus Amerika, aus Indien, aus China und so weiter ein ...
Timm: Sorry, wenn ich unterbreche, das verstehe ich nicht: Die Kulturlandschaft mit ihren vielen Theatern, mit ihren vielen Opern und Museen ist international so beliebt und so anerkannt, dass unglaublich viele Leute herkommen, um es zu sehen und hier zu arbeiten. Das wir nun nur Kultur importieren, das ist, glaube ich, nicht haltbar.
Opitz: Also, es ist nicht haltbar, wenn Sie sagen, dass wir keine Kultur importieren ...
Timm: ... das habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt, dass es ...
Opitz: ... Tatsache ist, die ganze Kulturindustrie, die ist wesentlich durch Amerika, durch die USA bestimmt, auch noch andere, Fernost spielt da auch noch eine gewisse Rolle, was auch Distribution, den Handel mit Musik und so weiter anbelangt. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist ein weltweit hoch dichtes System, was die Theater und Musiktheater anbelangt, da haben Sie ja vollkommen recht. In Deutschland ist die größten Dichte an solchen Theatern überhaupt, das weiß jeder auch. Und deswegen gibt es natürlich hier besonders viele Arbeitsplätze. Das ist auch richtig. Die Frage ist: Wie lange wollen wir und können wir uns dieses System leisten? Natürlich können Sie sagen, Theater muss sein, und dann können wir nicht mehr weiterreden. Natürlich können Sie sagen, das ist alles so hoch attraktiv, da dürfen wir kein bisschen dran reden. Aber die Frage ist doch, warum zum Beispiel Opernhäuser auch im europäischen Ausland, hochberühmte Opernhäuser, warum die mit erheblich höheren eigenwirtschaftlichen Quoten funktionieren, als sämtliche in Deutschland im Durchschnitt funktionieren? Das kann man ja alles nachweisen und darüber hätte man zu reden, wie sind da die Strukturen. Wie erklären Sie denn – bleiben wir bei den Theatern –, dass zum Beispiel die Tarifbestimmungen des Bühnen ... , das Tarifsystem, was mit den Theatern zusammenhängt, dass das die eigentlichen Künstler, auf gut Deutsch gesagt, sehr, sehr schlecht behandelt, während alle Umfeldkräfte erstklassig versorgt werden? Gucken Sie sich doch an, was junge Schauspieler an Gagen bekommen oder junge Sänger, nach hoch komplizierten Ausbildungen! So, da sind Unwuchten – also, das ist nur ein Aspekt –, da sind Unwuchten in diesem System drin, die muss man sich einfach mal genauer angucken. Und die Frage ist natürlich auch, wie viel Standort, wie viele Theaterstandorte brauchen Sie für ein Land? Natürlich muss man das überlegen. Man kann nicht sagen, mach die Hälfte zu oder macht ein Drittel zu. Das muss man sich im Einzelfall genauer angucken. Aber eine Debatte darüber, die tut dringend not.
Timm: Eine Debatte haben die Autoren ganz bestimmt angeregt mit ihrem Artikel "Die Hälfte? Warum die Subventionskultur, wie wir sie kennen, ein Ende finden muss". Einer davon war Stephan Opitz, ich sprach mit ihm, dem Professor für Kulturmanagement an der Uni in Kiel. Herr Opitz, danke fürs Gespräch!
Opitz: Ich danke Ihnen, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Geben wir zu viel Geld für Kunst und Kultur aus? Oder müssen die Mittel anders verteilt werden?Diskutieren Sie über dieses Thema auf der Facebook-Seite von Deutschlandradio Kultur!
Stephan Opitz: Guten Tag!
Timm: Die Hälfte, mit Fragezeichen, so wird es formuliert. Aber letztlich ist es ein Aufruf, die öffentlich geforderten Kulturinstitutionen von Oper, Theater, Orchestern und Museen von 50 Prozent ihrer Subventionen abzunabeln. Wollen Sie wirklich den Kahlschlag für ein System, um das uns die halbe Welt glühend beneidet?
Opitz: Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen möglicherweise einen Umbau oder wir schlagen vor, dass man über einen Umbau reden müsste. Es geht auch nicht darum, die Hälfte des Geldes zu kürzen, sondern es geht darum, möglicherweise die Hälfte der in Stein gegossenen Institutionalität zurückzufahren und mit dem verbleibenden Rest des Geldes dann unter anderem für diese Institution die rechten Geldmengen zu bewegen. Klasse kostet. Und wir wissen alle, dass die Theater, die Museen, die Bibliotheken, die Archive und so weiter landauf, landab gewaltige Schwierigkeiten haben, überhaupt noch die Arbeiten zu machen, für die sie eigentlich mal gegründet worden sind.
Timm: Das heißt aber dann de facto: Die Hälfte – oder vielleicht auch etwas weniger als die Hälfte – dieser Opern, Theater, Orchester und Museen fiele dann trotzdem weg, selbst wenn dann nicht weniger Geld flösse? Die anderen bekämen dann mehr, aber die Hälfte wäre weg?
Opitz: Das könnte sein, ja. Es kann auch weniger sein, es kann auch mehr sein. Es ist ja nur so, dass wir einen ... Das ist ein Diskussionsanstoß, ein Anstoß für eine Kulturdebatte. Wir merken, dass das System monetär und auch von der Zielsetzung her ja vor dem Kollaps steht. Das merken Sie schon an solchen Slogans wie "Theater muss sein". Mehr ist dazu offenbar nicht zu sagen.
Timm: Aber ist es wirklich so einfach? Der Betrag, der in den öffentlichen Häusern für die Kunst, sage ich mal ganz wirtschaftlich, drauf geht, der liegt im einstelligen Bereich. Das meiste sind gebundene Kosten, Personalkosten, und selbst, wer den Kulturhaushalt, den gesamten Haushalt in Gedanken mal halbiert, wird ja deshalb den Staatshaushalt nicht wesentlich entlasten. So viel ist das einfach nicht.
Opitz: Ja, das ist ein Argument, was hier ja keine große Rolle spielt, dass Sie sagen, es ist so wenig Geld, das spielt überhaupt, da ist es dann auch egal, ob das noch ausgegeben wird oder nicht. Außerdem nochmals: Die Autoren, alle vier, behaupten in dem Buch und auch in dem Artikel nicht, dass man die Summe – also diese knapp zehn Milliarden – einzusparen hätte. Sie sagen, baut den Apparat um! Er ist an seine Grenzen gelangt, er ist erstarrt, er sorgt nicht für die berühmte Innovation. Der Slogan – Sie haben es ja im Anspann gesagt –, der Slogan "Kultur für alle", das hat nicht geklappt. Beispiel Musikschulwesen: Wir wissen ganz genau, dass wir nicht die berühmten bildungsfernen Schichten mit dem Musikschulsystem erreichen. Niemand wird einen Vorschlag machen, dass man keinen Musikunterricht mehr geben sollte; die Frage ist, wie man das im Zusammenhang mit einem Bildungssystem zum Beispiel in Zukunft organisiert. So. Das ist eine strukturelle Frage. Das heißt, das sind ordnungspolitische Fragestellungen und die sind eben in der Kulturpolitik ganz, ganz selten. Wir müssen hin zu einer ordnungspolitischen Betrachtung der Dinge.
Timm: Was mich gewundert hat und was garantiert für Aufruhr sorgen wird, ist die durchgehend wirtschaftliche Sprache, die Sie benutzen, es geht um Angebot und Nachfrage. Gerade bei den Musikschulen, die Sie eben beschreiben, ist nun die Nachfrage sehr, sehr groß. Und argumentiert wird in diesem Artikel sehr wider den Gedanken "Kultur für alle", einen Gedanken der 70er-Jahre. Und das hat mich gerade bei Ihnen ganz besonders gewundert, Herr Opitz, denn Sie haben lange eine Volkshochschule geleitet. Da müssen Sie doch eigentlich erlebt haben, dass, um eben im Wirtschaftsjargon zu bleiben, Nachfrage erst entsteht, wenn man mit dem Angebot vertraut gemacht wird, und zwar, wenn möglichst viele mit dem Angebot vertraut gemacht werden?
Opitz: Ja, das ist normales Marktdenken und das ist dadurch ja nicht außer Kraft gesetzt. Wenn man sich – wir stellen das in dem Artikel ja dar –, wenn man sich mal mit den Wirtschaftsgütern beschäftigt auch in der Kultur, dann haben Sie eben bei einer Volkshochschule oder auch bei einem Theater, haben Sie ein typisches meritorisches Gut. Das heißt, dass die Durchsetzung dieses Gutes auf einem Markt wird eben durch außerwirtschaftliches Geld, also kulturpolitisches Geld eben, beeinflusst.
Timm: Und das ist schlecht?
Opitz: Nein, das ist nicht schlecht. Die Frage ist nur: Wie definiere ich dieses meritorische Geld? Es ist ja nirgendwo geschrieben, dass es diese Anzahl von Volkshochschulen, diese Anzahl von Museen und so weiter geben muss. Entscheidend ist, dass wir den Bedürfnissen nach zum Beispiel Erwachsenenbildung nachkommen können. Es gibt ...
Timm: ... das heißt das aber auch, Sie leben in ... , Entschuldigung! ...
Opitz: ... lassen Sie mich das doch gerade sagen ... mit wie viel Institutionen, mit wie viel Institutionalität, mit wie viel Verbandsarbeit, die diese Institutionalität noch mal abbildet, wir das zu bewerkstelligen haben, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Darüber muss man natürlich sehr geordnet reden, aber wir merken doch an allen Ecken und Enden, gucken Sie in welches Bundesland auch immer, ob es ein sogenanntes reiches oder ein sogenanntes armes ist, gucken Sie in alle Kommunen: Die Dinge entzünden sich am Kulturhaushalt, die Haushaltsüberlegungen entzünden sich auch an den Kulturhaushalten, und dann kommt die Sache, das geht überhaupt nicht, oder, nein, auch die Kultur darf nicht ausgenommen werden. Anstelle diese Diskussion zu versachlichen, auf ordnungspolitische Ziele zurückzugehen und nicht nur von Vorlieben und einem großen Behauptungsreservoir, dass Kultur das absolut Gute abbildet, eben einfach mal auszugehen. Nur darum geht es, also, weniger Aufgeregtheit in die Debatte reinzubringen.
Timm: Meint Stephan Opitz, Professor für Kulturmanagement an der Uni Kiel und einer der Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt" und des "Spiegel"-Artikels "Die Hälfte?" – Herr Opitz, wenn Sie meinen, es drohe durch zu viel Subventionen ein Kulturinfarkt, zu viel Altes wird gefördert, zu viel von allem und überall das Gleiche, wie genau wollen Sie es denn anders machen?
Opitz: Man kann das mit ein paar Vorschlägen, glaube ich, unterfüttern. Wir müssten uns zum Beispiel um das Phänomen der Kulturwirtschaft und auch der Kulturindustrie, wenn man es jetzt auch mal in einen weltweiten Maßstab nimmt, durchaus kümmern. Wir spielen da als Europa – wohlgemerkt, das trifft nicht nur Deutschland –, wir spielen auf dem weltweiten Kulturmarkt praktisch keine Rolle. Darüber sollte man nachdenken, warum das so ist. Unsere Kulturangebote werden mit hohem Steueraufkommen an exotische Veranstaltungsorte in was weiß ich, Indien oder sonst wo, exportiert, wir kaufen in industriell wirtschaftlich globalem, großem Maßstab Kulturprodukte aus Amerika, aus Indien, aus China und so weiter ein ...
Timm: Sorry, wenn ich unterbreche, das verstehe ich nicht: Die Kulturlandschaft mit ihren vielen Theatern, mit ihren vielen Opern und Museen ist international so beliebt und so anerkannt, dass unglaublich viele Leute herkommen, um es zu sehen und hier zu arbeiten. Das wir nun nur Kultur importieren, das ist, glaube ich, nicht haltbar.
Opitz: Also, es ist nicht haltbar, wenn Sie sagen, dass wir keine Kultur importieren ...
Timm: ... das habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt, dass es ...
Opitz: ... Tatsache ist, die ganze Kulturindustrie, die ist wesentlich durch Amerika, durch die USA bestimmt, auch noch andere, Fernost spielt da auch noch eine gewisse Rolle, was auch Distribution, den Handel mit Musik und so weiter anbelangt. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist ein weltweit hoch dichtes System, was die Theater und Musiktheater anbelangt, da haben Sie ja vollkommen recht. In Deutschland ist die größten Dichte an solchen Theatern überhaupt, das weiß jeder auch. Und deswegen gibt es natürlich hier besonders viele Arbeitsplätze. Das ist auch richtig. Die Frage ist: Wie lange wollen wir und können wir uns dieses System leisten? Natürlich können Sie sagen, Theater muss sein, und dann können wir nicht mehr weiterreden. Natürlich können Sie sagen, das ist alles so hoch attraktiv, da dürfen wir kein bisschen dran reden. Aber die Frage ist doch, warum zum Beispiel Opernhäuser auch im europäischen Ausland, hochberühmte Opernhäuser, warum die mit erheblich höheren eigenwirtschaftlichen Quoten funktionieren, als sämtliche in Deutschland im Durchschnitt funktionieren? Das kann man ja alles nachweisen und darüber hätte man zu reden, wie sind da die Strukturen. Wie erklären Sie denn – bleiben wir bei den Theatern –, dass zum Beispiel die Tarifbestimmungen des Bühnen ... , das Tarifsystem, was mit den Theatern zusammenhängt, dass das die eigentlichen Künstler, auf gut Deutsch gesagt, sehr, sehr schlecht behandelt, während alle Umfeldkräfte erstklassig versorgt werden? Gucken Sie sich doch an, was junge Schauspieler an Gagen bekommen oder junge Sänger, nach hoch komplizierten Ausbildungen! So, da sind Unwuchten – also, das ist nur ein Aspekt –, da sind Unwuchten in diesem System drin, die muss man sich einfach mal genauer angucken. Und die Frage ist natürlich auch, wie viel Standort, wie viele Theaterstandorte brauchen Sie für ein Land? Natürlich muss man das überlegen. Man kann nicht sagen, mach die Hälfte zu oder macht ein Drittel zu. Das muss man sich im Einzelfall genauer angucken. Aber eine Debatte darüber, die tut dringend not.
Timm: Eine Debatte haben die Autoren ganz bestimmt angeregt mit ihrem Artikel "Die Hälfte? Warum die Subventionskultur, wie wir sie kennen, ein Ende finden muss". Einer davon war Stephan Opitz, ich sprach mit ihm, dem Professor für Kulturmanagement an der Uni in Kiel. Herr Opitz, danke fürs Gespräch!
Opitz: Ich danke Ihnen, schönen Tag!
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