Bayerische Hausärzte auf den Barrikaden

Von Nikolaus Nützel |
In ganz Deutschland protestieren Ärzte schon seit Jahren immer wieder gegen ihre Honorierung und ihre Arbeitsbedingungen. Doch die Hausärzte in Bayern wollen jetzt mehr als nur protestieren: Sie haben angekündigt, gemeinsam dem Kassensystem den Rücken zu kehren.
Der Hausärzteverband will eine große Mehrheit der Allgemeinmediziner dazu bringen, dass sie ihre Kassenzulassung zurückgeben. Einen so weitreichenden Schritt hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Das Ziel der Hausärzte: Sie wollen auf eigene Faust mit den Krankenkassen ihre Honorierung aushandeln - und die Kassenärztliche Vereinigung, die diese Aufgabe bislang übernimmt, überflüssig machen. Und sie wollen das Streikrecht wieder in die Hand bekommen, das die Ärzte mit eigener Praxis vor 76 Jahren aufgegeben hatten. Die Folgen könnten auch Patienten zu spüren bekommen.

Diese Klänge sind inzwischen ein Klassiker bei Protestveranstaltungen deutscher Ärzte. Der "Gefangenenchor" aus der Oper Nabucco von Giuseppe Verdi gibt das Lebensgefühl vieler Mediziner wieder: Sie sehen sich gefangen in einem System, aus dem sie sich befreien möchten. Auch bei einer Protestveranstaltung des Bayerischen Hausärzteverbandes Ende Januar erklang der Gefangenenchor, als der Verbandsvorsitzende Wolfgang Hoppenthaller zum Rednerpult schritt, von wo aus er mehr als 7000 Ärzte in der Sporthalle begrüßte:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Präsenz heute beweist die bayerische Hausärzteschaft, dass sie nicht mehr gewillt ist, sich von Politik und Krankenkassen unterdrücken zu lassen, sondern dass sie in ein freiheitliches System überwechseln will."

Die Veranstaltung war aber weit mehr als nur eine Protestdemonstration. Ein großer Teil der rund 9000 Hausärzte in Bayern war zusammengekommen, um in einer bundesweit einzigartigen Aktion aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung auszusteigen. In der Halle waren Wahlurnen aufgestellt. Dort sollten die Ärzte ein Dokument einwerfen, mit dem sie sich verpflichten, ihre Zulassung als Kassenarzt zurückzugeben – Was auch viele tun wollten:

"Ich werde sicher abgeben, mit dem Ziel, dass wir eigenständige Verhandlungen mit den Kassen führen, weil ich kann mit dem Geld, was uns zugestanden wird, und mit dem, was wir in den nächsten Jahren noch bekommen werden, nicht mehr existieren werden.
Ich habe sicher, wie die meisten von uns, gewisse Unsicherheitsgedanken im Hintergrund.
Finde keine Argument, warum ich es behalten soll. Aus Solidarität, aber alleine aussteigen, das wäre ja langweilig – und ich steige in jedem Fall aus. Dass das hausärztliche System erhalten bleibt.
Es schaut ja wirklich so aus, als ob wir sowieso ohne unser Zutun aus dem System herausgeschmissen werden."

Erst Ende Februar will der Hausärzteverband bekannt geben, wie viele Mediziner sich verpflichtet haben, ihre Zulassung als Kassenarzt zurückzugeben. Gleichgültig wie das Ergebnis ausfällt – eines ist jetzt schon sicher: Die Großveranstaltung in Nürnberg war nicht nur eine Entladung von Zorn im Stil der Demonstrationen, bei denen Ärzte immer mal wieder mit Trillerpfeifen und Transparenten an die Öffentlichkeit gehen. Die bayerischen Hausärzte wollen vielmehr ein ganz neues Kapitel in der Gesundheitspolitik aufschlagen.

Der Allgemeinmediziner Hans-Joachim Willerding beispielsweise betreibt im Münchner Stadtteil Laim eine Praxis, die auf den ersten Blick ausgesprochen gut ausgestattet und erfolgreich aussieht. Dennoch sieht er seinen Berufsstand mit dem Rücken zur Wand stehen:

"Die Hausärzte haben nur die Chance, dass sie sich über ihren Berufsverband zusammenschließen, so ähnlich wie die Lokführer in ihrem Berufsverband zusammengeschlossen sind. Die zeigen jetzt der Bahn, dass es so nicht weitergeht. Ich bin gespannt, wann die Hausärzte das mal kapieren werden, dass sie nur gemeinsam stark sind in der Berufspolitik."

Dass Hausärzte sich als geistige Brüder der Lokführer sehen, kann auf den ersten Blick verblüffen. Schließlich hat die Lokführergewerkschaft GDL ihren unerbittlichen Arbeitskampf gestartet, weil die Bahnbeschäftigten alles andere als üppig verdienen – Auf im Schnitt 33.000 Euro Bruttojahresverdienst kamen Lokführer nach Angaben der Bahn zuletzt. Das Einkommen eines durchschnittlichen Hausarztes liegt nach Berechnungen der HypoVereinsbank ziemlich genau dreimal so hoch, bei 98.000 Euro im Jahr. Damit stehen die Hausärzte allerdings wesentlich schlechter da als die meisten anderen Ärztegruppen. Fachärzte kommen auf 10, 30, oder gar 50 Prozent höheren Verdienst. Und die Hausärzte kämpfen in Bayern mit einem besonderen Problem. Die Zahl der Mediziner ist im Freistaat seit Anfang der 90er Jahre um gut ein Drittel gestiegen. Die Töpfe der Krankenkassen allerdings sind – inflationsbereinigt – bestenfalls gleich groß geblieben. Auf jeden einzelnen Arzt entfällt also im Schnitt ein deutlich kleineres Stück vom Kuchen. Und der Münchner Allgemeinmediziner Basil Bustami erklärt, warum man sein Einkommen nicht so einfach mit dem eines Angestellten vergleichen könne:

"Viele Patienten, wenn die irgendwelche Zahlen lesen in der Presse von 80.000, 90.000 Jahresgehalt, machen sich nicht vor Augen, dass das Selbständige sind. Das heißt, ein Selbständiger muss seinen Krankenkassenbeitrag alleine zahlen, er muss seinen Rentenversicherungsbeitrag alleine zahlen, Das heißt, jemand der als Selbständiger ein Niveau von 80.000, 90.000 Euro erreicht, liegt in Wirklichkeit bei den Angestellten vielleicht auf einem Niveau von 50.000 Euro – mit all den Sicherheiten, die er da hat. Und wenn das Einkommen so gut wäre, dann müsste man ja mühelos Nachwuchs finden."

Doch Nachfolger oder wenigstens neue Mitarbeiter zu finden sei für viele Hausärzte kaum noch möglich, berichtet auch Bustamis Berufskollege Hans-Joachim Willerding. Die Honorare seien zu niedrig, die Bürokratie zu zeitraubend, die Arbeit zu anstrengend.

"Es ist ein Trauerspiel, dass es für diesen schönen Beruf so gut wie keinen Nachwuchs mehr gibt. Wir sind eine Weiterbildungspraxis, wir nehmen Weiterbildungsassistenten. Ich suche seit zwei Monaten verzweifelt und es ist keiner zu finden."

Zu einem Notstand für die Patienten hat dieser Nachwuchsmangel allerdings noch nicht geführt. Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Ärzte – und auch Allgemeinärzte – wie in Bayern. Das räumt auch der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Wolfgang Hoppenthaller, ein:

"Momentan ist die Versorgung mit Hausärzten in Bayern gut. Aber wir müssen wissen, dass aufgrund der Altersstruktur 30 bis 40 Prozent der Ärzte wegbrechen werden. Und somit wird auf dem flachen Land die hausärztliche Versorgung zusammenbrechen. In manchen Teilen Oberfrankens und Unterfrankens haben wir die Lage auch schon."

Und ein solcher Zusammenbruch der hausärztlichen Versorgung sei sogar von der Politik gewollt, sagt Bayerns Hausärzte-Chef. In einer Videobotschaft schildert er seinen Berufsstand als Opfer einer langfristig angelegten Strategie:

"Die Hausärzteschaft Bayerns sollte sich bewusst werden, dass der Beruf des Hausarztes als freier Beruf nach dem offensichtlichen Willen der CSU abgeschafft werden soll. Man hungert uns aus – erschießen kann man uns ja nicht – man hungert uns aus, dass wir keinen Nachwuchs mehr kriegen, und dann ersetzt man uns durch Manager."

Auch wenn es ein wenig nach Verschwörungstheorie klingt – Bayerns Hausärzte-Chef ist fest überzeugt, dass sogenannte Care-Manager oder Case-Manager künftig die Aufgaben der heutigen Allgemeinmediziner übernehmen sollen. Dahinter stehe der Plan, die Patienten in große Medizinische Versorgungszentren zu dirigieren. Diese MVZs würden dann von privaten Investoren übernommen, die nur noch nach Rendite trachten – So begründet Bayerns Hausärzteverband seinen Protest auch in einem Info-Blatt, das in Wartezimmern ausliegt:

"Geht es nach der CSU, werden Hausarztpraxen durch Call-Center, Case Manager und Medizinische Versorgungszentren von Kapitalgesellschaften ersetzt. Es sind Ihre Versichertenbeiträge, die in die Taschen der Aktionäre fließen. (…) Ihre Hausärzte kämpfen gegen diese Amerikanisierung unseres solidarischen Gesundheitssystems."

Bayerns Hausärzte-Chef Wolfgang Hoppenthaller gerät aber nicht über die CSU in Rage. Er sieht auch eine andere Front, gegen die die Hausärzte seiner Ansicht nach kämpfen müssen. Die Kassenärztliche Vereinigung spielt in Hoppenthallers Augen vor allem in Bayern eine unselige Rolle. Diese öffentlich-rechtliche Körperschaft wurde vor über 70 Jahren geschaffen, damit die Ärzte ihre Finanzangelegenheiten in Selbstverwaltung regeln. Seit rund 20 Jahren ist Bayerns Hausärztechef Hoppenthaller auch selbst in dieser Selbstverwaltung aktiv, drei Jahre lang war er sogar stellvertretender Vorstandschef. Dann allerdings blitzte er bei der Vorstandswahl vor drei Jahren sage und schreibe sieben Mal an der Mehrheit von Fachärzten und Psychotherapeuten ab. Nach dieser Demütigung griff Hoppenthaller zu deutlichen Worten über seine Berufskollegen:

"Das Problem ist, dass wir seit 20 Jahren von den Funktionären der Fachärzte in unserer eigenen Körperschaft um unser Honorar betrogen werden. Die Hausärzte sind nicht mehr bereit, diesen Betrug und diese Benachteilung hinzunehmen."

Und hier wird eine weitere Parallele zwischen dem Kampf der Lokomotivführer und dem Kampf der bayerischen Hausärzte deutlich. An der Spitze der Konfliktparteien stehen nicht mehr ganz junge Männer, die geübt darin sind, einen Streit bis zum Ende durchzustehen. Der Hauptgegner des 60-jährigen Hausärzte-Chefs Hoppenthaller ist der 67-jährige Axel Munte, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. Er ist Facharzt für Gastroenterologie – und damit vielen Hausärzten ohnehin etwas suspekt. Drei Jahre lang hat er mit dem Hausarzt Hoppenthaller gemeinsam Deutschlands größte KV geleitet. Doch in dieser Zeit haben sie sich komplett zerstritten. Als Konsequenz hat Munte dafür gesorgt, dass Hoppenthaller bei den letzten Vorstandswahlen gescheitert ist. Der Facharzt Munte wählt seine Worte über den Hausärzte-Chef Hoppenthaller zwar vorsichtig – doch er lässt keinen Zweifel daran, dass er ihn für einen großen Verführer und Demagogen hält:

"Kein Fernsehfilm, kein Hollywoodfilm, keine Show ist so spannend wie das, was hier initiiert worden ist, das ist eine großartige Meisterleistung der Show, was Dr. Hoppenthaller dort abzieht, und das finden alle spannend. Er ist ein intelligenter Mann, ein Charismatiker und es ist unglaublich, was er mobilisieren kann an Emotionen. Und das setzt er ein, um seine Vorstellungen einer Versorgung umzusetzen."

Die Protestbewegung der bayerischen Hausärzte, die ganz wesentlich vom Charisma eines einzelnen Mannes befeuert wird, sei aber mehr als nur Show-Spektakel, räumt der KV-Vorstand Munte ein. Seiner Ansicht nach hätte es unabsehbare Folgen für die Gesundheitsversorgung, wenn der Hausärzte-Chef Hoppenthaller Erfolg hätte:
"Die Kassen werden erpressbar. Denn eines ist klar geworden in der Vergangenheit: Dass Kollege Hoppenthaller extrem Druck macht, ein extrem schwieriger Verhandlungspartner ist. Und wenn schon die Hausärzte als große Gruppe motiviert werden können rauszugehen aus dem System, dann ist die Signalwirkung für kleine Facharztgruppen gigantisch. Und das sind solche Spezialisten, die man braucht. Und wenn jetzt Chirurgen, Augenärzte hochspezialisierte, dasselbe nachmachen, werden die Kassen immer erpressbarer. Es gibt keinen Frieden mehr im System. Die Steuerung wird übernommen von Berufsverbänden, und ob das dann noch eine flächendeckende Versorgung in ganz Deutschland ermöglicht, wie im Augenblick, da habe ich meine Zweifel."

Neben dem KV-Chef Munte steht aber noch ein weiterer kampferprobter Mann in Frontstellung gegen Bayerns Hausärzte und deren Anführer Hoppenthaller. Der 54-jährige Vorstandschef der AOK Bayern, Helmut Platzer, leitet die größte der Allgemeinen Ortskrankenkassen in Deutschland. Die AOK Bayern hat 4,2 Millionen Versicherte, ihr Vorstandschef trägt die Verantwortung für einen Jahreshaushalt von zehn Milliarden Euro. Auf den Aufstand des Hausärzteverbandes reagiert Helmut Platzer mit Kopfschütteln:

"Es ist bemerkenswert, dass diese Bewegung ausgerechnet von Bayern ausgeht, wo die Honorare um 20 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen, was insbesondere auch durch die Honorarsituation der Hausärzte bewirkt wird."

In der Tat verdienen Ärzte in Süddeutschland derzeit besser als ihre Kollegen im Rest der Republik. Denn in wohlhabenden Bundesländern haben die gesetzlichen Krankenkassen höhere Einnahmen, weil die Verdienste der Beschäftigten über dem bundesweiten Schnitt liegen - und die Arbeitslosigkeit unter dem Schnitt. Nach den Verteilungsregeln, die bislang in der gesetzlichen Krankenversicherung gelten, können die Kassen höhere Einnahmen, die sie in Baden-Württemberg oder Bayern erzielen, auch dort wieder an die Ärzte verteilen. Doch der Einkommensvorsprung der bayerischen Ärzte dürfte in den nächsten Jahren deutlich schrumpfen. Durch den Gesundheitsfonds, der mit der aktuellen Gesundheitsreform kommen soll, und durch andere neue Finanzmechanismen werden nach Schätzungen der Kassenärztlichen Vereinigung rund zehn Prozent der Honorare aus dem Freistaat abfließen – vor allem in weniger wohlhabende Bundesländer in Ostdeutschland. Weil die Kosten gleich hoch blieben, würde der Überschuss der Praxen um 20 bis 30 Prozent sinken, warnt der Hausärzteverband. Diesen Aderlass zu verhindern, ist das Hauptziel des geplanten kollektiven Ausstiegs aus dem heutigen System. Der AOK-Chef Platzer sieht in diesem Szenario allerdings Panikmache:

"Im letzten Jahr ist es so gewesen, dass die Zahl der Ärzte noch einmal zugenommen hat, der Altersdurchschnitt ist um zwei Jahre gefallen, von 51 auf 49, und die Ausstattung mit Hausärzten ist stabil. Wir haben ja nach wie vor deutliche Überversorgung, wir starten ja mit einer Nulllinie, sondern wir haben eine deutliche Überversorgung, sodass ich dem Drohszenario aus heutiger Sicht überhaupt nichts abgewinnen kann. n"

Bayerns Hausärzteverband will sich aber von solchen Statistiken nicht beirren lassen. Der Verband plant dabei keinen Streik im klassischen Sinn. Er will vielmehr das heutige Finanzsystem boykottieren. Hausärzte, die ihre Kassenzulassung zurückgeben, sollen die Behandlung nicht mehr mit der Chipkarte ihrer Patienten über die Kassenärztliche Vereinigung abrechnen. Vielmehr sollen sie die Behandlung nach dem einfachen Satz der privatärztlichen Gebührenordnung den Krankenkassen direkt in Rechnung stellen, erklärt der Chef des Hausärzteverbandes, Wolfgang Hoppenthaller:

"Und die Rechnung kriegt nicht der Patient – und das möchte ich ausdrücklich betonen. Die kriegt nicht der Patient, sondern die geht direkt an die Kasse."

In einem weiteren Schritt wollen die Hausärzte dann Kollektivverträge mit den Krankenkassen aushandeln – und zwar zu besseren Bedingungen als die Kollektivverträge, die das heutige System der Kassenärztlichen Vereinigungen vorsieht. Hier sollten sich die Hausärzte aber keine Hoffnungen machen, entgegnen die Krankenkassen. Von Ärzten, die ihre Zulassung abgegeben haben, werde seine Kasse in keinem Fall Rechnungen akzeptieren, sagt Bayerns AOK-Chef Helmut Platzer:

"Selbst die schärfsten Ausstiegsszenarien können nicht dazu führen, dass man unter dem Druck der Straße oder einer außerparlamentarischen Hausärzte-Opposition erwarten kann, dass sich alle anderen Beteiligten im Gesundheitswesen, und das sind ja öffentlich-rechtliche Körperschaften, dass die sich diesem Verfahren anschließen und plötzlich auch verkünden: Wir kümmern uns nicht mehr um bestehende Gesetze."

Der Anführer der bayerischen Hausärzte, Wolfgang Hoppenthaller, ist aber überzeugt, dass sein Verband genug Druck aufbauen kann, um den Kassen seinen Willen aufzuzwingen. Wenn mindestens 70 Prozent der Ärzte in einem Regierungsbezirk ihre Zulassung zurückgeben, werde damit eine völlig neue Situation geschaffen. Von der "Macht des Faktischen" redet Hoppenthaller immer wieder.

"Wenn in Oberfranken, Unterfranken, Oberpfalz die hausärztliche Versorgung nicht mehr vorhanden ist, dann müssen die Kassen Verträge schließen. Denn wenn die Versorgung nicht mehr gegeben ist, dann geht der Sicherstellungsauftrag auf sie über, das heißt, sie müssen dann die weitere Behandlung gewährleisten, und das ist Pflicht und keine Kür."

Die Krankenkassen bleiben aber angesichts solcher Drohungen erst einmal gelassen – zumindest nach außen. Er werde schon Wege finden, den Systemboykott der Hausärzte ins Leere laufen zu lassen, sagt Bayerns AOK-Chef Helmut Platzer – und er weiß dabei den Vorstands-Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, Axel Munte, an seiner Seite.

"Das ist unsere Pflicht als Kassenärztliche Vereinigung, da wir den Sicherstellungsauftrag haben. Und den werden wir auch erfüllen können. Da wir heute schon die Zusage haben von hausärztlichen Internisten, von Facharzt-Internisten und von all den Ärzten, die auch den Bereitschaftsdienst machen am Wochenende. Das sind Gynäkologen, das sind HNO-Ärzte, das sind Dermatologen."

Allerdings glaubt der KV-Chef gar nicht, dass es so weit kommt. In den vier Jahrzehnten, die er im Medizin-Betrieb ist habe er eines gelernt, sagt Munte:

"Das Vertrauen der Ärzte untereinander ist nie groß gewesen. Der Neid der Ärzte untereinander ist extrem groß. Weil das Vertrauen der Ärzte untereinander nicht so groß ist, und auch der Hausärzte nicht so groß ist, wird eine einheitliche Front nicht entstehen. Denn jeder glaubt, hoppla, wenn er der einzige ist, oder die Hälfte nicht mitmacht, was ist denn dann?"

Und der AOK-Vorstand Platzer stellt eines klar: Ein Arzt, der seine Kassenzulassung zurückgibt, werde ab diesem Moment kein Geld mehr von den Krankenkassen bekommen.

"Die Rechtssituation ist völlig eindeutig: Wer aus der Kassenärztlichen Versorgung ausscheidet, kann keine Kassenpatienten mehr behandeln, er kann den Krankenkassen gegenüber keine Honorare mehr abrechnen Das ist keine Reaktion der Krankenkassen, sondern das ist die klare und unmissverständliche Rechtslage. "

Die Spitze des Hausärzteverbandes beschwichtigt ihre Mitglieder allerdings und erklärt immer wieder, solche Ankündigungen der Kassen seien nur Bluff in dem Poker um Erfolg oder Scheitern des Medizinerprotests – Ganz ähnlich dem Poker zwischen der Konzernleitung der Bahn und der Lokführergewerkschaft. Doch die Ärzte an der Basis verfolgen diesen Poker mit Besorgnis. Der Münchner Allgemeinarzt Hans-Joachim Willerding ist von der Ankündigung der AOK, die Proteste verpuffen zu lassen, beunruhigt:

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kassen dann die Patienten im Regen stehen lassen und sagen: Ich zahle kein Honorar mehr an die Ärzteschaft. Das wäre der Super-GAU insbesondere für die Patienten, aber auch für die Ärzteschaft."

Wochenlang oder gar monatelang keine Kassen-Honorare mehr zu bekommen, sei in der Tat ein Super-GAU, meint auch Willerdings Kollege Basil Bustami. Denn im Gegensatz zur Lokführergewerkschaft hat der Hausärzteverband keine Streikkasse:

"Natürlich sind auch Ängste damit verbunden, die werden ja auch geschürt von den KVen, dass wenn man seine Zulassung zurückgegeben hat, man sie nie wieder zurück bekommt. Das verunsichert natürlich Kollegen, verunsichert mich auch."

Wer bei dieser Machtprobe Erfolg haben wird, lässt sich noch nicht absehen. Erst Ende Februar will der Hausärzteverband die Karten auf den Tisch legen und Zahlen veröffentlichen, wie breit die Protestbewegung wirklich ist. Eines allerdings ist sicher: Bayerns Hausärzte-Protest hat jetzt schon eine Signalfunktion für andere Bundesländer. Für Mitte April haben Ärzte-Organisationen in Baden-Württemberg Aktionen nach bayerischem Vorbild angekündigt. Ebenso sicher ist aber auch, dass es einen beträchtlichen Rückschlag für die Protestbewegung der Ärzte bedeutet, wenn der Medizineraufstand in Bayern scheitert. Wolfgang Hoppenthaller, der nicht nur bayerischer Landesvorsitzender, sondern auch stellvertretender Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes ist, hat angekündigt, dass er seine Energie dann nicht mehr für die Interessen seiner Kollegen einsetzen will:

"Wenn die Hausärzte sich nicht entschließen können, dann werde ich mich natürlich aus der Politik zurückziehen. Weil ich dann in diesem System für die Hausärzte nichts mehr erreichen kann."

Mit einem Rücktritt Hoppenthallers von seinem Amt an der Spitze des Medizinerverbandes wäre der Konflikt um die Lage der Hausärzte aber nicht beendet. Die Kampfbewegung würde wohl einen Dämpfer erhalten – doch die Unzufriedenheit wird weiter gären.