Bayerischer DGB-Vorsitzender wirft Union Blockadehaltung vor
Der Vorsitzende des DGB-Bezirks Bayern, Fritz Schösser, hat nach dem Antrag von weiteren Branchen auf Aufnahme in das Entsendegesetz die Unionsparteien für deren Widerstand gegen Mindestlöhne kritisiert. CDU und CSU würden mit allen Mitteln versuchen, den Mindestlohn zu verhindern, sagte Schösser.
Christopher Ricke: Der erste Akt ist gespielt. Gestern war der Stichtag, zu dem sich die Branchen melden sollten, die ins Entsendegesetz aufgenommen werden wollen. Dieser Schritt ist Voraussetzung dafür, dass ein tarifvertraglich vereinbarter Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Es gibt natürlich noch ein Türchen im Entsendegesetz, aber eigentlich das große Tor, das ist jetzt erst einmal zu. Hier einige typische Branchen, in denen der Mindestlohn noch kommen wird: Zeitarbeit, Pflegedienste, Bewachungsgewerbe, Großwäschereien. Es gibt ihn schon in Bereichen wie Bauhauptgewerbe, Elektro und Dachdecker. – Fritz Schösser ist der Vorsitzende des DGB-Bezirks Bayern. Guten Morgen Herr Schösser!
Fritz Schösser: Schönen guten Morgen!
Ricke: Jetzt haben wir ein gutes Dutzend Branchen mit Mindestlohn beziehungsweise mit Mindestlohn in greifbarer Nähe – betroffen rund drei Millionen Arbeitnehmer. Gemessen an der heftigen politischen Diskussion der letzten Monate, ist das nicht ein recht kümmerliches Ergebnis?
Schösser: Man muss sehen, welchen Weg wir beschreiten. Wir beschreiten ja nicht den Weg des gesetzlichen Mindestlohns, sondern eine Möglichkeit, die das Europarecht über das Entsendegesetz gibt, wo die Voraussetzungen gegeben sein müssen, dass die Tarifpartner so stark sind, dass mindestens 50 Prozent einer Branche bereits einem Tarifvertrag unterliegen und die restlichen Arbeitnehmer in der Branche dann durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf die gleiche Lohnhöhe zu heben sind. Es ist einer der Wege und ich sage ganz klar und deutlich: das Entsendegesetz alleine ist für eine flächendeckende Durchsetzung des Mindestlohns leider nicht geeignet. Das wussten wir aber vorher.
Ricke: Warum hat sich die SPD dann ausgerechnet auf das Entsendegesetz eingelassen, anstatt zu sagen, wir fordern im Schulterschluss mit den Gewerkschaften einen einheitlichen Mindestlohn in Deutschland und wir suchen da auch durchaus den politischen Konflikt mit dem Koalitionspartner?
Schösser: Der Konflikt mit dem Koalitionspartner muss natürlich zum Erfolg führen und die SPD geht erst mal einen Weg, wo sie offensichtlich über die Koalitionsvereinbarung mit dem Koalitionspartner einigermaßen zurechtkommt. In Kritik steht in diesem Fall nicht die SPD; in Kritik steht klar und deutlich die CDU/CSU, die im Grunde mit allen Mitteln versucht, den Mindestlohn zu verhindern, und jetzt sogar beim Entsendegesetz hergeht und versucht, einige Branchen, die beantragt haben, wieder auszunehmen. Also man sieht doch die Tat, die dort dahinter steckt. Man will den Mindestlohn gesetzlich flächendeckend verhindern und man will sogar über das Entsendegesetz so wenig wie möglich Branchen haben, in denen der Mindestlohn gilt.
Ricke: Es soll ja auch Gewerkschafter geben, denen beim Thema gesetzlicher Mindestlohn gar nicht so wohl ist, die Angst haben um die Tarifautonomie und die fürchten, dass eine Untergrenze erst mal ein Ziel ist, auf das Arbeitgeber dann auch hinverhandeln können. Ich sage mal grundsätzlich vermutet: Ein Gewerkschafter im Einzelhandel, der möchte wahrscheinlich lieber einen flächendeckenden Mindestlohn als einer in der Stahlindustrie. Wie schwierig ist denn die Diskussion innerhalb des Gewerkschaftsbundes?
Schösser: Auch da muss man klar differenzieren und da ist die Situation innerhalb des Gewerkschaftsbundes über alle Gewerkschaften hinweg klar: dort besteht Einigkeit. Erstens: wir wollen, dass die Tarifpolitik und die Tarifautonomie stark und erhalten bleibt. An dieser Frage geht doch gar nichts vorbei. Zweitens: wir wollen in Branchen, wo wir zwar Tarifverträge haben, wo Tarifverträge über 7,50 Euro liegen, die Möglichkeit des Entsendegesetzes nutzen, um über die Allgemeinverbindlichkeit, die in den letzten Jahren in Deutschland ja völlig unter die Räder kam, gleiche Verhältnisse in einer Branche herzustellen. Und wir wollen für den Rest, wo wir wegen geringer Mitgliederzahlen gar nicht in der Lage sind, überhaupt Tariflöhne auf den Weg zu bringen, wir wollen für diese Menschen den Mindestlohn, weil es klar sein muss, dass wer eine Vollerwerbsarbeit leistet davon auch leben können muss.
Ricke: Einen Mindestlohn bräuchte man nicht, wenn ein Wettbewerb um die Arbeitskräfte entstünde, wenn sich die Arbeitsmarktsituation so verbessern würde, dass sich die Arbeitgeber richtig anstrengen müssen, Mitarbeiter zu bekommen. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos von der CSU sieht ja Deutschland schon auf dem Weg hin zur Vollbeschäftigung. Teilen Sie seinen Optimismus, oder ist das kein Zufall, dass dieser Optimismus ausgerechnet im bayerischen Landtagswahlkampf ausbricht?
Schösser: Der Optimismus wird natürlich immer als Monstranz vor sich hergetragen, um den Mindestlohn zu verhindern. Sie müssen natürlich in der globalen Wirtschaft sehen, dass die Frage des Lohndrückens immer existiert, selbst wenn bei uns eine Art von Vollbeschäftigung existieren würde. Arbeitgeber würden immer drohen, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, wo die Arbeitskraft billiger ist, und so weiter und so fort. Deshalb geht es ja darum, im Konzert mit Europa eine einheitliche Größe für eine Mindestentlohnung zu finden. Ich sage klar und deutlich: Der Lohn darf doch nicht Wettbewerbsgegenstand sein, dass ein Unternehmer dem anderen Unternehmer im Grunde Aufträge abnimmt, weil er geringere Löhne bezahlt. Wo ist da das Ende der Spirale, wenn man so einen Weg forciert? Die soziale Marktwirtschaft ist ja geradezu dadurch gekennzeichnet, dass Lohn nicht zur Schmutzkonkurrenz werden darf unter den Unternehmen, um Preisdruck zu machen.
Ricke: Bis das kommt, wird aber doch noch einige Zeit ins Land gehen. Heißt das, das Thema Vollbeschäftigung ist eine Illusion?
Schösser: Das Thema Vollbeschäftigung darf keine Illusion bleiben. Wenn wir dieses Ziel aufgeben würden, dann fürchte ich, wäre die Energie, zur Vollbeschäftigung zu kommen, noch geringer. Insofern hoffe ich natürlich, dass das ein Ziel bleibt in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Ich glaube sogar, dass durch die Hilfe der negativen demographischen Entwicklung relativ schnell eine Situation entstehen könnte, dass Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt gebraucht werden, die leider nicht vorhanden sind, weil aktive Arbeitsmarktpolitik derzeit nicht ausreichend betrieben wird.
Fritz Schösser: Schönen guten Morgen!
Ricke: Jetzt haben wir ein gutes Dutzend Branchen mit Mindestlohn beziehungsweise mit Mindestlohn in greifbarer Nähe – betroffen rund drei Millionen Arbeitnehmer. Gemessen an der heftigen politischen Diskussion der letzten Monate, ist das nicht ein recht kümmerliches Ergebnis?
Schösser: Man muss sehen, welchen Weg wir beschreiten. Wir beschreiten ja nicht den Weg des gesetzlichen Mindestlohns, sondern eine Möglichkeit, die das Europarecht über das Entsendegesetz gibt, wo die Voraussetzungen gegeben sein müssen, dass die Tarifpartner so stark sind, dass mindestens 50 Prozent einer Branche bereits einem Tarifvertrag unterliegen und die restlichen Arbeitnehmer in der Branche dann durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf die gleiche Lohnhöhe zu heben sind. Es ist einer der Wege und ich sage ganz klar und deutlich: das Entsendegesetz alleine ist für eine flächendeckende Durchsetzung des Mindestlohns leider nicht geeignet. Das wussten wir aber vorher.
Ricke: Warum hat sich die SPD dann ausgerechnet auf das Entsendegesetz eingelassen, anstatt zu sagen, wir fordern im Schulterschluss mit den Gewerkschaften einen einheitlichen Mindestlohn in Deutschland und wir suchen da auch durchaus den politischen Konflikt mit dem Koalitionspartner?
Schösser: Der Konflikt mit dem Koalitionspartner muss natürlich zum Erfolg führen und die SPD geht erst mal einen Weg, wo sie offensichtlich über die Koalitionsvereinbarung mit dem Koalitionspartner einigermaßen zurechtkommt. In Kritik steht in diesem Fall nicht die SPD; in Kritik steht klar und deutlich die CDU/CSU, die im Grunde mit allen Mitteln versucht, den Mindestlohn zu verhindern, und jetzt sogar beim Entsendegesetz hergeht und versucht, einige Branchen, die beantragt haben, wieder auszunehmen. Also man sieht doch die Tat, die dort dahinter steckt. Man will den Mindestlohn gesetzlich flächendeckend verhindern und man will sogar über das Entsendegesetz so wenig wie möglich Branchen haben, in denen der Mindestlohn gilt.
Ricke: Es soll ja auch Gewerkschafter geben, denen beim Thema gesetzlicher Mindestlohn gar nicht so wohl ist, die Angst haben um die Tarifautonomie und die fürchten, dass eine Untergrenze erst mal ein Ziel ist, auf das Arbeitgeber dann auch hinverhandeln können. Ich sage mal grundsätzlich vermutet: Ein Gewerkschafter im Einzelhandel, der möchte wahrscheinlich lieber einen flächendeckenden Mindestlohn als einer in der Stahlindustrie. Wie schwierig ist denn die Diskussion innerhalb des Gewerkschaftsbundes?
Schösser: Auch da muss man klar differenzieren und da ist die Situation innerhalb des Gewerkschaftsbundes über alle Gewerkschaften hinweg klar: dort besteht Einigkeit. Erstens: wir wollen, dass die Tarifpolitik und die Tarifautonomie stark und erhalten bleibt. An dieser Frage geht doch gar nichts vorbei. Zweitens: wir wollen in Branchen, wo wir zwar Tarifverträge haben, wo Tarifverträge über 7,50 Euro liegen, die Möglichkeit des Entsendegesetzes nutzen, um über die Allgemeinverbindlichkeit, die in den letzten Jahren in Deutschland ja völlig unter die Räder kam, gleiche Verhältnisse in einer Branche herzustellen. Und wir wollen für den Rest, wo wir wegen geringer Mitgliederzahlen gar nicht in der Lage sind, überhaupt Tariflöhne auf den Weg zu bringen, wir wollen für diese Menschen den Mindestlohn, weil es klar sein muss, dass wer eine Vollerwerbsarbeit leistet davon auch leben können muss.
Ricke: Einen Mindestlohn bräuchte man nicht, wenn ein Wettbewerb um die Arbeitskräfte entstünde, wenn sich die Arbeitsmarktsituation so verbessern würde, dass sich die Arbeitgeber richtig anstrengen müssen, Mitarbeiter zu bekommen. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos von der CSU sieht ja Deutschland schon auf dem Weg hin zur Vollbeschäftigung. Teilen Sie seinen Optimismus, oder ist das kein Zufall, dass dieser Optimismus ausgerechnet im bayerischen Landtagswahlkampf ausbricht?
Schösser: Der Optimismus wird natürlich immer als Monstranz vor sich hergetragen, um den Mindestlohn zu verhindern. Sie müssen natürlich in der globalen Wirtschaft sehen, dass die Frage des Lohndrückens immer existiert, selbst wenn bei uns eine Art von Vollbeschäftigung existieren würde. Arbeitgeber würden immer drohen, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, wo die Arbeitskraft billiger ist, und so weiter und so fort. Deshalb geht es ja darum, im Konzert mit Europa eine einheitliche Größe für eine Mindestentlohnung zu finden. Ich sage klar und deutlich: Der Lohn darf doch nicht Wettbewerbsgegenstand sein, dass ein Unternehmer dem anderen Unternehmer im Grunde Aufträge abnimmt, weil er geringere Löhne bezahlt. Wo ist da das Ende der Spirale, wenn man so einen Weg forciert? Die soziale Marktwirtschaft ist ja geradezu dadurch gekennzeichnet, dass Lohn nicht zur Schmutzkonkurrenz werden darf unter den Unternehmen, um Preisdruck zu machen.
Ricke: Bis das kommt, wird aber doch noch einige Zeit ins Land gehen. Heißt das, das Thema Vollbeschäftigung ist eine Illusion?
Schösser: Das Thema Vollbeschäftigung darf keine Illusion bleiben. Wenn wir dieses Ziel aufgeben würden, dann fürchte ich, wäre die Energie, zur Vollbeschäftigung zu kommen, noch geringer. Insofern hoffe ich natürlich, dass das ein Ziel bleibt in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Ich glaube sogar, dass durch die Hilfe der negativen demographischen Entwicklung relativ schnell eine Situation entstehen könnte, dass Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt gebraucht werden, die leider nicht vorhanden sind, weil aktive Arbeitsmarktpolitik derzeit nicht ausreichend betrieben wird.